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Alles im Griff

Internationale Afghanistan-Konferenz in Kabul zum Zweck der Selbstdarstellung. Kein Licht am Ende des Tunnels

Von Knut Mellenthin *

Unter allerstärksten militärischen Sicherheitsvorkehrungen findet am heutigen Dienstag in der afghanischen Hauptstadt Kabul eine internationale Konferenz statt, die ausschließlich der Selbstdarstellung dient. Das gilt für die meisten Treffen dieser Art, aber nur wenige sind mit derart hohen Kosten und so schwerwiegenden Risiken verbunden. Ein Anschlag der Aufständischen während der Konferenz, den niemand ausschließen kann, würde unter propagandistischen Aspekten als Katastrophe gelten. Denn die internationalen Veranstalter, allen voran die NATO-Staaten, wollen der Weltöffentlichkeit den Eindruck vermitteln, sie hätten die Dinge einigermaßen im Griff, und ein Ende ihrer Militärintervention sei zwar noch nicht wirklich nahe, aber doch wenigstens absehbar. Zu Beginn einer von Präsident Hamid Karsai geleiteten »Friedensversammlung« Anfang Juni waren mehrere Raketen in der Nähe des großen Zeltes gelandet, in dem 1500 ausgewählte »Volksvertreter« die Eröffnungsrede hören sollten. Um etwas ähnliches zu verhindern, habe man diesmal einen »Ring von Stahl« um die Hauptstadt gelegt, erzählte der Pressesprecher des afghanischen Innenministeriums am Sonntag den Journalisten.

Wieviel Außenminister sich heute in Kabul treffen, scheint niemand ganz genau zu wissen. Von 40 aufwärts bis 70 ist in den Medien alles drin. Mit einiger Sicherheit wird Hillary Clinton für die USA da sein. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist angekündigt. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte am Montag in einem Gastbeitrag für das Hamburger Abendblatt eingeräumt, »daß der Preis, den wir zahlen müssen, viel höher ist als erwartet«, wobei er neben sehr viel Geld auch getötete und verletzte Soldaten im Blick hatte. Weniger denken die westlichen Politiker dabei offenbar an die Leiden der afghanischen Bevölkerung, der sie einen nun schon seit über 30 Jahren dauernden Krieg aufgezwungen haben: zuerst durch die Aufrüstung und Finanzierung der fundamentalistischen Mudschaheddin, danach - nun auch schon seit fast zehn Jahren - durch den Kampf gegen diese. Über die im Oktober 2001 begonnene Militärintervention der NATO schreibt Rasmussen jetzt: »Es kann nicht bestritten werden, daß die internationale Gemeinschaft anfangs das Ausmaß dieser Herausforderung unterschätzte.«

Das zentrale Dokument, das in Kabul feierlich »beschlossen« werden soll, ist selbstverständlich schon lange fertiggestellt und abgesprochen. Ein paar Tage vor der Konferenz ließ man planmäßig die wichtigste Botschaft an die Medien durchsickern: Präsident Karsai wird mitteilen, daß die afghanischen Sicherheitskräfte bis Ende 2014 den Schutz ihres Landes in die eigenen Hände nehmen wollen, und die internationalen Konferenzteilnehmer werden diese Absicht »begrüßen«. Ganz beendet würde die NATO-Militärintervention auch dann nicht, weil einige tausend ausländische Soldaten - über genaue Zahlen spricht man jetzt noch nicht - selbst im besten Fall auch über 2014 hinaus in Afghanistan bleiben würden: als Ausbilder, Berater, Aufpasser, vielleicht auch als fest stationierte Truppen in einer Reihe fortbestehender Stützpunkte.

Aber, wie gesagt, das wäre sozusagen das Best-Case-Szenario. Wahrscheinlicher ist, daß die gesteckten militärischen Ziele auch Ende 2014 noch nicht erreicht sind und daß Rasmussen oder sein Nachfolger dann erneut schreiben wird, man habe das Ausmaß der Herausforderungen unterschätzt. Und ein Krieg gegen Iran, auf den die NATO unter US-amerikanischer Führung zusteuert, würde ohnehin alle Pläne für Afghanistan und Irak über den Haufen werfen.

* Aus: junge Welt, 20. Juli 2010


Afghanistan: Mehr Tote und ein Park für Skater

Vor internationaler Konferenz in Kabul sind die Perspektiven am Hindukusch mehr als bescheiden **

Fast neun Jahre nach Beginn des Krieges am Hindukusch soll an diesem Dienstag (20. Juli) eine internationale Konferenz in Kabul neue Weichen für die Zukunft des Landes stellen.

In der von Anschlägen und Terror heimgesuchten afghanischen Hauptstadt werden um die 40 Außenminister und rund 70 weitere hochrangige Politiker erwartet. Im Mittelpunkt des Treffens steht die Übertragung der Verantwortung für die Sicherheit auf die afghanische Regierung.

Berichten zufolge sollen bereits bis Ende 2014 alle kämpfenden Truppen der NATO abgezogen werden. Afghanistans Präsident Hamid Karsai soll diesen Plan am Dienstag (20. Juli) offiziell verkünden. Zurzeit sind rund 130 000 ausländische Soldaten stationiert.

Unmittelbar vor der Konferenz räumte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ein, dass der Einsatz am Hindukusch unterschätzt worden sei. »Nach neun Jahren internationalen Engagements ist es auf schmerzvolle Weise deutlich geworden, dass der Preis, den wir zahlen müssen, viel höher ist als erwartet«, schrieb Rasmussen in einem Gastbeitrag für das »Hamburger Abendblatt« vom Montag. Dies gelte insbesondere für die Zahl der getöteten Soldaten. »Es kann nicht bestritten werden, dass die internationale Gemeinschaft anfangs das Ausmaß dieser Herausforderung unterschätzte.«

Rasmussen machte deutlich, dass er mit weiter steigenden Opferzahlen rechnet. Die Militäroffensiven in das Kerngebiet der Taliban würden »unweigerlich zu heftigeren Gefechten führen«, so der Generalsekretär. »Bedauerlicherweise wird es mehr Opfer geben.« Die militärischen Aktionen seien aber von enormer politischer Bedeutung. »Sie tragen dazu bei, die Taliban sowohl politisch als auch militärisch zu schwächen.«

Bei einem Sprengstoffanschlag auf eine Bundeswehrpatrouille in der nordafghanischen Provinz Kundus sind vier deutsche Soldaten verletzt worden. Nach vorliegenden Erkenntnissen handele es sich nicht um schwere Verletzungen, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Geltow bei Potsdam am 19. Juli). Der Anschlag wurde 12 Kilometer südwestlich vom Feldlager in Kundus verübt. Die Bundeswehr wird derzeit in den Provinzen Kundus und Baghlan fast täglich von Taliban angegriffen.

Mit einem 600 Millionen Euro teuren Aussteigerprogramm will die afghanische Regierung 36 000 Taliban-Kämpfer dazu bewegen, ihre Waffen niederzulegen. Seinen auf fünfeinhalb Jahre angelegten Plan will Präsident Karsai ebenfalls heute vorlegen. Der Plan Karsais, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, soll in 22 der 34 afghanischen Provinzen angewendet werden. Zum einen ist vorgesehen, Taliban-Mitläufern den Ausstieg durch finanzielle und materielle Hilfe zu erleichtern. Zum anderen soll auch mit ranghohen Kommandeuren der Taliban über ein Ende der Gewalt verhandelt werden. Ihnen könnten unter anderem Straffreiheit und Exil in einem sicheren Drittstaat in Aussicht gestellt werden.

Unterdessen entsteht in der afghanischen Provinz Herat mit deutscher Hilfe ein Skateboard-Park für Kinder und Jugendliche. In Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation »Grünhelme« arbeite die Initiative »skate-aid« der Münsteraner Titus Dittmann Stiftung seit März an dem Projekt »Skatepark für Karoq«, teilten der Grünhelme-Gründer Rupert Neudeck und sein afghanischer Projektleiter Zobair Akhi am Montag in Köln an. Es passiere in Afghanistan selten, dass sich jemand speziell den Bedürfnissen der Kinder zuwende, erklärte Akhi.

Das Projekt ist der zweite Skate-Park in Afghanistan. Bereits 2007 gründete der Australier Oliver Percovich ein ähnliches Projekt in der Hauptstadt Kabul. Die Anlage in Herat, die im September eröffnet werden soll, bietet rund 7500 Kindern und Jugendlichen Platz. Sie befindet sich neben einer von den Grünhelmen errichteten Schule.

** Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2010


Kampf gegen Terror wird zum Chaos

Zeitung: US-Maßnahmen völlig unüberschaubar ***

Die USA haben zur Terrorabwehr nach einem Bericht der »Washington Post« über die Jahre ein geheimes Programm errichtet, das völlig unüberschaubar geworden ist. Inzwischen wisse niemand mehr, wie viele Menschen überhaupt für die Maßnahmen gegen Terroranschläge arbeiteten, was sie kosteten und was sie brächten, berichtete die Zeitung am Montag. Sie berief sich auf zweijährige Recherchen ihrer Reporter.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 seien riesige Summen in das geheime Programm zur Abwehr weiterer Terrorangriffe gesteckt worden. Nun habe es ein Ausmaß erreicht, dass niemand mehr sagen könne, wie effektiv die Maßnahmen seien. Es sei zu befürchten, dass viele Geheimdienstzweige nebeneinander her arbeiteten - ohne von der Arbeit der anderen zu wissen, hieß es in dem Beitrag weiter.

Die Zahl der Regierungsstellen, die in das geheime Programm involviert sind, werde auf über 1200 geschätzt. Hinzu kämen fast 2000 private Firmen. Für mehr als 850 000 Menschen gelte die höchste Sicherheitsstufe. 33 Gebäude seien in der US-Hauptstadt oder der Umgebung für geheime Aufgaben errichtet worden oder noch im Bau. Die »Post« kündigte eine ganze Serie von Artikeln über die Arbeit von Militär und Geheimdiensten gegen Terrorangriffe an.

*** Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2010


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