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Teenager in Uniform

Tausende Jugendliche müssen in den afghanischen Sicherheitskräften dienen. Fast alle deutschen Bundestagsparteien ignorieren Vorwürfe

Von Knut Mellenthin *

Viele Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte sind Kinder und Jugendliche, obwohl ein Erlaß von Präsident Hamid Karsai aus dem Jahre 2003 das Mindestalter für den Dienst bei Polizei und Streitkräften auf 18 Jahre festgesetzt hat. Afghanistan hält sich damit offiziell an den Artikel 38 der von der UNICEF beschlossenen Konvention der Kinderrechte. Dieser sieht -- allerdings nur in Form eines unverbindlichen Zusatzprotokolls -- vor, daß die direkten Teilnehmer an bewaffneten Konflikten mindestens 18 Jahre alt sein sollten, und verbietet die Zwangsrekrutierung von jüngeren Kindern bzw. Jugendlichen.

Die Praxis in Afghanistan sieht allerdings anders aus. Bei einer landesweiten Arbeitslosigkeit von mindestens 40 Prozent, die regional vielfach noch höher liegt, ist der Dienst von Teenagern bei den Sicherheitskräften für viele Familien die wichtigste Erwerbsquelle. Daß es dabei nicht immer freiwillig zugeht, liegt auf der Hand. Ein Viertel der afghanischen Polizisten und ein Fünftel der Soldaten laufen schon während ihres ersten Dienstjahres davon.

Die Behörden wirken bei der Aufnahme Minderjähriger in die Sicherheitskräfte mit, indem sie ihnen falsche Personalpapiere ausstellen. Noch höher als bei Militär und Polizei ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen in der sogenannten Hilfspolizei und in privaten Sicherheitsunternehmen, bei denen es sich meist um nichts anderes als umbenannte Milizen der verschiedenen Warlords handelt. Kontrollen sind in diesem Bereich noch geringer als bei staatlichen Sicherheitskräften.

Der sexuelle Mißbrauch von Teenagern ist besonders in der afghanischen Polizei weit verbreitet. Regelmäßig vergewaltigt werden nicht nur minderjährige Kameraden, sondern auch Kinder und Jugendliche, die aus Dörfern verschleppt werden. In Kanada beschäftigten diese Vorgänge, die von mehreren Soldaten und Militärpolizisten beobachtet worden waren, im vergangenen Jahr sogar die Regierung. Sie ließ allerdings nach einer oberflächlichen Untersuchung verlauten, an den Anschuldigungen sei nichts dran und weigerte sich mit dieser Begründung, wenigstens Ermittler nach Afghanistan zu schicken.

Als die junge Welt am 25. Februar 2008 unter Berufung auf eine Insiderquelle berichtete, »daß einige der von deutschen Offizieren ausgebildeten Afghanen höchstens 16 Jahre alt sind« und daß »die Umstände, unter denen solche Jugendliche für den Kriegsdienst angeheuert werden, oft nicht wirklich als freiwillig zu bezeichnen« seien, folgte sofort ein kategorisches Dementi der Bundeswehr. Als einzige im Bundestag vertretene Partei reagierte Die Linke, die übrigen Abgeordneten schwiegen und stellten nicht einmal kritische Nachfragen. Als Kriegsbefürworter von Anfang an bilden CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD eine Tätergemeinschaft, die alle »Problemthemen« schnell vom Tisch zu bekommen versucht.

Unterdessen ist absehbar, daß die forcierte Erhöhung der Personalstärke der afghanischen Sicherheitskräfte, die auch von den deutschen Kriegsparteien gefordert wird, alle vorhandenen Mißstände, einschließlich der Rekrutierung von Minderjährigen, weiter verschärfen wird. Die US-Regierung hat als Planziel vorgegeben, die afghanische Polizei innerhalb zweier Jahre von derzeit 80 000 auf 160 000 Mann zu verdoppeln. Mehr Quantität bedeutet jedoch noch größere Nachlässigkeit bei der Auswahl und Überprüfung der Neueinstellungen.

Korruption, Inkompetenz, Disziplinlosigkeit und hoher Drogenkonsum gelten als hervorstechende Kennzeichen der afghanischen Polizei. Die New York Times berichtete am Freitag über mehrere regierungsinterne Berichte, die zu einer äußerst pessimistischen Einschätzung des gegenwärtigen Zustands der Sicherheitskräfte und der Realisierungsmöglichkeiten für die hoch gesteckten Ziele einer Personalverdoppelung kommen.

* Aus: junge Welt, 9. November 2009


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