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Kunterbuntes Kandidatenkarussell

Afghanistan rüstet zur Wahl eines Nachfolgers des Präsidenten Karzai

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Afghanistan wählt in einem halben Jahr – während die ISAF-Truppen den Hindukusch verlassen – den Nachfolger des Präsidenten Hamid Karzai.

Zu den 28 Kandidaten zählen ein Bin Laden-Vertrauter, ein ehemaliger westlich-geschmeidiger Außenminister und der ältere Bruder von Karzai, der vom abtretenden Staatschef aber nicht unterstützt wird. Die Kandidatenliste ist ein Querschnitt der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes, die sich in den vergangenen zwölf Jahren dank Unterstützung der USA bildete. Sie verheißt wenig Gutes für die Zukunft des Landes.

Zwar gibt es im Land Internet, mehr Rechte für Frauen und eine lebhafte Medienlandschaft. Doch regiert wird das Land noch immer von alten bärtigen Männern. Viele von ihnen haben eine zwielichtige Vergangenheit. Antreten werden im Wahlkampf auch Akademiker, Aktivisten und eine Reihe früherer Minister, doch keine Frau. Einen Ausblick auf den bevorstehenden schillernden Wettstreit gab die Wahlbehörde. Sie forderte die Kandidaten auf, beim Betreten dieser Behörde doch bitte keine Bewaffneten im Tross zu haben.

Das Waffenverbot bezog sich insbesondere auf jenen Mann mit Turban, dichtem Bart und der bewaffneten Leibgarde, der am Donnerstag seinen Namen registrieren ließ: Abdul Rasul Sayyaf, ehemaliger Kriegsfürst und Mudschaheddin. Er gilt als Vater von Al Kaida in Afghanistan und holte Osama Bin Laden 1996 ins Land. »Ich will weder Ruhm noch Macht«, sagte Sayyaf. »Ich will die Nation erhalten.« Dem zweimaligen Präsidenten Hamid Karzai ist eine dritte Amtszeit untersagt.

Aussichtsreichste Kandidaten sind zwei frühere Außenminister: Zalmay Rassoul gilt als geschliffener Politiker und Wunschkandidat Karzais. Er verfügt jedoch über keinen Wahlkreis, was in Afghanistan allerdings wenig besagen will. Hinzu kommt »Doktor« Abdullah Abdullah, Karzais erster Außenminister nach der US-Invasion. Er trat bei den letzten Wahlen 2009 gegen seinen ehemaligen Chef an, zog aber wenige Tage vor der Stichwahl die Kandidatur zurück. Dafür erhob er schwere Betrugsvorwürfe gegen Karzai, die dieser nie ganz entkräften konnte.

Es ist noch nicht klar, ob die Taliban im April wieder unter Androhung von Waffengewalt zu einem Wahlboykott aufrufen. Gemäßigtere Kreise wünschen um jeden Preis einen der Ihren an der Landesspitze. Sayyaf wäre noch der logischste Kandidat. Doch trotz seiner ideologischen und religiösen Affinitäten mit den Gotteskriegern hatte Sayyaf diese einst denunziert. Er schloss sich vorübergehend der oppositionellen Nordallianz an, womit er sich auf der Seite der USA befand. Sayyaf soll auch den arabischen Selbstmordattentätern geholfen haben, Widerstandsführer Ahmad Shah Massoud, den »Löwen von Panjshir«, am Tag vor den 9/11-Terroranschlägen umzubringen.

Heute ist der Wendehals Sayyaf, der seit 2007 Abgeordneter ist, de facto ein Kandidat der Taliban – auch wenn dies beide bestreiten. Nach außen verlachen Taliban-Führer die Wahlen als Zeitverschwendung. Doch Sayyaf und insbesondere eine Reihe von Vizekandidaten mit fragwürdiger Vergangenheit sind wie trojanische Pferde, die mit ihrer Teilnahme am demokratischen Prozess diesen sabotieren wollen.

So bemühte sich der erzkonservative Sayyaf, nach dem sich die südphilippinischen Islamistenrebellen von Abu Sayyaf benennen, ein Gesetz zum Schutz von Frauen zu kippen. Auch im offiziellen Untersuchungsbericht zu 9/11 sind dem Altmudschaheddin einige Passagen gewidmet. Sayyaf soll der Mentor von Khalid Sheikh Mohammed gewesen sein, dem angeblichen Drahtzieher der Terroranschläge. Dieser ging im März 2003 in Pakistan einem CIA-Kommando ins Netz.

Weiter treten im April der frühere Weltbank-Experte Ashraf Ghani, der frühere Gouverneur und als Kinderschänder angeklagte Gul Agha Shirzai sowie Qayum Karzai an, den sein Bruder am Samstag noch einmal eindringlich von einer Kandidatur abzubringen versuchte.

Bedeutende Parteien gibt es nicht. Allein Namen, Bargeld und ethnische sowie regionale Loyalitäten zählen. Nicht der Mann mit dem besten Wirtschafts- und Friedensplan wird gewinnen, sondern der, der die Spielregeln von Günstlingswirtschaft versteht, die Land und Politik beherrscht.

Darauf basierend – und zur Beruhigung der internationalen Gemeinschaft – könnte der weltgewandte Abdullah durchaus das Rennen machen. Seine Vizepräsidenten wären ein hoher militanter Paschtune und ein Hazara-Führer, der wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde. Selber halb Paschtune, halb Tadschik, wären mit Abdullahs Trio Afghanistans Hauptethnien abgedeckt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Oktober 2013


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