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Taliban beschossen Kabul mit Raketen

Gewalt eskaliert vor der Präsidentenwahl in Afghanistan / Tote und Verletzte bei Anschlägen *

Gut zwei Wochen vor der Präsidentenwahl in Afghanistan ist das Land am Dienstag (4. August) von mehreren Anschlägen erschüttert worden.

Ein Selbstmordattentäter tötete in der südlichen Provinz Sabul fünf Menschen und verletzte zahlreiche weitere, wie die örtliche Polizei mitteilte. Auf die Hauptstadt Kabul feuerten radikalislamische Taliban Raketen ab, ein Provinzgouverneur entkam knapp einem Anschlag.

Der Selbstmordattentäter sprengte sich nach Angaben der Polizei auf einem belebten Markt neben einem Fahrzeug des afghanischen Geheimdienstes. Dabei kamen vier Zivilisten und ein Mitarbeiter des Geheimdienstes ums Leben. Unter den 19 verletzten Personen sind 16 Zivilisten. Zu dem Anschlag bekannte sich bislang niemand.

Auf Kabul wurden am Dienstagmorgen mindestens neun Raketen abgefeuert. Wie das afghanische Innenministerium mitteilte, verletzten sie einen Mann und ein Kind. Eines der Geschosse schlug demnach nahe der US-Botschaft ein, andere Raketen nahe dem internationalen Flughafen. Zuvor war von acht Geschossen die Rede gewesen. Später wurde jedoch eine neunte Rakete entdeckt, die nicht detonierte und von Sicherheitskräften entschärft wurde. Die radikalislamischen Taliban übernahmen die Verantwortung für den Abschuss der Raketen. Ziele seien eine Kaserne der afghanischen Armee sowie der Flughafen gewesen, sagte ein Sprecher der Aufständischen.

Zehn Kilometer außerhalb von Kabul überlebte der Gouverneur der Nachbarprovinz Wardak einen Anschlag auf sein Fahrzeug. Nach Angaben des Innenministeriums blieb der Gouverneur unverletzt, als unter einer Brücke, über die sein Fahrzeug fuhr, vier Minen explodierten. Vier Verdächtige wurden festgenommen.

Bei Kämpfen mit der afghanischen Armee kamen in der Provinz Helmand unterdessen 15 Aufständische ums Leben. Acht weitere seien festgenommen worden, sagte ein General gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Vor der Präsidentenwahl am 20. August wird eine weitere Zunahme von Gewalttaten islamischer Extremisten befürchtet. Es ist erst das zweite Mal in der afghanischen Geschichte, dass die Bevölkerung über ihren Staatschef abstimmen darf. Beobachter fürchten jedoch, dass viele Afghanen aus Angst vor Anschlägen nicht zur Wahl gehen könnten.

* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2009


Kriegswahlen

Von Roland Etzel **

Die Feinde verüben Anschläge, um den Wahlprozess zu gefährden, sagte gestern das afghanische Innenministerium, nachdem Taliban Raketen auf Kabul abgefeuert hatten. Dieser Satz des Ministers entspricht nur zum Teil der Wahrheit, zu einem sehr kleinen Teil. Mit oben erwähntem Raketenbeschuss dürfte der 4. August im Gegenteil einer der friedlichsten Tage des Jahres in Afghanistan gewesen sein. Denn dort herrscht Krieg. Das wissen alle außer der Bundesregierung, die nur deswegen immer mehr Bundeswehrsoldaten ins Land bringt, damit diese sich besser selbst schützen können.

Die Wahlen sind aber wirklich durch vielerlei in Gefahr. Zum Beispiel wenn den Taliban in der Provinz Badghis dämmern sollte, dass 25 000 Euro als Preis für eine Waffenpause bis zum Wahltag am 20. August viel zu wenig sind. Oder schlimmer: Wenn viel mehr Afghanen als bisher feststellen, dass es außer Karsai noch 40 andere Kandidaten gibt - auch wenn der Staat keine Plakate von ihnen druckt; sie also sogar eine Wahl haben. Dann könnte tatsächlich gewählt werden - rein theoretisch.

Denn praktisch ist Karsai bereits gewählt. Von den Amerikanern. Obwohl sie ihn nicht lieben. Denn er ist vernutzt. Doch sie fanden keinen, der so kämpferisch wie Karsai gegen die High-Tech-Morde der US-Luftwaffe schwadronieren - und dann zur Tagesordnung übergehen kann, und da steht ganz oben: Alles für faire Wahlen in Afghanistan.

** Aus: Neues Deutschland, 5. August 2009 (Kommentar)


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