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Auch Italien streitet über Afghanistan

Der Tod von sechs Fallschirmjägern löst Abzugsdebatte aus

Von Wolf H. Wagner, Florenz *

Einen Tag lang wurde in Italien nicht über die Teilnahme am Afghanistankrieg diskutiert: Wegen des Staatsbegräbnisses von sechs gefallenen Fallschirmjägern war das Thema am Montag (21. Sept.) tabu. Doch das Schweigen konnte nicht verbergen, dass das Regierungslager über den Einsatz am Hindukusch zerstritten ist, die Linke lehnt ihn geschlossen ab.

Sechs getötete Soldaten an einem Tag: Italien ist sich in der vergangenen Woche bewusst geworden, dass es einen hohen Preis für die Teilnahme am Krieg in Afghanistan zahlt. Am Montag fand in Anwesenheit von Staatspräsident Giorgio Napolitano, Regierungschef Silvio Berlusconi, hoher Militärs und von Angehörigen der sechs gefallenen Fallschirmjäger deren Staatsbegräbnis statt. Als um elf Uhr in der mit 4000 Menschen voll besetzten römischen St.- Pauls-Basilika die Trauermesse begann, sollten auch die Polemiken um den Einsatz der italienischen Truppen am Hindukusch verstummen. Doch in einem unbeobachteten Moment stürzte ein älterer Mann an den Altar und rief ein verzweifeltes »Frieden sofort« in das Mikrofon.

In den vorangegangenen Tagen waren die Forderungen nach sofortigem Abzug der Italiener aus Afghanistan bereits lauter geworden. Sie kommen nicht nur von der Linken. Auch Lega-Nord-Chef Umberto Bossi forderte die Heimkehr der Soldaten, er konnte sogar Premier Berlusconi dazu bewegen, sich für eine »Strategie des Übergangs« einzusetzen. Man müsse den Afghanen mehr Verantwortung übertragen, meinte der Regierungschef. Verteidigungsminister Ignazio La Russa kommentierte die Sitution indes lakonisch: »Wir sind dort nicht im Einsatz, um Straßen oder Krankenhäuser zu bauen. Es ist ein militärischer Einsatz, der hart geführt werden muss.« Auch Außenminister Franco Frattini hielt Kritikern vor, man müsse sich an die internationalen Absprachen halten. Er sagte aber zu, dass die zu den afghanischen Präsidentschaftswahlen zusätzlich entsandten 500 Soldaten bis Weihnachten abgezogen würden.

Mit den sechs in der vergangenen Woche Gefallenen erhöhte sich die Zahl der in Afghanistan getöteten Italiener auf 21. Durch das jüngste Selbstmordattentat nahe Kabul waren auch zehn afghanische Zivilisten getötet worden.

Die linken Parteien, von »Italien der Werte« über »Partito Democratico« bis zu den Kommunisten verlangen indessen einen schnellen Abzug. Antonio Di Pietro, Vorsitzender von »Italien der Werte«, forderte eine Parlamentsdebatte zu dem Thema. »Es muss klar herausgestellt werden, wer diejenigen sind, die für einen Verbleib in Afghanistan plädieren«, erklärte der frühere Richter. »Und wir werden deutlich machen, dass sich unsere Soldaten dort nicht in einer Friedensmission befinden.« In Afghanistan herrsche Bürgerkrieg, eine politische Richtung kämpfe gegen eine andere, sagte Di Pietro, und die NATO-Truppen hätten sich deutlich auf eine Seite geschlagen.

Dass sich Italien an einer NATO-Mission beteiligt, stößt auch beim früheren Regierungschef Massimo D’Alema auf Ablehnung. »Sollten wir uns weiterhin an der Mission beteiligen, muss diese unter das Mandat des UN-Sicherheitsrates gestellt werden«, forderte er.

Nach Auffassung des Vorsitzenden der »Rifondazione Comunista« (PRC), Paolo Ferrero, hat der internationale Militäreinsatz die Taliban nur gestärkt und ihnen Rückhalt in der Bevölkerung verschafft. Zum Tode der sechs Fallschirmjäger erklärte Ferrero: »Angesichts der des Schmerzes ihrer Angehörigen muss unser Einsatz für den Truppenabzug noch engagierter weitergeführt werden.« Die Linke plane Demonstrationen und Sitzstreiks in allen größeren Städten Italiens, um das sofortige Ende der Afghanstan-Mission zu verlangen. Die Diskussion um diesen Einsatz ist nun jedenfalls auch in Italien angekommen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2009


"Keine Mission, sondern ein himmlisches Ziel"

Afghanistan-Krieg gegen "islamischen Terrorismus" ist nicht zu gewinnen. Schluß damit, fordert ein hoher italienischer General. Ein Gespräch mit Fabio Mini **

Generalleutnant a.D. Fabio Mini (66) war 1996–98 Direktor der Führungsakademie des italienischen Heeres und 2002/2003 Kommandeur der KFOR im Kosovo. Heute arbeitet er als Autor und Militärexperte für renommierte Zeitschriften wie LiMes , Rivista Militare etc.

Am Donnerstag (17. Sept.) wurden bei einem Bombenanschlag mitten in der afghanischen Hauptstadt Kabul sechs italienische Fallschirmjäger getötet. Hätten Sie das für möglich gehalten?

Es ist genau das geschehen, von dem man glaubte, daß es in Kabul nie geschehen würde. Wenn aber dort eine Patrouille jeden Augenblick zur Zielscheibe werden kann, können wir uns vorstellen, wie die Sicherheitslage für das von den USA geführte Militärkontingent in ganz Afghanistan aussieht.

Der Anschlag ereignete sich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der Wahlsieg von Hamid Karsai verkündet wurde …

Diese Wahl ist eine der größten Mystifikationen der Demokratie: Sie diente nicht dazu, den Volkswillen zu registrieren, sondern um ein bestehendes Regierungssystem zu bestätigen. Das eigentliche Wahlergebnis lautet so: Die Leute sind nicht wählen gegangen, weil sie unzufrieden sind und Angst haben.

Die Strategie, das Land mit Hilfe militärischer Stärke zu stabilisieren, ist gescheitert. Die pakistanischen und iranischen Einmischungsversuche sind nur deshalb erfolgreich, weil sie Front gegen das Engagement des Westens machen. Das sollte Anlaß sein, darüber nachzudenken, welche Zustimmung das Vorgehen der USA und der NATO in der Bevölkerung hat.

Der Patent-Sündenbock für alles, was in Afghanistan geschieht, ist in der Regel Al-Qaida …

Auch das ist eine mystifizierende Vereinfachung. In Wirklichkeit ist es so, daß die bisherige Besatzungspolitik einen neuen Bürgerkrieg herbeiführt.

Die italienische Regierung brüstet sich damit, daß sie weiter an diesem Krieg teilnimmt, während die USA über eine Exit Strategy nachdenken. Allerdings hat US-Präsident Barack Obama der Entsendung einer großen Zahl weiterer Marines zugestimmt.

Obama denkt, daß die USA im Irak einen schmutzigen Krieg geführt haben, er will das jetzt mit einem sauberen Krieg in Afghanistan vergessen machen. Sein Plan zur Integration des zivilen und des militärischen Teils hätte funktionieren können, allerdings nur mit weniger Truppen und stärkerem zivilen Engagement. Der jüngste Bericht des Oberbefehlshabers in Afghanistan, General Stanley McChrystal, bestätigt, daß dieser Krieg nicht zu gewinnen ist.

Obama kämpft jetzt darum, einem in taktischer Hinsicht verlorenen Krieg einen politischen und strategischen Sinn zu verleihen. Für die NATO sieht die Sache jedoch anders aus: Sie kämpft darum, diese müde Allianz zusammenzuhalten. Sieg oder Niederlage und sogar menschliche Opfer sind ihr dabei egal. Ich weiß nicht, ob dieses Spiel die Mühe wert ist. Die italienische Position ist genauso widersprüchlich wie die derjenigen Länder, die an der »Bonner Initiative« beteiligt sind. Die glaubten, Afghanistan stabilisieren zu müssen. Und irgendwann stellten sie fest, daß sie in einen Krieg verwickelt sind, von dem sie genau wissen, daß er nur mit Kanonen und Tornados nicht zu gewinnen ist.

Was wäre konkret nötig?

Auf der politischen Ebene brauchen wir eine internationale Konferenz über die Probleme – aber über die wirklichen Probleme! Mit allen Beteiligten, also auch mit den Taliban. Wie sollten wir denn sonst aus dieser verfahrenen Lage herauskommen, wenn wir nicht einmal mit ihnen reden wollen? Man sollte sich also anhören, was sie zu sagen haben. Wenn man dann nicht auf einen Nenner kommt, kann man sich immer noch anders entscheiden.

Auf der militärischen Ebene wäre eine Konferenz hinter verschlossenen Türen mit den für die Operationen Verantwortlichen nötig. Die müssen sich zusammensetzen und darauf verständigen, wie man aus dieser Sackgasse herauskommt. Es bringt nichts – wie es in offiziellen Erklärungen und Dokumenten der Fall ist –, ständig zu wiederholen, daß wir dort sind, um den islamischen Terrorismus zu besiegen. Das ist keine Mission, sondern ein himmlisches Ziel. Militärisch ist das nicht umsetzbar.

Interview: Tommaso Di Francesco/ Simonetta Cossu

Aus: il manifesto und Liberazione vom 18. September 2009. Übersetzung: Andreas Schuchardt

** Aus: junge Welt, 22. September 2009


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