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Kann Afghanistan etwas von Adenauer lernen?

ISAF konzentriert die Kräfte im Norden, dort wollen jetzt sogar die Niederländer wieder mitmischen

Von René Heilig *

Mitte vergangenen Jahres packten die Niederlande militärisch weitgehend ein und verließen Afghanistan. Nun wird sich Deutschlands NATO-Nachbar erneut engagieren – im Verantwortungsbereich der Bundeswehr.

Heute (7. Jan.) wird das niederländische Kabinett den Beschluss über eine »zivil-militärische Mission« in Afghanistan fassen. Das mutet seltsam an, hatte sich das Land erst im Sommer 2010 militärisch aus der Kriegsregion verabschiedet. Die Truppen waren bis dahin im Süden Afghanistans in schwere Kämpfe verwickelt gewesen.

Nun will unser Nachbarland – freilich unter geänderter politischer Regentschaft – 350 Polizisten und Soldaten als Ausbilder in den afghanischen Norden schicken. Zum Vergleich: Die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer bringen gerade 200 Polizeitrainer für Afghanistan zusammen. Dafür brüsten sich Außenamt und Innenministerium damit, Ausbildungsstätten errichtet und die Ausrüstung der afghanischen Polizei verbessert zu haben.

Letzte Medlung: Neue Afghanistan-Mission beschlossen

Sechs Monate nach dem Abzug der niederländischen Soldaten aus Afghanistan hat die Regierung in Den Haag einen neuen Einsatz zum Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte beschlossen. Bis 2014 sollen sich an der Mission insgesamt 545 Männer und Frauen beteiligen, darunter 225 Polizeiausbilder, sagte Regierungschef Mark Rutte am Freitag im Anschluss an eine Kabinettsitzung. Eine Beteiligung an militärischen Einsätzen sei nicht vorgesehen. Es gehe um die Ausbildung von Polizisten, die Stärkung des Justizwesens und die Förderung des Verfassungsstaats. Die Niederlande werde aus Sicherheitsgründen außerdem vier F-16-Kampfjets samt Personal in Afghanistan belassen.
(Nachrichtenagenturen, 7. Januar 2011)



Bis Oktober 2011 will die sogenannte internationale Gemeinschaft durch ihre drei Ausbildungs-Konzepte (EUPOL, NATO-Training-Mission und das bilaterale deutsche Ausbildungsprojekt) 134 000 Polizisten verschiedenartiger Verbände gedrillt haben.

Der Name Polizei verschleiert Wahrheiten. Die meisten staatlich- kontrollierten Bewaffneten werden in den Krieg gegen Aufständische geschickt. Sie erleiden dabei herbe Verluste. Um die 1500 afghanische Polizisten wurden 2009 getötet. Die niederländischen Kollegen sollen in der Provinz Kundus – und auch in der Hauptstadt Kabul – ausbilden. Sowohl in Trainingszentren wie im Einsatz. Natürlich stehe die Sicherheit der eigenen Beamten obenan, sagt die Regierung. Deshalb schickt sie auch vier F-16-Jagdbomber mit entsprechender Bedienungsmannschaft.

So erhöht sich die Anzahl der Holländer auf 500 Mann. Die Jets werden vermutlich in Masar i Scharif stationiert. Dort wo einst deutsche Tornado-Aufklärer gestartet sind. Deren Mandat verbot Luftnahunterstützung, was die deutschen Bodentruppen sehr bedauert haben. Denn die werden immer öfter in anhaltende Gefechte verwickelt und müssen auf angeforderte Luftunterstützung bis zu einer Stunde warten, weil die zumeist von der US-Air-Force gestellten Flugzeuge aus anderen Regionen des Landes kommen. Nun könnten niederländische F-16 als »deutsche« Luftwaffe herhalten.

Es macht stutzig, dass der Norden Afghanistans immer stärker in den politischen Fokus gerät. Im Nordsektor, der eigentlich von der Bundeswehr verwaltet und beherrscht werden sollte, haben sich US-Elitetruppen breit gemacht. ISAF-Oberbefehlshaber US-General David Petraeus lässt sich in kurzen Abständen bei seinen Nord-Kämpfern blicken und erklärt das Gebiet zum Schwerpunkt des ISAF-Einsatzes. Immer wieder werden auch von den verstärkten Bundeswehrtruppen – oft im Verbund mit US- und afghanischen Hilfstruppen – Offensiven gegen die Aufständischen vorgetragen.

Die Kämpfe sind hart, man hat den Eindruck, dass im Norden eine Entscheidung erzwungen werden soll. Zwei Gründe, die sich aus dem beschlossenen Abzug der internationalen Truppen ergeben, sprechen dafür. Da absehbar ist, dass man die Taliban und andere Aufständische in den kommenden zwei, drei Jahren nicht niederringen kann, braucht man – um nicht wie Napoleon nach der Schlacht bei Borodino zu enden – ein gesichertes Abzugsareal. Ein befriedeter Norden und die Kabuler Region würden dazu notwendige logistische Voraussetzungen bieten.

Zugleich sind Parallelen zu Adenauers Nachkriegspolitik zu erahnen: Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb, solle er in Bonn am Rhein gesagt und die BRD ersonnen haben.

Ähnliche Gedanken gibt es für Afghanistan. Unter anderem propagiert Robert Blackwill, einst Harvard-Professor und Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der USA, eine De-facto-Teilung des Landes – in einen Taliban-freundlichen Paschtunen-Süden mit rund 40 Prozent Landesanteil und on einen dem Westen verpflichteter Norden.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2011


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