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"Der Mißmut bei den Afghanen wächst täglich"

Entwicklungshilfeorganisationen wollen nicht länger von der Bundeswehr instrumentalisiert werden. Ein Gespräch mit Renate Becker



Die Direktorin von »Brot für die Welt«, Cornelia Füllkrug-Weitzel, hat sich in einem Interview mit german-foreign-policy.com gegen jede Form zivil-militärischer Kooperation in Afghanistan ausgesprochen. Ist das Konsens unter den zivilen Aufbauhelfern?

Gegenwärtig erarbeitet VENRO, der Dachverband der Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Entwicklungshilfe, ein Papier, das zu diesem Thema eindeutig Position bezieht. Diese besagt einerseits, daß wir eine internationale Militärpräsenz für notwendig erachten, um Sicherheit im Lande herzustellen, die staatlichen Organe zu stärken und das afghanische Militär sowie die Polizei aufzubauen. Zugleich fordern wir allerdings eine strikte Trennung von zivilen und militärischen Mandaten, weil wir erleben, daß durch eine Verquickung beider Bereiche die Legitimation für die humanitäre Hilfe in der Bevölkerung schwindet und den Aufbauhelfern zudem erhebliche Probleme und Gefahren erwachsen.

Was sind das für Gefahren?

Ein Beispiel: In Kundus, wo die Bundeswehr das PRT, das sogenannte Regionale Wiederaufbauteam stellt, fährt die Truppe zuweilen mit zivilen Fahrzeugen, und Soldaten sind manchmal in Zivil gekleidet. Im Rahmen von CIMIC-Aktivitäten (Civil Military Cooperation – d. Red.) holen sie bei Feldbesuchen Informationen über Aufständische ein und versuchen, Unterstützung für ihren Militäreinsatz zu gewinnen – alles also recht eigennützige Motive. Wenn wir dagegen ins Feld fahren, dann aus dem Grund, durch gezielte Zusammenarbeit mit der Bevölkerung gegen die Not der Menschen vorzugehen. Für die Einheimischen ist es unter solchen Bedingungen schwer zu trennen, wann sie es mit Militärs und wann mit Zivilisten zu tun haben. Sobald diese Grenzen verwischen, schadet dies aber unserem Ansehen und damit auch unserem humanitären Anliegen.

Worin besteht überhaupt die »humanitäre« Aufbauleistung, derer sich die Bundeswehr so gerne rühmt?

Über allem steht der Schutz der eigenen Truppe. Diesem Zweck dienen vertrauensbildende Maßnahmen in der Bevölkerung, sogenannte Heart- and-Mind-Projekte. Um Kontakt zu den Einheimischen herzustellen, wird nach deren Problemen und Bedürfnissen gefragt. In der Folge wird dann vielleicht ein Brunnen gebaut, eine Brücke, Schule, ein Krankenhaus oder ein Kindergarten neu errichtet. Nach unserem Eindruck hält sich der finanzielle Aufwand für diese Engagements aber in engen Grenzen, und es fällt auf, daß sich die Bundeswehr sehr bedeckt hält bei der monetären Beschreibung ihrer zivilen Projekte.

Wie groß ist der Nutzen solcher Maßnahmen?

Wie gesagt, eigentlich geht es dabei in erster Linie darum, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen und die eigene Truppe zu schützen – so lautet im übrigen auch die Auftragsbeschreibung von CIMIC. Wir legen bei unserer Arbeit dagegen Wert darauf, die Bevölkerung in die Projekte einzubinden und in die Lage zu versetzen, die neue Infrastruktur selbst betreiben und instandhalten zu können. Was bringt ein neuer Brunnen, wenn keiner ihn unterhalten kann und die Besitzverhältnisse nicht geklärt sind? Diese Nachhaltigkeit fehlt den Aktivitäten der Bundeswehr genauso wie eine gezielte Bedarfsplanung: Hilfe erhalten eigentlich nur solche Dörfer, die militärstrategisch von Bedeutung sind.

Wie verhält sich die Bevölkerung zu dieser Widersprüchlichkeit?

Wir erleben hautnah, daß der Mißmut bei den Afghanen immer mehr anwächst. Das anfängliche Gefühl der Befreiung von den Taliban ist umgeschlagen in Ablehnung, Wut, Frustration und Feindseligkeit. Die unzähligen zivilen Opfer, die zunehmend auch auf das Konto der ISAF gehen, stellen inzwischen auch all das in Frage, was zivile, internationale Akteure vor Ort leisten.

Sollte die Bundeswehr also Schluß machen mit ihrer »humanitären Mission«?

Einmal das, und zweitens soll sich das Militär nicht länger mit fremden Federn schmücken. Nach der Stationierung der Deutschen in Kundus haben wir wiederholt betont, daß wir nichts mit der Bundeswehr zu tun haben, sondern eine private unabhängige Nichtregierungsorganisation sind. Trotzdem bezeichnet uns die Bundeswehr zu öffentlichen Anlässen vor Ort immer wieder als ein Teil des großen Konzerts der deutschen Wiederaufbauhilfe im Rahmen der PRTs. Wir wehren uns gegen diese Instrumentalisierung.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Renate Becker ist Regionalgruppenleiterin Zentralasien bei der Welthungerhilfe und reist in dieser Funktion regelmäßig nach Afghanistan

Aus: junge Welt, 15. September 2007



"Militäreinsätze und neoliberale Deregulierung"

Bundeswehr und Regierung Karsai sollen gescheitert sein

[ngo] In der Debatte um die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan fordert die Organisation medico international eine "entwicklungspolitische Offensive". Der Geschäftsführer Thomas Gebauer, der gerade von einer einwöchigen Reise aus Kabul zurückgekehrt ist, gewann in Afghanistan den Eindruck, "dass die Interventionsmächte mit ihrer bisherigen Strategie, die vor allen auf militärische Mittel und die Regierung Karsai setzt, komplett gescheitert sind".

"Die Debatte über den Krieg hat den Blick für die erschütternde Armut im Lande verstellt. Mehr als die Hälfte der Afghanen haben keine Arbeit. Militäreinsätze, neoliberale Deregulierung und die Stützung eines korrupten Staatssystems helfen da nicht weiter", kritisiert der Geschäftsführer der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation.

So notwendig die Präsenz internationaler Schutztruppen vorübergehend sei, so sehr führe die Idee, das schwindende Vertrauen der Menschen mit militärischen Mitteln zurückgewinnen zu können, in die Irre. Gebauer fordert politische Lösungen, "vor allem aber die rasche Wiederankurbelung der afghanischen Wirtschaft über Investitionen, die Subventionierung des Weizenanbaus, den Schutz heimischer Betriebe vor billigen Importen sowie Begünstigungen beim Export".

Die Bundesregierung müsse sich entscheiden. Mit ein paar zusätzlichen Millionen Entwicklungshilfe sei nichts gewonnen. Nur bei einer massiven Steigerung des sozialen und wirtschaftlichen Engagements ist nach Auffassung der Organisation Frieden und Entwicklung in Afghanistan möglich. "Fehlt dazu die Bereitschaft, ist es besser, die Soldaten schon heute abzuziehen. Das einzige, was dann noch übrig bliebe, wäre tatsächlich nur die Sicherung strategischer Interessen des Westens, nicht aber nicht die Verbesserung der Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung."

* Aus: Internetzeitung www.ngo-online, 11. September 2007




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