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Eine Freilassung, zwei Hinrichtungen

Nach mehreren Entführungsfällen in Afghanistan: Warum wurde nur ein einziges Mal mit den Taliban verhandelt?

Von Carla Lee, Kabul und Kandahar *

Es passierte an dem Tag, als ich von Peshawar in Pakistan nach Afghanistan einreiste – am 5. März auf der Hauptstraße von Dschalabad nach Kabul. Detaillierten Berichten des afghanischen Geheimdienstes zufolge, planten die Taliban seit Mitte Februar, vier Koreaner von diesem umkämpften Weg zu entführen, um diese dann gegen in der US-Air­Base in Bagram inhaftierte Kameraden auszutauschen. Doch dann geschah es nicht hier, sondern in der aufständischen südlichen Provinz Helmand, wo die Taliban sechs der 13 Bezirke kontrollieren. Und es erwischte den italienischen Journalisten Danielle Mastrogiacomo und seinen afghanischen Kollegen Ajmal Naqshbandi, der als Übersetzer für ihn arbeitete, sowie deren einheimischen Fahrer Syed Agha. Während ich in den östlichen Provinzen wenig Schwierigkeiten hatte, gerieten diese Kollegen in die größte Krise ihres Lebens.

Einer gegen fünf

Nach zwei Wochen endete diese »schlimmste Zeit« für den Italiener mit dem »wundervollsten Moment«, wie er nach seinem Austausch gegen fünf Taliban-Gefangene meinte. Derweil wurden allerdings sein Übersetzer bei diesem »Einer-gegen-fünf-Deal« völlig ignoriert, und der junge afghanische Fahrer ohne jegliche Verhandlungen hingerichtet.

Am 27. März dann wurden vier Ärzte und ihr Fahrer auf dem Weg zu einem Flüchtlingslager am Rande von Kandahar-Stadt verschleppt. Seitdem wagt sich niemand mehr hin zu den ignorierten Menschen aus den Gebieten, die von über sechs Jahren Dürre, Krieg oder den jüngsten Flutkatastrophen gebeutelt sind. Und es wird nicht mehr über sie berichtet ...

Am 3. April wurden zwei französische Entwicklungshelfer und ihre drei afghanischen Kollegen in der als sicherer erachteten Provinz Nimroz entführt. Die fünf Betroffenen wollten eigentlich in die Provinz Farah fliegen, aber die Streichung des Fluges – das passiert in Afghanistan häufig – zwang sie, den gefährlicheren Landweg zu nehmen.

Zum gravierenden Einschnitt wurde schließlich der 8. April, als Ajmal Naqshbandi starb. Trotz einiger, doch letztlich zu geringer Bemühungen für eine Freilassung des Mastrogiacomo-Begleiters wie Demonstrationen in Italien und einem mehrtägigen Protestcamp afghanischer Journalisten vor dem Parlament in Kabul, wurde dessen Leben um 15.03 Uhr durch Enthauptung beendet. Das geschah einen Tag vor Ende der Frist, die die Taliban für die Freilassung von zwei weiteren ihrer Kameraden gesetzt hatten. Sie hielten es offenbar nicht mehr für nötig, den Ablauf ihres Ultimatums abzuwarten, und der Grund hierfür könnte sein, daß sich die afghanische Regierung nicht um die Freilassung ihres Bürgers gekümmert hatte.

In einem Interview, das ich nur zwei Stunden nach Naqshbandis Hinrichtung mit Asad Kahlid, dem Gouverneur von Kandahar führte, wiederholte dieser die »unabänderliche Position« des Präsidenten von Afghanistan, Hamid Karsai, daß Verhandlungen wie im Fall des italienischen Journalisten nie wieder geführt würden – ungeachtet der Proteste beispielsweise seitens des Vaters von Naqshbandi, der sich empörte, daß für den Italiener fünf Taliban freigelassen wurden, aber für seinen Sohn nicht einer.

Auch die italienische Regierung kann sich der Kritik, Naqshbandis Leben ignoriert zu haben, nicht entziehen. Noch nach dem Deal erklärt das Außenministerium: »Der Minister möchte an den Verlust des jungen afghanischen Fahrers erinnern ... und der Familie des Opfers die Solidarität und das aufrichtige Bedauern von italienischer Regierung und der Bevölkerung ausdrücken.« Kein einziges Wort über Ajmal Naqshbandi, der zu diesem Zeitpunkt noch auf seine Freilassung hoffte. Gerade diese hier offensichtliche Ignoranz in den Erklärungen verschafften dem Taliban-Führer Mullah Dadullah einen »Grund«, ein Druckmittel, die Entführung fortzusetzen.

Zia Bumia, Präsident des Komitees zum Schutz von afghanischen Journalisten (CPAJ), drückte aus, was die meisten hier denken: »Wir begrüßen bedingungslos die Freilassung des italienischen Journalisten, aber wieso haben die Verhandlungen nicht viel eher, und zwar vor der Enthauptung des Fahrers (!) begonnen? Warum haben sie den Übersetzer nicht in die Verhandlungsmasse mit eingeschlossen? Die Regierung Afghanistans hat sich doch ausschließlich wegen des ausgeübten Drucks eben nur um den Italiener gekümmert.«

Taliban uneinig

Am 9. April, einen Tag nach Ajmal Naqshbandis Tod, beschlossen Repräsentanten der afghanischen Journalisten, aus Protest eine Woche lang nicht über die Taliban zu berichten. Sie verliehen Mullah Dadullah den Titel »Journalistenmörder«, nachdem dessen Sprecher Shahabuddin Atal in einem Morgenappell theatralisch erklärt hatte: »Wir haben ihn, Ajmal, als Exempel umgebracht. Journalisten bezeichnen Taliban immer schlecht: als Terroristen. Wir wollen, daß ihr uns ›Mudschaheddin‹ nennt. Ajmals Tod soll euch Journalisten eine Warnung sein, eure Einstellung zu ändern ...«.

Indes zeigten sich Anzeichen von Uneinigkeit in der Führungsspitze der Taliban. Während Atal um zehn Uhr morgens obige Erklärung verlas, verurteilte Taliban-Sprecher Qari Mohamad Yousuf diese Drohungen gegen Journalisten und erklärte, daß Atals Aussagen nicht mit den Vorstellungen der Taliban übereinstimmen.

Übersetzung: Norman Brauer

* Die Koreanerin Carla Lee arbeitet als freie Journalistin in Afghanistan

Aus: junge Welt, 12. April 2007



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