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Schreckliche Erfahrungen mit den Taliban

Zarghona Ahmadzai über Strategien gegen die Gewalt an Frauen in Afghanistan *

br>Die afghanische Psychologin Zarghona Ahmadzai war Hochschuldozentin und arbeitet bereits seit vielen Jahren klinisch mit durch Gewalterfahrungen traumatisierten Frauen. Sie ist seit 2002 bei der nach dem Fall der Taliban gegründeten Frauenorganisation »Medica Afghanistan« aktiv. Zudem kandidiert sie bei den nächsten Parlamentswahlen, die dieses Jahr geplant sind. Mit Frau Ahmadzai sprach für »nd« Mona Grosche.

nd: Frau Ahmadzai, die 2004 ratifizierte afghanische Verfassung proklamiert gleiche Rechte für Männer und Frauen. Ist mit der Verfassung ein wirklicher Fortschritt verbunden gewesen?

Ahmadzai: Ja, seitdem hat es kleine Veränderungen, einige kleine Verbesserungen für die Frauen in Afghanistan gegeben. Diese betreffen vor allem die Bereiche Bildung, Schule und Berufsausübung. Viele Mädchen können zur Schule gehen, und viele Frauen nutzen die Möglichkeiten, außerhalb des häuslichen Bereiches zu arbeiten. Es gibt auch spezielle Stipendien, wenn auch nur für einen kleinen Kreis von Mädchen, damit sie höhere Bildung bekommen können.

Wie steht es um die politische Beteiligung?

Besser. Frauen haben das gesetzlich verankerte Recht zu wählen und sich selbst zu Wahlen aufstellen zu lassen. So haben auch Frauen an der Friedens-Dschirga 2010 teilgenommen, als über den Friedensprozess mit den Taliban beraten wurde. Damit spielen sie auch eine Rolle beim Friedensprozess, und es gibt gewisse Möglichkeiten für die Frauen, sich in die Politik mit einzubringen. Zwar kann man nicht sagen, dass es große Fortschritte gegeben hat – aber verglichen mit der Zeit davor hat sich schon etwas verbessert.

Sie arbeiten als Psychologin für die Organisation »Medica Afghanistan«. Mit welchen Problemen beschäftigen Sie sich?

Gewalt gegen Frauen war auch in den letzten zehn Jahren ein sehr ernstes Problem. Alle 18 Sekunden geschieht, statistisch gesehen, Gewalt gegen eine Frau in Afghanistan. Sie wird in verschiedenen Formen ausgeübt, so etwa als häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, Zwangsverheiratung – auch von Kindern –, Frauenhandel und »Ehrenmorden«. Frauen dienen oft auch als Spielball in Familienfehden. Durch die internationalen Medien sind in letzter Zeit einige spektakuläre Fälle gegangen, so etwa der Fall einer 18-Jährigen, der von der Familie ihres Mannes Nase und Ohren abgeschnitten worden waren. Aber solche Grausamkeiten sind keine Einzelfälle. Es gibt zahlreiche Fälle dieser Art, von denen wir jetzt wissen.

Was setzt »Medica Afghanistan« entgegen?

»Medica Afghanistan« führt Einzel- und Gruppenberatungen für Frauen durch. Wir geben psychosoziale Unterstützung, sorgen für Rechtsbeistand, leisten Bildungsarbeit – wie etwa Alphabetisierungskurse – und führen spezielle Schulungen für medizinisches Fachpersonal in Traumaarbeit durch. Zudem betreiben wir Aufklärung über Radioprogramme.

Erhalten Sie dabei Unterstützung von offiziellen afghanischen Stellen?

Es gibt einige Ministerien, die mit uns zusammenarbeiten, so etwa das Gesundheitsministerium, das Justizministerium oder das Frauenministerium. Diese ermutigen und unterstützen teilweise unsere Programme, vor allem, was unsere Arbeit mit Gewaltopfern anbelangt. Eine Kooperation mit ihnen ermöglicht es, dass wir zum Beispiel Opfer von solch schrecklichen Gewalttaten psychologisch behandeln oder dass Opfer von Gewalt medizinische Behandlung und Schutz in Krankenhäusern erhalten.

Was kann man von Deutschland aus zur Unterstützung tun?

Wir brauchen internationale Unterstützung, zum Beispiel auch von den Frauen in Deutschland, damit wir unsere Arbeit ausweiten können. Leider sind wir nicht in allen 34 Provinzen aktiv, sondern im Moment nur in den wichtigsten Städten Afghanistans. Aber die Frauen im Rest des Landes brauchen auch unsere Unterstützung, schließlich haben rund 90 Prozent der Frauen in Afghanistan Gewalterfahrungen.

Was sind Ihre Erwartungen bezüglich des Abzugs der internationalen Truppen 2014? Und was Ihre Befürchtungen und Hoffnungen für die Zeit danach?

Wir haben vor Jahren schreckliche Erfahrungen mit den Taliban gemacht, wo die Frauen komplett vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen waren. Wir haben deshalb große Sorge um die Zukunft. Wenn die Taliban zurückkehren sollten, wird alles wieder zurückgeschraubt, was wir bisher erreicht haben, die Frauenrechte werden wieder beschnitten. Ich befürchte, dass dann diese dunklen Zeiten, unter denen wir so gelitten haben, wieder zurückkehren – natürlich auch, was mich persönlich und die Arbeit meiner Organisation anbelangt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 05. Februar 2013


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