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"Ob man es Stabilisierungseinsatz nennt oder Krieg, ist unerheblich"

Interview über den Afghanistan-Krieg mit dem Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano, Universität Bremen

Glaubt man der Bundesregierung, dann leistet die Bundeswehr in Afghanistan einen "robusten Stabilisierungseinsatz", aber sie führt keinen Krieg. Professor Andreas Fischer-Lescano, Spezialist für Verfassungs- und Völkerrecht an der Universität Bremen, hat für diese Haarspalterei wenig Verständnis.



Herr Fischer-Lescano, ist die Wahl vom letzten Sonntag ungültig?

Wie kommen Sie darauf?

Weil die Bundesrepublik in Afghanistan einen Krieg führt, und im Verteidigungsfall fallen Wahlen aus - Artikel 115 h Grundgesetz.

Würde die Sicherheit der Bundesrepublik tatsächlich "am Hindukusch verteidigt", dann vielleicht. Aber das ist nicht der Fall, denn in Artikel 115 a ist die Rede von einem Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet. Und den gibt es nicht.

Ein Angriff oder die unmittelbare Gefahr eines Angriffs, heißt es dort. Und eine solche Gefahr beschwört die Bundesregierung durchaus ...

... ja, nämlich im Fall der "Operation Enduring Freedom" (OEF), in deren Rahmen deutsche Soldaten weltweit im Einsatz sind. Die Bundesregierung behauptet, dass die Rechtsgrundlage für die OEF darin liege, dass wir uns seit dem 11. September 2001 in einem Zustand der dauerhaften Selbstverteidigung gegen den globalen Terror befinden. Völkerrechtlich ist das nicht haltbar.

Warum will die Bundesregierung als einziges Nato-Mitglied den Konflikt in Afghanistan nicht Krieg nennen?

Juristische Gründe sind es jedenfalls nicht.

Aus juristischer Sicht: Was ist Krieg?

Das moderne Völkerrecht kennt den Kriegsbegriff nicht mehr, es vermeidet ihn geradezu. So nimmt das humanitäre Völkerrecht bewusst den Begriff des "bewaffneten Konflikts" und nicht den des "Krieges" zum Ausgangspunkt, und dass ein solcher bewaffneter Konflikt in Afghanistan ausgetragen wird, ist unstrittig. Ob die Parteien ihn "Stabilisierungseinsatz" oder "Krieg gegen den Terror" nennen, ist völlig unerheblich.

Soweit das Völkerrecht. Und das deutsche Recht?

Im Grundgesetz taucht der Begriff Krieg nur selten auf, so im Artikel 4 - Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung - und im Artikel 26, der die Vorbereitung und das Führen eines Angriffskrieges verbietet. "Kriegsführung" als Aufgabenbeschreibung der Bundeswehr suchen Sie im Grundgesetz vergeblich. Krieg ist in der Bundesrepublik keine besondere verfassungsrechtliche Kategorie.

Müsste die Bundeswehr in Afghanistan anders agieren, wenn der Konflikt dort als Krieg anerkannt würde?

Nein, denn das humanitäre Völkerrecht kommt auf jeden Fall zur Anwendung. Man kann aber darüber streiten, ob die Kämpfer von Taliban und El Kaida als Kombattanten zu verstehen sind, also gegebenenfalls die Rechte von Kriegsgefangenen genießen.

Spräche die Bundesregierung von Krieg: Würde dies den Gegner aufwerten?

Das ist eines der beiden Argumente der Bundesregierung, um die Semantik "Krieg" nicht zu nutzen. Sie argumentiert hier aber nicht konsistent. Denn im Fall der OEF behauptet sie, es könne Verteidigungsmaßnahmen gegen den internationalen Terrorismus geben gemäß Artikel 51 der UN-Charta. Dieser Artikel solle zur Verteidigung gegen staatliche und staatsähnliche Angriffe berechtigen. An dieser Stelle wertet die Bundesregierung den Gegner also selbst auf.

Und das andere Argument der Bundesregierung?

Die Bundesregierung gibt an, die Verwendung des Kriegsbegriffs hätte Nachteile für die Soldaten, weil die Versicherungsunternehmen dann die Kriegsklausel in den allgemeinen Versicherungsbedingungen in Anspruch nehmen und Zahlungen verweigern würden.

Das tun die Versicherer doch längst, und die Bundeswehr springt ein.

Das muss sie auch. Denn Artikel 63 b des Soldatenversorgungsgesetzes regelt, dass der Bund für die Ansprüche einspringen muss, die die Soldaten oder ihre Familien gegenüber den Versicherern haben, wenn diese Schäden ihren Grund in kriegerischen Ereignissen haben. So liegen die Dinge hier. Es gibt kein juristisches Argument, den bewaffneten Einsatz in Afghanistan nicht Krieg zu nennen.

Gespräch: Hinnerk Berlekamp

* Das Interview, auf das uns Fischer-Lescano freundlicherweise aufmerksam machte, erschien am 2. Oktober 2009 in der Berliner Zeitung


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