Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kennen Sie Kundus?

Ein nicht-militärischer Blick: Der Dokfilm »Generation Kunduz« über afghanischen Alltag

Von Vincent Streichhahn *

Über Kundus in Nordafghanistan wurde viel geredet, aber wer weiß schon, wie es da aussieht? Im September 2009 gab dort der deutsche Oberst Georg Klein den Befehl zum Bombardieren von entführten Tanklastern. Das ist als »Kundus-Bombardement« eingegangen in das mediale Gedächtnis. Mehr als 100 Menschen starben. Aber was waren das für Menschen? Nach dem Dokumentarfilm »Generation Kunduz« von Martin Gerner weiß man zumindest etwas mehr. Er wollte einen »nicht-militärischen Blick«, sagte er dem WDR.

Vor allem die junge Generation, die im jüngsten Afghanistan-Krieg groß geworden ist, lernt man etwas kennen. Der Untertitel des Films »Der Krieg der Anderen« verdeutlicht ihre fatale Situation: eine Mischung aus Entfremdung und Lebensgefahr. Der Journalist Gerner drehte 2009 für mehrere Monate in Kundus und begleitete dabei fünf Protagonisten, Kinder und junge Erwachsene, durch ihren Alltag. Sie mögen weder die Taliban noch die ausländischen Besatzungstruppen.

Einer von ihnen ist der zehnjährige Mirwais. Er verdient sein Geld als Schuhputzer. Schule muß da zurückstehen. Mehr als einen Euro am Tag verdient er aber nicht. Von dem Geld wird dann Brot für die Familie gekauft. Mirwais spricht über seine Situation wie ein Erwachsener. Er sagt: »Ich wäre gerne Arzt oder Ingenieur oder Lehrer. Hauptsache, ich wäre dieses unglückliche Leben los.«

Der Film kommt ohne Off-Kommentar aus, die Bilder und Menschen verraten genug. Die Armut ist groß, die Lebensmittelpreise steigen und ebenso die Arbeitslosigkeit. Gerner filmt die Präsidentschaftswahlen 2009. Wahllokale werden beschossen, es kommt zu Unregelmäßigkeiten. Über eine Million Stimmen sollen gefälscht worden sein. »Da draußen gibt es keine Polizei, keine Armee«, sagt der Student Hasib, der für eine NGO als Wahlbeobachter tätig ist, freiwillig und ohne Bezahlung.

Die junge Journalistin Nazanin will Jura studieren und arbeitet beim Radio. Veranstaltet von der staatlichen Kulturbehörde leitet sie einen Workshop mit dem Titel »Die Rolle der Frau im Islam«. Sie würde gerne die Frauen in den Dörfern erreichen, da, wo die Taliban den Mädchen verbieten, in die Schule zu gehen. Später erklärt sie dem Filmemacher am Telefon, daß sie nicht mehr weiterdrehen könne, ihr Verlobter habe es ihr verboten.

Der 19jährige Ghulam dreht einen Liebesfilm, für den er Kampfhandlungen inszeniert, aber nicht genug Platzpatronen hat – mitten im Krieg. »Wir wollen den Leuten zeigen, was in uns steckt«, sagt er. In einer Szene häutet ein Mann ein Tier. In einer anderen trägt Ghulam einen modernen Anzug. Das gegelte Haar sitzt.

»Generation Kunduz«, Regie: Martin Gerner, Deutschland 2011, 80 min, bereits angelaufen.

* Aus: junge Welt, 24. März 2012

Lesen Sie auch diese Besprechung:

Es könnte alles schön sein ...
"Generation Kunduz" von Martin Gerner. Filmbesprechung (16. März 2012)




Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Medien-Seite

Zurück zur Homepage