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"Selbstversuch" in Afghanistan

Die schöne Show von Sicherheit: Verteidigungsminister de Maizière flog mit Airbus nach Masar-i-Scharif

Von René Heilig *

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ist am Montag zu einem zweitägigen Besuch in Afghanistan gelandet. Er nutzte erstmals einen nicht-militärischen Airbus der Flugbereitschaft zum Direktflug nach Masar-i-Scharif. Die stabile Sicherheitslage habe dies ermöglicht.

Die Landung mit dem Regierungs-Airbus ist eine Show! Bisher waren deutsche Regierungsmitglieder auf dem Weg nach Afghanistan stets im usbekischen Termes in Transall-Militärmaschinen umgestiegen. Nun sollte per sechsstündigem Direktflug aus Berlin demonstriert werden: Schaut her, wie sicher es ist in Afghanistan ... Wir haben einen guten Job gemacht, können uns zurückziehen.

Man hat dafür sogar den letzten alten Interflug-A 310 (DDR-ABA), der von der Flugbereitschaft der Bundeswehr übernommen worden ist, als Ministersänfte ausgewählt. Der Maschine fehlen jegliche Schutz- und Abwehrvorrichtungen gegen Raketen, die in den jüngsten Regierungsflugzeugen natürlich installiert sind.

Doch der »Selbstversuch« des Ministers hatte berechenbare Grundlagen. Die wichtigsten heißen Mohammed Atta und Raschid Dostum. Der Tadshiken- und der Usbekenführer beherrschen gemeinsam die weite Umgebung von Masar-i-Scharif. Beide haben beste Beziehungen zu der deutschen »Macht« in der afghanischen Nordregion, beide rechnen sich durch Wohlverhalten Chancen aus, in der Zeit nach Präsident Hamid Karsai ein gewichtiges Wort über die Geschicke Afghanistans mitreden zu können.

Weshalb sie in ihrem Einflussbereich dafür sorgen, dass kein Taliban-Anhänger Bewegungsfreiheit erhält, geschweige, eine Ein-Mann-Fla-Rakete auf die Schulter heben kann. Die von de Maizière vorgeführte Sicherheit nutzen andere Nationen schon seit Jahren. Sie landen in Masar-i-Scharif mit zivilen Chartermaschinen, um ihren Truppenaustausch zu regeln.

Den Weiterflug in die Hauptstadt Kabul übrigens erledigte Minister de Maizière - wie gewohnt - mit einer militärischen Transall. Schwerpunkt seiner zehnten Reise in das Krisen- und Kriegsgebiet ist der Wandel der Bundeswehrrolle. Das Kriegführen sollen die afghanischen Sicherheitskräfte übernehmen, die eine Stärke von 352 000 Mann und damit 97 Prozent des Plans erreicht haben.

Die Zahlen sagen über deren Kampfstärke und -bereitschaft nichts aus. De Maizières Amtskollege Bismullah Khan wirft allen Skeptikern vor, »reine Propaganda« zu machen. Er jedenfalls sei »optimistisch, was das Jahr 2014 angeht«. De Maizière deutet bei seiner Tour auch aufs Geschäftliche. »Wir wissen, dass es einen Mangel an Waffen gibt.« Doch um Lieferungen balgen sich verschiedene westliche Partner. Sogar Russland ist im Boot, da die afghanische Armee noch so einiges aus alten Zeiten im Bestand hat. Aber: Es besteht kein Zweifel, wer über die künftige Ausrüstung der Afghanen befindet - die USA.

Dass man eigenen Sicherheitsbeteuerungen nicht traut, zeigt die Zuführung von »Tiger«-Kampf- und NH90-Medevac-Hubschraubern noch in diesem Jahr. Zur Vorsorge, denn durch die Nordregion wird ein Gutteil des Materials heim rollen. Von einst bis zu 5350 deutschen Soldaten sind derzeit noch 4760 Uniformierte im Land. Im November wollen de Maizière und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) einen Vorschlag für die weitere Truppenreduzierung machen, im Januar wird der Bundestag ein modifiziertes Mandat beschließen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. November 2012


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