Afghanistan: "Hunger, Kälte und Gewalt"
Eine Erhebung von Caritas international zur Ermittlung von Bedürftigkeit in Kabul
Auch im dritten Jahr nach dem 11. September 2001 und der darauf folgenden militärischen Angriffe von USA Streitkräften und verbündeter Truppen auf Afghanistan, die zur Vertreibung der Taliban geführt haben, ist das Überleben für viele Menschen dort sehr schwierig. Die akute humanitäre Krise scheint in vielen afghanischen Landesteilen überwunden, dennoch fehlt es allerorten an einer funktionierenden Infrastruktur. Die Ärmsten der Armen leiden nach wie vor unter Hunger, Kälte und Gewalt. Sie verfügen über nur begrenzten Zugang zu Gesundheit, Bildung, und Beschäftigung. Nach WHO-Angaben zählen bedürftige Frauen in Afghanistan zu den am meisten verletzten Bevölkerungsgruppen.
In den letzten drei Jahren hat die internationale Gemeinschaft für den Wiederaufbau Afghanistans große Mittel bereitgestellt. Hilfsorganisationen wie Caritas international haben viele Spenden und öffentliche Gelder erhalten, um die Not der Menschen in Afghanistan zu lindern.
Um zu gewährleisten, dass die Mittel bei den Notleidenden ankommen, investiert Caritas international im Vorfeld der humanitären Hilfe viel Kraft um herauszufinden, wer die tatsächlich Armen und Bedürftigen sind.
In Kabul hat Caritas international von August bis November 2003 eine Erhebung durchgeführt, um die Bedürftigkeit von Not leidenden Frauen zu ermitteln. Insgesamt wurden 3.674 Frauen in verschiedenen Stadtbezirken interviewt. Es war in der Nach-Taliban-Ära eine der umfassendsten Erhebungen. Die Frauen wurden zu folgenden Themen befragt: Alter, Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, Familiengröße, Bildungsstand, Einkommen der Familie, Anzahl der Kinder, Bildungsniveau der Kinder, Zustand der Wohnungen, Ernährungssituation, Gesundheitsversorgung und Hygiene. Von den 3.674 Frauen wurden 100 ausgewählt, mit denen weitere qualitative Interviews geführt wurden. In der Publikation der Ergebnisse sind Auszüge dieser Interviews in zum Teil wörtlicher Wiedergabe als Fallstudien integriert worden. Das Ziel der Befragungen war es, klare Antworten auf die sowohl akuten Probleme der bedürftigen Frauen zu erhalten als auch auf deren chronischen Probleme. Aufgrund der Ergebnisse konnte Caritas international noch im Jahr 2003 in Kooperation mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und mit dem European Community Humanitarian Office (ECHO) erste humanitäre Massnahmen einleiten. Weitere Projekte sind geplant. Die Erhebung wurde von einer deutschen Sozialpädagogin geleitet. 12 afghanische Mitarbeiterinnen führten in jeweils Zweiergruppen die Interviews in Form von Haus zu Haus Besuchen durch.
Nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse der Erhebung:
16,2% aller befragten Haushalte sind sogenannte Frauenhaushalte, d.h. in diesen Familien gibt es keinen männlichen Ernährer
37% der Frauen sind in Kabul geboren, 62% wurden in anderen Regionen Afghanistans geboren (davon kamen viele von der Shomali Ebene),
22% von den interviewten Frauen bezeichneten sich als Kriegsflüchtlinge (mit z.T. langjährigen Aufenthalten in Pakistan oder Iran)
49,8% der Frauen waren im Alter zw. 31 u. 45 Jahren, 36,5% gaben ihr Alter mit zw. 15 u. 30 Jahren an, 13,7 der Frauen waren älter als 46 Jahre
67,7% der Frauen bezeichneten sich als Tadjiken, 15,5% als Paschtunen, 15,6% als Hazara
91% aller interviewten Frauen sind Analphabetinnen
48,8% der befragten Frauen erklärten die Nahrungsunsicherheit als ihr gravierendestes Problem
98% der Frauen können sich i.d.R. keine Milchprodukte leisten
56% der befragten Haushalte (mit einer ungefähren Familiengröße von 6 Personen) verfügen über nur einen Wohnraum
2.302 interviewte Frauen teilen sich mit zehn anderen Personen eine Latrine; in nahezu keinem Haushalt gibt es einen direkten Trinkwasserzugang (61,5% der Haushalte erreichen Trinkwasser mit etwa 15 Minuten Fußweg)
in 98% der Haushalte erfolgt das Kochen und Heizen mit Brennmaterialien unterschiedlichster Art (Holz, Gas, Plastik etc.), die in der Regel von den Kindern gesammelt werden
66,8% der Haushalte steht ein tägliches Einkommen von 50 bis 100 AFA (ca. 1 bis 2 US$) zur Verfügung
58,9% der Haushaltsführerinnen bzw. Führer erwerben sich ein Einkommen als Tagelöhnerin oder Tagelöhner
Freiburg, den 16.02.2004
Quelle: Homepage von Caritas international: www.caritas-international.de
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