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Jung bleibt auf Kriegskurs in Afghanistan

Verteidigungsminister verbittet sich Ratschläge von ausgedienten Militärs zu Truppenabzug

Zumindest Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bleibt sich auch in Wahlkampfzeiten treu. Am Montag (17. August) bekräftigte er erneut, daß die Bundeswehr noch fünf bis zehn Jahre in Afghanistan Stellung beziehen müsse. In der Bild-Zeitung kritisierte er seinen Vorgänger Volker Rühe (CDU), der einen Abzug in zwei Jahren gefordert und den Einsatz ein Desaster genannt hatte. »Es wäre klug, wenn Ehemalige sich mit aktuellen Ratschlägen zurückhalten würden«, so Jung. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm ergänzte: »Wir werden den Zeitraum natürlich nicht ohne Not ausdehnen.« Man werde aber auch nicht alle Anstrengungen der letzten Jahre »dadurch entwerten, daß wir zu früh aus dem Land herausgehen und damit einen großen Rückschlag riskieren«.

Wie Rühe warnte auch der Exgeneralinspekteur Harald Kujat in der Bild: »Wir können uns nicht auf einen jahrzehntelangen Krieg mit einem Gegner einlassen, der dort zu Hause ist und das Gelände kennt.« Auch der frühere Leiter des Planungsstabs der Bundeswehr, Ulrich Weisser, plädierte in der Frankfurter Rundschau für ein Ende des NATO-Einsatzes in Afghanistan spätestens im Jahr 2011. Aus seiner Sicht ist der Krieg nicht zu gewinnen.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, nannte die Diskussion über einen Abzug während des Bundestagswahlkampfes gefährlich. »Wenn die Taliban merken, daß in Deutschland eine große Debatte losgetreten wird, werden sie noch mehr Anschläge auf die Bundeswehr verüben«, zitierte ihn die Bild.

Deutliche Worte für den Krieg am Hindukusch fand der frühere UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs. Der Berliner Zeitung sagte er, der Einsatz sei unter dem »klassischen Gesichtspunkt geführt worden, den Gegner zu vernichten, nicht aber, mit allen Mitteln die Zivilbevölkerung zu schützen«. Der Grünen-Politiker sprach sich für stärkeren zivilen Einsatz und Verhandlungen mit den Taliban aus. (AP/jW)

* Aus: junge Welt, 18. August 2009


"Entwicklungshilfe wird militärisch mißbraucht"

Sicherheitslage in Afghanistan wird immer schlechter. Welthungerhilfe will ihren Einsatz überdenken. Gespräch mit Wolfgang Jamann **

Frage: Sie haben sich in einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung vom Sonntag (16. August) kritisch zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr geäußert. Was läuft in Ihren Augen schief?

Jamann: Das größte Problem besteht in der Vermischung von zivil-humanitärem und militärischem Mandat. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß dieser Ansatz die Arbeit aller Hilfsorganisationen erschwert und zum Teil auch erhebliche Gefahren für unsere Mitarbeiter heraufbeschwört. Die Bundesregierung tut noch immer so, als wären die deutschen Soldaten zuallererst als Entwicklungshelfer im Einsatz. Die sogenannten Wiederaufbauteams, die militärisch dominiert sind, wecken aber Erwartungen in der Bevölkerung, die wir dann als zivile Helfer einlösen müssen. Wenn das nicht klappt, geraten auch wir ins Fadenkreuz.

Wie verlustreich ist der Krieg für die Hilfsorganisationen?

Allein im Juli gab es 23 Sicherheitsvorfälle, die zivile Helfer betrafen, fünf kamen dabei ums Leben. Darunter war auch einer unserer lokalen Mitarbeiter aus Afghanistan, er wurde durch eine Sprengfalle getötet. Die Sicherheitslage im Norden und Osten des Landes hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten zunehmend verschlechtert. Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir in dieser Form in Afghanistan weiterarbeiten können.

Ist das auch als Drohung an die Verantwortlichen zu verstehen?

Nein, die Sicherheit der Mitarbeiter ist für mich kein politisches Druckmittel. Wir wollen ja unser Engagement weiterführen, schließlich wird unsere Hilfe dringend benötigt. Ich wünsche mir nur, daß uns alle Verantwortlichen unterstützen, damit wir vernünftig, das heißt ohne Gefahren für Leib und Leben, weiterarbeiten können.

Welcher Art ist eigentlich die viel-beschworene zivile Aufbauarbeit der Bundeswehr?

Die Bundeswehr hat gemeinsam mit anderen am Einsatz beteiligten Armeen sogenannte Aufbauteams gegründet. Diese setzen sich zum allergrößten Teil aus Soldaten zusammen, und ihre Aufgabe besteht in der Flankierung einer militärischen Zielsetzung. So soll beispielsweise die Moral der Truppe gestärkt und die Unterstützung der Zivilbevölkerung gewonnen werden. Das heißt: Hier wird Entwicklungshilfe als Instrument für politische und militärische Interessen mißbraucht und sogar fester Bestandteil der Militärstrategie. Die feindlichen Kämpfer und auch die Menschen unterscheiden jedoch nicht zwischen guten und bösen Militärs, schon gar nicht, wenn deren Aufgabe darin besteht, das aufzubauen, was sie zuvor zerstört haben.

Arbeiten Sie an Ort und Stelle mit der Bundeswehr zusammen?

Nein. Wir haben uns sogar aus Kundus zurückgezogen, um eben nicht als Teil der militärischen Intervention wahrgenommen zu werden.

Meinen Sie nicht, daß sich sämtliche Hilfsorganisationen in diesem Krieg instrumentalisieren lassen? Schließlich wird der ja im Namen von Frieden und Demokratie geführt.

Wir sind schon der Meinung, daß der Einsatz der Bundeswehr eine Berechtigung hat. Nur sollte sich deren Aufgabe darauf beschränken, die dramatisch verschlechterte Sicherheitslage für die Afghanen zu verbessern. Wir haben eine zivile, humanitäre Aufgabe und wollen nicht, daß dies in den Köpfen vor Ort wie auch in Deutschland mit dem Militäreinsatz vermengt wird.

Heißt das im Klartext: Die Bundeswehr soll gefälligst Krieg führen und sonst nichts?

Ich bin nicht der Meinung, daß deutsche Soldaten Kriege führen sollten. Ihr Ziel in Afghanistan sollte es sein, die Sicherheit der Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen zu verbessern.

Kriegsgegner sagen, das Land lasse sich nur befrieden, wenn die Militärs abziehen. Müßte so nicht auch die Forderung der Hilfsorganisationen lauten?

Zur Stabilisierung des Landes bedarf es einer Reihe von Bedingungen: Etwa einer flächendeckenden Demokratisierung über Kabul hinaus, eines gut ausgestatteten Sicherheitsapparats, des intensiven Kampfes gegen Armut und Ungerechtigkeit. Und dazu gehört nach meiner persönlichen Meinung auch ein gewisses Maß an militärischer Intervention. Ich glaube nicht, daß man das Land so einfach sich selbst überlassen sollte.

Interview: Ralf Wurzbacher

** Dr. Wolfgang Jamann ist Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe.

Aus: junge Welt, 18. August 2009



Todsichere Strategie in Afghanistan

Von Martin Ling ***

Die Kritik kommt von einem Insider: Als »Sündenfall« bezeichnete der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann, die »zivil-militärische Zusammenarbeit« der Bundesregierung in Afghanistan. Seit den achtziger Jahren ist die Welthungerhilfe am Hindukusch in Sachen Ernährungssicherung aktiv - zivil versteht sich. Nur dass durch die zivil-militärische Kooperation aus Sicht der Taliban auch Entwicklungshelfer längst zum militärischen Ziel avanciert sind. »Nie war die Sicherheitslage für Entwicklungshelfer so explosiv wie jetzt«, schrieb Jamann in seinem Gastbeitrag in der »Bild am Sonntag« und zitierte einen Bericht: Der Juli mit 23 Sicherheitsvorfällen und fünf Toten war bisher der schlimmste Monat dieses Jahres. Das von Jamann benannte Problem ist indes alles andere als neu. Seit Beginn des Afghanistan-Feldzugs setzte die US-Armee auf eine Doppelstrategie, warf Bomben und Bohnen ab. Schließlich sollten die Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit überzeugt werden, dass saubere Kriege möglich seien: Bomben für die bösen Taliban, Bohnen für die gute Zivilbevölkerung. Ganz so krass ist die deutsche Strategie zwar nicht, aber die Tendenz ist dieselbe: Zur Abwehr externer Gefahren und zur Krisenprävention wird auf das Zusammenwirken von zivilen und militärischen Maßnahmen gesetzt. Die Konsequenz ist die Erosion der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Entwicklungspolitik. Der Preis sind unter anderem tote Entwicklungshelfer.

Dass die Entwicklungshelfer nicht in den Militärcamps leben, mag für das Bundesentwicklungsministerium ein Unterscheidungskriterium sein, für die Taliban ist es das nicht. Wer Entwicklungspolitik mit Terrorismusbekämpfung verquickt, schaufelt ersterer ein Grab. So viel zumindest ist todsicher.

*** Aus: Neues Deutschland, 18. August 2009 (Kommentar)


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