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Steinmeier: "Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden" - Lafointaine: "Seit Jahresbeginn wurden in Afghanistan 5.600 Menschen getötet"

Bundestags-Debatte um die Verlängerung des sog. Antiterror-Einsatzes (Operation Enduring Freedom) in Afghanistan - Die Reden und Anträge

Der Deutsche Bundestag hat am 8. November 2007 in erster Lesung den Antrag der Bundesregierung beraten, das Mandat der Bundeswehr an dem "Anti-Terror-Einsatz" zu verlängern. Die bewaffneten deutschen Streitkräfte beteiligen sich seit sechs Jahren an der "Operation Enduring Freedom" der USA. Der Bundestag hatte das Mandat erstmals am 16.11.2001 beschlossen und seitdem jährlich verlängert. Zum Auftrag der Soldaten gehört unter anderem die Seeraumüberwachung um das Horn von Afrika, wo sie Handel und Transport von Waffen und Drogen, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus dienen können, unterbinden sollen. Möglich ist auch die Entsendung von 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) nach Afghanistan. - Das Parlament entscheidet am 15. November über den Antrag der Bundesregierung.
Im Folgenden dokumentieren wir die Debatte nach dem vorläufigen stenografischen Protokoll.
Es sprachen



Deutscher Bundestag, 123. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007
Beginn: 9.00 Uhr
V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G
DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/6939 -

Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f), Rechtsausschuss, Verteidigungsausschuss, Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei einem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanistans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode gekommen sind. Unter den Opfern waren - Sie wissen es - sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl ausspreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wünsche.

(Beifall im ganzen Hause)

Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf einen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afghanistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghanischen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelungenes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wiederaufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als 2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die Zuckerfabrik in Baghlan.

Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Ereignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalistischen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt, denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan zu stellen hat.

Bevor Sie es gleich sagen, will ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal - damals unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New York und Washington - hier im Deutschen Bundestag ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz aller Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terrorismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist keineswegs gebannt.

Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der Schwerpunkt lag und - das darf ich gerade aufgrund der Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten Tagen sagen - liegt immer stärker auf dem zivilen Wiederaufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungshelfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater, Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz wird inzwischen von der internationalen Staatengemeinschaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt und in gleicher Weise dort umgesetzt.

Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unseres Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engagement neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Polizei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon einmal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausgebaut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000 auf 10 000 halbiert.

Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis nehmen, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Deshalb können wir - auch wenn sich viele das wünschen - auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mission in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwendig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Terrorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter verstärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern - auch mit den USA - prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zukunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusammengezogen werden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen, an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht. Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unseren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Veränderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, sondern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten - Sie wissen das - sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich - wir werden darauf achten - konsequent umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv - ich hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afghanistan-Politik; Sie kennen es - lautet, sich weder kopflos rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afghanistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einnehmen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine Überprüfung des Afghanistan Compact - damit meine ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen Anteile - im Rahmen einer Konferenz in Europa - und falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland - in der nächsten Zeit vornehmen.

(Beifall bei der SPD)

Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheitsrat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die Mandatierung des OEF-Einsatzes - oder zunächst nur Teile davon - durch einen eigenen Beschluss des Sicherheitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern darüber sprechen - sprechen müssen, meine Damen und Herren.

Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats. Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen, eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu erwirken.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Kollegin Homburger, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Bundesaußenminister für seine Worte, die er zu diesem furchtbaren Anschlag gefunden hat, sehr dankbar. Die afghanische Regierung und das afghanische Volk sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag, aber auch das deutsche Volk diesen barbarischen Anschlag verurteilen und mit ihnen trauern.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit hier im Hause die Bekämpfung des internationalen Terrorismus weiterhin als notwendig ansieht. Das ist aber nicht primär eine militärische Aufgabe. Vielmehr sind umfassende Anstrengungen zur Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und auch ökonomischen Ursachen des Terrorismus zu treffen. Wer allerdings behauptet, der Wiederaufbau sei schon heute ohne militärische Absicherung möglich, ist entweder gutgläubig, naiv oder will den Menschen Sand in die Augen streuen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Eines will ich ausdrücklich sagen: Wenn wir jetzt in unseren Bemühungen nachlassen, dann bewirkt das nicht nur einen Rückschlag bei der Entwicklung in Afghanistan, sondern dann wird auch die Lage hier bei uns unsicherer.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist ein Gebot der Vernunft, dem Politischen stets Vorrang vor dem Militärischen zu geben. Deswegen war der NATO-Gipfel in Riga im Januar so wichtig; denn dort ist der Strategiewechsel beschlossen worden. Jetzt erwarten wir - ich denke, dies tun wir gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen - von der Bundesregierung, dass dieser Strategiewechsel auch umgesetzt wird. Was bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wiederaufbau und die Schaffung eigener afghanischer staatlicher Strukturen bei der Polizei, in der Justiz und in den Vollzugssystemen im Zentrum der Bemühungen stehen müssen.

Vor diesem Hintergrund sage ich klipp und klar: Es war ein grober Fehler der Koalition, die Debatte über Afghanistan wegen parteiinterner Querelen in der SPD in ISAF und OEF zu trennen.

(Beifall bei der FDP - Dr. Peter Struck (SPD): Na, na, na, so war es nicht!)

Dadurch ist der völlig falsche Eindruck entstanden, OEF stehe singulär und das Militärische stehe im Zentrum. Das ist kontraproduktiv, und das hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, niemals zulassen dürfen.

Von Folgendem bin ich überzeugt: Wer über die Bekämpfung des Terrorismus und die Zukunft Afghanistans spricht, muss deutlich machen, dass er im Rahmen eines Gesamtkonzepts handelt. Sonst wird er scheitern.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Polizeiausbildung machen. Wir begrüßen die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Bemühungen in diesem Bereich zu verstärken und auch die finanziellen Mittel hierfür aufzustocken. Ich möchte aber deutlich sagen: Das reicht nicht aus. Es gibt nämlich noch ganz erhebliche organisatorische Probleme. Dabei geht es um die Fragen: Haben wir überhaupt genügend Kapazitäten? Haben wir genügend Leute ausgebildet, die wir zur Wahrnehmung solcher Aufgaben ins Ausland entsenden können? Wie ist die organisatorische Struktur zwischen Bund und Ländern geregelt? - Diesen Fragen muss sich die Bundesregierung endlich stellen. Sonst wird ein Engagement im nötigen Umfang nicht möglich sein. Dann wird all das ein Lippenbekenntnis bleiben. Das können wir uns nicht erlauben.

(Beifall bei der FDP)

In der Debatte der letzten Wochen ist immer wieder der Eindruck erweckt worden, es gebe ein ?gutes“ ISAF-Mandat, unter dem der Wiederaufbau stattfindet, und ein ?böses“ OEF-Mandat, das aufgrund des militärischen Vorgehens hauptsächlich für die zivilen Opfer verantwortlich ist. Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräumen. Beide Mandate haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert, auch was ihr Verhältnis zueinander betrifft. ISAF deckt längst ganz Afghanistan ab, und natürlich kommt es unter ISAF zu Kampfhandlungen. Umgekehrt werden 80 Prozent der Soldaten, die unter dem OEF-Mandat zum Einsatz kommen, bei der Ausbildung des afghanischen Militärs eingesetzt. Wer OEF in Afghanistan beenden will, der muss sagen, wer diese Aufgaben übernehmen soll; denn die Aufgaben werden bleiben.

Das bedeutet nicht, dass es keine Kritikpunkte gebe. Wir alle wissen um die Akzeptanzprobleme der Einsätze. Deshalb haben wir stets gefordert, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um zivile Opfer zu vermeiden, und dass vor allen Dingen auf die kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen in Afghanistan Rücksicht zu nehmen ist. Hier gibt es Fortschritte. So wurden für ISAF neue Verhaltensregeln festgelegt. Als wir vor kurzem Afghanistan besucht haben, hat uns General McNeal bestätigt, dass diese auch von der Operation Enduring Freedom in vollem Umfang übernommen worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Das ist ein Erfolg der beharrlichen politischen Diskussion, die hier zu einem Umdenken geführt hat.

(Beifall bei der FDP)

Es muss mit einem weiteren falschen Eindruck aufgeräumt werden. Beim OEF-Mandat geht es längst nicht mehr nur um Afghanistan. Die meisten deutschen Soldatinnen und Soldaten werden bei der Marineoperation am Horn von Afrika eingesetzt. Auch die NATO-geführte Seeraumüberwachung im Rahmen der Operation ?Active Endeavour“ gehört dazu. Diese Einsätze werden kaum thematisiert. Allerdings stellt sich, insbesondere was die Operation am Horn von Afrika angeht, die Frage, um was es hierbei eigentlich geht. Geht es noch um die Bekämpfung des Terrorismus, oder hat sich die Mission, dieses Mandats nicht faktisch weiterentwickelt, und zwar in Richtung Sicherung der Handelswege? Ich erwarte, dass sich die Bundesregierung diesen Fragen endlich stellt und sie gemeinsam mit den Partnern Deutschlands erörtert. Das ist zwingend notwendig, wenn sie zukünftig Unterstützung erhalten möchte.

Meine Damen und Herren, ich denke, das Ziel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist unbestritten. Wir brauchen den Vorrang des Politischen vor dem Militärischen. Ohne militärische Absicherung geht es jedoch nicht. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, auf dem weiteren Weg für die richtige Gewichtung zu sorgen. Für die FDP-Bundestagfraktion sage ich: Wir sind bereit, Sie dabei parlamentarisch zu unterstützen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung, den Beitrag der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen Terrorismus um zwölf Monate zu verlängern.

Wir haben gerade erst erlebt, dass auch wir von Anschlägen in Afghanistan direkt betroffen sind. Ich glaube, dies hat uns deutlich vor Augen geführt: Solange es terroristische Aktivitäten wie die, die jetzt konkret in Afghanistan zu beobachten waren, gibt, ist es notwendig, das OEF-Mandat zur Bekämpfung des Terrorismus zu verlängern. Dieses Mandat stellt einen Beitrag zur Unterstützung unserer Bemühungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Wiederaufbau dar. OEF und ISAF bedingen einander. OEF ist eine Grundlage für die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Im Rahmen des OEF-Mandats operieren wir zum einen in Afghanistan, zum anderen am Horn von Afrika; das konzediere ich gerne, Frau Kollegin Homburger. Ich war gerade mit Kollegen aus dem Deutschen Bundestag in Akaba. Dort waren auch Soldaten zugegen, die im Rahmen von OEF ihren Dienst tun. Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Homburger: Unsere Soldatinnen und Soldaten sichern am Horn von Afrika die Seewege und verwehren so erstens Terroristen den Zugang zu Rückzugsgebieten, und zweitens leisten sie damit einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit dieser Seepassage. 80 Prozent unseres Handels erfolgen ja über See. Sie wissen: Es ist ein großes Seegebiet, vom Zugang zum Roten Meer über die Küste Somalias, die Seewege vor Jemen und Oman bis hin zur Straße von Hormus, in dem unsere Marinesoldatinnen und -soldaten Sicherheit gewährleisten und terroristischen Aktivitäten entgegentreten. Im letzten Jahr haben sie zum Beispiel 900 Schiffe im Hinblick auf derartige Aktivitäten untersucht. Das ist ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, aber eben auch ein Beitrag zur Herstellung der Seesicherheit im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Rahmen der Operation ?Active Endeavour“ im Mittelmeer treten unsere Marinekräfte ebenfalls terroristischen Aktivitäten entgegen und gewährleisten auch dort die Seesicherheit.

Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere Grundkonzeption der vernetzten Sicherheit weiter umsetzen und durchsetzen. Die umfassende Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl mit politischen, mit entwicklungspolitischen und mit polizeilichen als auch mit militärischen Maßnahmen bleibt notwendig. Deshalb bedingen die Mandate einander.

Ich halte es für wichtig, dass es uns gelungen ist, in Afghanistan eine Koordinierung zwischen ISAF und OEF vorzunehmen und mit konkreten Weisungen darauf hinzuwirken, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Verhältnismäßigkeit ist ja ein Punkt, der gerade in den vergangenen Wochen in der Diskussion eine Rolle gespielt hat. Wenn Sie einmal die Situation im ersten Halbjahr mit der in diesem Halbjahr vergleichen, dann kommen auch Sie, denke ich, zu dem Schluss: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Wir müssen aber auch terroristische Aktivitäten zurückdrängen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, wenn wir der Strategie der Taliban, zivile Opfer zu verursachen, um damit die politische Diskussion zu bestimmen, entgegenwirken wollen. Deshalb ist diese Koordinierung zwischen ISAF und OEF in Afghanistan, die wir in concreto durchsetzen konnten, so wichtig.

Das alles sind Punkte, die aus meiner Sicht zu einer wirkungsvollen und entschiedenen Terrorismusbekämpfung dazugehören. Wir können es uns erlauben, den Personalumfang des Mandats von 1 800 auf 1 400 Soldatinnen und Soldaten zu verringern. Dies reicht sowohl für unseren Auftrag in Afghanistan als auch für unseren Auftrag am Horn von Afrika als auch für unseren Auftrag im Mittelmeer im Rahmen von ?Active Endeavour“. Konkret besteht unsere Beteiligung aus folgenden Teilkontingenten: 1 000 Soldaten der See- bzw. Seeluftstreitkräfte, 100 Soldaten der Spezialkräfte, 100 Soldaten der Unterstützungskräfte, 100 Soldaten der Lufttransportkräfte und 100 Sanitätern.

Dieses Mandat - das will ich ebenfalls unterstreichen - dient auch der Sicherheit unserer Bevölkerung. Denn es ist wesentlich klüger, die Gefahr unmittelbar an der Quelle zu beseitigen, und nicht erst dann, wenn sie in wesentlich größerem Umfang die Bundesrepublik Deutschland erreicht. Deshalb bitte ich Sie, der Verlängerung des Mandats OEF, das der Terrorismusbekämpfung dient, zuzustimmen.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stimmen in diesem Hause darin überein, dass der internationale Terrorismus bekämpft werden muss. Worin wir uns unterscheiden, ist, welches der Weg ist, den wir dazu beschreiten müssen.

Meine Fraktion bleibt bei der Auffassung, dass Krieg kein geeignetes Mittel ist, den Terrorismus zu bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir Terrorismus durch Kriege geradezu heranzüchten, und wir bleiben bei der Auffassung, die auch von den Sicherheitsdiensten und einigen Politikern in Deutschland geteilt wird, dass wir uns den Terrorismus durch solche Kriege geradezu in unser eigenes Land holen.

Wie die indirekte Beteiligung am Irakkrieg, so ist auch die direkte Beteiligung am Krieg in Afghanistan ein Bruch des Völkerrechts. Bauern, die ihr Feld bestellen, sind von Talibankämpfern nicht zu unterscheiden. Unabhängig von der UNO-Entscheidung, die Sie bemüht haben, Herr Bundesaußenminister, gelten die Genfer Konventionen. Durch die Genfer Konventionen wird der Schutz der Zivilbevölkerung gefordert, der in Afghanistan nicht im Mindesten gewährleistet ist.

Die Beteiligung an der OEF ist ein grundsätzlicher, ein fundamentaler Bruch mit einer Friedenspolitik, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Markenzeichen Deutschlands war.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich rufe zwei Zeugen auf: die Kanzler Helmut Schmidt und Willy Brandt. Helmut Schmidt sagte vor einigen Tagen in einem Interview - jeder von Ihnen konnte das lesen -:

… dieses Streben einiger Deutscher nach mehr Verantwortung in der Welt ist mir zutiefst unsympathisch.

...
Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gegeben. ... Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept, das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht verbietet die militärische Intervention in einem souveränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich auch sein mag.
...

Der Grund für die Intervention war ausschließlich al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakistan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort einmarschieren?

Meine Damen und Herren, bisher stand im Grundsatzprogramm der einen Koalitionspartei, der SPD: "Krieg darf kein Mittel der Politik sein". - Das galt viele Jahrzehnte. Jetzt wird dieser Satz durch die Formulierung aufgehoben: "Der Einsatz militärischer Mittel bleibt für uns Ultima Ratio". Das ist eine grundsätzliche Abkehr von der Politik Willy Brandts,

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Jörn Thießen (SPD): Das müssen wir uns von Ihnen gerade sagen lassen, Herr Kollege!)

der in seiner Nobelpreisrede am 11. Dezember 1971 sagte:

Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche.

Dass Ihre Politik die Ultima Irratio im Sinne Brandts ist, zeigen die schrecklichen Fakten. Seit Jahresbeginn wurden in Afghanistan laut Agenturmeldungen 5 600 Menschen getötet. Zwei Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan, von Terre des Femmes eingeladen, sagten: Seit 2004 ist es schlimmer geworden. Es ist fast wieder wie unter den Taliban. In ihrer Verzweiflung wählen Frauen oft den Freitod durch Selbstverbrennung. Allein in der Stadt Herat gibt es 200 Fälle pro Jahr.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich in einem Aufsatz:

Die Arbeit humanitärer Helfer ist von Afghanistan bis Darfur aus politischen Gründen gefährlicher geworden - sie gelten mittlerweile als Kriegspartei …

Wie im Irak, so ist auch in Afghanistan diese sogenannte militärische Mission komplett gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Man kann Töten nicht durch Töten verhindern. Wir bleiben bei dieser Auffassung: Krieg ist und bleibt das falsche Mittel.

Es wäre gut, wenn Sie diesen Weg wieder verließen und sich wieder zu der verlässlichen Außenpolitik der Bundesrepublik bekennen würden, die jahrzehntelang ein Markenzeichen Deutschlands war.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Walter Kolbow (SPD): Sie sind doch vor dem Verfassungsgericht gescheitert!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unverändert meine Überzeugung und Erfahrung, dass Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan weiterhin der militärischen Absicherung bedürfen und dass internationaler Terrorismus auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Zugleich reicht es aber ganz und gar nicht, diese prinzipielle Erklärung abzugeben. Vielmehr haben wir heute konkret zu überprüfen, was die militärische Antiterroroperation ?Enduring Freedom“ bringt und inwieweit sie noch legitim, wirksam und verantwortbar ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu muss ich sagen: Die Bundesregierung und ihre beiden Minister haben bisher zu erheblichen Teilen um dieses Thema herumgeredet. Es ist zwar wichtig, etwas zum Aufbau Afghanistans zu sagen und Wünsche zur Zukunft von ?Enduring Freedom“ zu äußern. Vor allem aber geht es aber darum, wie ?Enduring Freedom“ heute aussieht, Herr Minister. Dazu sagten Sie in den letzten Jahren notorisch nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur völkerrechtlichen Legitimation von "Enduring Freedom": Vor sechs Jahren wurde nach dem 11. September das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch genommen. Sechs Jahre danach wird - so meinen wir - diese völkerrechtliche Grundlage aber immer dünner und fragwürdiger. Jetzt weiter auf das Selbstverteidigungsrecht zu pochen, heißt, es völlig zu entgrenzen und damit das internationale Gewaltverbot im Grunde zu zersetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Teilauftrag Marine nur wenige Worte: Wir Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren am Horn von Afrika und haben festgestellt, dass der ursprüngliche Auftrag und die Einsatzrealität inzwischen völlig auseinandergelaufen sind. Das heißt, hier, wo es unbestritten um eine Frage kollektiver Sicherheit geht, ist ein klares UN-Mandat notwendig; anders geht es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zum Teilauftrag Afghanistan, Kommando Spezialkräfte: Dass ein Großteil von ?Enduring Freedom“ inzwischen für die strategisch wichtige Aufgabe der Ausbildung von Armee und Polizei eingesetzt wird, ist gut. Allerdings ist zu fragen, warum dieser große Ausbildungsanteil nicht unter dem Dach von ISAF geleistet wird. Herr Minister, Sie haben dies zu Recht als eine Möglichkeit und Notwendigkeit angedeutet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den strittigen Kern stellt aber die Antiterroroperation "Enduring Freedom" dar. OEF war zunächst zur Vertreibung der Taliban und in den Jahren danach zum Fernhalten der Taliban notwendig. Seit jedoch nach der Ausweitung von ISAF auf das ganze Land die Gewalt in den ursprünglichen Operationsgebieten von ?Enduring Freedom“ geradezu explodiert ist, muss man verstärkt die Frage nach der Wirksamkeit stellen. Alles, was ich dazu ansonsten gehört habe, ist so beunruhigend wie eindeutig. Hochrangige Insider haben mir gegenüber die Operationsweise von "Enduring Freedom“ mit folgenden Worten beschrieben: Es gehe nicht vorrangig darum, Gefangene zu machen, sondern darum, die Taliban zu zerschlagen; die Taliban würden mithilfe der Luftwaffe gnadenlos niedergemacht.

Sehen Sie sich bitte auch die Meldungen über ?Enduring Freedom“ der letzten Tage und Wochen auf der entsprechenden Webseite an. 10. Oktober, Uruzgan: Zur Unterstützung von 60 Koalitionssoldaten wurde über 19 Stunden Luftnahunterstützung mit 13 Kampfbombern geflogen. Oder 19./20. Oktober, Musa Kala - manchen ist diese Distrikthauptstadt vielleicht bekannt -: Mehr als drei Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Eine Woche später: Sieben Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Dies alles wird mit Aufständischenbekämpfung begründet, allerdings in den Zusammenhängen von Stammesgesellschaften, wo man eben nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten, also dem Normalafghanen, der mit der Knarre herumläuft, unterscheiden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der jüngsten OEF-Unterrichtung der Bundesregierung steht folgender Satz: Nur wenn extremistischen Kräften wirkungsvoll begegnet wird, kann eine nachhaltige Befriedung des Landes gelingen. - Die tatsächliche Wirksamkeit der Antiterrororganisation von ?Enduring Freedom“ ist äußerst zwiespältig. Militärische Siege gibt es am laufenden Band. Aber zugleich werden dabei - das ist die Botschaft, die wir aus Afghanistan immer wieder hören - fortwährend Köpfe und Herzen der Bevölkerung verloren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb muss ich feststellen: OEF ist inzwischen längst kontraproduktiv geworden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie dient nicht, wie vorgesehen, der Terrorismuseindämmung, sondern facht den Terrorismus eher an. Sie ist nicht die einzige Ursache dafür, aber sie trägt dazu bei. Das schadet dem ISAF-Auftrag und dem internationalen Aufbau mehr, als es ihm nutzt. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass eine weitere Bereitstellung von deutschen KSK-Soldaten für eine solche Operation nicht mehr notwendig, legitimierbar und verantwortbar ist.

Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass militärische Sicherheitsunterstützung in Afghanistan allein unter dem Dach von ISAF stattfindet, und das nicht zuletzt im Sinne eines effektiven Multilateralismus, der eindeutig an Völkerrecht und Menschenrechte gebunden ist.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist interessant, dass die OEF zwar überwiegend außerhalb von Afghanistan stattfindet, wir aber insbesondere - das ist auch nachvollziehbar - über Afghanistan reden. Herr Kollege Nachtwei, Sie wissen, wie Sie auch bei uns als engagierter Politiker und sicherlich auch als Sachkenner Afghanistans geschätzt werden, wenn man sich überhaupt als solcher - ich beziehe mich ebenfalls mit ein - bezeichnen kann. Denn unsere Besuche dort waren zeitlich begrenzt.

Ich glaube nicht, dass wir alle über repräsentative Bilder verfügen. Ich warne ein bisschen davor, immer das zu übernehmen, was uns einzelne mit auf den Weg gegeben haben. Mir lag zum Beispiel vor wenigen Tagen eine sehr interessante Untersuchung von kanadischen Instituten vor, die von den großen Tageszeitungen, der Rundfunkanstalt und der Universität von Ottawa beauftragt waren. Darin stellt sich das von den befragten Menschen aufgezeigte Bild von Afghanistan etwas anders dar, als wir es möglicherweise gegenwärtig selbst wahrnehmen und durch unsere eigenen Beiträge erzeugen. Wir müssen uns davor hüten, in dieser punktuellen Information und Darstellung die Realitäten, die sich zum Positiven entwickelt haben, zu übersehen.

Ich bin dem Bundesaußenminister sehr dankbar für seine sensiblen Worte zu dem Attentat in Baghlan. Dieses Ereignis ist unvorstellbar furchtbar. Stellen Sie sich vor, eine Delegation von 18 Bundestagsabgeordneten besucht ein Institut, und sechs werden dort durch ein Attentat ermordet. Sie können sich vorstellen, welche Empfindungen heute im Saal vorherrschen würden. Meine Betroffenheit und mein Mitgefühl mit allen, die dem Anschlag zum Opfer gefallen sind, und mit ihren Familien sind sehr groß.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin der Kollegin Homburger sehr dankbar für ihren Beitrag. Für die Querelen mit der SPD habe ich ein bisschen Nachsicht. Ich weise darauf hin, Frau Kollegin, dass wir uns in den zurückliegenden Monaten mit großer Entschiedenheit des Themas Afghanistan angenommen haben. Ich glaube, dass wir Etliches dazu beigetragen haben und manches - ob Strategiewechsel oder stärkeres ziviles Engagement - mit darauf zurückzuführen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn in unserer Öffentlichkeit das Thema Afghanistan diskutiert wird - das übrigens gegenwärtig nicht den großen Zuspruch erhält, den wir Gott sei Dank im Parlament immer noch erreichen -, dann finde ich es vernünftig, dass wir zum Beispiel unseren Parteitag zu Recht in die Lage versetzen, dieses Thema zu diskutieren, bevor Entscheidungen getroffen werden können. Schließlich wird in der Regel immer im November über dieses Mandat entschieden. Das bitte ich mit zu berücksichtigen.

Ich halte es für dringend notwendig, dass wir im Bereich der Sicherheit außerhalb des Militärs weitaus größere Anstrengungen unternehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jörg van Essen (FDP))

Richten Sie noch einmal den Blick auf unseren Einsatz, den europäischen Einsatz und den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft im Kosovo. Das ist verglichen mit Afghanistan ein Landkreis. Gestern habe ich erfahren, dass sich die Europäische Union - das ist gut und richtig - mit 1 800 Juristen vorbereitet, dort die Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und zu sichern. Überträgt man das auf Afghanistan, wo dies dringend notwendig ist, dann wird sofort deutlich, wo die Defizite liegen. Ich fände es natürlich gut, wenn der Bundesinnenminister und die Landesinnenminister einmal ein Signal dafür setzten, dass nun alle Anstrengungen unternommen werden, um dorthin 100, 200 oder möglicherweise sogar 300 Ausbilder zu schicken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Fried hat nach einem Kurzbesuch in Afghanistan in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, er habe den Eindruck, dass dort eigentlich nur verwaltet werde und nicht mit Leidenschaft um den Erfolg gerungen werde. Damit hat er nicht ganz unrecht. Wir müssen darauf achten - dazu fordere ich das Parlament und die Ausschüsse auf -, dass wir ausreichend Druck ausüben und für eine entsprechende Dynamik sorgen.

Kollege Lafontaine, wir alle haben erwartet, dass Sie unsere großen Vorbilder zitieren. Man kann die Situation natürlich immer so interpretieren, wie man es braucht. Ich habe Jahrzehnte mit Willy Brandt verbringen dürfen. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin nach dem 13. August 1961 die Amerikaner mit Nachdruck aufforderte - das hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland bzw. Berlin geführt -, endlich Panzer zu schicken, und gesagt hat: Wir wollen ein Zeichen der Solidarität sehen, dass Westberlin nicht allein steht. Dieser große Friedenspolitiker hat damals - zu Recht - darum gebeten, militärische Präsenz zu zeigen, um deutlich zu machen, wo die Grenzen sind und dass wir nicht bereit sind, einfach den Kopf hinzuhalten und ihn uns sozusagen abschlagen zu lassen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Dzembritzki, kommen Sie bitte zum Schluss.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Die Sicherheit in Afghanistan hängt für eine gewisse Zeit noch von der militärischen Präsenz ab. Ich bitte, das nicht zu diskreditieren, sondern zu respektieren. Ohne Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich. Aber ohne Entwicklung ist auch Sicherheit nicht denkbar. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Nachtwei, es ist schon bemerkenswert, was der Ausstieg aus der Regierungsverantwortung bei Ihnen so alles bewirkt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Rauswurf!)

- "Rauswurf" ist vielleicht sogar die bessere Bezeichnung. - Nicht auszudenken, welche Pirouetten Sie, wenn Sie irgendwann in die Regierungsverantwortung zurückkehrten - das möge der liebe Gott verhüten -, drehen müssten, um das darzulegen, was Sie in den ersten Jahren Ihrer Regierungszeit zu OEF haben verlauten lassen! Darauf warten wir mit Spannung, allerdings nicht auf Ihre Rückkehr in die Regierungsverantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Tag wird kommen!)

Herr Kollege Lafontaine, es war einmal mehr interessant, zu sehen, welche Begründungsmuster Sie im Hinblick auf das Mandat aufgebaut haben. Bemerkenswert war heute, dass Sie keine eigene Begründung, sondern lediglich fremde Zitate angeführt haben. Das ist nicht gerade Ausdruck einer großen Rede. Aber es wurde klar: Es geht Ihnen nicht um die Verantwortung dieses Landes. Es geht Ihnen auch nicht um die Menschen in Afghanistan. Es geht Ihnen mit Sicherheit nicht um die Sicherheit unseres Landes.

(Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Das ist eine große Unverschämtheit!)

Angesichts Ihrer Begründung muss man sagen, dass es Ihnen einmal mehr um einen populistischen Rundumschlag geht. Das geht an der Verantwortung unseres Landes vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP - Widerspruch bei der LINKEN)

Die von Ihnen angestoßene Debatte krankt an einem gewissen Mangel an Aufrichtigkeit. Ihre Behauptung, dass das Mandat, über dessen Verlängerung wir heute debattieren, keine völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlage habe, ist schlicht barer Unsinn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP - Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Sie sind doch ahnungslos! Haben Sie schon etwas von der Genfer Konvention gehört?)

Streuen Sie den Menschen unseres Landes doch nicht Sand in die Augen! Durch stete Wiederholung wird diese Behauptung nicht richtiger, Herr Lafontaine. Sie bleibt falsch. Lesen Sie doch einmal die Begründungen des Bundesverfassungsgerichtes! Gelegentlich bildet Lesen.

Sie benutzen OEF wiederholt als pazifistisches Feigenblatt; das bietet sich möglicherweise an. Sie werden mit Ihrer Ablehnung des Mandats und Ihrer Forderung nach einem Abzug aus Afghanistan möglicherweise Ihren Zielen gerecht, nicht aber unserem Ziel, Afghanistan aufzubauen.

Das wäre in meinen Augen schlicht ein Verrat an den Menschen vor Ort, ein Verrat an Afghanistan.

(Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Wie viele Menschen müssen denn noch sterben?)

Wir sind in Afghanistan aber eine Verpflichtung eingegangen und werden auch in Zukunft daran festhalten, Herr Lafontaine.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Darüber hinaus verschweigen Sie einen Punkt, klammern in Ihrer Darstellung des Mandats eines völlig aus: Es ist sicherlich richtig, dass ein hohes Maß an Verbesserungsbedarf gegeben ist. Herr Nachtwei und Frau Homburger haben das immer wieder benannt, auch was die Mandatsstruktur anbelangt. Eines allerdings ist Gegenstand dieses OEF-Mandates, was man nicht oft genug wiederholen kann, nämlich die Ausbildungskomponente. Sie umfasst den größten Teil dessen - der Herr Bundesminister hat das benannt -, was unter OEF stattfindet. Wenn wir tatsächlich ein Interesse in Afghanistan haben, dann besteht es in der Ausbildung der Sicherheitskräfte vor Ort, die wir mit Vehemenz betreiben müssen. Das ist ein Beitrag zur Stabilität, und dieser Beitrag wird unter OEF geleistet. Daran muss man gelegentlich erinnern. OEF ist nicht nur das, was Sie benennen.

Lediglich nach Abzug zu rufen, lediglich zu behaupten, dass das Mandat völkerrechtswidrig sei, was nicht der Fall ist, ist mit Sicherheit kein Konzept. Konzeptionen müssen zusammengeführt werden, aber nicht in der Art und Weise, wie es heute die Linke versucht hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Die applaudieren schon, bevor er etwas gesagt hat! Das scheint eine alte Gewohnheit zu sein!)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Lieber Herr Kollege zu Guttenberg, Sie müssen schon eine Frage beantworten, wenn Sie bemängeln, dass mein Kollege Lafontaine die völkerrechtliche Situation nicht korrekt beurteilt hat: Wieso fordern denn der SPD-Parteitag und der Bundesaußenminister in seiner Rede eine eigene VN-Resolution zur Operation ?Enduring Freedom“? Das heißt, man ist sich schon klar darüber, dass die völkerrechtliche Basis, was die Vereinten Nationen angeht, mehr als dünn ist, wenn man nach sechs Jahren auf die Idee kommt, dass es eigentlich einer Resolution der Vereinten Nationen bedürfte. Das müssen Sie doch einfach zugeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier so zu tun, als ob völkerrechtlich alles klar wäre, ist eigentlich ein Werfen von Nebelkerzen. Werfen von Nebelkerzen ist auch, lieber Herr Kollege, wenn man heute besonders auf die Ausbildungskomponente von OEF abhebt. Die war nie Ziel von OEF.

(Beifall bei der LINKEN)

OEF war immer ein Kampfeinsatz; dieser Einsatz war so geplant und wird so geführt. Dem muss man sich stellen. Es ist aus meiner Sicht völlig klar: Am Hindukusch, in Afghanistan herrscht Krieg, und Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Das muss man in aller Deutlichkeit aussprechen und nichts anderes. Darüber können Sie nicht hinwegreden.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung Herr Kollege zu Guttenberg.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU):

Sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, was die Ausbildungskomponente anbelangt, so habe ich vorhin betont, dass sie die größte Komponente von OEF darstellt. Das ist nicht nur eine Fußnote, sondern Ausbildung ist ein Schwerpunkt der Operation "Enduring Freedom".

Was die völkerrechtliche Grundlage anbelangt, so würden wir, Herr Kollege Gehrcke, wahrscheinlich noch die nächste halbe Stunde hier stehen, wenn ich die Resolutionen 1386 ff, 1373, 1368, 1444 - weitere ließen sich nennen - mit Ihnen diskutieren oder wenn ich auf Art. 51 der UN-Charta und auf Art. 5 des NATO-Vertrages verweisen würde. Vor diesem Hintergrund kann die Behauptung, dass eine völkerrechtliche Grundlage nicht gegeben sei, schlichtweg nur als absurd bezeichnet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6939 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/6971 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Quelle: Website des Bundestags; www.bundestag.de


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