Verteidigungsminister Jung: "Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen." - Monika Knoche (Die Linke): "Das Militär ist der falsche Helfer für dieses Land."
Der Bundestag debattierte in erster Lesung über die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes. Die Reden im Wortlaut
Am Nachmittag des 7. Oktober 2008 debattierte der Bundestag in erster Lesung über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF. Im Folgenden dokumentieren wir die ganze Debatte im Wortlaut. Es sprachen in dieser Reihenfolge:
Kritische Erklärungen aus der Friedensbewegung haben wir an anderer Stelle dokumentiert:
"Bundesregierung will Afghanistaneinsatz ausweiten
Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/181
Stenografischer Bericht
181. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
Präsident Dr. Norbert Lammert:
(...) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) vom 22. September 2008 des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen
–
Drucksache 16/10473 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung
sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen.
– Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so
vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst
dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-
Walter Steinmeier.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Unser Engagement in Afghanistan geht jetzt ins
achte Jahr. Ich weiß: Das ist eine Probe für die Geduld
und die langfristige Kraft der Weltgemeinschaft. Deshalb
sage ich vorab drei Dinge: Erstens. Die Gründe, die
uns 2001 nach Afghanistan geführt haben, gelten. Zweitens.
Wir haben uns verpflichtet gegenüber einem Volk,
das in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschunden
worden ist. Drittens. Wir wussten von Anfang an um die
Schwere der Aufgabe. Deshalb gilt gerade jetzt: Ein gegebenes
Wort muss gelten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Wir sind mitten auf dem Weg. In Afghanistan sind wir
mit so etwas wie einer doppelten Realität konfrontiert.
Auf der einen Seite haben wir durchaus viel erreicht.
85 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu einem
Arzt oder einem Krankenhaus in ihrer unmittelbaren
Nähe – das war in Afghanistan vorher noch nie so –;
übrigens auch dank vieler Tausend Kilometer Straßen
und Brücken, die gebaut worden sind. Mehr als die
Hälfte des minenverseuchten Afghanistans ist inzwischen
geräumt. Auch das macht das Leben in Afghanistan
in manchen Regionen sicherer. Der Wiederaufbau
kommt in manchen Regionen ebenfalls durchaus voran,
und zwar nicht nur in Kabul. Ich selbst habe das Beispiel
des Krankenhauses in Masar-i-Scharif gesehen. Dieses
Provinzkrankenhaus ist das zweitgrößte medizinische
Lehrkrankenhaus im ganzen Land. 250 Krankenschwestern
werden dort jährlich ausgebildet.
Wir reden über ein Land, in dem vor sieben Jahren
noch Menschen gesteinigt worden sind und Musik verboten
war. All denjenigen, die unsere Erfolge immer
noch kleinreden wollen, muss man entgegnen: Jedes
Stück Land, das ein Bauer wieder bestellen kann, jedes
Kind, das in die Schule geht, jedes neue Krankenhaus
und jeder Kilometer Straße sind auch ein kleiner Sieg
der Menschlichkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP)
Meine Damen und Herren, keiner ist naiv: Natürlich
ist der Weg länger und steiniger, als wir alle uns das erhofft
haben. Jedes zivile Opfer und jedes Selbstmordattentat
sind ein Rückschlag, und die Rückschläge haben
zugenommen – auch im Norden. Weder die internationale
Staatengemeinschaft noch die afghanische Regierung
– auch das ist wahr – haben die Korruption oder
den Anbau und Handel mit Schlafmohn bisher wirklich
in den Griff bekommen. Im Süden und Osten verunsichern
nach wie vor – oder im Augenblick noch mehr –
Terroristen die Bevölkerung, weil die Grenzen zu Pakistan
faktisch ungesichert sind.
Das ist die Lage, wie sie sich ungeschminkt darstellt.
Die Fragen lauten: Welche Schlussfolgerungen ziehen
wir aus dieser Lage? Sollen wir wirklich gehen, wenn es
schwierig ist, wie manche es fordern? Sollen etwa Niederländer,
Norweger, Polen und Finnen den Job machen,
weil wir uns aus der Verantwortung stehlen? Wenn Länder
wie wir gingen, dann wäre das nicht nur eine Verletzung
der Solidarität all denen gegenüber, die da bleiben,
sondern es wäre noch schlimmer: Wir würden das Ziel
aufgeben, für das wir sechs, fast sieben Jahre in Afghanistan
gemeinsam gearbeitet haben. Unser Aufenthalt
dort war nie und ist kein Selbstzweck. Wir hatten und
haben ein klares Ziel: Wir wollen, dass die Menschen in
Afghanistan die Zukunft ihres Landes möglichst schnell
wieder in die eigenen Hände nehmen und selbst für
Sicherheit in ihrem Land sorgen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Wir ziehen dabei mit vielen Afghanen an einem
Strang. Das haben Sie in Gesprächen bei Afghanistan-
Reisen und auch bei Besuchen afghanischer Politiker
und Experten hier bei uns selbst erlebt. Diese sagen: Wir
wollen und wir können die Vorsorge für die eigene Sicherheit
leisten. Aber jetzt brauchen wir noch die Hilfe
der internationalen Staatengemeinschaft, und wir müssen
uns vor allen Dingen darauf verlassen können, dass
diese Hilfe in der nächsten Zeit noch geleistet wird. Darum
geht es: Verlässlichkeit und Vertrauen. Dafür müssen
auch wir stehen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Das ist der Grund dafür, dass wir uns bei unserem
ISAF-Einsatz, um den es heute geht, vor allen Dingen
auf die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen
Sicherheitskräfte konzentrieren. Es ist eine gute Entwicklung,
dass inzwischen bei 70 Prozent aller Sicherheitsoperationen
in Afghanistan einheimische Sicherheitskräfte
mitwirken. Außenminister Spanta hat mir das
vor kurzer Zeit noch einmal berichtet. Das zeigt, dass
wir insoweit auf dem richtigen Weg sind und auf diesem
Weg weiter vorangehen müssen.
Das ist der Grund, weshalb wir vorschlagen, im
nächsten Jahr bis zu 4 500 Soldatinnen und Soldaten im
Rahmen des ISAF-Mandats einzusetzen. Das sind in der
Tat 1 000 Soldatinnen und Soldaten mehr als bisher. Wir
brauchen sie nicht nur für die Ausbildung der einheimischen
Soldaten, sondern auch für die Absicherung der
kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
in Afghanistan.
Zudem verdoppeln wir die Zahl deutscher Polizisten
im Rahmen der europäischen Polizeimission EUPOL.
Das ist ein deutlicher deutscher Beitrag, der auch mit
Blick auf die Bitte um Zustimmung zu ISAF zu berücksichtigen
ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ein Wort noch zu den Kritikern des Einsatzes, die es
gibt und die sich lautstark äußern. Bleibt bei der Kritik
bitte redlich!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Niemand verfährt im Augenblick im Hinblick auf Afghanistan
nach dem Motto „Weiter so“. Wir haben unser
Engagement immer wieder jährlich überprüft, auch gemeinsam
mit Ihnen. Wir haben überprüft, was weiterhin
notwendig ist und was entbehrlich geworden ist. Wir
häufen gerade nicht, wie es in mancher öffentlichen Kritik
heißt, Auftrag auf Auftrag. Deshalb lautet mein Vorschlag,
den Sie gelesen haben: Lasst uns, wenn wir über
das ISAF-Mandat entschieden haben und wenn die Beratungen
in der NATO weitergegangen sind, Ja zu
AWACS und Nein zu Einsätzen, die nicht mehr gebraucht
werden, sagen. Das ist das Gegenteil von „Weiter
so“ und von dem, was Sie hier manchmal kritisieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, eine Art
Vorratsbeschluss für einen möglichen AWACS-Einsatz
zu erbitten, über den in der Sommerpause diskutiert
wurde, zu dem Sie aber in dem Antrag, über den wir
heute diskutieren, nichts finden – wohl wissend, dass die
NATO-Diskussion stattfindet, aber noch keine Beschlüsse
der NATO vorliegen. Gleichwohl hat der zivile
Luftverkehr in Afghanistan erheblich zugenommen;
Afghanistan verfügt jedoch ganz ohne Zweifel über kein
ausreichendes Bodenradar, um den gewachsenen Flugverkehr
so zu überwachen, dass die Luftfahrzeuge in
Afghanistan wirklich sicher abheben und wieder am Boden
landen können. Deshalb brauchen wir auch
AWACS; aber das ist nicht Gegenstand der Entscheidungen, die in dieser Woche im Deutschen Bundestag zu treffen sind.
Ich habe auch gesagt – das haben Sie gesehen –, dass
der Einsatz von KSK nach meiner Auffassung in
Afghanistan entbehrlich geworden ist. Wir haben in den
letzten drei Jahren keine KSK-Soldaten zur Verfügung
gestellt. Deshalb hielte ich persönlich es auch für richtig,
wenn KSK-Einsätze im Rahmen des OEF-Mandates im
Verlaufe dieses Jahres ausliefen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende und
sage: Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen
in ihrem aktualisierten Afghanistan-Konzept den langfristigen
und vor allen Dingen umfassenden Stabilisierungsansatz,
der den Wiederaufbau einschließt, vorgetragen
und bekräftigt. Alle anderen in Afghanistan
vertretenen und engagierten Staaten folgen diesem Ansatz.
Zu ihm gehört ganz ausdrücklich, dass wir die
Nachbarn Afghanistans mit in den Blick nehmen, sie sogar
noch sehr viel stärker einbeziehen. Selbstverständlich
meine ich damit vor allen Dingen Pakistan, ein
Schlüsselland für die Sicherheit und Stabilität der gesamten
dortigen Region.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Wir müssen Pakistan dahin bringen, eine positive
Rolle bei der Stabilisierung sowie beim Wiederaufbau
der gesamten Region zu spielen. Deshalb habe ich mich
mit anderen am Rande der Generalversammlung der
Vereinten Nationen in der vergangenen Woche darum
gekümmert, Pakistan in eine Gruppe einzubinden, die
diesen Prozess vorantreibt. Das reiht sich in die Bemühungen
ein, die wir von deutscher Seite im vergangenen
Jahr während unserer G-8-Präsidentschaft bereits gestartet
haben und die durch die innenpolitischen Ereignisse
in Pakistan unterbrochen worden sind; das haben Sie
mitverfolgt. Ich sehe jetzt gute Chancen – erste Anzeichen
dafür gibt es –, dass wir mit der neuen Regierung in
Pakistan zu einem geordneten Austausch zwischen dem
pakistanischen Präsidenten, dem afghanischen Präsidenten
und den Ministerebenen darunter kommen. Bei der
Reise nach Pakistan, die ich in etwas mehr als zwei Wochen
unternehmen werde, werde ich versuchen, diesen
positiven Ansatz, den es zwischen den beiden Ländern
gibt, weiterhin zu stützen.
Meine Damen und Herren, die Verlängerung des
ISAF-Mandats ist kein „Weiter so“, sondern sie ist auf
die Bedürfnisse des nächsten Jahres zugeschnitten: Wir
schicken mehr Soldaten. Wir konzentrieren uns auf die
Ausbildung von Soldaten und Polizisten. Wir steigern
die Ausgaben für zivilen Wiederaufbau auf jetzt immerhin
170 Millionen Euro, weil wir wollen – das sage ich
Ihnen aus tiefer Überzeugung –, dass die Menschen in
Afghanistan den Fortschritt tatsächlich spüren, sehen
und erleben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zum Schluss sage ich all jenen Danke, die sich häufig
unter Einsatz ihres Lebens für den Wiederaufbau und die
Stabilisierung Afghanistans einsetzen. Das sind unsere
Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und zivilen Aufbauhelfer.
Ich weiß, wir alle miteinander wissen, dass
deren Aufgabe im vergangenen Jahr nicht einfacher geworden
ist, im Gegenteil. Wir wissen auch, Kollege
Jung, was wir der Bundeswehr dort abverlangen, und wir
trauern um diejenigen, die für den Einsatz in Afghanistan
mit dem Leben bezahlt haben. Allen, die den Menschen
dort helfen, damit sich das Leben der Bevölkerung
in Afghanistan verbessert, schulden wir Dank und Anerkennung.
Sie alle haben, wie ich finde, die Unterstützung
dieses Hohen Hauses verdient. Darum bitte ich Sie
herzlich um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des
ISAF-Mandats.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege
Dr. Werner Hoyer das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des
ISAF-Mandats liegt seit nunmehr etwa vier Stunden vor.
Noch heute, nach der anschließenden Debatte über die
Lage auf den Finanzmärkten, werden die mitberatenden
Ausschüsse mit der Beratung beginnen. Heute Abend
wird auch der Auswärtige Ausschuss beraten und in der
nächsten Woche entscheiden. Das ist ein ganz schön
sportlicher Ansatz.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ja! Das stimmt!)
Ich frage mich: Wenn AWACS in diesen Antrag nicht
„hineingerührt“ worden ist, warum hat man ihn dem Parlament
dann nicht etwas früher vorlegen können?
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier
[fraktionslos])
Zumindest ist damit klar, worüber wir heute nicht reden:
Wir reden nicht über AWACS; dadurch fällt die
Entscheidung, diesem Antrag zuzustimmen, manch einem
vielleicht etwas leichter. Wir reden heute auch nicht
über OEF. Der Minister hat eben auf KSK Bezug genommen.
Ich denke, er meinte KSK im Rahmen von
OEF und nicht etwa auch KSK im Rahmen von ISAF;
(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, natürlich!)
das muss noch geklärt werden. Denn selbstverständlich
gibt es auch im Rahmen von ISAF Situationen, die einen
besonderen Schutz erforderlich machen. In einem solchen
Fall ist KSK nach meiner Auffassung das Mittel
der Wahl.
Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über ein
wichtiges Mandat, im Grunde genommen über eine Fortschreibung
dessen, was es bereits gibt. Wir, die Freien Demokraten,
tragen die Aufstockung um 1 000 Soldatinnen
und Soldaten mit; die Begründung ist schlüssig.
Wir haben allerdings einige kritische Anmerkungen
zu machen. Das tue ich aber nicht, ohne vorher namens
der Freien Demokraten allen, die sich in Afghanistan bemühen
und dort für uns eine sehr wichtige Aufgabe erfüllen,
ganz herzlich Dank zu sagen. Das gilt insbesondere
für die Angehörigen unserer Streitkräfte – um sie
geht es heute –, die dort eine hervorragende Arbeit leisten.
Dieser Dank gilt völlig unabhängig von der Tatsache,
dass wir auch kritische Anmerkungen machen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Warum sind wir eigentlich mit Soldaten, Aufbauhelfern,
Polizisten und anderen Kräften in Afghanistan vertreten?
Wir sind dort nicht, um anderen, auch nicht anderen
im Bündnis, einen Gefallen zu tun. Wir sind dort
auch nicht nur aus Solidarität mit den Afghanen; sie ist
ein wichtiger Punkt, aber nicht der entscheidende. Wir
sind in Afghanistan um unserer eigenen Interessen und
unserer eigenen Sicherheit willen. Das müssen wir unseren
Bürgerinnen und Bürgern auch immer wieder deutlich
vor Augen führen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Wir wissen, warum wir nach Afghanistan gegangen
sind. Wir wissen auch, was passieren würde, wenn wir
das Land Hals über Kopf verlassen würden. Wir würden
den Kräften Spielraum eröffnen, die nicht nur ihr eigenes
Land terrorisieren, sondern den Terror von Afghanistan
aus auch zu uns tragen würden. Um das zu verhindern,
müssen wir dort weitermachen. Wir dürfen unseren
Beitrag allerdings nicht im Sinne eines „Weiter so“ leisten;
dazu sind schon einige wichtige Anmerkungen gemacht
worden.
Herr Minister, ich verhehle keineswegs die Erfolge,
die erzielt worden sind, sehe aber natürlich auch die
Schwachstellen. Bei der Polizeiarbeit hat die Bundesrepublik
Deutschland eine Führungsrolle übernommen.
Ich finde, dieses Kapitel ist für Deutschland ein ziemlich
dunkles Kapitel.
(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Denn das, was in diesem Bereich von der Bundesregierung
geleistet wird – das gilt nicht für die Polizeibeamten
vor Ort, die eine Superarbeit leisten –, kommt einem
politischen Offenbarungseid ziemlich nahe.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Richtig!)
Die Bundesregierung hat uns einen Schlingerkurs
vorgeführt, den ich beachtlich finde. Noch im Jahre 2004
hat sie voller Stolz gesagt, sie sei, wie es damals hieß,
am Aufbau eines multiethnischen Polizeidienstes, und
zwar landesweit und auf allen Ebenen, beteiligt. Heute
wird so getan, als hätte man nie etwas anderes als die
Beratung des afghanischen Innenministeriums im Sinn
gehabt. Dieser Schlingerkurs rächt sich.
Ich denke, wir werden darüber nachdenken müssen,
ob wir es bei unserem Beitrag zur europäischen Polizeitruppe
belassen können oder ob wir nicht doch auf den
großen Wunsch unserer amerikanischen Freunde eingehen
sollten, auch bilateral mit ihnen gemeinsam etwas zu
unternehmen; denn von ihnen wird der Großteil des Polizeiaufbaus
geleistet.
Wir müssen uns darüber hinaus die Frage stellen, ob
wir uns im Hinblick auf unsere Verantwortung bei der
Entsendung von Polizeibeamten nicht in eine vergleichbare
Situation begeben sollten wie bei der Entsendung
von Soldatinnen und Soldaten. Es darf nicht der Eindruck
entstehen, als würde das Parlament die Verantwortung
gegenüber den zu entsendenden Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamten geringer einschätzen als die Verantwortung,
die wir qua Parlamentsbeschluss für die Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr übernehmen. Ich
bin der Auffassung, dass wir uns überlegen sollten, ob
wir hier im Hinblick auf die Bundespolizei nicht eine
neue Rechtsgrundlage schaffen sollten. Dann würde
auch das ständige Gezeter mit den Ländern aufhören.
Letzte Bemerkung in meinem sehr kurzen Beitrag.
Am 4. November 2008 werden wir eine neue Weichenstellung
der amerikanischen Politik erleben. Es wird keineswegs
egal sein, wer dort das Amt des Präsidenten
übernehmen wird. In jedem Fall gehe ich aber davon
aus, dass die Bereitschaft zur Kooperation mit den Nachbarländern
Afghanistans zunehmen wird. Das halte ich
auch für außerordentlich wichtig. Am Beispiel Pakistans
sehen wir doch – der Herr Minister hat das bereits
gesagt –: Ohne die Zusammenarbeit bzw. das Zusammenwirken
mit den Nachbarn Afghanistans wird es
nicht funktionieren.
Wir haben den dringenden Ruf gehört, mit dem Iran
zusammenzuarbeiten. Es wäre schön, wenn er in der
Lage wäre, einmal direkt mit den Amerikanern zu reden.
Es gibt das Angebot der Shanghai Cooperation Organisation,
und wir wissen, dass es ohne Russland und China
nicht funktionieren wird.
Ich meine, die Bundesregierung sollte im Bündnis ihren
Beitrag dazu leisten, dass dieser Ansatz in und für
Afghanistan, der internationaler als der bisherige ist, tatsächlich
Wirklichkeit wird.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, ist der
nächste Redner.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Neue
Töne der CDU/CSU!)
Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
debattieren heute in erster Lesung über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats, zum siebten Mal, seit wir diese Mission begonnen haben. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir dies jedes Jahr in dieser ausführlichen
parlamentarischen Weise tun. Entsprechend dem,
was der Herr Außenminister gerade gesagt hat, geht es
nämlich nicht um ein „Weiter so“; vielmehr müssen wir
uns im Hinblick auf die deutsche Öffentlichkeit und alle
Belange unserer Soldatinnen und Soldaten immer
wieder, Jahr für Jahr, gründlich und sorgfältig vergewissern,
ob unsere „Marschrichtung“, unsere politische
Richtung, die Richtung des Einsatzes – es geht darum,
wie er ausgestaltet ist und erfolgreich sein soll –, richtig
und verantwortbar ist.
Im Zusammenhang mit dieser Verlängerung müssen
wir uns fragen, worauf wir in den nächsten 14 Monaten
insbesondere Wert legen müssen. Wir dürfen es uns bei
der Beantwortung dieser Frage in der Tat nicht leicht
machen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten – es sollen
1 000 mehr werden – halten auch für uns alle den
Kopf hin.
Aus all den Gründen, die der Herr Außenminister
schon vorgetragen hat und die uns allen bekannt sind,
sage ich ein klares Ja zu dieser Verlängerung des Mandats
und auch zu einer Aufstockung der Zahl unserer
Soldatinnen und Soldaten von 3 500 auf 4 500.
Den Gegnern dieser Verlängerung sei ein kleiner – er
ist zwar nicht maßgeblich, aber immerhin doch bemerkenswert
– Hinweis gegeben: In wenigen Wochen werden
wir uns auch mit der Verlängerung von OEF auseinanderzusetzen
haben. Ende des vorletzten Jahres, also
beim vorletzten Mandat, betrug die Zahl der Soldatinnen
und Soldaten im Rahmen von OEF 1 800. Diese werden
wir voraussichtlich auf 800 reduzieren. Wenn man sich
die Zahlen der beiden Mandate anschaut, die ja in gewisser
Weise in einem politischen Zusammenhang zu betrachten
sind, dann stellt man fest, dass wir bei ISAF die
Zahl der Soldatinnen und Soldaten in derselben Größenordnung
erhöhen, wie wir sie bei der OEF reduzieren.
Wir können überhaupt nicht erwarten – ich hoffe, dass
das die Gegner dieses Einsatzes auch nicht tun –, dass
wir die Probleme, die es in Afghanistan zu lösen gibt,
über Nacht lösen. In all den Debatten – auch jetzt gerade
wieder in unserer Fraktion – ist auch die Frage erörtert
worden, ob man das nur militärisch erreichen kann oder
ob das auch nichtmilitärisch möglich ist. Eines ist völlig
klar: Die Probleme in Afghanistan werden wir niemals
allein militärisch lösen können. Aber wir können ohne
die militärische Komponente die Probleme dort ebenfalls
nicht lösen und die Aufbau- und Stabilisierungsarbeit,
die wir uns vorgenommen haben, nicht leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Unsere Absicht ist es – man kann es nicht oft genug
sagen –, die dortigen Strukturen im Bereich der eigenen
militärischen Kompetenzen und Fähigkeiten, der Verwaltungskräfte,
der Polizei, der Infrastruktureinrichtungen
und im Bildungswesen so zu stärken, dass in Afghanistan
eine selbsttragende Stabilität erzeugt wird.
Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sicherheitskräfte
für sich selbst und zur Erfüllung der gesamten
Aufbauarbeit entsprechende Möglichkeiten und Ressourcen
haben.
Ein wichtiger Aspekt ist vor allen Dingen, dass wir
bei den militärischen und polizeilichen Sicherheitskräften
in Afghanistan hinreichend Sicherheit schaffen und
für eine ausreichende Entlohnung sorgen, damit die dortige
Korruption und die schlimme Praxis des Seitenwechselns
– manchmal je nach Tageszeit: am Tag für die
einen und in der Nacht für die anderen – nachhaltig unterbunden
werden. Erst dann, wenn wir alle diese Aufgaben
erfüllt haben, werden unsere Soldaten nach Hause
zurückkehren können.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der in den letzten
Tagen auch durch mich angestoßen worden ist; auch Sie,
Herr Außenminister Steinmeier, haben ihn gerade angesprochen.
Ich frage Sie: Gibt es hier jemanden im Hause,
der möchte, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auf
Dauer in Afghanistan bleiben? Ich glaube, das will kein
einziges Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber wir
sind es der deutschen Öffentlichkeit schuldig, dass wir
unsere Zielrichtung dartun. Wir müssen deutlich machen,
worauf wir abzielen und wohin das Ganze führt.
Ich bin froh, dass wir vorletztes Jahr darauf gedrungen
haben, dass unsere Soldaten zum 30. November aus
dem Kongo nach Hause zurückkehren. Ich bin froh, dass
wir darauf gedrungen haben, dass wir beim UNIFIL-Einsatz
klare Voraussetzungen schaffen, und wir reduzieren
unsere Kräfte dort weiter.
Ich bin froh – der Balkan ist ein hervorragendes Beispiel
–, dass man erfolgreich auf ein Ende oder die Begrenzung
eines solchen Einsatzes hinarbeiten kann und
dass wir dort, insbesondere in Bosnien, den Einsatz unserer
Soldaten immer stärker zurückfahren können.
Ich habe einer Agenturmeldung entnommen, dass
auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer eine Befristung
des Einsatzes fordert. Das ist völliger Quatsch.
Eine Befristung fordert niemand.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Eines muss klar sein – ich greife in diesem Zusammenhang
Ihre Frage auf, Herr Steinmeier, ob wir gehen sollen,
wenn es schwierig wird –: Wenn es schwierig wird,
dann ist auf die Deutschen in Afghanistan Verlass; dann
werden wir dort die entsprechende Flankierung leisten.
Aber wenn dort die Aufgaben so zu Ende gebracht sind,
dass wir das Land den eigenen Kräften überlassen können
– egal, ob das in fünf oder acht Jahren der Fall sein
wird; man kann sicherlich den Zeitpunkt heute nicht
festlegen –, dann ist auch die Zeit für den militärischen
Einsatz der Bundeswehr dort abgelaufen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Man kann nicht oft genug betonen, dass wir neben
den militärischen Anstrengungen auch den ganzen Bereich
der nichtmilitärischen Anstrengungen eher beflügeln
und ausbauen denn begrenzen müssen. Ich habe mir
von den beteiligten Ressorts die Zahlen vorlegen lassen,
wie viel Geld wir jeweils im militärischen und im nichtmilitärischen
Bereich einsetzen. In diesem Jahr – allerdings bis zum Ende des noch laufenden Mandats gerechnet; die Monate des Anschlussmandats sind also noch
nicht berücksichtigt – geben wir für den militärischen
428 Millionen Euro und für den nichtmilitärischen Bereich,
einschließlich humanitärer Ausgaben, 163 Millionen
Euro aus. Ich bin sofort dafür – wenn uns das in den
Haushaltsberatungen, die in den kommenden Wochen
vor uns liegen, gelingt –, den nichtmilitärischen Bereich
weiter zu stärken. Gerade Bildung und Sicherheit stellen
die Grundlagen für nachhaltige Veränderungen und Stabilität
in Afghanistan dar.
Was den schon angesprochenen Schlafmohnanbau
angeht: In 21 der 34 Provinzen in Afghanistan wird
Mohn angebaut. Aber das tun die Bauern nicht aus Jux
und Tollerei. Vielmehr müssen sie so den kärglichen Lebensunterhalt
für ihre armen Familien bestreiten. Wir
müssen alles daransetzen, eine alternative Wertschöpfungskette
in Gang zu setzen. Es geht nicht – das wurde
bereits versucht –, die Bauern dazu zu bringen, Weizen
anzubauen, ohne ihnen gleichzeitig den Absatz zu sichern.
Keiner der dortigen Bauern, die Weizen statt
Mohn anbauen und anschließend keinen Zentner verkaufen,
wird so schnell noch einmal Weizen anbauen. Wir
müssen also dort die Wertschöpfungskette und die Absatzkette
für alternative pflanzliche Produkte sicherstellen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Opiumproduktion
und den Mohnanbau werden wir niemals aus Afghanistan
hinausbomben können. Wir müssen vielmehr auf
Mittel des zivilen Aufbaus, unter anderem auf Beratung,
setzen, um den Bauern Stück für Stück eine vernünftige
Alternative zu geben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Ich möchte noch einen Punkt aus Ihrer Rede aufgreifen,
Herr Außenminister. Die Probleme in Afghanistan
werden wir niemals lösen können, wenn wir nicht auch
– Sie haben die Lage und die Zusammenhänge hervorragend
beschrieben – die Probleme im Nachbarland Pakistan
lösen; denn dort ist in zunehmendem Maße das neue
Rekrutierungsfeld und das Aufmarschgebiet der Taliban.
Nach Angaben des pakistanischen Religionsministers ist
heute in Pakistan – das ist eine erschreckende Zahl –
jede zehnte der mindestens 15 000 Koranschulen fundamentalistisch
und extremistisch ausgerichtet. Die so
ideologisch Ausgebildeten gehen dann in Militärcamps,
um militärisch ausgebildet zu werden. Sie sind für die
Taliban der personelle Nachschub in Afghanistan. Das
können wir auf Dauer nicht hinnehmen. Wir müssen die
zivilen Schulen wesentlich stärker ausbauen. Das ist unsere
Aufgabe als Europäer und insbesondere als Deutsche.
Arme pakistanische Eltern schicken ihre Kinder
viel lieber in zivile Schulen als in die Koranschulen. Die
Koranschule ist allerdings oft die einzige Alternative.
Das darf nicht so bleiben. Wenn es stimmt – viel spricht
dafür –, dass diese 15 000 Koranschulen maßgeblich aus
saudi-arabischen Quellen finanziert werden, dann muss
ich sagen: Das dürfen wir nicht hinnehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Ramsauer.
Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):
Ich weiß, meine Redezeit ist zu Ende.
Wir fühlen uns dem Aufbau in Afghanistan verpflichtet.
Ich darf für meine Fraktion klar bekennen, dass wir
zu diesem Aufbau stehen. Aber wir wollen auch klarmachen,
wohin die Reise geht und unter welchen Bedingungen
wir diesen Einsatz eines Tages beenden werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Monika Knoche für
die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Monika Knoche (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Herren
und Damen! Diese notwendige Sondersitzung des Deutschen
Bundestages zu Afghanistan gibt es nur, weil wir
Linke nicht bereit waren, einem Fristverzicht zuzustimmen
und diese wichtige, zentrale Frage deutscher Außenpolitik
unter „ferner liefen“ in anderen Debatten abzuhandeln.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Wir Abgeordnete sollen die Zustimmung zur Stationierung
von weiteren 1 000 Soldaten in Afghanistan
geben. Wir haben auf die gesamte Lage eine andere
Sicht als die vorgetragenen.
(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt!)
Ich bin der Auffassung, dass es Zeit für eine wahrhaftige
Bilanz ist.
Insgesamt 55 000 NATO-Soldaten, darunter bald
4 500 deutsche, sollen dort für Sicherheit und Aufbau
sorgen. Wozu haben die vergangenen sieben Jahre ISAFPräsenz
geführt? Was braucht Afghanistan, und mit welchen
Mitteln sind die Ziele zu erreichen? Dazu nenne ich
einige Fakten: Haben nach dem 11. September circa
100 CIA-Agenten und 350 US-Elitesoldaten die Talibanregierung
gestürzt und blieb die Zahl der ISAF-Soldaten
bei unter 10 000, so ist bereits Mitte 2008 die Zahl
von 65 000 Soldaten erreicht. Weitere Aufstockungen
sind angekündigt, weitere Jahre der Präsenz avisiert.
Wenn die USA gewählt haben, werden Afghanistan und
wohl auch Pakistan zu den zentralen Orten des sogenannten
Krieges gegen den Terror werden.
Der ISAF-Oberkommandierende, General McNeill,
sagte dieser Tage – Zitat –, es brauche 400 000 Soldaten,
um Afghanistan zu befrieden. Er sagte allerdings auch,
er sei der Auffassung, dass dieser Krieg bereits verloren
ist. Aber unsere Minister Herr Jung und Herr Steinmeier
nennen noch nicht einmal die wahren Opferzahlen.
Deshalb nenne ich sie hier: 2007 waren 8 000 Tote zu
beklagen, davon 1 500 Zivilisten. Laut UN sind dieses Jahr schon mehr als 4 600 Menschen ums Leben gekommen, darunter 1 450 Zivilpersonen. Die Zahl der bewaffneten Anschläge stieg von 9 000 im Jahr 2007 um 40 Prozent
in diesem Jahr. Die USA teilen mit, dass in Afghanistan
derzeit mehr amerikanische Soldaten als im Irak
sterben. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so dramatisch
wie nie zuvor, und da behauptet unsere Regierung
doch tatsächlich, dass immer mehr Soldaten zu immer
mehr Sicherheit und Stabilität führen. Das ist doch Vortäuschung
falscher Tatsachen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Die afghanische Bevölkerung wird fremde Truppen auf
Dauer nicht akzeptieren. Wer ihre Kultur kennt, weiß
das. Der Widerstand wird größer und härter. Mehr
fremde Soldaten bedeuten eine Stärkung der fundamentalistischen
Kräfte.
(Beifall bei der LINKEN)
Was macht die Taliban stark? Es ist der Krieg gegen
sie. In Afghanistan werden deutsche Soldaten mittlerweile
auch nicht mehr als Samariter in Uniform angesehen.
Die Soldaten spüren das. Sie sind bewaffnet, sie
sind bedroht, und sie sind sehr nervös. Gerade erst haben
deutsche ISAF-Soldaten an einer Straßensperre eine
Frau und zwei Kinder umgebracht.
(Zuruf von der FDP: Das ist doch wohl nicht
zu fassen!)
Es ist offenkundig: Das Militär ist der falsche Helfer für
dieses Land.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Es erweist sich immer mehr, dass die Zusage einer bedingungslosen
Solidarität mit den USA falsch war und
einen zu hohen Preis hat. Das heißt, die USA verstärken
ihre Dominanz in der NATO. Das heißt auch, dass sich
Deutschland den amerikanischen Interessen innerhalb
der NATO immer mehr beugt. Und das heißt für uns,
dass sich Deutschland von diesen US-geleiteten Interessen
in der NATO endlich emanzipieren muss.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Es ist nämlich nicht richtig, dass die Bündnisverpflichtungen
zwangsläufig dazu führen, dass man militärisch
tätig werden muss. Es ist jetzt die zentrale Aufgabe der
Politik, eine Exitstrategie zu entwickeln. Die Exitstrategie
beginnt für uns mit dem Abzug der Bundeswehr aus
Afghanistan.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Deutschland sollte sich ausschließlich zivil engagieren.
Aufgaben gibt es genug. Der Polizeiaufbau wurde genannt.
Dabei hat sich Deutschland wahrlich blamiert.
Ein funktionierendes Rechtswesen gibt es in dem Land
nicht, aber es wird mit lokalen Kriegsherren zusammengearbeitet,
um für eine fragwürdige Stabilität zu sorgen.
Das muss aufhören; denn es handelt sich bei den Kriegsherren
um Fundamentalisten, die Frauen unterdrücken
und die Einhaltung der Menschenrechte nicht gewährleisten.
Es sind dieselben Kräfte, die für den Drogenanbau
verantwortlich sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Niemand kann hier glaubhaft versichern, dass es einen
zivilen Aufbau gibt, solange der Alltag von Hungertod
bestimmt wird, die Müttersterblichkeit derart hoch ist, es
Mädchenhandel gibt, Selbsttötungen von Witwen stattfinden
und die Armut immer mehr wächst. All das hat
sich, seit die ISAF ihr „Zivillabel“ trägt, in den Lebensalltag
der Bevölkerung eingebrannt. 3,5 Milliarden
Dollar wurden bisher für das Militär ausgegeben. Bis
2010 soll es lediglich 1 Milliarde Dollar für den Zivilaufbau
sein.
Das alles ist die Wirklichkeit, während Sie von Stabilität
reden. In Afghanistan kann von demokratischen
Freiheiten keine Rede sein. Eine belastbare soziale Infrastruktur
ist nicht entstanden. Die Hilfsgelder sind – das
wissen Sie ganz genau – in dunkle Kanäle geflossen oder
gleich wieder an die Geberländer zurückgeflossen. Die
USA haben Karzai mithilfe des Petersberger Prozesses
unter Rot-Grün installiert. Und für was steht diese
Karzai-Regierung? Sie steht für Korruption.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Ich frage: Geht es der NATO denn überhaupt wirklich
um die Selbstbestimmung Afghanistans? Wenn dem so
wäre, dann würde – das schlussfolgern wir – alle politische
und diplomatische Kraft darauf verwandt, Friedens-
Jirgas ins Leben zu rufen, die demokratischen Kräfte zu
stärken, ein funktionierendes Rechts- und Polizeiwesen
aufzubauen und Frauen gemäß der UN-Resolution 1325
eine zentrale Stellung beim Aufbau des Staates einzuräumen.
Angesichts all der zunehmenden Sicherheitsprobleme
kann nur gesagt werden: Mehr Militär bedeutet in der
Praxis mehr Unsicherheit und mehr Gewalt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Afghanistan braucht dringend einen Friedensprozess und
eine politische Konfliktlösung. Die Anrainerstaaten müssen
in diesen Friedensplan einbezogen werden. Das sind
in unseren Augen Pakistan, Iran, Indien, China und
Russland. Es muss – ja, auch das – mit den Taliban geredet
werden; aber es darf ihnen auf gar keinen Fall Macht
in einer Regierung eingeräumt werden. Afghaninnen
und Afghanen wollen nicht von den Taliban terrorisiert
werden. Aber sie wissen und sie sagen, dass sie selber
mit ihnen fertig werden müssen. Denn sie haben eines
gelernt: Solange der Krieg gegen Terror geführt wird,
werden die Taliban, werden die fundamentalistischen
Kräfte erstarken. Das widerspricht aller Zivilpolitik, die
wir hier im Deutschen Bundestag zu vertreten haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Wohin Militär und Kriegslogik führen, sieht man in
Afghanistan. Deshalb sagen wir – das zum Schluss noch
zu Ihnen, Herr Steinmeier –: Natürlich soll Deutschland
sich nicht am ausgeweiteten Antiterrorkampf beteiligen.
Doch eines funktioniert nicht: Sie wollen die ISAF zur
Stabilisierungstruppe hochstilisieren und Zustimmung
erreichen, indem Sie die ohnehin zurzeit nicht vorhandene
deutsche Beteiligung an OEF-Operationen in
Afghanistan infrage stellen. Im Klartext heißt das: mehr
für ISAF. Aber keine OEF? Dahinter ist ein dickes Fragezeichen
zu setzen; denn wie man hört, operiert das
KSK im Rahmen der ISAF in Afghanistan. Wem wollen
Sie hier erzählen, dass Sie einen Ausstieg aus dem Antiterrorkampf
vornehmen wollen? Das ist einfach nicht
richtig, und nicht legitim, das vor dem Deutschen Bundestag
zu vertreten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Peter Struck
[SPD]: Wie lange redet die eigentlich? Was ist
mit der Redezeit?)
Was also ist von all dem zu halten, was insbesondere
Sie, Herr Steinmeier, heute noch einmal gesagt haben?
Ich meine, davon ist nichts zu halten. Ich plädiere dafür,
dass die deutsche Politik einen Richtungswechsel vollzieht,
dass sie jetzt einen ernsthaften Exitplan entwickelt,
dass sie alle Kraft darauf verwendet, mit den friedlichen
und demokratischen Kräften in Afghanistan zusammenzuarbeiten,
–
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.
Monika Knoche (DIE LINKE):
– dass sie mit allen diplomatischen Mitteln für einen
Friedensplan wirbt und dass sie endlich von der falschen
Logik abrückt, immer mehr Militär dorthin zu schicken.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Keine Frage, Frau Knoche, die Sicherheitslage in Afghanistan
hat sich verschärft – auch im Norden, auch im
deutschen Verantwortungsbereich. Da gibt es nichts zu
beschönigen. Aber die Frage ist: Was folgt daraus? Was
ist die Konsequenz? Ich sage hier sehr deutlich – das
steht für mich und meine Fraktion fest –: Ein Sofortabzug,
so wie Sie ihn hier noch einmal gefordert haben,
wird keine Friedens-Jirgas zur Folge haben, wie Sie dies
geschildert haben, sondern bedeutet im Norden den Ausbruch
eines Bürgerkrieges und im Süden die Rückkehr
der Taliban. Das finde ich unverantwortlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Das ist vor allen Dingen gegenüber den Afghanen unverantwortlich.
Sie finden deshalb in Afghanistan kaum jemanden,
der den Abzug der internationalen Truppen fordert.
Noch etwas: Es sind vor allem die demokratischen
Kräfte, die Vertreterinnen von Frauenorganisationen, denen
die Angst in den Augen steht, wenn das Thema Abzug
angesprochen wird. Es ist klar, warum. Sie müssen
nämlich um ihr Leben fürchten, wenn die Taliban zurückkehren.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau so ist das!)
Ich möchte an Folgendes erinnern: Es ist erst ein paar
Tage her, da wurde die ranghöchste Polizistin im Bezirk
Kandahar von den Taliban ermordet. Warum? Weil sie
eine Frau ist und weil Frauen nach der Ideologie der Taliban
im öffentlichen Leben nichts zu suchen haben.
Diesen Frauen müssen Sie erklären, warum es in ihrem
Interesse sein soll, dass wir sofort abziehen und Chaos
und Terror hinterlassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Allerdings sind es gerade die fortschrittlichen Kräfte
– das können sicherlich viele von denen bestätigen, die
Reisen nach Afghanistan gemacht haben –, die massive
Kritik an der Karzai-Regierung äußern und von der internationalen
Gemeinschaft enttäuscht sind. Sie sind empört
über Kollaborationen mit den alten Warlords; sie
sind enttäuscht, dass von den Aufbaumitteln in Milliardenhöhe
immer noch viel zu wenig vor Ort ankommt.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
ich glaube, dass es angesichts der sich verschärfenden
Sicherheitslage einerseits und der extrem schlechten
Stimmungslage in der Bevölkerung andererseits wichtig
ist, endlich einen Kurswechsel einzuleiten. Wenn man
das nicht tut, dann – so befürchte ich – wird dieser Einsatz
scheitern, und das wollen wir alle hier nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Ganz zentral ist dabei, dass endlich mit den Partnern
in der NATO, vor allen Dingen mit den Amerikanern,
darüber geredet wird, dass der Antiterroreinsatz OEF beendet
wird. Es reicht nicht, dass in den NATO-Papieren
von einer „comprehensive“, also von einer ganzheitlichen
Strategie die Rede ist, wenn sich in der Realität der
Afghanen nichts ändert. Es reicht auch nicht, dass Sie,
Herr Außenminister, der OEF keine KSK-Einheiten
mehr zur Verfügung stellen wollen. Das war zwar überfällig,
ist aber leider halbherzig; denn damit hat man immer
noch nicht den strategischen Dissens geklärt, der
mit den Partnern im Bündnis besteht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Amerikaner setzen vor allen Dingen auf aggressive
Gegnerbekämpfung. Das heizt die Gewaltspirale an und hat viele zivile Opfer zur Folge. Ich möchte an einen Bericht von Human Rights Watch erinnern; er ist im
September erschienen. Darin wird aufgezeigt, dass sich
die Zahl der Zivilopfer verdreifacht hat, vor allen Dingen
durch ungeplante Luftangriffe. Laut UNAMA gab
es noch nie so viele Opfer wie im August dieses Jahres.
Das hat, auch wenn 90 Prozent der Anschläge im Süden
und Osten passieren, eine verheerende delegitimierende
Wirkung auf den gesamten Afghanistan-Einsatz. Dies
wird auch im Norden wahrgenommen; die Menschen
diskutieren darüber. Auch die Menschen in Afghanistan
wollen einen Strategiewechsel und nicht, dass das Ganze
nach Pakistan ausgeweitet wird. Daher brauchen wir
endlich diesen Kurswechsel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Allein ISAF muss sich darauf konzentrieren, den Schutz
der afghanischen Bevölkerung und den Wiederaufbau zu
sichern.
Das Problem ist: Sie sind sich in der Koalition leider
nicht so richtig über die Linie einig. Wir haben gerade
Herrn Ramsauer gehört. Er will eine Exitstrategie, meint
damit aber keine Befristung. Was damit gemeint ist, verstehen
nur die Bayern.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich habe es nicht verstanden.
Herr von Klaeden fordert dagegen mehr Soldaten.
Der Außenminister will die KSK zurückziehen. Der Verteidigungsminister
hingegen fordert AWACS. Und die
Bundeskanzlerin schweigt. Ich fordere die Bundeskanzlerin
auf, das Chaos in der Koalition in Sachen Afghanistan
zu beseitigen und offensiv gegenüber den Verbündeten
und der Öffentlichkeit für den notwendigen
Kurswechsel einzutreten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Statt AWACS und noch mehr Soldaten einzusetzen,
muss der zivile Wiederaufbau endlich absolute Priorität
erhalten; sonst verschärft sich die Schieflage zwischen
militärischem und zivilem Beitrag weiter. Da reicht es
nicht, die zivilen Ausgaben leicht zu erhöhen. Entwicklungsorganisationen
wie VENRO und Caritas haben es
noch einmal dargelegt: Eine massive Aufstockung der
Mittel ist erforderlich, um eine nachhaltige Entwicklung
in Afghanistan zu erreichen. Wir fordern zudem, dass
auch das deutsche zivile Engagement in das Mandat aufgenommen
wird. Übrigens sind wir uns hier mit dem
Deutschen Bundeswehr-Verband einig, der diese Forderung
heute auch aufgestellt hat.
Wenn wir das Ganze zum Erfolg führen wollen, muss
die Devise also lauten: Nicht kleckern, sondern klotzen.
Wenn es uns nicht gelingt, die Herzen der Afghanen zu
gewinnen, dann, befürchte ich, wird der Einsatz scheitern.
Wir sollten alles versuchen, um das zu verhindern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef
Dzembritzki, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Detlef Dzembritzki (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte zeigt, dass im Haus eine große Übereinstimmung
darüber herrscht, wie mit dem ISAF-Mandat umzugehen
ist. Es gibt eine Fraktion, die das völlig anders
sieht. Frau Kollegin Knoche, Sie haben die Situation eines
Nachkriegslandes beschrieben. Einige Ihrer Bemerkungen
– das ist überhaupt nicht zu bestreiten – sind sicherlich
zutreffend. Es wäre auch überraschend, wenn
man Afghanistan, das 30 Jahre Bürgerkrieg und Okkupation
erlebt hat, nach einer solch langen Phase, die wir
hier zu betrachten haben, als ein befriedetes Land bezeichnen
könnte, in dem sämtliche Strukturen funktionieren
und die Aufbauarbeit abgeschlossen ist.
(Dr. Peter Struck [SPD]: So ist es!)
Ich denke, die Regierung ist der Aufforderung gefolgt,
hier alles zu tun, um für eine friedliche Entwicklung
Impulse zu geben. Das konnten wir tatsächlich erleben.
Der Außenminister hat in seiner realistischen
Darstellung beschrieben, wie sich die Regierung eingebracht
hat. Ich erinnere an die Diskussion, die wir im
Zusammenhang mit der Paris-Konferenz geführt haben.
Auf dieser Konferenz wurde eine Art Zwischenbilanz
gezogen; vor allen Dingen hat die internationale Gemeinschaft
erneut bekräftigt, dass sie sich auch in Zukunft
in Afghanistan engagieren will. Es ist unbestritten,
dass wir im Rahmen unseres internationalen Engagements
– ich habe das hier schon des Öfteren eingefordert –
mehr tun sollten, um die Effektivität, die Kooperation,
die Koordination zu verbessern. Ich hoffe, dass im Zusammenhang
mit den Aktivitäten des UN-Repräsentanten,
Herrn Eide, weitere erkennbare Impulse gesetzt werden.
Wir sind uns einig, dass die Hilfe zur Eigenverantwortung
in Afghanistan im Vordergrund stehen muss.
Ich denke, dass alle Aktivitäten, die von uns eingebracht
werden, diesem Ziel dienen.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Wir müssen an dieser Stelle noch einmal deutlich machen,
dass die afghanische Regierung, Präsident Karzai,
nicht aus der Verantwortung entlassen werden kann, dass
sie einen Gutteil Bringschuld gegenüber der internationalen
Gemeinschaft und insbesondere gegenüber der afghanischen
Bevölkerung tragen muss.
(Beifall bei der SPD)
Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde
legen, dass nämlich die Korruption im Land nicht genügend
bekämpft wird, dass es eine mangelnde Bereitschaft
der Regierung gibt, sich des Problems des Drogenanbaus
anzunehmen. In dieser Situation sollte die
internationale Gemeinschaft ihre Interessen gemeinsam
stärker einbringen. Ich höre, dass Regierungsumbildungen
in Kabul anstehen: Möglicherweise wird der Innenminister ausgetauscht; möglicherweise soll der Bildungsminister
in diesem Bereich tätig werden. Eventuell
werden dort Schritte eingeleitet, die in unserem Sinne
sind.
Aus meiner Sicht – das ist auch schon von anderen
Kollegen angesprochen worden – ist es absolut notwendig,
die regionale Zusammenarbeit zu verstärken. Wir
müssen die großen Nachbarn, Pakistan und Iran, viel
stärker mit einbeziehen. Die Lage in Pakistan ist nach
den Wahlen und der Regierungsbildung nicht unbedingt
einfacher geworden. Andererseits ist es aber so, dass es
in den Provinzen Verantwortungsträgerinnen und -träger
gibt, die sich nicht dem Fundamentalismus angeschlossen
haben, sondern ganz bewusst auf Säkularisierung,
Veränderung und Reformen setzen. Ich denke, dass solche
Kräfte massiv unterstützt werden müssen.
(Beifall bei der SPD)
In der Diskussion darüber, ob wir uns für die Verlängerung
des ISAF-Mandats – ich glaube, in großer Mehrheit
wird das der Fall sein – aussprechen sollten, ist zu
unterstreichen, dass diejenigen recht haben, die sagen:
Militärisch ist das Land nicht zu gewinnen. Wir können
dieses Land nur gewinnen, wenn wir den zivilen Aufbau
bewerkstelligen,
(Beifall bei der SPD)
wenn wir die entsprechenden Infrastrukturen und vor allen
Dingen die Instrumente für eine innere Sicherheit
schaffen. Ich finde, dass wir nicht immer nur über Polizei
und Militär sprechen und dabei die Justiz vernachlässigen
dürfen.
Herr Dr. Hoyer, Sie hatten angesprochen, dass man
für die Polizei ebenfalls ein Mandat vorsehen sollte.
Darüber kann man diskutieren. Vielleicht sollten wir uns
aber bei dieser besonderen Herausforderung, die in Afghanistan
zu meistern ist, auf völlig andere Konzepte
einlassen und ein Paket schnüren und festlegen, wie wir
uns die Zusammenarbeit in Afghanistan vorstellen.
Wenn Sie davon sprechen, dass die Polizisten einbezogen
werden sollen, fragt man sich: Was ist mit den zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich manchmal
noch beträchtlicheren Risiken aussetzen?
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das wäre genau dieses Mal gut
gewesen!)
– Herr Kollege Nachtwei, ich finde es äußerst angenehm,
in dieser Debatte die große Kollegialität von
jenen zu spüren, die sich intensiv mit Afghanistan beschäftigt
haben. Denn deren Meinungen und Einschätzungen
weisen eine unwahrscheinlich große Schnittmenge
auf. Deswegen sollte man weiter daran arbeiten.
Mein Bemühen ist, die Opposition an unsere Seite zu bekommen,
weil es wirklich absolut schädlich wäre, wenn
es in dieser Frage eine Polarisierung gäbe.
Die Herausforderung besteht darin, dass wir mit einer
stärkeren Verbindlichkeit und größerer Effektivität in
diesen zivilen Aufbau einsteigen und dass wir die Bevölkerung
stärker einbeziehen – wie zum Beispiel die Kanadier,
die mit Benchmarking-Systemen operieren. Ich
möchte mich bei der Bundesregierung dafür bedanken,
dass die Informationen weitaus besser und intensiver geworden
sind. Aber eine noch stärkere Einbeziehung
wäre möglich.
Ich möchte nun zum Ende kommen, da meine Redezeit
abgelaufen ist. Meine persönliche Erfahrung ist
– das habe ich schon einmal gesagt –: Mehr Informationen
tragen zu mehr Verständnis bei.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ehrliche Informationen sind
wichtig!)
Zurückgehaltene Informationen tragen zu Missverständnissen
und Unsicherheit in der deutschen Bevölkerung
bei. Wir sollten mit der Afghanistan-Politik nicht deutsche
Innenpolitik, sondern wirklich Außenpolitik machen,
eine Außenpolitik, die sich gegenüber der UN und
den Afghanen solidarisch verhält.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger
von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Birgit Homburger (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Außenminister hat vorhin in seiner Einführung deutlich
gemacht, dass wir heute in erster Lesung über die Verlängerung
des ISAF-Mandats sprechen. Er hat aber in
diesem Zusammenhang auch zwei andere Punkte angesprochen:
die Beteiligung an der Operation Enduring
Freedom und die Frage der AWACS-Aufklärung.
Herr Minister, an dieser Stelle muss ganz deutlich gesagt
werden, dass natürlich darüber gesprochen werden
kann, ob das Mandat für 100 KSK-Soldaten im Rahmen
der Operation Enduring Freedom verlängert wird oder
nicht, zumal diese seit Jahren nicht im Einsatz waren
und auch nicht mehr eingesetzt werden sollten; so viel
war ja klar. Das wird aber in der Absicht gemacht, zu
suggerieren, dass eine Beteiligung an der Operation
Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehr stattfindet.
Sie sollten so ehrlich sein, dem Deutschen Bundestag
und der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Wenn es zu
der AWACS-Aufklärung, für die Sie sich einsetzen,
kommt, wird nicht zwischen ISAF und OEF oder zwischen
zivil und militärisch unterschieden werden können.
(Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE
LINKE] und Claudia Roth [Augsburg]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es wird alles umfassen. Das bedeutet, dass man dadurch
selbstverständlich am OEF-Mandat beteiligt ist. Herr
Minister, das sollten Sie in aller Deutlichkeit sagen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)
Wir haben hier und heute viel über den Aufbau gehört.
Wir haben gehört, dass der Aufbau Fortschritte
macht. Gleichzeitig verschlechtert sich allerdings die
Sicherheitslage. Die Gespräche, die ich im Rahmen eines
Delegationsbesuchs in der vergangenen Woche in
Afghanistan führen konnte, bestärken mich in dem Eindruck,
dass der Fortschritt für die Verschärfung der
Sicherheitslage ursächlich ist. Die Taliban, die Aufständischen
werden dadurch, dass sich die Situation verbessert,
geradezu herausgefordert, Widerstand zu leisten.
Deswegen steigt die Bedrohung für Polizisten, Entwicklungshelfer,
Landarbeiter oder auch Lehrer.
Es gibt aber auch ermutigende Zeichen der Zivilcourage.
Ein Beispiel aus der letzten Woche: Im Süden Afghanistans
ist eine Schule mit internationaler Hilfe aufgebaut
worden. Als die Taliban kamen und diese Schule mit
Bulldozern niedermachen wollten, hat sich die Bevölkerung
dazwischengestellt und gesagt: Nein, wir wollen,
dass diese Schule betrieben wird. – Das zeigt: Die Menschen
wollen den Fortschritt. Wir sollten sie dabei unterstützen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der SPD)
Der Erfolg in Afghanistan ist nicht allein mit immer
mehr Militär zu erreichen; aber die militärische Absicherung
ist notwendig. Keine Krankenschwester, kein
Lehrer, kein Entwicklungshelfer kann auf Dauer ohne sicheres
Umfeld arbeiten. Darum brauchen wir die militärische
Absicherung nach wie vor. Es gibt viele Beispiele.
So wurde zum Beispiel versucht, Straßen zu blockieren.
Erst nachdem das Militär die Straßen von den Aufständischen
freigeräumt hatte, konnte UNAMA mit dem Wiederaufbau
weitermachen. Genau diesen Weg müssen wir
weitergehen. Dafür brauchen wir schlicht und ergreifend
auch das Militär.
Frau Kollegin Knoche, ich komme jetzt einmal auf
Sie zu sprechen. Sie haben gesagt, dass Zivilpersonen
ums Leben gekommen sind. Das ist in der Tat richtig
und bedauerlich. Wir alle haben hier mehrfach deutlich
gemacht, dass alles getan werden muss, um Schäden an
der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sie aber haben
suggeriert, das Militär habe das verursacht. Das stimmt
natürlich in keiner Weise. Es sind deutlich mehr Zivilisten
durch Selbstmordattentate und Anschläge ums Leben
gekommen. Das Militär bedroht die Zivilbevölkerung
nicht. Wir alle haben heute ein Schreiben der Gesellschaft
für bedrohte Völker erhalten. Ich zitiere:
Nun auf halbem Wege die Mission abzubrechen, ist
keine glaubwürdige Alternative, da ohne die
Schutztruppe die Sicherheit der Zivilbevölkerung
nicht gewährleistet ist.
Dem schließe ich mich an.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der SPD)
Der Ansatz der vernetzten Sicherheit – diesbezüglich
formulieren wir eine deutliche Bitte an die Bundesregierung
– ist richtig. Wir haben dieses Thema mehrfach hier
besprochen und beschlossen, den Wiederaufbau in den
Mittelpunkt zu stellen. Nur, mehr Geld allein reicht
nicht. Es mangelt auch nicht an Papieren, sondern,
meine Damen und Herren von der Regierung, an der
Umsetzung. Beim PAT in Taloqan haben wir folgende
Situation: Die Bundeswehr ist vor Ort. Es handelt sich
um eine Region, die dringend der Unterstützung beim
Wiederaufbau bedarf. Wir haben dieser Region Unterstützung
zugesagt. Den ganzen Sommer über aber war
die zuständige Stelle vom BMZ, vom Entwicklungshilfeministerium,
nicht besetzt. Wir haben wertvolle Zeit
verloren, die wir dringend für die Durchführung ziviler
Maßnahmen gebraucht hätten. Solche Fehler bei der Koordination
dürfen der Bundesregierung nicht passieren.
Sie müssen zukünftig vermieden werden.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried
Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist wichtig, dass wir die Zeit, die wir haben – sie
läuft uns ein Stück weit davon –, nutzen, um für selbsttragende
Sicherheit zu sorgen. Deswegen sage ich an
dieser Stelle ganz deutlich: Herr Minister, Sie haben vorhin
gesagt, dass die Bundesregierung beschlossen hat,
die Zahl der Polizisten zu erhöhen. Wir stehen diesbezüglich
voll auf Ihrer Seite. Ich möchte aber auch deutlich
machen: 60 deutsche Polizisten wurden zugesagt,
im Augenblick sind aber nur 33 vor Ort. Hinzu kommt,
dass die meisten dieser Polizisten nicht mit der dringend
erforderlichen Polizeiausbildung beschäftigt sind. Sie
sind im Bereich der strategischen Beratung mit der Ausarbeitung
von Papieren beschäftigt. Das ist eine Fehlallokation
von Ressourcen. Sie haben gesagt, dass Sie
erkannt haben, dass an dieser Stelle gehandelt werden
muss. Wir möchten Sie bitten, diesen Worten endlich Taten
folgen zu lassen. Ändern Sie die Struktur der Hilfe
beim Polizeiaufbau! Das ist dringend notwendig, damit
wir Sicherheit in Afghanistan ermöglichen können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich denke, angesichts dieser Debatte fragen sich
viele Bürgerinnen und Bürger: Warum sind so viele Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan?
Bei all dem, was hier vorgetragen wird, darf meines Erachtens
nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Anschläge
des 11. September 2001 in New York von Afghanistan
ausgegangen sind und dass wir in Afghanistan
fast 30 Millionen Menschen von der Terrorherrschaft der
Taliban befreit haben, aber auch, dass wir heute eine internationale
Bedrohungslage haben und es deshalb wesentlich
klüger ist, die Gefahren an der Quelle zu beseitigen, dort, wo sie entstehen, bevor sie in wesentlich größerer Dimension unser eigenes Land erreichen. Deshalb
ist der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten zur
Stabilisierung in Afghanistan auch ein Beitrag für die Sicherheit
der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik
Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Ich denke, dass unsere Strategie der vernetzten Sicherheit
oder, wie wir es jetzt in der NATO durchgesetzt
haben, des Comprehensive Approach, des umfassenden
Ansatzes, richtig ist. Ohne Sicherheit keine Entwicklung,
aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit! Wir
müssen die Herzen und die Köpfe der Menschen dort gewinnen.
Das gelingt uns mit unserer Strategie. Ich war
gerade in Afghanistan. Wenn Sie beispielsweise von
Kunduz nach Faizabad fliegen und die Menschen Ihnen
zuwinken und sich freuen, dass die Bundeswehr dort im
Einsatz ist, wenn Sie mit dem Gouverneur sprechen,
Frau Knoche, der Ihnen sagt, dass 90 Prozent der Bevölkerung
für den Einsatz der Bundeswehr dankbar sind,
dann wird deutlich, dass diese Strategie richtig ist.
Frau Knoche, Sie haben hier versucht, den tragischen
Zwischenfall am Kontrollpunkt politisch zu instrumentalisieren.
Der Gouverneur hat mir gesagt: Schuld war der
Fahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf die Gruppe
zugefahren ist. Hier musste die Schutzfunktion vonseiten
unserer Soldaten ausgeübt werden. Ich weise Ihre
Unterstellung mit Nachdruck zurück und unterstütze unsere
Soldaten in diesem schwierigen Einsatz für unsere
Sicherheit.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen. Aber
unser Ziel – das war ein Punkt, den wir auf dem Gipfel
in Bukarest beschlossen haben – ist eine Gesamtstrategie;
ich habe es Erfolgsstrategie genannt. Das heißt im
Klartext: Wir brauchen ausgebildete afghanische Streitkräfte
und Polizisten. Deshalb ist unsere Absicht, die
Ausbildung zu verstärken. Wir wollen im nächsten Jahr
7 500 afghanische Streitkräfte ausbilden. Wir werden
unseren Einsatz für die Ausbildung der Polizei verdoppeln,
weil es letztlich darum geht, Afghanistan in die
Lage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen,
und damit auch eine Erfolgsstrategie, eine Gesamtstrategie
für Afghanistan umzusetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Lassen Sie mich hinzufügen: Wir haben, denke ich,
schon viele Erfolge erreicht. Wir haben allein im Norden
Afghanistans 830 Projekte umgesetzt, die Infrastruktur,
Energie, Wasserversorgung, Schulen, Kindergärten und
Krankenhäuser umfassen. Ich war jetzt in der Amani-
Oberschule. Dort können Sie sehen, wie Schülerinnen
und Schüler fröhlich zusammen lernen; sie haben eine
Zukunftsperspektive. Sie müssen doch zur Kenntnis
nehmen, Frau Knoche, dass unter den Taliban Mädchen
überhaupt nicht in die Schule durften.
(Monika Knoche [DIE LINKE]: Wer hat die
Taliban in die Regierung gebracht?)
1 Million Kinder war damals in den Schulen; jetzt sind
fast 7 Millionen Kinder in den Schulen. Wir haben
80 Prozent der Gesundheitsversorgung sichergestellt.
5 Millionen Flüchtlinge sind nach Afghanistan zurückgekehrt.
In einer Umfrage haben die Menschen bestätigt,
dass sie sich auch und gerade durch unseren Einsatz wieder
sicherer fühlen. Man darf die Erfolge, die durch unseren
Einsatz zur Stabilisierung in Afghanistan erreicht
worden sind, nicht verschweigen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen und
Soldaten absolvieren dort einen riskanten Einsatz, verbunden
mit Gefahren für Leib und Leben. Wir haben in
diesem Einsatz bereits 28 Soldaten verloren. Ich denke,
es ist wichtig, immer wieder darzustellen, vor welchen
Herausforderungen die Bundeswehr dort steht. Meines
Erachtens kann uns der Einsatz unserer Soldatinnen
und Soldaten mit Dankbarkeit erfüllen. Sie sind dort in
einer Art und Weise engagiert, dass der Ansatz der vernetzten
Sicherheit umgesetzt und das Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland gemehrt wird. Ich bin unseren
Soldatinnen und Soldaten dankbar für ihren Einsatz, den
sie im Interesse unserer Sicherheit leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Herr Lafontaine, weil Sie gerade hier sind, spreche
ich Sie sehr konkret an. In den Gesprächen mit den Soldaten
spüre ich immer wieder, dass sie es geradezu als
eine Unverschämtheit empfinden, wenn Sie unsere Soldatinnen
und Soldaten in die Ecke von terroristischen
Aktivitäten rücken. Dies ist eine Beleidigung unserer
Soldaten und hat meines Erachtens mit der Realität
nichts zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Wegen der mit dem Einsatz verbundenen Gefahren ist
es notwendig, dass wir alle Voraussetzungen schaffen,
damit unsere Soldaten ihren Auftrag dort gut erfüllen
können. Wir haben mittlerweile über 700 geschützte
Fahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Nationen
dort. Wir haben die Aufklärung verstärkt. Wir haben
zusätzliche Verstärkungstruppen dorthin geschickt, weil
wir aufgrund der Verschärfung der Sicherheitslage, die
unbestritten eingetreten ist, mehr Flexibilität brauchen.
Deshalb wollen wir auch die Mandatsobergrenze um
1 000 erhöhen, allerdings nicht, um sofort 1 000 Soldaten
mehr dorthin zu schicken, sondern um flexibler zu
sein, um in der Ausbildung und für eine eventuelle Verstärkung
zum Schutz unserer Soldaten mehr tun zu können.
Auch die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr
sollten wir im Blick behalten.
Ebenso wichtig ist es aber, dass wir die Situation in
Pakistan im Blick behalten. Ich war gerade in Pakistan
und habe dort sowohl mit dem Ministerpräsidenten als auch dem Außenminister, dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef gesprochen. Meines Erachtens
ist es gut und richtig, wenn wir in Kooperation mit
Pakistan, Afghanistan und der NATO dafür sorgen, dass
die bestehende Situation an der Grenze zwischen Afghanistan
und Pakistan sicherer wird; denn das Grenzgebiet
ist ein Rückzugsgebiet für die Taliban und dient dem
Nachschub von terroristischen Aktivitäten nach Afghanistan.
Deshalb ist es richtig, wenn wir hier zu einer Kooperation
kommen, auch im Interesse des Schutzes unserer
Soldatinnen und Soldaten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie
um Ihre Unterstützung für den Einsatz unserer Soldatinnen
und Soldaten in Afghanistan; denn dieses Land darf
nicht zurückfallen und wieder zum Ausbildungscamp für
den Terrorismus werden. Wer heute einen Rückzug propagiert,
gefährdet damit auch die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger. Für ihren gefährlichen Einsatz im
Interesse unserer Sicherheit haben unsere Soldatinnen
und Soldaten eine breite Unterstützung dieses Hohen
Hauses verdient.
Haben Sie recht herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist
der Aufbau in Afghanistan gescheitert? Wer das behauptet,
verzerrt die Wirklichkeit in Afghanistan.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Diejenigen, die in Masar, in Herat, in Kundus und an anderen
Stellen in Afghanistan waren, haben es erlebt: Es
geht einiges voran; das ist unbestreitbar. Wer einen Sofortabzug
fordert, setzt diese Fortschritte aufs Spiel und
fordert de facto einen Rückfall Afghanistans in die frühen
90er-Jahre, in den Bürgerkrieg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Der Aufbau verläuft jedoch viel zu langsam. Er findet
viel zu wenig in der Fläche – auf dem Land – statt, und
ist auch angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums
viel zu schwach. Außerdem ist er aufgrund der immer
schlechteren Sicherheitslage akut gefährdet.
Im Süden und im Osten des Landes sind inzwischen
einige Zehntausend Soldaten im Einsatz. Dennoch hat
die Zahl der Zusammenstöße und Anschläge zugenommen;
in vielen Distrikten herrscht eine Situation, die einem
asymmetrischen Krieg gleicht. Im Norden und im
Westen des Landes sind viel weniger Soldaten im Einsatz,
nur einige Tausend. Sie haben es vor allem mit Angriffen
einsickernder aufständischer Gruppen zu tun, gegen
die sie sich wehren müssen. Im Rahmen von ISAF
lässt man sich allerdings nicht darauf ein, auf die Aktionen
der Aufständischen kriegerisch zu reagieren. Man
handelt nach wie vor sehr besonnen. Das haben wir vor
Ort beobachten können.
In Afghanistan sind zwei Dynamiken festzustellen:
eine negative, destruktive Dynamik und eine positive,
konstruktive Dynamik. Mein inzwischen leider sehr verhärteter
Eindruck ist, dass die negative Dynamik zurzeit
deutlich größer ist als die positive. Soll ein solch negativer
Trend gestoppt und umgekehrt werden, bedarf es
ganz besonderer Anstrengungen: auf afghanischer, auf
internationaler und auf deutscher Seite.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was tut die Bundesregierung? Ich sage ausdrücklich:
Die Verlängerung des ISAF-Mandats ist richtig und
unverzichtbar. Die Aufstockung der Obergrenze des
Bundeswehrkontingents ist im Hinblick auf die Flexibilität,
die Wahlen und die Ausbildungsunterstützung militärisch
plausibel. Wie wir wissen, führt das Militärische
allein aber nicht zum Erfolg. Daher frage ich: Was geschieht
darüber hinaus? Was das Afghanistan-Konzept
der Bundesregierung angeht, muss ich sagen: Nachjustieren
reicht nicht aus. In diesem Konzept wird lediglich
hier und da nachjustiert. Insgesamt setzen Sie aber Ihre
halbherzige Afghanistan-Politik fort. „Halbherzigkeit“
ist übrigens ein Begriff, den die Einsatzkräfte vor Ort
verwendet haben, nicht etwa ein Wortgebilde der Opposition.
Wo ist nach sieben Jahren Afghanistan-Engagement
eine ehrliche und ungeschönte Bestandsaufnahme? An
dieser Stelle schließe ich die Fehler und Fehleinschätzungen,
zu denen es unter Rot-Grün gekommen ist und
die wir mitverantworten müssen, ausdrücklich ein. Wenn
man in der Afghanistan-Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen
will, dann muss man schließlich auch sagen,
wo man sich selbst geirrt hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wo ist der regionale Stabilisierungsansatz, in dessen
Rahmen nicht nur Pakistan – davon war gerade die Rede
–, sondern auch Indien, Iran und die zentralasiatischen
Anrainer einbezogen werden? Wo ist die Klärung des
faktischen strategischen Dissenses zwischen den verschiedenen
Teilnehmerstaaten der NATO? Wo sind im
Hinblick auf das deutsche Engagement die realistischen
und ehrgeizigen Ziele, durch die Perspektiven für die
Verantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und für
einen Abzug in absehbarer Zeit eröffnet werden? Wo ist
die Aufbauoffensive – hier spielt die Förderung der
Landwirtschaft eine große Rolle –, und wo ist eine ausgewogene
zivil-militärische Zusammenarbeit?
Afghanistan braucht einen langen Atem. Kai Eide und
die ISAF-Generale haben betont, dass uns die Zeit wegläuft.
Die meisten hier im Saal sind sich einig: Wir wollen die Menschen in Afghanistan nach 30 Jahren Krieg nicht im Stich lassen. Aber eine Politik, die den Ernst der
Lage nicht erkennen lässt, untergräbt den Sinn dieses
Einsatzes und den Sinn des Engagements der vielen fantastischen
Leute, die vor Ort im Einsatz sind: der Diplomaten,
der Soldaten, der Polizisten und der Entwicklungshelfer.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Ursula Mogg hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Ursula Mogg (SPD):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
heute in erster Lesung über die Fortsetzung unseres
ISAF-Mandats, und ich denke, wir haben jeden Grund,
das mit großer Ernsthaftigkeit zu tun. Die Präsenz heute
im Plenum des Deutschen Bundestages ist für mich ein
Beleg dafür, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dies auch so sehen.
Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit,
mich vor Ort in Afghanistan zu informieren und viele
Gespräche zu führen. Deshalb ist es mir ein besonderes
Bedürfnis, zu Beginn meines Beitrages diese Ernsthaftigkeit
und all die Fragen anzusprechen, um die es im
militärischen und sicherheitspolitischen Bereich im Kern
geht. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, warum
wir in Afghanistan sind. Ich habe nämlich in vielen
Debatten den Eindruck gewonnen, dass in der Öffentlichkeit
in Vergessenheit geraten ist, weshalb wir in
Afghanistan sind. Wir sind in Afghanistan, weil durch
die Ereignisse am 11. September 2001 all unsere sicherheitspolitischen
Vorstellungen, die wir bis dahin hatten,
auf den Kopf gestellt wurden.
Wir diskutieren über diese Fragen auf der Basis eines
UN-Mandats, das gerade wieder verlängert worden ist.
Wir beziehen uns auf ein Konzept, das mit dem Namen
Petersberg verbunden ist, wir beziehen uns auf den
Afghanistan Compact und auf die Konferenz in Paris. Es
ist mir auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass bereits
in dem Namen dieses Mandats, ISAF, enthalten ist,
dass es um „Assistance“ geht, um die Unterstützung der
afghanischen Bevölkerung. Es handelt sich also nicht
um einen Anspruch, militärisch vorzugehen. Dass ein
langer Atem für diesen Einsatz gebraucht wird, haben
viele Vorredner bereits angesprochen. Ich erinnere mich
noch sehr gut an Präsident Karzai in Bukarest, wo er mit
Blick darauf, dass Afghanistan kein Failed State, sondern
ein Destroyed State ist, ebenfalls einen langen
Atem gefordert hat.
Wir beraten heute über 1 000 zusätzliche Soldaten für
dieses Mandat. In den Debatten, die wir führen, wird immer
wieder die Frage gestellt, ob die Aufstockung eine
weitere Militarisierung unseres Einsatzes bedeutet. Ich
möchte ausdrücklich sagen: Nein, das bedeutet sie nicht.
Sie alle kennen den Vergleich mit dem, was wir auf
dem Balkan, im Kosovo, militärisch geleistet haben, und
Sie kennen die Größenverhältnisse. Für Kosovo haben
wir in der Spitze über 4 500 Soldaten gesprochen. Über
so viele Soldaten diskutieren wir heute auch für Afghanistan.
Das Kosovo ist so groß wie das Bundesland Hessen.
Unser Zuständigkeitsbereich in RC North ist halb so
groß wie die gesamte Bundesrepublik.
Im Übrigen müssen wir uns immer wieder verdeutlichen,
dass wir im Deutschen Bundestag über den Einsatz
der Bundeswehr und militärischer Mitteln diskutieren.
Wir diskutieren aber nicht – Herr Kollege Hoyer, hier
bin ich sehr nahe bei Ihnen – über die Einsätze unserer
Polizisten im Rahmen eines Mandats, auch nicht über
den Einsatz unserer NGOs und auch nicht über all das,
was unsere Diplomatinnen und Diplomaten in Afghanistan
leisten.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass „Mandatsobergrenze“
aus der Sicht der Soldatinnen und Soldaten das
Unwort des Jahres 2008 ist. Vor wenigen Tagen hat mir
in Afghanistan eine Soldatin berichtet, dass sie vier Wochen
lang auf gepackten Koffern saß und fortgesetzt unterschiedliche
Nachrichten darüber erhalten hat, ob sie
nun in den Einsatz geht oder nicht. Das ist für die Soldatinnen
und Soldaten in der Tat eine schwierige Situation.
Warum sind weitere Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan nötig? Sie sind notwendig, weil wir mehr
Flexibilität brauchen, um auf unvorhergesehene Sicherheitslagen
reagieren zu können. Daneben wollen wir uns
in geeigneter Weise auf die Situation rund um die Präsidentschaftswahl
im kommenden Jahr vorbereiten. Das
ist also absolut nachvollziehbar.
Es wird viel gefordert, zum Beispiel, dass wir ein
Ausstiegsszenario haben müssen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ein solches Szenario gibt es. Das haben
wir in Bukarest beschlossen, und zwar entlang der Frage,
wie wir in Afghanistan in der Lage sind, Polizei- und
Militärkräfte auszubilden und aufzubauen. Dafür gibt es
auch Zeitlinien. Insofern kann ich nur dringend raten, all
das zu berücksichtigen, was wir schon in der Vergangenheit
diskutiert und beschlossen haben.
Es wird auch viel über das Verhältnis von zivilen
und militärischen Mitteln diskutiert, die wir einsetzen.
Es wurde schon angesprochen, dass wir eine militärische
Flankierung brauchen, wenn wir im zivilen Bereich tätig
werden wollen; ohne diese Flankierung geht es leider
nicht. Es ist mir aber auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen,
dass wir die Mittel für den zivilen Bereich aufgestockt
haben, aber dass es nicht allein um mehr Geld
gehen kann. Die Mittel müssen auch abfließen und in
Projekte umgesetzt werden können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich gestehe offen und ehrlich: Die Sicherheits- und
Verteidigungspolitikerinnen und -politiker der SPDFraktion
hätten sich bei der Bekämpfung des Drogenanbaus
ein bisschen mehr Butter bei die Fische gewünscht. Es geht nicht darum, Felder abzubrennen oder den Bauern die Existenzgrundlage zu nehmen, sondern
darum, beispielsweise Wege zu sperren oder Labore
stillzulegen. Dazu hätten wir uns ein bisschen mehr gewünscht
als die Formulierung im Antrag der Bundesregierung
zu der Mandatsverlängerung. Daran sollten wir
weiter arbeiten.
Mit Blick auf die Zeit komme ich zum letzten Punkt.
Die Bundesregierung hat in Bukarest folgende Erklärung
unterschrieben: Wir stützen uns – ich zitiere –
auf einen mittelfristigen, internen politisch-militärischen
Plan – in Übereinstimmung mit dem Afghanistan
Compact und der nationalen afghanischen
Entwicklungsstrategie –, der regelmäßig aktualisiert
wird und auf dessen Grundlage wir die Fortschritte
messen werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Ursula Mogg (SPD):
– Ich bin gleich fertig. – Jetzt kommt mein allerletzter
Gedanke: Eine Mandatsdebatte ist auch immer dazu geeignet,
eine Evaluierung herbeizuführen. Aber die zitierte
Formulierung aus der Erklärung von Bukarest ist
für uns Anlass, eine jährliche Evaluierung in einer formalisierten
Form zu fordern.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und Ihre
Geduld, Herr Präsident.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Gert Winkelmeier.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
hätte mir für heute gewünscht, dass ein Redner der Regierungsfraktion
klipp und klar erklärt hätte: Seit Wochen
steht der Termin für die erste Lesung der ISAFMandatsverlängerung
fest. Es ist eine Frechheit, dass der
Antrag der Bundesregierung zur Mandatsverlängerung
dem Parlament erst vier Stunden vor der Sondersitzung
des Bundestages vorgelegt wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Das ist eine grobe Missachtung der ersten Gewalt, und
ich bitte den Herrn Bundestagspräsidenten, dies gegenüber
der zweiten Gewalt mit der gebotenen Deutlichkeit
zu rügen.
Seit sieben Jahren hören wir an dieser Stelle immer
dieselben Argumente, wenn es um den Bundeswehreinsatz
in Afghanistan geht. Gemessen daran müsste es dort
inzwischen blühende Landschaften, eine sich selbst tragende
Wirtschaft und eine afghanische Bevölkerung geben,
die sicher leben kann und deren materielle Grundbedürfnisse
gedeckt sind. Die Realität sieht – das wissen
wir alle – anders aus. Das einzige, was dort blüht, sind
Mohnfelder.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Deren Erträge finanzieren das süße Leben der Warlords,
die auch in der afghanischen Regierung sitzen, und mancher
Gouverneure in den Provinzen.
Im Jahr 2008 zählt ISAF wöchentlich zehnmal so
viele Anschläge wie 2005 pro Monat. Die UN-Mission
in Afghanistan berichtet über einen fast 40-prozentigen
Anstieg ziviler Toter durch den Krieg im ersten Halbjahr
2008. Nun kann man einwenden, dass die Mehrzahl dieser
Opfer auf Kosten der Aufständischen geht; das bestreite
ich gar nicht. Aber erstens gibt es jährlich Hunderte
von Opfern durch die Luftnahunterstützung der
ISAF-Bodentruppen, die stets auch Unbeteiligte trifft.
Zweitens führt dieses Vorgehen dem Widerstand ständig
neue Kräfte zu. Ich frage mich, wann hier begriffen
wird, dass das die Ursache für die dramatische Verschlechterung
der Lage ist. Dafür müsste allerdings endlich
der Charakter des Krieges in Afghanistan zur Kenntnis
genommen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Der einstige Auftrag von ISAF, die afghanische Regierung
beim Wiederaufbau des Landes zu unterstützen,
ist doch unter der De-facto-Führung der USA längst zur
reinen Aufstandsbekämpfung degeneriert. Die Afghanen
wehren sich ganz einfach gegen westliche Fremdbestimmung
und eine Regierung, die sie als nicht repräsentativ
ansehen. Hat sich einmal jemand von den Mandatsbefürwortern
gefragt, was US-Bürger machen würden, wenn
ihnen ausländische Truppen ihre Vorstellungen von Demokratie
aufzwingen wollten?
Es geht nicht um die Bekämpfung des Terrorismus.
Es geht vielmehr um die Beherrschung eines Landes, das
aus US-Sicht eine strategische Schlüsselstellung gegenüber
China, Russland, Iran und den zentralasiatischen
ehemaligen Sowjetrepubliken einnimmt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Im neuen Feldhandbuch 3-7 für die US-Armee wird
glasklar und arrogant der Auftrag der Armee definiert:
Bekämpfung der Feinde – ich wiederhole: Bekämpfung
der Feinde –, die Amerikas Zugang zum Rest der Welt
und seinen globalen Einfluss begrenzen wollen. Sich an
solchen Kriegen zu beteiligen, kann nicht im deutschen
und europäischen Interesse liegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir erleben im Übrigen seit einigen Wochen, wie
auch ISAF unter der Führung der USA den schon immer
fragilen Nuklearstaat Pakistan vorsätzlich durch Angriffe
auf sein Territorium destabilisiert. Die möglichen
Folgen können alles in den Schatten stellen, was wir
zum Beispiel aus der Geschichte Kambodschas kennen,
das 1970 auf dieselbe Weise ins Chaos gestürzt wurde.
Wenn es dazu kommt, trägt die Bundesregierung die
Mitverantwortung auch dann, wenn sie militärisch nicht
beteiligt ist. Allein deswegen darf es ein „Weiter so!“
nicht geben.
Unter dem Druck der Wähler scheint nun wenigstens
die CSU nachdenklich geworden zu sein, wenn sie von
der Bundesregierung eine Ausstiegsstrategie erwartet.
Was Herr Ramsauer hier gesagt hat, ist allerdings das
genaue Gegenteil. Ich muss feststellen, dass Herr
Ramsauer für die CSU mit gespaltener Zunge spricht.
Worauf es jetzt ankommt, ist nicht die Aufstockung
des deutschen Kontingents. Vielmehr kommt es auf die
Unterstützung von Entwicklungen in Afghanistan an, die
bereits seit Monaten im Gang sind. Ich meine die Initiative
von Präsident Karzai, mithilfe befreundeter Staaten
wie Saudi-Arabien zu einer Verhandlungslösung im
Dialog mit den Taliban zu kommen. Von der Bundesregierung
ist hierzu bisher jedoch wenig zu vernehmen.
Sie sollte sich aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand
einsetzen und hierbei Unterstützung leisten, anstatt ihren
siebenjährigen Irrweg im Schlepptau der USA weiter zu
verfolgen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Bernd Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich will zwei Punkte richtigstellen. Frau
Knoche, alle Fraktionen dieses Hauses waren mit dem
Vorgehen, der heutigen Beratung und den weiteren Beratungen
in der nächsten Woche, einverstanden. Für Sie
mag es bedauerlich sein, aber Sie waren es ganz bestimmt
nicht, die uns getrieben haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Ich will feststellen: Der Verlauf der Debatte ist ein Ergebnis
vieler Beratungen in den Ausschüssen und im
Deutschen Bundestag. Es gab wohl noch kein Thema,
über das alle Fraktionen so ausführlich und mit so großer
Übereinstimmung in den Ausschüssen debattiert haben.
Das gilt auch im Hinblick auf die Opposition, die
Grünen und die FDP. Wir haben die Argumente im Ausschuss
ausgetauscht, insbesondere die kritischen Argumente,
die zum Einsatz in Afghanistan vorgetragen
wurden. Ich finde, das ist eine hervorragende Ausgangssituation
für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan.
Sie können sicher sein, dass hier zu weit über
90 Prozent Übereinstimmung über ihren Einsatz und
ihre schwere Mission besteht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat sich
sicher einiges getan, was die Sicherheit anbelangt, aber
man darf nicht pauschal urteilen. Die Zahl der Anschläge
im ganzen Land hat insgesamt zugenommen,
wobei die Zahl der Anschläge im Süden des Landes um
40 Prozent zugenommen hat, im Norden aber, wo wir
Verantwortung tragen, nur 2 Prozent dieser Anschläge
stattfinden. Das sage ich nicht zur Beruhigung, sondern
ich will deutlich machen, wie sehr sich die Lage verändert
und dass wir uns auf diese Situation einstellen müssen.
Pakistan, diese fragile Atommacht, ist sicher ein besonders
wichtiger Punkt, dem wir auf internationaler
Ebene eine besondere Bedeutung beimessen müssen.
Der Herr Außenminister ist darauf eingegangen und hat
gesagt, dass es nicht nur Gespräche gibt, sondern auch
Treffen, und dass wir gemeinsam Fortschritte erreichen
müssen; denn ohne eine Lösung der Probleme im afghanisch-
pakistanischen Grenzgebiet werden wir nicht vorankommen,
ohne ein Ende des Terrors in den Grenzgebieten
wird es keine Ruhe im Süden und Südosten
Afghanistans geben. Das sind Rückzugsgebiete für etwa
15 terroristische Gruppierungen.
Es stellt sich auch die Frage, was sich eigentlich in
unserem Land getan hat. Gewinnt die Propaganda des
Terrors die Oberhand? Erzielt der Terror durch Propaganda
und durch Drohungen gegen die Bundeswehr,
durch das Aufbauen von Druck Erfolge? Werfen Wahlen
in unserem Land – ein weiterer Aspekt – einen Schatten
auf die anstehenden Entscheidungen? Der Populismus
geht um. Wir hören die Schlagworte und haben diese
auch heute wieder „genossen“. Ich finde, wir müssen uns
einig sein. Das ist meine Einschätzung, das ist die Einschätzung
unserer Fraktion, und das ist die Einschätzung
der beiden verantwortlichen Minister. Ich bin besonders
dankbar, dass in dieser Frage kein Blatt Papier zwischen
die Position der beiden Minister passt. Das ist gut so,
und das tut uns bei der kritischen Auseinandersetzung
gut.
Wir müssen unser Engagement verstärken. Es ist
wichtig – das wurde vom Verteidigungsminister ausgeführt
–, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Partnern
verstärken. Wir müssen eine bessere Kooperation
mit der afghanischen Regierung und den ISAF-Partnern
anstreben. Dabei muss ich sagen, dass die Bemerkungen
über den Präsidenten – Stichwort „Schlafmohn“ – nicht
zum ersten Mal hier fallen. Es ist bewundernswert, dass
viele Redner verschiedener Fraktionen dies in den Ausschussberatungen
noch viel deutlicher angesprochen haben.
Es ist Propaganda, bei dem Stichwort „Schlafmohn“
auf Kinder usw. zu verweisen. Wir brauchen eine
Strategie gegen den Drogenanbau. Wir haben in Südamerika
gesehen, dass das oft nicht einfach ist.
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir noch größere Anstrengungen
bei der Ausbildung der Armee und der
Polizei unternehmen. Diesen Punkt habe ich hier schon
mehrfach angesprochen. Frau Homburger hat gesagt,
wie langsam das vorangeht, wie gering die Fortschritte
sind und dass die Führung in diesem Bereich oft von einer
Nation auf die andere übergeht. Wir müssen endlich
in Zusammenarbeit mit den Partnern zu einer verstärkten
Ausbildung kommen. Das ist notwendig. Wer über eine
Exitstrategie redet, muss wissen, dass wir uns militärisch
nur dann zurückziehen können, wenn die Afghanen
diese Arbeit selber in die Hand nehmen und für Sicherheit
sorgen können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wenn wir über Exitstrategie reden, dann hoffe ich nicht,
dass manche meinen, dass wir unsere zivilen Anstrengungen
beenden. Zivile Anstrengungen sind aber nur
dann möglich, wenn sie in einem sicheren Umfeld erfolgen.
Nur dann können zivile Projekte vermehrt durchgeführt
werden.
Ein Schwerpunkt der Debatte betraf den Strategiewechsel
und die Minimierung des Risikos für unsere
Soldaten. Es geht, sehr verehrter Herr Verteidigungsminister,
um eine bessere und vielleicht noch stärkere
Aufklärung, insbesondere im Norden. Diese Komponente
ist nur langsam verstärkt worden. Aber wer die Sprengfallen
und Anschläge beklagt, der muss auch sehen, dass
diese durch eine verstärkte Aufklärung möglicherweise
verhindert werden können. Wir haben hier sehr viel getan.
In diesem Bereich sind inzwischen 40, 50 Soldaten als
Aufklärer tätig; aber das ist noch viel zu wenig.
Wir sollten uns nicht dem Druck des Terrors beugen
oder uns durch Wahlen den klaren Blick trüben lassen
und auf halbem Weg umkehren. Unser Fazit muss vielmehr
sein, dass der Terror bekämpft werden muss. Von
dort gingen alle Anschläge, die im Westen erfolgt sind,
aus; dadurch sind die meisten Todesopfer zu beklagen.
Ich bin der Meinung, es war noch nie so wichtig wie
heute, diese Brutstätten des Terrors zu bekämpfen.
Afghanistan muss unsere ganze Solidarität spüren. Mit
Schlagworten wie „Exitstrategie“ oder „Nichtbeteiligung“
ist niemandem geholfen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der SPD und der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 16/10473 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag
auf der Drucksache 16/10479 soll an dieselben
Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.
Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 16/181, S. 19305-19321; http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16181.pdf
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