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Verteidigungsminister Jung: "Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen." - Monika Knoche (Die Linke): "Das Militär ist der falsche Helfer für dieses Land."

Der Bundestag debattierte in erster Lesung über die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes. Die Reden im Wortlaut


Am Nachmittag des 7. Oktober 2008 debattierte der Bundestag in erster Lesung über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF. Im Folgenden dokumentieren wir die ganze Debatte im Wortlaut. Es sprachen in dieser Reihenfolge:

Kritische Erklärungen aus der Friedensbewegung haben wir an anderer Stelle dokumentiert:
"Bundesregierung will Afghanistaneinsatz ausweiten


Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/181
Stenografischer Bericht

181. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008

Präsident Dr. Norbert Lammert:

(...) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) vom 22. September 2008 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksache 16/10473

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank- Walter Steinmeier.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Engagement in Afghanistan geht jetzt ins achte Jahr. Ich weiß: Das ist eine Probe für die Geduld und die langfristige Kraft der Weltgemeinschaft. Deshalb sage ich vorab drei Dinge: Erstens. Die Gründe, die uns 2001 nach Afghanistan geführt haben, gelten. Zweitens. Wir haben uns verpflichtet gegenüber einem Volk, das in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschunden worden ist. Drittens. Wir wussten von Anfang an um die Schwere der Aufgabe. Deshalb gilt gerade jetzt: Ein gegebenes Wort muss gelten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind mitten auf dem Weg. In Afghanistan sind wir mit so etwas wie einer doppelten Realität konfrontiert. Auf der einen Seite haben wir durchaus viel erreicht. 85 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu einem Arzt oder einem Krankenhaus in ihrer unmittelbaren Nähe – das war in Afghanistan vorher noch nie so –; übrigens auch dank vieler Tausend Kilometer Straßen und Brücken, die gebaut worden sind. Mehr als die Hälfte des minenverseuchten Afghanistans ist inzwischen geräumt. Auch das macht das Leben in Afghanistan in manchen Regionen sicherer. Der Wiederaufbau kommt in manchen Regionen ebenfalls durchaus voran, und zwar nicht nur in Kabul. Ich selbst habe das Beispiel des Krankenhauses in Masar-i-Scharif gesehen. Dieses Provinzkrankenhaus ist das zweitgrößte medizinische Lehrkrankenhaus im ganzen Land. 250 Krankenschwestern werden dort jährlich ausgebildet.

Wir reden über ein Land, in dem vor sieben Jahren noch Menschen gesteinigt worden sind und Musik verboten war. All denjenigen, die unsere Erfolge immer noch kleinreden wollen, muss man entgegnen: Jedes Stück Land, das ein Bauer wieder bestellen kann, jedes Kind, das in die Schule geht, jedes neue Krankenhaus und jeder Kilometer Straße sind auch ein kleiner Sieg der Menschlichkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, keiner ist naiv: Natürlich ist der Weg länger und steiniger, als wir alle uns das erhofft haben. Jedes zivile Opfer und jedes Selbstmordattentat sind ein Rückschlag, und die Rückschläge haben zugenommen – auch im Norden. Weder die internationale Staatengemeinschaft noch die afghanische Regierung – auch das ist wahr – haben die Korruption oder den Anbau und Handel mit Schlafmohn bisher wirklich in den Griff bekommen. Im Süden und Osten verunsichern nach wie vor – oder im Augenblick noch mehr – Terroristen die Bevölkerung, weil die Grenzen zu Pakistan faktisch ungesichert sind.

Das ist die Lage, wie sie sich ungeschminkt darstellt. Die Fragen lauten: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus dieser Lage? Sollen wir wirklich gehen, wenn es schwierig ist, wie manche es fordern? Sollen etwa Niederländer, Norweger, Polen und Finnen den Job machen, weil wir uns aus der Verantwortung stehlen? Wenn Länder wie wir gingen, dann wäre das nicht nur eine Verletzung der Solidarität all denen gegenüber, die da bleiben, sondern es wäre noch schlimmer: Wir würden das Ziel aufgeben, für das wir sechs, fast sieben Jahre in Afghanistan gemeinsam gearbeitet haben. Unser Aufenthalt dort war nie und ist kein Selbstzweck. Wir hatten und haben ein klares Ziel: Wir wollen, dass die Menschen in Afghanistan die Zukunft ihres Landes möglichst schnell wieder in die eigenen Hände nehmen und selbst für Sicherheit in ihrem Land sorgen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir ziehen dabei mit vielen Afghanen an einem Strang. Das haben Sie in Gesprächen bei Afghanistan- Reisen und auch bei Besuchen afghanischer Politiker und Experten hier bei uns selbst erlebt. Diese sagen: Wir wollen und wir können die Vorsorge für die eigene Sicherheit leisten. Aber jetzt brauchen wir noch die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft, und wir müssen uns vor allen Dingen darauf verlassen können, dass diese Hilfe in der nächsten Zeit noch geleistet wird. Darum geht es: Verlässlichkeit und Vertrauen. Dafür müssen auch wir stehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist der Grund dafür, dass wir uns bei unserem ISAF-Einsatz, um den es heute geht, vor allen Dingen auf die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren. Es ist eine gute Entwicklung, dass inzwischen bei 70 Prozent aller Sicherheitsoperationen in Afghanistan einheimische Sicherheitskräfte mitwirken. Außenminister Spanta hat mir das vor kurzer Zeit noch einmal berichtet. Das zeigt, dass wir insoweit auf dem richtigen Weg sind und auf diesem Weg weiter vorangehen müssen.

Das ist der Grund, weshalb wir vorschlagen, im nächsten Jahr bis zu 4 500 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen des ISAF-Mandats einzusetzen. Das sind in der Tat 1 000 Soldatinnen und Soldaten mehr als bisher. Wir brauchen sie nicht nur für die Ausbildung der einheimischen Soldaten, sondern auch für die Absicherung der kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Afghanistan.

Zudem verdoppeln wir die Zahl deutscher Polizisten im Rahmen der europäischen Polizeimission EUPOL. Das ist ein deutlicher deutscher Beitrag, der auch mit Blick auf die Bitte um Zustimmung zu ISAF zu berücksichtigen ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ein Wort noch zu den Kritikern des Einsatzes, die es gibt und die sich lautstark äußern. Bleibt bei der Kritik bitte redlich!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Niemand verfährt im Augenblick im Hinblick auf Afghanistan nach dem Motto „Weiter so“. Wir haben unser Engagement immer wieder jährlich überprüft, auch gemeinsam mit Ihnen. Wir haben überprüft, was weiterhin notwendig ist und was entbehrlich geworden ist. Wir häufen gerade nicht, wie es in mancher öffentlichen Kritik heißt, Auftrag auf Auftrag. Deshalb lautet mein Vorschlag, den Sie gelesen haben: Lasst uns, wenn wir über das ISAF-Mandat entschieden haben und wenn die Beratungen in der NATO weitergegangen sind, Ja zu AWACS und Nein zu Einsätzen, die nicht mehr gebraucht werden, sagen. Das ist das Gegenteil von „Weiter so“ und von dem, was Sie hier manchmal kritisieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, eine Art Vorratsbeschluss für einen möglichen AWACS-Einsatz zu erbitten, über den in der Sommerpause diskutiert wurde, zu dem Sie aber in dem Antrag, über den wir heute diskutieren, nichts finden – wohl wissend, dass die NATO-Diskussion stattfindet, aber noch keine Beschlüsse der NATO vorliegen. Gleichwohl hat der zivile Luftverkehr in Afghanistan erheblich zugenommen; Afghanistan verfügt jedoch ganz ohne Zweifel über kein ausreichendes Bodenradar, um den gewachsenen Flugverkehr so zu überwachen, dass die Luftfahrzeuge in Afghanistan wirklich sicher abheben und wieder am Boden landen können. Deshalb brauchen wir auch AWACS; aber das ist nicht Gegenstand der Entscheidungen, die in dieser Woche im Deutschen Bundestag zu treffen sind.

Ich habe auch gesagt – das haben Sie gesehen –, dass der Einsatz von KSK nach meiner Auffassung in Afghanistan entbehrlich geworden ist. Wir haben in den letzten drei Jahren keine KSK-Soldaten zur Verfügung gestellt. Deshalb hielte ich persönlich es auch für richtig, wenn KSK-Einsätze im Rahmen des OEF-Mandates im Verlaufe dieses Jahres ausliefen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende und sage: Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen in ihrem aktualisierten Afghanistan-Konzept den langfristigen und vor allen Dingen umfassenden Stabilisierungsansatz, der den Wiederaufbau einschließt, vorgetragen und bekräftigt. Alle anderen in Afghanistan vertretenen und engagierten Staaten folgen diesem Ansatz. Zu ihm gehört ganz ausdrücklich, dass wir die Nachbarn Afghanistans mit in den Blick nehmen, sie sogar noch sehr viel stärker einbeziehen. Selbstverständlich meine ich damit vor allen Dingen Pakistan, ein Schlüsselland für die Sicherheit und Stabilität der gesamten dortigen Region.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen Pakistan dahin bringen, eine positive Rolle bei der Stabilisierung sowie beim Wiederaufbau der gesamten Region zu spielen. Deshalb habe ich mich mit anderen am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der vergangenen Woche darum gekümmert, Pakistan in eine Gruppe einzubinden, die diesen Prozess vorantreibt. Das reiht sich in die Bemühungen ein, die wir von deutscher Seite im vergangenen Jahr während unserer G-8-Präsidentschaft bereits gestartet haben und die durch die innenpolitischen Ereignisse in Pakistan unterbrochen worden sind; das haben Sie mitverfolgt. Ich sehe jetzt gute Chancen – erste Anzeichen dafür gibt es –, dass wir mit der neuen Regierung in Pakistan zu einem geordneten Austausch zwischen dem pakistanischen Präsidenten, dem afghanischen Präsidenten und den Ministerebenen darunter kommen. Bei der Reise nach Pakistan, die ich in etwas mehr als zwei Wochen unternehmen werde, werde ich versuchen, diesen positiven Ansatz, den es zwischen den beiden Ländern gibt, weiterhin zu stützen.

Meine Damen und Herren, die Verlängerung des ISAF-Mandats ist kein „Weiter so“, sondern sie ist auf die Bedürfnisse des nächsten Jahres zugeschnitten: Wir schicken mehr Soldaten. Wir konzentrieren uns auf die Ausbildung von Soldaten und Polizisten. Wir steigern die Ausgaben für zivilen Wiederaufbau auf jetzt immerhin 170 Millionen Euro, weil wir wollen – das sage ich Ihnen aus tiefer Überzeugung –, dass die Menschen in Afghanistan den Fortschritt tatsächlich spüren, sehen und erleben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zum Schluss sage ich all jenen Danke, die sich häufig unter Einsatz ihres Lebens für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans einsetzen. Das sind unsere Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und zivilen Aufbauhelfer. Ich weiß, wir alle miteinander wissen, dass deren Aufgabe im vergangenen Jahr nicht einfacher geworden ist, im Gegenteil. Wir wissen auch, Kollege Jung, was wir der Bundeswehr dort abverlangen, und wir trauern um diejenigen, die für den Einsatz in Afghanistan mit dem Leben bezahlt haben. Allen, die den Menschen dort helfen, damit sich das Leben der Bevölkerung in Afghanistan verbessert, schulden wir Dank und Anerkennung. Sie alle haben, wie ich finde, die Unterstützung dieses Hohen Hauses verdient. Darum bitte ich Sie herzlich um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des ISAF-Mandats.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Dr. Werner Hoyer das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des ISAF-Mandats liegt seit nunmehr etwa vier Stunden vor. Noch heute, nach der anschließenden Debatte über die Lage auf den Finanzmärkten, werden die mitberatenden Ausschüsse mit der Beratung beginnen. Heute Abend wird auch der Auswärtige Ausschuss beraten und in der nächsten Woche entscheiden. Das ist ein ganz schön sportlicher Ansatz.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das stimmt!)

Ich frage mich: Wenn AWACS in diesen Antrag nicht „hineingerührt“ worden ist, warum hat man ihn dem Parlament dann nicht etwas früher vorlegen können?

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Zumindest ist damit klar, worüber wir heute nicht reden: Wir reden nicht über AWACS; dadurch fällt die Entscheidung, diesem Antrag zuzustimmen, manch einem vielleicht etwas leichter. Wir reden heute auch nicht über OEF. Der Minister hat eben auf KSK Bezug genommen. Ich denke, er meinte KSK im Rahmen von OEF und nicht etwa auch KSK im Rahmen von ISAF;

(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, natürlich!)

das muss noch geklärt werden. Denn selbstverständlich gibt es auch im Rahmen von ISAF Situationen, die einen besonderen Schutz erforderlich machen. In einem solchen Fall ist KSK nach meiner Auffassung das Mittel der Wahl.

Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über ein wichtiges Mandat, im Grunde genommen über eine Fortschreibung dessen, was es bereits gibt. Wir, die Freien Demokraten, tragen die Aufstockung um 1 000 Soldatinnen und Soldaten mit; die Begründung ist schlüssig.

Wir haben allerdings einige kritische Anmerkungen zu machen. Das tue ich aber nicht, ohne vorher namens der Freien Demokraten allen, die sich in Afghanistan bemühen und dort für uns eine sehr wichtige Aufgabe erfüllen, ganz herzlich Dank zu sagen. Das gilt insbesondere für die Angehörigen unserer Streitkräfte – um sie geht es heute –, die dort eine hervorragende Arbeit leisten. Dieser Dank gilt völlig unabhängig von der Tatsache, dass wir auch kritische Anmerkungen machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Warum sind wir eigentlich mit Soldaten, Aufbauhelfern, Polizisten und anderen Kräften in Afghanistan vertreten? Wir sind dort nicht, um anderen, auch nicht anderen im Bündnis, einen Gefallen zu tun. Wir sind dort auch nicht nur aus Solidarität mit den Afghanen; sie ist ein wichtiger Punkt, aber nicht der entscheidende. Wir sind in Afghanistan um unserer eigenen Interessen und unserer eigenen Sicherheit willen. Das müssen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern auch immer wieder deutlich vor Augen führen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen, warum wir nach Afghanistan gegangen sind. Wir wissen auch, was passieren würde, wenn wir das Land Hals über Kopf verlassen würden. Wir würden den Kräften Spielraum eröffnen, die nicht nur ihr eigenes Land terrorisieren, sondern den Terror von Afghanistan aus auch zu uns tragen würden. Um das zu verhindern, müssen wir dort weitermachen. Wir dürfen unseren Beitrag allerdings nicht im Sinne eines „Weiter so“ leisten; dazu sind schon einige wichtige Anmerkungen gemacht worden.

Herr Minister, ich verhehle keineswegs die Erfolge, die erzielt worden sind, sehe aber natürlich auch die Schwachstellen. Bei der Polizeiarbeit hat die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle übernommen.

Ich finde, dieses Kapitel ist für Deutschland ein ziemlich dunkles Kapitel.

(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn das, was in diesem Bereich von der Bundesregierung geleistet wird – das gilt nicht für die Polizeibeamten vor Ort, die eine Superarbeit leisten –, kommt einem politischen Offenbarungseid ziemlich nahe.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Die Bundesregierung hat uns einen Schlingerkurs vorgeführt, den ich beachtlich finde. Noch im Jahre 2004 hat sie voller Stolz gesagt, sie sei, wie es damals hieß, am Aufbau eines multiethnischen Polizeidienstes, und zwar landesweit und auf allen Ebenen, beteiligt. Heute wird so getan, als hätte man nie etwas anderes als die Beratung des afghanischen Innenministeriums im Sinn gehabt. Dieser Schlingerkurs rächt sich.

Ich denke, wir werden darüber nachdenken müssen, ob wir es bei unserem Beitrag zur europäischen Polizeitruppe belassen können oder ob wir nicht doch auf den großen Wunsch unserer amerikanischen Freunde eingehen sollten, auch bilateral mit ihnen gemeinsam etwas zu unternehmen; denn von ihnen wird der Großteil des Polizeiaufbaus geleistet.

Wir müssen uns darüber hinaus die Frage stellen, ob wir uns im Hinblick auf unsere Verantwortung bei der Entsendung von Polizeibeamten nicht in eine vergleichbare Situation begeben sollten wie bei der Entsendung von Soldatinnen und Soldaten. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde das Parlament die Verantwortung gegenüber den zu entsendenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geringer einschätzen als die Verantwortung, die wir qua Parlamentsbeschluss für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr übernehmen. Ich bin der Auffassung, dass wir uns überlegen sollten, ob wir hier im Hinblick auf die Bundespolizei nicht eine neue Rechtsgrundlage schaffen sollten. Dann würde auch das ständige Gezeter mit den Ländern aufhören. Letzte Bemerkung in meinem sehr kurzen Beitrag.

Am 4. November 2008 werden wir eine neue Weichenstellung der amerikanischen Politik erleben. Es wird keineswegs egal sein, wer dort das Amt des Präsidenten übernehmen wird. In jedem Fall gehe ich aber davon aus, dass die Bereitschaft zur Kooperation mit den Nachbarländern Afghanistans zunehmen wird. Das halte ich auch für außerordentlich wichtig. Am Beispiel Pakistans sehen wir doch – der Herr Minister hat das bereits gesagt –: Ohne die Zusammenarbeit bzw. das Zusammenwirken mit den Nachbarn Afghanistans wird es nicht funktionieren.

Wir haben den dringenden Ruf gehört, mit dem Iran zusammenzuarbeiten. Es wäre schön, wenn er in der Lage wäre, einmal direkt mit den Amerikanern zu reden. Es gibt das Angebot der Shanghai Cooperation Organisation, und wir wissen, dass es ohne Russland und China nicht funktionieren wird.

Ich meine, die Bundesregierung sollte im Bündnis ihren Beitrag dazu leisten, dass dieser Ansatz in und für Afghanistan, der internationaler als der bisherige ist, tatsächlich Wirklichkeit wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, ist der nächste Redner.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Neue Töne der CDU/CSU!)

Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute in erster Lesung über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats, zum siebten Mal, seit wir diese Mission begonnen haben. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir dies jedes Jahr in dieser ausführlichen parlamentarischen Weise tun. Entsprechend dem, was der Herr Außenminister gerade gesagt hat, geht es nämlich nicht um ein „Weiter so“; vielmehr müssen wir uns im Hinblick auf die deutsche Öffentlichkeit und alle Belange unserer Soldatinnen und Soldaten immer wieder, Jahr für Jahr, gründlich und sorgfältig vergewissern, ob unsere „Marschrichtung“, unsere politische Richtung, die Richtung des Einsatzes – es geht darum, wie er ausgestaltet ist und erfolgreich sein soll –, richtig und verantwortbar ist.

Im Zusammenhang mit dieser Verlängerung müssen wir uns fragen, worauf wir in den nächsten 14 Monaten insbesondere Wert legen müssen. Wir dürfen es uns bei der Beantwortung dieser Frage in der Tat nicht leicht machen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten – es sollen 1 000 mehr werden – halten auch für uns alle den Kopf hin.

Aus all den Gründen, die der Herr Außenminister schon vorgetragen hat und die uns allen bekannt sind, sage ich ein klares Ja zu dieser Verlängerung des Mandats und auch zu einer Aufstockung der Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten von 3 500 auf 4 500. Den Gegnern dieser Verlängerung sei ein kleiner – er ist zwar nicht maßgeblich, aber immerhin doch bemerkenswert – Hinweis gegeben: In wenigen Wochen werden wir uns auch mit der Verlängerung von OEF auseinanderzusetzen haben. Ende des vorletzten Jahres, also beim vorletzten Mandat, betrug die Zahl der Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von OEF 1 800. Diese werden wir voraussichtlich auf 800 reduzieren. Wenn man sich die Zahlen der beiden Mandate anschaut, die ja in gewisser Weise in einem politischen Zusammenhang zu betrachten sind, dann stellt man fest, dass wir bei ISAF die Zahl der Soldatinnen und Soldaten in derselben Größenordnung erhöhen, wie wir sie bei der OEF reduzieren.

Wir können überhaupt nicht erwarten – ich hoffe, dass das die Gegner dieses Einsatzes auch nicht tun –, dass wir die Probleme, die es in Afghanistan zu lösen gibt, über Nacht lösen. In all den Debatten – auch jetzt gerade wieder in unserer Fraktion – ist auch die Frage erörtert worden, ob man das nur militärisch erreichen kann oder ob das auch nichtmilitärisch möglich ist. Eines ist völlig klar: Die Probleme in Afghanistan werden wir niemals allein militärisch lösen können. Aber wir können ohne die militärische Komponente die Probleme dort ebenfalls nicht lösen und die Aufbau- und Stabilisierungsarbeit, die wir uns vorgenommen haben, nicht leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Unsere Absicht ist es – man kann es nicht oft genug sagen –, die dortigen Strukturen im Bereich der eigenen militärischen Kompetenzen und Fähigkeiten, der Verwaltungskräfte, der Polizei, der Infrastruktureinrichtungen und im Bildungswesen so zu stärken, dass in Afghanistan eine selbsttragende Stabilität erzeugt wird. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sicherheitskräfte für sich selbst und zur Erfüllung der gesamten Aufbauarbeit entsprechende Möglichkeiten und Ressourcen haben.

Ein wichtiger Aspekt ist vor allen Dingen, dass wir bei den militärischen und polizeilichen Sicherheitskräften in Afghanistan hinreichend Sicherheit schaffen und für eine ausreichende Entlohnung sorgen, damit die dortige Korruption und die schlimme Praxis des Seitenwechselns – manchmal je nach Tageszeit: am Tag für die einen und in der Nacht für die anderen – nachhaltig unterbunden werden. Erst dann, wenn wir alle diese Aufgaben erfüllt haben, werden unsere Soldaten nach Hause zurückkehren können.

Jetzt komme ich zu einem Punkt, der in den letzten Tagen auch durch mich angestoßen worden ist; auch Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben ihn gerade angesprochen. Ich frage Sie: Gibt es hier jemanden im Hause, der möchte, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auf Dauer in Afghanistan bleiben? Ich glaube, das will kein einziges Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber wir sind es der deutschen Öffentlichkeit schuldig, dass wir unsere Zielrichtung dartun. Wir müssen deutlich machen, worauf wir abzielen und wohin das Ganze führt.

Ich bin froh, dass wir vorletztes Jahr darauf gedrungen haben, dass unsere Soldaten zum 30. November aus dem Kongo nach Hause zurückkehren. Ich bin froh, dass wir darauf gedrungen haben, dass wir beim UNIFIL-Einsatz klare Voraussetzungen schaffen, und wir reduzieren unsere Kräfte dort weiter.

Ich bin froh – der Balkan ist ein hervorragendes Beispiel –, dass man erfolgreich auf ein Ende oder die Begrenzung eines solchen Einsatzes hinarbeiten kann und dass wir dort, insbesondere in Bosnien, den Einsatz unserer Soldaten immer stärker zurückfahren können.

Ich habe einer Agenturmeldung entnommen, dass auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer eine Befristung des Einsatzes fordert. Das ist völliger Quatsch. Eine Befristung fordert niemand.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eines muss klar sein – ich greife in diesem Zusammenhang Ihre Frage auf, Herr Steinmeier, ob wir gehen sollen, wenn es schwierig wird –: Wenn es schwierig wird, dann ist auf die Deutschen in Afghanistan Verlass; dann werden wir dort die entsprechende Flankierung leisten. Aber wenn dort die Aufgaben so zu Ende gebracht sind, dass wir das Land den eigenen Kräften überlassen können – egal, ob das in fünf oder acht Jahren der Fall sein wird; man kann sicherlich den Zeitpunkt heute nicht festlegen –, dann ist auch die Zeit für den militärischen Einsatz der Bundeswehr dort abgelaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann nicht oft genug betonen, dass wir neben den militärischen Anstrengungen auch den ganzen Bereich der nichtmilitärischen Anstrengungen eher beflügeln und ausbauen denn begrenzen müssen. Ich habe mir von den beteiligten Ressorts die Zahlen vorlegen lassen, wie viel Geld wir jeweils im militärischen und im nichtmilitärischen Bereich einsetzen. In diesem Jahr – allerdings bis zum Ende des noch laufenden Mandats gerechnet; die Monate des Anschlussmandats sind also noch nicht berücksichtigt – geben wir für den militärischen 428 Millionen Euro und für den nichtmilitärischen Bereich, einschließlich humanitärer Ausgaben, 163 Millionen Euro aus. Ich bin sofort dafür – wenn uns das in den Haushaltsberatungen, die in den kommenden Wochen vor uns liegen, gelingt –, den nichtmilitärischen Bereich weiter zu stärken. Gerade Bildung und Sicherheit stellen die Grundlagen für nachhaltige Veränderungen und Stabilität in Afghanistan dar.

Was den schon angesprochenen Schlafmohnanbau angeht: In 21 der 34 Provinzen in Afghanistan wird Mohn angebaut. Aber das tun die Bauern nicht aus Jux und Tollerei. Vielmehr müssen sie so den kärglichen Lebensunterhalt für ihre armen Familien bestreiten. Wir müssen alles daransetzen, eine alternative Wertschöpfungskette in Gang zu setzen. Es geht nicht – das wurde bereits versucht –, die Bauern dazu zu bringen, Weizen anzubauen, ohne ihnen gleichzeitig den Absatz zu sichern. Keiner der dortigen Bauern, die Weizen statt Mohn anbauen und anschließend keinen Zentner verkaufen, wird so schnell noch einmal Weizen anbauen. Wir müssen also dort die Wertschöpfungskette und die Absatzkette für alternative pflanzliche Produkte sicherstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Opiumproduktion und den Mohnanbau werden wir niemals aus Afghanistan hinausbomben können. Wir müssen vielmehr auf Mittel des zivilen Aufbaus, unter anderem auf Beratung, setzen, um den Bauern Stück für Stück eine vernünftige Alternative zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte noch einen Punkt aus Ihrer Rede aufgreifen, Herr Außenminister. Die Probleme in Afghanistan werden wir niemals lösen können, wenn wir nicht auch – Sie haben die Lage und die Zusammenhänge hervorragend beschrieben – die Probleme im Nachbarland Pakistan lösen; denn dort ist in zunehmendem Maße das neue Rekrutierungsfeld und das Aufmarschgebiet der Taliban. Nach Angaben des pakistanischen Religionsministers ist heute in Pakistan – das ist eine erschreckende Zahl – jede zehnte der mindestens 15 000 Koranschulen fundamentalistisch und extremistisch ausgerichtet. Die so ideologisch Ausgebildeten gehen dann in Militärcamps, um militärisch ausgebildet zu werden. Sie sind für die Taliban der personelle Nachschub in Afghanistan. Das können wir auf Dauer nicht hinnehmen. Wir müssen die zivilen Schulen wesentlich stärker ausbauen. Das ist unsere Aufgabe als Europäer und insbesondere als Deutsche. Arme pakistanische Eltern schicken ihre Kinder viel lieber in zivile Schulen als in die Koranschulen. Die Koranschule ist allerdings oft die einzige Alternative. Das darf nicht so bleiben. Wenn es stimmt – viel spricht dafür –, dass diese 15 000 Koranschulen maßgeblich aus saudi-arabischen Quellen finanziert werden, dann muss ich sagen: Das dürfen wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):

Ich weiß, meine Redezeit ist zu Ende.

Wir fühlen uns dem Aufbau in Afghanistan verpflichtet. Ich darf für meine Fraktion klar bekennen, dass wir zu diesem Aufbau stehen. Aber wir wollen auch klarmachen, wohin die Reise geht und unter welchen Bedingungen wir diesen Einsatz eines Tages beenden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Monika Knoche (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Herren und Damen! Diese notwendige Sondersitzung des Deutschen Bundestages zu Afghanistan gibt es nur, weil wir Linke nicht bereit waren, einem Fristverzicht zuzustimmen und diese wichtige, zentrale Frage deutscher Außenpolitik unter „ferner liefen“ in anderen Debatten abzuhandeln.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir Abgeordnete sollen die Zustimmung zur Stationierung von weiteren 1 000 Soldaten in Afghanistan geben. Wir haben auf die gesamte Lage eine andere Sicht als die vorgetragenen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt!)

Ich bin der Auffassung, dass es Zeit für eine wahrhaftige Bilanz ist.

Insgesamt 55 000 NATO-Soldaten, darunter bald 4 500 deutsche, sollen dort für Sicherheit und Aufbau sorgen. Wozu haben die vergangenen sieben Jahre ISAFPräsenz geführt? Was braucht Afghanistan, und mit welchen Mitteln sind die Ziele zu erreichen? Dazu nenne ich einige Fakten: Haben nach dem 11. September circa 100 CIA-Agenten und 350 US-Elitesoldaten die Talibanregierung gestürzt und blieb die Zahl der ISAF-Soldaten bei unter 10 000, so ist bereits Mitte 2008 die Zahl von 65 000 Soldaten erreicht. Weitere Aufstockungen sind angekündigt, weitere Jahre der Präsenz avisiert. Wenn die USA gewählt haben, werden Afghanistan und wohl auch Pakistan zu den zentralen Orten des sogenannten Krieges gegen den Terror werden.

Der ISAF-Oberkommandierende, General McNeill, sagte dieser Tage – Zitat –, es brauche 400 000 Soldaten, um Afghanistan zu befrieden. Er sagte allerdings auch, er sei der Auffassung, dass dieser Krieg bereits verloren ist. Aber unsere Minister Herr Jung und Herr Steinmeier nennen noch nicht einmal die wahren Opferzahlen. Deshalb nenne ich sie hier: 2007 waren 8 000 Tote zu beklagen, davon 1 500 Zivilisten. Laut UN sind dieses Jahr schon mehr als 4 600 Menschen ums Leben gekommen, darunter 1 450 Zivilpersonen. Die Zahl der bewaffneten Anschläge stieg von 9 000 im Jahr 2007 um 40 Prozent in diesem Jahr. Die USA teilen mit, dass in Afghanistan derzeit mehr amerikanische Soldaten als im Irak sterben. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so dramatisch wie nie zuvor, und da behauptet unsere Regierung doch tatsächlich, dass immer mehr Soldaten zu immer mehr Sicherheit und Stabilität führen. Das ist doch Vortäuschung falscher Tatsachen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Die afghanische Bevölkerung wird fremde Truppen auf Dauer nicht akzeptieren. Wer ihre Kultur kennt, weiß das. Der Widerstand wird größer und härter. Mehr fremde Soldaten bedeuten eine Stärkung der fundamentalistischen Kräfte.

(Beifall bei der LINKEN)

Was macht die Taliban stark? Es ist der Krieg gegen sie. In Afghanistan werden deutsche Soldaten mittlerweile auch nicht mehr als Samariter in Uniform angesehen. Die Soldaten spüren das. Sie sind bewaffnet, sie sind bedroht, und sie sind sehr nervös. Gerade erst haben deutsche ISAF-Soldaten an einer Straßensperre eine Frau und zwei Kinder umgebracht.

(Zuruf von der FDP: Das ist doch wohl nicht zu fassen!)

Es ist offenkundig: Das Militär ist der falsche Helfer für dieses Land.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Es erweist sich immer mehr, dass die Zusage einer bedingungslosen Solidarität mit den USA falsch war und einen zu hohen Preis hat. Das heißt, die USA verstärken ihre Dominanz in der NATO. Das heißt auch, dass sich Deutschland den amerikanischen Interessen innerhalb der NATO immer mehr beugt. Und das heißt für uns, dass sich Deutschland von diesen US-geleiteten Interessen in der NATO endlich emanzipieren muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Es ist nämlich nicht richtig, dass die Bündnisverpflichtungen zwangsläufig dazu führen, dass man militärisch tätig werden muss. Es ist jetzt die zentrale Aufgabe der Politik, eine Exitstrategie zu entwickeln. Die Exitstrategie beginnt für uns mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Deutschland sollte sich ausschließlich zivil engagieren. Aufgaben gibt es genug. Der Polizeiaufbau wurde genannt. Dabei hat sich Deutschland wahrlich blamiert. Ein funktionierendes Rechtswesen gibt es in dem Land nicht, aber es wird mit lokalen Kriegsherren zusammengearbeitet, um für eine fragwürdige Stabilität zu sorgen. Das muss aufhören; denn es handelt sich bei den Kriegsherren um Fundamentalisten, die Frauen unterdrücken und die Einhaltung der Menschenrechte nicht gewährleisten. Es sind dieselben Kräfte, die für den Drogenanbau verantwortlich sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Niemand kann hier glaubhaft versichern, dass es einen zivilen Aufbau gibt, solange der Alltag von Hungertod bestimmt wird, die Müttersterblichkeit derart hoch ist, es Mädchenhandel gibt, Selbsttötungen von Witwen stattfinden und die Armut immer mehr wächst. All das hat sich, seit die ISAF ihr „Zivillabel“ trägt, in den Lebensalltag der Bevölkerung eingebrannt. 3,5 Milliarden Dollar wurden bisher für das Militär ausgegeben. Bis 2010 soll es lediglich 1 Milliarde Dollar für den Zivilaufbau sein.

Das alles ist die Wirklichkeit, während Sie von Stabilität reden. In Afghanistan kann von demokratischen Freiheiten keine Rede sein. Eine belastbare soziale Infrastruktur ist nicht entstanden. Die Hilfsgelder sind – das wissen Sie ganz genau – in dunkle Kanäle geflossen oder gleich wieder an die Geberländer zurückgeflossen. Die USA haben Karzai mithilfe des Petersberger Prozesses unter Rot-Grün installiert. Und für was steht diese Karzai-Regierung? Sie steht für Korruption.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ich frage: Geht es der NATO denn überhaupt wirklich um die Selbstbestimmung Afghanistans? Wenn dem so wäre, dann würde – das schlussfolgern wir – alle politische und diplomatische Kraft darauf verwandt, Friedens- Jirgas ins Leben zu rufen, die demokratischen Kräfte zu stärken, ein funktionierendes Rechts- und Polizeiwesen aufzubauen und Frauen gemäß der UN-Resolution 1325 eine zentrale Stellung beim Aufbau des Staates einzuräumen. Angesichts all der zunehmenden Sicherheitsprobleme kann nur gesagt werden: Mehr Militär bedeutet in der Praxis mehr Unsicherheit und mehr Gewalt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Afghanistan braucht dringend einen Friedensprozess und eine politische Konfliktlösung. Die Anrainerstaaten müssen in diesen Friedensplan einbezogen werden. Das sind in unseren Augen Pakistan, Iran, Indien, China und Russland. Es muss – ja, auch das – mit den Taliban geredet werden; aber es darf ihnen auf gar keinen Fall Macht in einer Regierung eingeräumt werden. Afghaninnen und Afghanen wollen nicht von den Taliban terrorisiert werden. Aber sie wissen und sie sagen, dass sie selber mit ihnen fertig werden müssen. Denn sie haben eines gelernt: Solange der Krieg gegen Terror geführt wird, werden die Taliban, werden die fundamentalistischen Kräfte erstarken. Das widerspricht aller Zivilpolitik, die wir hier im Deutschen Bundestag zu vertreten haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wohin Militär und Kriegslogik führen, sieht man in Afghanistan. Deshalb sagen wir – das zum Schluss noch zu Ihnen, Herr Steinmeier –: Natürlich soll Deutschland sich nicht am ausgeweiteten Antiterrorkampf beteiligen. Doch eines funktioniert nicht: Sie wollen die ISAF zur Stabilisierungstruppe hochstilisieren und Zustimmung erreichen, indem Sie die ohnehin zurzeit nicht vorhandene deutsche Beteiligung an OEF-Operationen in Afghanistan infrage stellen. Im Klartext heißt das: mehr für ISAF. Aber keine OEF? Dahinter ist ein dickes Fragezeichen zu setzen; denn wie man hört, operiert das KSK im Rahmen der ISAF in Afghanistan. Wem wollen Sie hier erzählen, dass Sie einen Ausstieg aus dem Antiterrorkampf vornehmen wollen? Das ist einfach nicht richtig, und nicht legitim, das vor dem Deutschen Bundestag zu vertreten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Peter Struck [SPD]: Wie lange redet die eigentlich? Was ist mit der Redezeit?)

Was also ist von all dem zu halten, was insbesondere Sie, Herr Steinmeier, heute noch einmal gesagt haben? Ich meine, davon ist nichts zu halten. Ich plädiere dafür, dass die deutsche Politik einen Richtungswechsel vollzieht, dass sie jetzt einen ernsthaften Exitplan entwickelt, dass sie alle Kraft darauf verwendet, mit den friedlichen und demokratischen Kräften in Afghanistan zusammenzuarbeiten, –

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin.

Monika Knoche (DIE LINKE):

– dass sie mit allen diplomatischen Mitteln für einen Friedensplan wirbt und dass sie endlich von der falschen Logik abrückt, immer mehr Militär dorthin zu schicken.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage, Frau Knoche, die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschärft – auch im Norden, auch im deutschen Verantwortungsbereich. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber die Frage ist: Was folgt daraus? Was ist die Konsequenz? Ich sage hier sehr deutlich – das steht für mich und meine Fraktion fest –: Ein Sofortabzug, so wie Sie ihn hier noch einmal gefordert haben, wird keine Friedens-Jirgas zur Folge haben, wie Sie dies geschildert haben, sondern bedeutet im Norden den Ausbruch eines Bürgerkrieges und im Süden die Rückkehr der Taliban. Das finde ich unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist vor allen Dingen gegenüber den Afghanen unverantwortlich. Sie finden deshalb in Afghanistan kaum jemanden, der den Abzug der internationalen Truppen fordert. Noch etwas: Es sind vor allem die demokratischen Kräfte, die Vertreterinnen von Frauenorganisationen, denen die Angst in den Augen steht, wenn das Thema Abzug angesprochen wird. Es ist klar, warum. Sie müssen nämlich um ihr Leben fürchten, wenn die Taliban zurückkehren.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau so ist das!)

Ich möchte an Folgendes erinnern: Es ist erst ein paar Tage her, da wurde die ranghöchste Polizistin im Bezirk Kandahar von den Taliban ermordet. Warum? Weil sie eine Frau ist und weil Frauen nach der Ideologie der Taliban im öffentlichen Leben nichts zu suchen haben. Diesen Frauen müssen Sie erklären, warum es in ihrem Interesse sein soll, dass wir sofort abziehen und Chaos und Terror hinterlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Allerdings sind es gerade die fortschrittlichen Kräfte – das können sicherlich viele von denen bestätigen, die Reisen nach Afghanistan gemacht haben –, die massive Kritik an der Karzai-Regierung äußern und von der internationalen Gemeinschaft enttäuscht sind. Sie sind empört über Kollaborationen mit den alten Warlords; sie sind enttäuscht, dass von den Aufbaumitteln in Milliardenhöhe immer noch viel zu wenig vor Ort ankommt.

Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich glaube, dass es angesichts der sich verschärfenden Sicherheitslage einerseits und der extrem schlechten Stimmungslage in der Bevölkerung andererseits wichtig ist, endlich einen Kurswechsel einzuleiten. Wenn man das nicht tut, dann – so befürchte ich – wird dieser Einsatz scheitern, und das wollen wir alle hier nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ganz zentral ist dabei, dass endlich mit den Partnern in der NATO, vor allen Dingen mit den Amerikanern, darüber geredet wird, dass der Antiterroreinsatz OEF beendet wird. Es reicht nicht, dass in den NATO-Papieren von einer „comprehensive“, also von einer ganzheitlichen Strategie die Rede ist, wenn sich in der Realität der Afghanen nichts ändert. Es reicht auch nicht, dass Sie, Herr Außenminister, der OEF keine KSK-Einheiten mehr zur Verfügung stellen wollen. Das war zwar überfällig, ist aber leider halbherzig; denn damit hat man immer noch nicht den strategischen Dissens geklärt, der mit den Partnern im Bündnis besteht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Amerikaner setzen vor allen Dingen auf aggressive Gegnerbekämpfung. Das heizt die Gewaltspirale an und hat viele zivile Opfer zur Folge. Ich möchte an einen Bericht von Human Rights Watch erinnern; er ist im September erschienen. Darin wird aufgezeigt, dass sich die Zahl der Zivilopfer verdreifacht hat, vor allen Dingen durch ungeplante Luftangriffe. Laut UNAMA gab es noch nie so viele Opfer wie im August dieses Jahres. Das hat, auch wenn 90 Prozent der Anschläge im Süden und Osten passieren, eine verheerende delegitimierende Wirkung auf den gesamten Afghanistan-Einsatz. Dies wird auch im Norden wahrgenommen; die Menschen diskutieren darüber. Auch die Menschen in Afghanistan wollen einen Strategiewechsel und nicht, dass das Ganze nach Pakistan ausgeweitet wird. Daher brauchen wir endlich diesen Kurswechsel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allein ISAF muss sich darauf konzentrieren, den Schutz der afghanischen Bevölkerung und den Wiederaufbau zu sichern.

Das Problem ist: Sie sind sich in der Koalition leider nicht so richtig über die Linie einig. Wir haben gerade Herrn Ramsauer gehört. Er will eine Exitstrategie, meint damit aber keine Befristung. Was damit gemeint ist, verstehen nur die Bayern.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe es nicht verstanden.

Herr von Klaeden fordert dagegen mehr Soldaten.

Der Außenminister will die KSK zurückziehen. Der Verteidigungsminister hingegen fordert AWACS. Und die Bundeskanzlerin schweigt. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, das Chaos in der Koalition in Sachen Afghanistan zu beseitigen und offensiv gegenüber den Verbündeten und der Öffentlichkeit für den notwendigen Kurswechsel einzutreten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Statt AWACS und noch mehr Soldaten einzusetzen, muss der zivile Wiederaufbau endlich absolute Priorität erhalten; sonst verschärft sich die Schieflage zwischen militärischem und zivilem Beitrag weiter. Da reicht es nicht, die zivilen Ausgaben leicht zu erhöhen. Entwicklungsorganisationen wie VENRO und Caritas haben es noch einmal dargelegt: Eine massive Aufstockung der Mittel ist erforderlich, um eine nachhaltige Entwicklung in Afghanistan zu erreichen. Wir fordern zudem, dass auch das deutsche zivile Engagement in das Mandat aufgenommen wird. Übrigens sind wir uns hier mit dem Deutschen Bundeswehr-Verband einig, der diese Forderung heute auch aufgestellt hat.

Wenn wir das Ganze zum Erfolg führen wollen, muss die Devise also lauten: Nicht kleckern, sondern klotzen. Wenn es uns nicht gelingt, die Herzen der Afghanen zu gewinnen, dann, befürchte ich, wird der Einsatz scheitern. Wir sollten alles versuchen, um das zu verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Detlef Dzembritzki (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zeigt, dass im Haus eine große Übereinstimmung darüber herrscht, wie mit dem ISAF-Mandat umzugehen ist. Es gibt eine Fraktion, die das völlig anders sieht. Frau Kollegin Knoche, Sie haben die Situation eines Nachkriegslandes beschrieben. Einige Ihrer Bemerkungen – das ist überhaupt nicht zu bestreiten – sind sicherlich zutreffend. Es wäre auch überraschend, wenn man Afghanistan, das 30 Jahre Bürgerkrieg und Okkupation erlebt hat, nach einer solch langen Phase, die wir hier zu betrachten haben, als ein befriedetes Land bezeichnen könnte, in dem sämtliche Strukturen funktionieren und die Aufbauarbeit abgeschlossen ist.

(Dr. Peter Struck [SPD]: So ist es!)

Ich denke, die Regierung ist der Aufforderung gefolgt, hier alles zu tun, um für eine friedliche Entwicklung Impulse zu geben. Das konnten wir tatsächlich erleben. Der Außenminister hat in seiner realistischen Darstellung beschrieben, wie sich die Regierung eingebracht hat. Ich erinnere an die Diskussion, die wir im Zusammenhang mit der Paris-Konferenz geführt haben. Auf dieser Konferenz wurde eine Art Zwischenbilanz gezogen; vor allen Dingen hat die internationale Gemeinschaft erneut bekräftigt, dass sie sich auch in Zukunft in Afghanistan engagieren will. Es ist unbestritten, dass wir im Rahmen unseres internationalen Engagements – ich habe das hier schon des Öfteren eingefordert – mehr tun sollten, um die Effektivität, die Kooperation, die Koordination zu verbessern. Ich hoffe, dass im Zusammenhang mit den Aktivitäten des UN-Repräsentanten, Herrn Eide, weitere erkennbare Impulse gesetzt werden.

Wir sind uns einig, dass die Hilfe zur Eigenverantwortung in Afghanistan im Vordergrund stehen muss. Ich denke, dass alle Aktivitäten, die von uns eingebracht werden, diesem Ziel dienen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Wir müssen an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass die afghanische Regierung, Präsident Karzai, nicht aus der Verantwortung entlassen werden kann, dass sie einen Gutteil Bringschuld gegenüber der internationalen Gemeinschaft und insbesondere gegenüber der afghanischen Bevölkerung tragen muss.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen, dass nämlich die Korruption im Land nicht genügend bekämpft wird, dass es eine mangelnde Bereitschaft der Regierung gibt, sich des Problems des Drogenanbaus anzunehmen. In dieser Situation sollte die internationale Gemeinschaft ihre Interessen gemeinsam stärker einbringen. Ich höre, dass Regierungsumbildungen in Kabul anstehen: Möglicherweise wird der Innenminister ausgetauscht; möglicherweise soll der Bildungsminister in diesem Bereich tätig werden. Eventuell werden dort Schritte eingeleitet, die in unserem Sinne sind.

Aus meiner Sicht – das ist auch schon von anderen Kollegen angesprochen worden – ist es absolut notwendig, die regionale Zusammenarbeit zu verstärken. Wir müssen die großen Nachbarn, Pakistan und Iran, viel stärker mit einbeziehen. Die Lage in Pakistan ist nach den Wahlen und der Regierungsbildung nicht unbedingt einfacher geworden. Andererseits ist es aber so, dass es in den Provinzen Verantwortungsträgerinnen und -träger gibt, die sich nicht dem Fundamentalismus angeschlossen haben, sondern ganz bewusst auf Säkularisierung, Veränderung und Reformen setzen. Ich denke, dass solche Kräfte massiv unterstützt werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

In der Diskussion darüber, ob wir uns für die Verlängerung des ISAF-Mandats – ich glaube, in großer Mehrheit wird das der Fall sein – aussprechen sollten, ist zu unterstreichen, dass diejenigen recht haben, die sagen: Militärisch ist das Land nicht zu gewinnen. Wir können dieses Land nur gewinnen, wenn wir den zivilen Aufbau bewerkstelligen,

(Beifall bei der SPD)

wenn wir die entsprechenden Infrastrukturen und vor allen Dingen die Instrumente für eine innere Sicherheit schaffen. Ich finde, dass wir nicht immer nur über Polizei und Militär sprechen und dabei die Justiz vernachlässigen dürfen.

Herr Dr. Hoyer, Sie hatten angesprochen, dass man für die Polizei ebenfalls ein Mandat vorsehen sollte. Darüber kann man diskutieren. Vielleicht sollten wir uns aber bei dieser besonderen Herausforderung, die in Afghanistan zu meistern ist, auf völlig andere Konzepte einlassen und ein Paket schnüren und festlegen, wie wir uns die Zusammenarbeit in Afghanistan vorstellen. Wenn Sie davon sprechen, dass die Polizisten einbezogen werden sollen, fragt man sich: Was ist mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich manchmal noch beträchtlicheren Risiken aussetzen?

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre genau dieses Mal gut gewesen!)

– Herr Kollege Nachtwei, ich finde es äußerst angenehm, in dieser Debatte die große Kollegialität von jenen zu spüren, die sich intensiv mit Afghanistan beschäftigt haben. Denn deren Meinungen und Einschätzungen weisen eine unwahrscheinlich große Schnittmenge auf. Deswegen sollte man weiter daran arbeiten. Mein Bemühen ist, die Opposition an unsere Seite zu bekommen, weil es wirklich absolut schädlich wäre, wenn es in dieser Frage eine Polarisierung gäbe. Die Herausforderung besteht darin, dass wir mit einer stärkeren Verbindlichkeit und größerer Effektivität in diesen zivilen Aufbau einsteigen und dass wir die Bevölkerung stärker einbeziehen – wie zum Beispiel die Kanadier, die mit Benchmarking-Systemen operieren. Ich möchte mich bei der Bundesregierung dafür bedanken, dass die Informationen weitaus besser und intensiver geworden sind. Aber eine noch stärkere Einbeziehung wäre möglich.

Ich möchte nun zum Ende kommen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Meine persönliche Erfahrung ist – das habe ich schon einmal gesagt –: Mehr Informationen tragen zu mehr Verständnis bei.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ehrliche Informationen sind wichtig!)

Zurückgehaltene Informationen tragen zu Missverständnissen und Unsicherheit in der deutschen Bevölkerung bei. Wir sollten mit der Afghanistan-Politik nicht deutsche Innenpolitik, sondern wirklich Außenpolitik machen, eine Außenpolitik, die sich gegenüber der UN und den Afghanen solidarisch verhält.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat vorhin in seiner Einführung deutlich gemacht, dass wir heute in erster Lesung über die Verlängerung des ISAF-Mandats sprechen. Er hat aber in diesem Zusammenhang auch zwei andere Punkte angesprochen: die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom und die Frage der AWACS-Aufklärung.

Herr Minister, an dieser Stelle muss ganz deutlich gesagt werden, dass natürlich darüber gesprochen werden kann, ob das Mandat für 100 KSK-Soldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom verlängert wird oder nicht, zumal diese seit Jahren nicht im Einsatz waren und auch nicht mehr eingesetzt werden sollten; so viel war ja klar. Das wird aber in der Absicht gemacht, zu suggerieren, dass eine Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehr stattfindet. Sie sollten so ehrlich sein, dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Wenn es zu der AWACS-Aufklärung, für die Sie sich einsetzen, kommt, wird nicht zwischen ISAF und OEF oder zwischen zivil und militärisch unterschieden werden können.

(Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es wird alles umfassen. Das bedeutet, dass man dadurch selbstverständlich am OEF-Mandat beteiligt ist. Herr Minister, das sollten Sie in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben hier und heute viel über den Aufbau gehört. Wir haben gehört, dass der Aufbau Fortschritte macht. Gleichzeitig verschlechtert sich allerdings die Sicherheitslage. Die Gespräche, die ich im Rahmen eines Delegationsbesuchs in der vergangenen Woche in Afghanistan führen konnte, bestärken mich in dem Eindruck, dass der Fortschritt für die Verschärfung der Sicherheitslage ursächlich ist. Die Taliban, die Aufständischen werden dadurch, dass sich die Situation verbessert, geradezu herausgefordert, Widerstand zu leisten. Deswegen steigt die Bedrohung für Polizisten, Entwicklungshelfer, Landarbeiter oder auch Lehrer.

Es gibt aber auch ermutigende Zeichen der Zivilcourage. Ein Beispiel aus der letzten Woche: Im Süden Afghanistans ist eine Schule mit internationaler Hilfe aufgebaut worden. Als die Taliban kamen und diese Schule mit Bulldozern niedermachen wollten, hat sich die Bevölkerung dazwischengestellt und gesagt: Nein, wir wollen, dass diese Schule betrieben wird. – Das zeigt: Die Menschen wollen den Fortschritt. Wir sollten sie dabei unterstützen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Der Erfolg in Afghanistan ist nicht allein mit immer mehr Militär zu erreichen; aber die militärische Absicherung ist notwendig. Keine Krankenschwester, kein Lehrer, kein Entwicklungshelfer kann auf Dauer ohne sicheres Umfeld arbeiten. Darum brauchen wir die militärische Absicherung nach wie vor. Es gibt viele Beispiele. So wurde zum Beispiel versucht, Straßen zu blockieren. Erst nachdem das Militär die Straßen von den Aufständischen freigeräumt hatte, konnte UNAMA mit dem Wiederaufbau weitermachen. Genau diesen Weg müssen wir weitergehen. Dafür brauchen wir schlicht und ergreifend auch das Militär.

Frau Kollegin Knoche, ich komme jetzt einmal auf Sie zu sprechen. Sie haben gesagt, dass Zivilpersonen ums Leben gekommen sind. Das ist in der Tat richtig und bedauerlich. Wir alle haben hier mehrfach deutlich gemacht, dass alles getan werden muss, um Schäden an der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sie aber haben suggeriert, das Militär habe das verursacht. Das stimmt natürlich in keiner Weise. Es sind deutlich mehr Zivilisten durch Selbstmordattentate und Anschläge ums Leben gekommen. Das Militär bedroht die Zivilbevölkerung nicht. Wir alle haben heute ein Schreiben der Gesellschaft für bedrohte Völker erhalten. Ich zitiere:

Nun auf halbem Wege die Mission abzubrechen, ist keine glaubwürdige Alternative, da ohne die Schutztruppe die Sicherheit der Zivilbevölkerung nicht gewährleistet ist.

Dem schließe ich mich an.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Der Ansatz der vernetzten Sicherheit – diesbezüglich formulieren wir eine deutliche Bitte an die Bundesregierung – ist richtig. Wir haben dieses Thema mehrfach hier besprochen und beschlossen, den Wiederaufbau in den Mittelpunkt zu stellen. Nur, mehr Geld allein reicht nicht. Es mangelt auch nicht an Papieren, sondern, meine Damen und Herren von der Regierung, an der Umsetzung. Beim PAT in Taloqan haben wir folgende Situation: Die Bundeswehr ist vor Ort. Es handelt sich um eine Region, die dringend der Unterstützung beim Wiederaufbau bedarf. Wir haben dieser Region Unterstützung zugesagt. Den ganzen Sommer über aber war die zuständige Stelle vom BMZ, vom Entwicklungshilfeministerium, nicht besetzt. Wir haben wertvolle Zeit verloren, die wir dringend für die Durchführung ziviler Maßnahmen gebraucht hätten. Solche Fehler bei der Koordination dürfen der Bundesregierung nicht passieren. Sie müssen zukünftig vermieden werden.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist wichtig, dass wir die Zeit, die wir haben – sie läuft uns ein Stück weit davon –, nutzen, um für selbsttragende Sicherheit zu sorgen. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Zahl der Polizisten zu erhöhen. Wir stehen diesbezüglich voll auf Ihrer Seite. Ich möchte aber auch deutlich machen: 60 deutsche Polizisten wurden zugesagt, im Augenblick sind aber nur 33 vor Ort. Hinzu kommt, dass die meisten dieser Polizisten nicht mit der dringend erforderlichen Polizeiausbildung beschäftigt sind. Sie sind im Bereich der strategischen Beratung mit der Ausarbeitung von Papieren beschäftigt. Das ist eine Fehlallokation von Ressourcen. Sie haben gesagt, dass Sie erkannt haben, dass an dieser Stelle gehandelt werden muss. Wir möchten Sie bitten, diesen Worten endlich Taten folgen zu lassen. Ändern Sie die Struktur der Hilfe beim Polizeiaufbau! Das ist dringend notwendig, damit wir Sicherheit in Afghanistan ermöglichen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, angesichts dieser Debatte fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger: Warum sind so viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan?

Bei all dem, was hier vorgetragen wird, darf meines Erachtens nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Anschläge des 11. September 2001 in New York von Afghanistan ausgegangen sind und dass wir in Afghanistan fast 30 Millionen Menschen von der Terrorherrschaft der Taliban befreit haben, aber auch, dass wir heute eine internationale Bedrohungslage haben und es deshalb wesentlich klüger ist, die Gefahren an der Quelle zu beseitigen, dort, wo sie entstehen, bevor sie in wesentlich größerer Dimension unser eigenes Land erreichen. Deshalb ist der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten zur Stabilisierung in Afghanistan auch ein Beitrag für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich denke, dass unsere Strategie der vernetzten Sicherheit oder, wie wir es jetzt in der NATO durchgesetzt haben, des Comprehensive Approach, des umfassenden Ansatzes, richtig ist. Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit! Wir müssen die Herzen und die Köpfe der Menschen dort gewinnen. Das gelingt uns mit unserer Strategie. Ich war gerade in Afghanistan. Wenn Sie beispielsweise von Kunduz nach Faizabad fliegen und die Menschen Ihnen zuwinken und sich freuen, dass die Bundeswehr dort im Einsatz ist, wenn Sie mit dem Gouverneur sprechen, Frau Knoche, der Ihnen sagt, dass 90 Prozent der Bevölkerung für den Einsatz der Bundeswehr dankbar sind, dann wird deutlich, dass diese Strategie richtig ist.

Frau Knoche, Sie haben hier versucht, den tragischen Zwischenfall am Kontrollpunkt politisch zu instrumentalisieren. Der Gouverneur hat mir gesagt: Schuld war der Fahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf die Gruppe zugefahren ist. Hier musste die Schutzfunktion vonseiten unserer Soldaten ausgeübt werden. Ich weise Ihre Unterstellung mit Nachdruck zurück und unterstütze unsere Soldaten in diesem schwierigen Einsatz für unsere Sicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen. Aber unser Ziel – das war ein Punkt, den wir auf dem Gipfel in Bukarest beschlossen haben – ist eine Gesamtstrategie; ich habe es Erfolgsstrategie genannt. Das heißt im Klartext: Wir brauchen ausgebildete afghanische Streitkräfte und Polizisten. Deshalb ist unsere Absicht, die Ausbildung zu verstärken. Wir wollen im nächsten Jahr 7 500 afghanische Streitkräfte ausbilden. Wir werden unseren Einsatz für die Ausbildung der Polizei verdoppeln, weil es letztlich darum geht, Afghanistan in die Lage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen, und damit auch eine Erfolgsstrategie, eine Gesamtstrategie für Afghanistan umzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Lassen Sie mich hinzufügen: Wir haben, denke ich, schon viele Erfolge erreicht. Wir haben allein im Norden Afghanistans 830 Projekte umgesetzt, die Infrastruktur, Energie, Wasserversorgung, Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser umfassen. Ich war jetzt in der Amani- Oberschule. Dort können Sie sehen, wie Schülerinnen und Schüler fröhlich zusammen lernen; sie haben eine Zukunftsperspektive. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, Frau Knoche, dass unter den Taliban Mädchen überhaupt nicht in die Schule durften.

(Monika Knoche [DIE LINKE]: Wer hat die Taliban in die Regierung gebracht?)

1 Million Kinder war damals in den Schulen; jetzt sind fast 7 Millionen Kinder in den Schulen. Wir haben 80 Prozent der Gesundheitsversorgung sichergestellt. 5 Millionen Flüchtlinge sind nach Afghanistan zurückgekehrt. In einer Umfrage haben die Menschen bestätigt, dass sie sich auch und gerade durch unseren Einsatz wieder sicherer fühlen. Man darf die Erfolge, die durch unseren Einsatz zur Stabilisierung in Afghanistan erreicht worden sind, nicht verschweigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen und Soldaten absolvieren dort einen riskanten Einsatz, verbunden mit Gefahren für Leib und Leben. Wir haben in diesem Einsatz bereits 28 Soldaten verloren. Ich denke, es ist wichtig, immer wieder darzustellen, vor welchen Herausforderungen die Bundeswehr dort steht. Meines Erachtens kann uns der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten mit Dankbarkeit erfüllen. Sie sind dort in einer Art und Weise engagiert, dass der Ansatz der vernetzten Sicherheit umgesetzt und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gemehrt wird. Ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten dankbar für ihren Einsatz, den sie im Interesse unserer Sicherheit leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Herr Lafontaine, weil Sie gerade hier sind, spreche ich Sie sehr konkret an. In den Gesprächen mit den Soldaten spüre ich immer wieder, dass sie es geradezu als eine Unverschämtheit empfinden, wenn Sie unsere Soldatinnen und Soldaten in die Ecke von terroristischen Aktivitäten rücken. Dies ist eine Beleidigung unserer Soldaten und hat meines Erachtens mit der Realität nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wegen der mit dem Einsatz verbundenen Gefahren ist es notwendig, dass wir alle Voraussetzungen schaffen, damit unsere Soldaten ihren Auftrag dort gut erfüllen können. Wir haben mittlerweile über 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Nationen dort. Wir haben die Aufklärung verstärkt. Wir haben zusätzliche Verstärkungstruppen dorthin geschickt, weil wir aufgrund der Verschärfung der Sicherheitslage, die unbestritten eingetreten ist, mehr Flexibilität brauchen. Deshalb wollen wir auch die Mandatsobergrenze um 1 000 erhöhen, allerdings nicht, um sofort 1 000 Soldaten mehr dorthin zu schicken, sondern um flexibler zu sein, um in der Ausbildung und für eine eventuelle Verstärkung zum Schutz unserer Soldaten mehr tun zu können. Auch die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr sollten wir im Blick behalten.

Ebenso wichtig ist es aber, dass wir die Situation in Pakistan im Blick behalten. Ich war gerade in Pakistan und habe dort sowohl mit dem Ministerpräsidenten als auch dem Außenminister, dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef gesprochen. Meines Erachtens ist es gut und richtig, wenn wir in Kooperation mit Pakistan, Afghanistan und der NATO dafür sorgen, dass die bestehende Situation an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan sicherer wird; denn das Grenzgebiet ist ein Rückzugsgebiet für die Taliban und dient dem Nachschub von terroristischen Aktivitäten nach Afghanistan. Deshalb ist es richtig, wenn wir hier zu einer Kooperation kommen, auch im Interesse des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan; denn dieses Land darf nicht zurückfallen und wieder zum Ausbildungscamp für den Terrorismus werden. Wer heute einen Rückzug propagiert, gefährdet damit auch die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Für ihren gefährlichen Einsatz im Interesse unserer Sicherheit haben unsere Soldatinnen und Soldaten eine breite Unterstützung dieses Hohen Hauses verdient.

Haben Sie recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist der Aufbau in Afghanistan gescheitert? Wer das behauptet, verzerrt die Wirklichkeit in Afghanistan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Diejenigen, die in Masar, in Herat, in Kundus und an anderen Stellen in Afghanistan waren, haben es erlebt: Es geht einiges voran; das ist unbestreitbar. Wer einen Sofortabzug fordert, setzt diese Fortschritte aufs Spiel und fordert de facto einen Rückfall Afghanistans in die frühen 90er-Jahre, in den Bürgerkrieg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Der Aufbau verläuft jedoch viel zu langsam. Er findet viel zu wenig in der Fläche – auf dem Land – statt, und ist auch angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums viel zu schwach. Außerdem ist er aufgrund der immer schlechteren Sicherheitslage akut gefährdet. Im Süden und im Osten des Landes sind inzwischen einige Zehntausend Soldaten im Einsatz. Dennoch hat die Zahl der Zusammenstöße und Anschläge zugenommen; in vielen Distrikten herrscht eine Situation, die einem asymmetrischen Krieg gleicht. Im Norden und im Westen des Landes sind viel weniger Soldaten im Einsatz, nur einige Tausend. Sie haben es vor allem mit Angriffen einsickernder aufständischer Gruppen zu tun, gegen die sie sich wehren müssen. Im Rahmen von ISAF lässt man sich allerdings nicht darauf ein, auf die Aktionen der Aufständischen kriegerisch zu reagieren. Man handelt nach wie vor sehr besonnen. Das haben wir vor Ort beobachten können.

In Afghanistan sind zwei Dynamiken festzustellen: eine negative, destruktive Dynamik und eine positive, konstruktive Dynamik. Mein inzwischen leider sehr verhärteter Eindruck ist, dass die negative Dynamik zurzeit deutlich größer ist als die positive. Soll ein solch negativer Trend gestoppt und umgekehrt werden, bedarf es ganz besonderer Anstrengungen: auf afghanischer, auf internationaler und auf deutscher Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was tut die Bundesregierung? Ich sage ausdrücklich: Die Verlängerung des ISAF-Mandats ist richtig und unverzichtbar. Die Aufstockung der Obergrenze des Bundeswehrkontingents ist im Hinblick auf die Flexibilität, die Wahlen und die Ausbildungsunterstützung militärisch plausibel. Wie wir wissen, führt das Militärische allein aber nicht zum Erfolg. Daher frage ich: Was geschieht darüber hinaus? Was das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung angeht, muss ich sagen: Nachjustieren reicht nicht aus. In diesem Konzept wird lediglich hier und da nachjustiert. Insgesamt setzen Sie aber Ihre halbherzige Afghanistan-Politik fort. „Halbherzigkeit“ ist übrigens ein Begriff, den die Einsatzkräfte vor Ort verwendet haben, nicht etwa ein Wortgebilde der Opposition.

Wo ist nach sieben Jahren Afghanistan-Engagement eine ehrliche und ungeschönte Bestandsaufnahme? An dieser Stelle schließe ich die Fehler und Fehleinschätzungen, zu denen es unter Rot-Grün gekommen ist und die wir mitverantworten müssen, ausdrücklich ein. Wenn man in der Afghanistan-Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, dann muss man schließlich auch sagen, wo man sich selbst geirrt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wo ist der regionale Stabilisierungsansatz, in dessen Rahmen nicht nur Pakistan – davon war gerade die Rede –, sondern auch Indien, Iran und die zentralasiatischen Anrainer einbezogen werden? Wo ist die Klärung des faktischen strategischen Dissenses zwischen den verschiedenen Teilnehmerstaaten der NATO? Wo sind im Hinblick auf das deutsche Engagement die realistischen und ehrgeizigen Ziele, durch die Perspektiven für die Verantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und für einen Abzug in absehbarer Zeit eröffnet werden? Wo ist die Aufbauoffensive – hier spielt die Förderung der Landwirtschaft eine große Rolle –, und wo ist eine ausgewogene zivil-militärische Zusammenarbeit?

Afghanistan braucht einen langen Atem. Kai Eide und die ISAF-Generale haben betont, dass uns die Zeit wegläuft. Die meisten hier im Saal sind sich einig: Wir wollen die Menschen in Afghanistan nach 30 Jahren Krieg nicht im Stich lassen. Aber eine Politik, die den Ernst der Lage nicht erkennen lässt, untergräbt den Sinn dieses Einsatzes und den Sinn des Engagements der vielen fantastischen Leute, die vor Ort im Einsatz sind: der Diplomaten, der Soldaten, der Polizisten und der Entwicklungshelfer.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Kollegin Ursula Mogg hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Ursula Mogg (SPD):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Lesung über die Fortsetzung unseres ISAF-Mandats, und ich denke, wir haben jeden Grund, das mit großer Ernsthaftigkeit zu tun. Die Präsenz heute im Plenum des Deutschen Bundestages ist für mich ein Beleg dafür, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies auch so sehen.

Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit, mich vor Ort in Afghanistan zu informieren und viele Gespräche zu führen. Deshalb ist es mir ein besonderes Bedürfnis, zu Beginn meines Beitrages diese Ernsthaftigkeit und all die Fragen anzusprechen, um die es im militärischen und sicherheitspolitischen Bereich im Kern geht. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, warum wir in Afghanistan sind. Ich habe nämlich in vielen Debatten den Eindruck gewonnen, dass in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten ist, weshalb wir in Afghanistan sind. Wir sind in Afghanistan, weil durch die Ereignisse am 11. September 2001 all unsere sicherheitspolitischen Vorstellungen, die wir bis dahin hatten, auf den Kopf gestellt wurden.

Wir diskutieren über diese Fragen auf der Basis eines UN-Mandats, das gerade wieder verlängert worden ist. Wir beziehen uns auf ein Konzept, das mit dem Namen Petersberg verbunden ist, wir beziehen uns auf den Afghanistan Compact und auf die Konferenz in Paris. Es ist mir auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass bereits in dem Namen dieses Mandats, ISAF, enthalten ist, dass es um „Assistance“ geht, um die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung. Es handelt sich also nicht um einen Anspruch, militärisch vorzugehen. Dass ein langer Atem für diesen Einsatz gebraucht wird, haben viele Vorredner bereits angesprochen. Ich erinnere mich noch sehr gut an Präsident Karzai in Bukarest, wo er mit Blick darauf, dass Afghanistan kein Failed State, sondern ein Destroyed State ist, ebenfalls einen langen Atem gefordert hat.

Wir beraten heute über 1 000 zusätzliche Soldaten für dieses Mandat. In den Debatten, die wir führen, wird immer wieder die Frage gestellt, ob die Aufstockung eine weitere Militarisierung unseres Einsatzes bedeutet. Ich möchte ausdrücklich sagen: Nein, das bedeutet sie nicht. Sie alle kennen den Vergleich mit dem, was wir auf dem Balkan, im Kosovo, militärisch geleistet haben, und Sie kennen die Größenverhältnisse. Für Kosovo haben wir in der Spitze über 4 500 Soldaten gesprochen. Über so viele Soldaten diskutieren wir heute auch für Afghanistan. Das Kosovo ist so groß wie das Bundesland Hessen. Unser Zuständigkeitsbereich in RC North ist halb so groß wie die gesamte Bundesrepublik.

Im Übrigen müssen wir uns immer wieder verdeutlichen, dass wir im Deutschen Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr und militärischer Mitteln diskutieren. Wir diskutieren aber nicht – Herr Kollege Hoyer, hier bin ich sehr nahe bei Ihnen – über die Einsätze unserer Polizisten im Rahmen eines Mandats, auch nicht über den Einsatz unserer NGOs und auch nicht über all das, was unsere Diplomatinnen und Diplomaten in Afghanistan leisten.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass „Mandatsobergrenze“ aus der Sicht der Soldatinnen und Soldaten das Unwort des Jahres 2008 ist. Vor wenigen Tagen hat mir in Afghanistan eine Soldatin berichtet, dass sie vier Wochen lang auf gepackten Koffern saß und fortgesetzt unterschiedliche Nachrichten darüber erhalten hat, ob sie nun in den Einsatz geht oder nicht. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten in der Tat eine schwierige Situation.

Warum sind weitere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan nötig? Sie sind notwendig, weil wir mehr Flexibilität brauchen, um auf unvorhergesehene Sicherheitslagen reagieren zu können. Daneben wollen wir uns in geeigneter Weise auf die Situation rund um die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr vorbereiten. Das ist also absolut nachvollziehbar.

Es wird viel gefordert, zum Beispiel, dass wir ein Ausstiegsszenario haben müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein solches Szenario gibt es. Das haben wir in Bukarest beschlossen, und zwar entlang der Frage, wie wir in Afghanistan in der Lage sind, Polizei- und Militärkräfte auszubilden und aufzubauen. Dafür gibt es auch Zeitlinien. Insofern kann ich nur dringend raten, all das zu berücksichtigen, was wir schon in der Vergangenheit diskutiert und beschlossen haben.

Es wird auch viel über das Verhältnis von zivilen und militärischen Mitteln diskutiert, die wir einsetzen. Es wurde schon angesprochen, dass wir eine militärische Flankierung brauchen, wenn wir im zivilen Bereich tätig werden wollen; ohne diese Flankierung geht es leider nicht. Es ist mir aber auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass wir die Mittel für den zivilen Bereich aufgestockt haben, aber dass es nicht allein um mehr Geld gehen kann. Die Mittel müssen auch abfließen und in Projekte umgesetzt werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gestehe offen und ehrlich: Die Sicherheits- und Verteidigungspolitikerinnen und -politiker der SPDFraktion hätten sich bei der Bekämpfung des Drogenanbaus ein bisschen mehr Butter bei die Fische gewünscht. Es geht nicht darum, Felder abzubrennen oder den Bauern die Existenzgrundlage zu nehmen, sondern darum, beispielsweise Wege zu sperren oder Labore stillzulegen. Dazu hätten wir uns ein bisschen mehr gewünscht als die Formulierung im Antrag der Bundesregierung zu der Mandatsverlängerung. Daran sollten wir weiter arbeiten.

Mit Blick auf die Zeit komme ich zum letzten Punkt. Die Bundesregierung hat in Bukarest folgende Erklärung unterschrieben: Wir stützen uns – ich zitiere – auf einen mittelfristigen, internen politisch-militärischen Plan – in Übereinstimmung mit dem Afghanistan Compact und der nationalen afghanischen Entwicklungsstrategie –, der regelmäßig aktualisiert wird und auf dessen Grundlage wir die Fortschritte messen werden.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin!

Ursula Mogg (SPD):

– Ich bin gleich fertig. – Jetzt kommt mein allerletzter Gedanke: Eine Mandatsdebatte ist auch immer dazu geeignet, eine Evaluierung herbeizuführen. Aber die zitierte Formulierung aus der Erklärung von Bukarest ist für uns Anlass, eine jährliche Evaluierung in einer formalisierten Form zu fordern.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und Ihre Geduld, Herr Präsident.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte mir für heute gewünscht, dass ein Redner der Regierungsfraktion klipp und klar erklärt hätte: Seit Wochen steht der Termin für die erste Lesung der ISAFMandatsverlängerung fest. Es ist eine Frechheit, dass der Antrag der Bundesregierung zur Mandatsverlängerung dem Parlament erst vier Stunden vor der Sondersitzung des Bundestages vorgelegt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Das ist eine grobe Missachtung der ersten Gewalt, und ich bitte den Herrn Bundestagspräsidenten, dies gegenüber der zweiten Gewalt mit der gebotenen Deutlichkeit zu rügen.

Seit sieben Jahren hören wir an dieser Stelle immer dieselben Argumente, wenn es um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan geht. Gemessen daran müsste es dort inzwischen blühende Landschaften, eine sich selbst tragende Wirtschaft und eine afghanische Bevölkerung geben, die sicher leben kann und deren materielle Grundbedürfnisse gedeckt sind. Die Realität sieht – das wissen wir alle – anders aus. Das einzige, was dort blüht, sind Mohnfelder.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Deren Erträge finanzieren das süße Leben der Warlords, die auch in der afghanischen Regierung sitzen, und mancher Gouverneure in den Provinzen.

Im Jahr 2008 zählt ISAF wöchentlich zehnmal so viele Anschläge wie 2005 pro Monat. Die UN-Mission in Afghanistan berichtet über einen fast 40-prozentigen Anstieg ziviler Toter durch den Krieg im ersten Halbjahr 2008. Nun kann man einwenden, dass die Mehrzahl dieser Opfer auf Kosten der Aufständischen geht; das bestreite ich gar nicht. Aber erstens gibt es jährlich Hunderte von Opfern durch die Luftnahunterstützung der ISAF-Bodentruppen, die stets auch Unbeteiligte trifft.

Zweitens führt dieses Vorgehen dem Widerstand ständig neue Kräfte zu. Ich frage mich, wann hier begriffen wird, dass das die Ursache für die dramatische Verschlechterung der Lage ist. Dafür müsste allerdings endlich der Charakter des Krieges in Afghanistan zur Kenntnis genommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Der einstige Auftrag von ISAF, die afghanische Regierung beim Wiederaufbau des Landes zu unterstützen, ist doch unter der De-facto-Führung der USA längst zur reinen Aufstandsbekämpfung degeneriert. Die Afghanen wehren sich ganz einfach gegen westliche Fremdbestimmung und eine Regierung, die sie als nicht repräsentativ ansehen. Hat sich einmal jemand von den Mandatsbefürwortern gefragt, was US-Bürger machen würden, wenn ihnen ausländische Truppen ihre Vorstellungen von Demokratie aufzwingen wollten?

Es geht nicht um die Bekämpfung des Terrorismus. Es geht vielmehr um die Beherrschung eines Landes, das aus US-Sicht eine strategische Schlüsselstellung gegenüber China, Russland, Iran und den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken einnimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im neuen Feldhandbuch 3-7 für die US-Armee wird glasklar und arrogant der Auftrag der Armee definiert: Bekämpfung der Feinde – ich wiederhole: Bekämpfung der Feinde –, die Amerikas Zugang zum Rest der Welt und seinen globalen Einfluss begrenzen wollen. Sich an solchen Kriegen zu beteiligen, kann nicht im deutschen und europäischen Interesse liegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erleben im Übrigen seit einigen Wochen, wie auch ISAF unter der Führung der USA den schon immer fragilen Nuklearstaat Pakistan vorsätzlich durch Angriffe auf sein Territorium destabilisiert. Die möglichen Folgen können alles in den Schatten stellen, was wir zum Beispiel aus der Geschichte Kambodschas kennen, das 1970 auf dieselbe Weise ins Chaos gestürzt wurde. Wenn es dazu kommt, trägt die Bundesregierung die Mitverantwortung auch dann, wenn sie militärisch nicht beteiligt ist. Allein deswegen darf es ein „Weiter so!“ nicht geben.

Unter dem Druck der Wähler scheint nun wenigstens die CSU nachdenklich geworden zu sein, wenn sie von der Bundesregierung eine Ausstiegsstrategie erwartet. Was Herr Ramsauer hier gesagt hat, ist allerdings das genaue Gegenteil. Ich muss feststellen, dass Herr Ramsauer für die CSU mit gespaltener Zunge spricht.

Worauf es jetzt ankommt, ist nicht die Aufstockung des deutschen Kontingents. Vielmehr kommt es auf die Unterstützung von Entwicklungen in Afghanistan an, die bereits seit Monaten im Gang sind. Ich meine die Initiative von Präsident Karzai, mithilfe befreundeter Staaten wie Saudi-Arabien zu einer Verhandlungslösung im Dialog mit den Taliban zu kommen. Von der Bundesregierung ist hierzu bisher jedoch wenig zu vernehmen.

Sie sollte sich aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzen und hierbei Unterstützung leisten, anstatt ihren siebenjährigen Irrweg im Schlepptau der USA weiter zu verfolgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernd Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Punkte richtigstellen. Frau Knoche, alle Fraktionen dieses Hauses waren mit dem Vorgehen, der heutigen Beratung und den weiteren Beratungen in der nächsten Woche, einverstanden. Für Sie mag es bedauerlich sein, aber Sie waren es ganz bestimmt nicht, die uns getrieben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will feststellen: Der Verlauf der Debatte ist ein Ergebnis vieler Beratungen in den Ausschüssen und im Deutschen Bundestag. Es gab wohl noch kein Thema, über das alle Fraktionen so ausführlich und mit so großer Übereinstimmung in den Ausschüssen debattiert haben. Das gilt auch im Hinblick auf die Opposition, die Grünen und die FDP. Wir haben die Argumente im Ausschuss ausgetauscht, insbesondere die kritischen Argumente, die zum Einsatz in Afghanistan vorgetragen wurden. Ich finde, das ist eine hervorragende Ausgangssituation für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Sie können sicher sein, dass hier zu weit über 90 Prozent Übereinstimmung über ihren Einsatz und ihre schwere Mission besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat sich sicher einiges getan, was die Sicherheit anbelangt, aber man darf nicht pauschal urteilen. Die Zahl der Anschläge im ganzen Land hat insgesamt zugenommen, wobei die Zahl der Anschläge im Süden des Landes um 40 Prozent zugenommen hat, im Norden aber, wo wir Verantwortung tragen, nur 2 Prozent dieser Anschläge stattfinden. Das sage ich nicht zur Beruhigung, sondern ich will deutlich machen, wie sehr sich die Lage verändert und dass wir uns auf diese Situation einstellen müssen. Pakistan, diese fragile Atommacht, ist sicher ein besonders wichtiger Punkt, dem wir auf internationaler Ebene eine besondere Bedeutung beimessen müssen.

Der Herr Außenminister ist darauf eingegangen und hat gesagt, dass es nicht nur Gespräche gibt, sondern auch Treffen, und dass wir gemeinsam Fortschritte erreichen müssen; denn ohne eine Lösung der Probleme im afghanisch- pakistanischen Grenzgebiet werden wir nicht vorankommen, ohne ein Ende des Terrors in den Grenzgebieten wird es keine Ruhe im Süden und Südosten Afghanistans geben. Das sind Rückzugsgebiete für etwa 15 terroristische Gruppierungen.

Es stellt sich auch die Frage, was sich eigentlich in unserem Land getan hat. Gewinnt die Propaganda des Terrors die Oberhand? Erzielt der Terror durch Propaganda und durch Drohungen gegen die Bundeswehr, durch das Aufbauen von Druck Erfolge? Werfen Wahlen in unserem Land – ein weiterer Aspekt – einen Schatten auf die anstehenden Entscheidungen? Der Populismus geht um. Wir hören die Schlagworte und haben diese auch heute wieder „genossen“. Ich finde, wir müssen uns einig sein. Das ist meine Einschätzung, das ist die Einschätzung unserer Fraktion, und das ist die Einschätzung der beiden verantwortlichen Minister. Ich bin besonders dankbar, dass in dieser Frage kein Blatt Papier zwischen die Position der beiden Minister passt. Das ist gut so, und das tut uns bei der kritischen Auseinandersetzung gut.

Wir müssen unser Engagement verstärken. Es ist wichtig – das wurde vom Verteidigungsminister ausgeführt –, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Partnern verstärken. Wir müssen eine bessere Kooperation mit der afghanischen Regierung und den ISAF-Partnern anstreben. Dabei muss ich sagen, dass die Bemerkungen über den Präsidenten – Stichwort „Schlafmohn“ – nicht zum ersten Mal hier fallen. Es ist bewundernswert, dass viele Redner verschiedener Fraktionen dies in den Ausschussberatungen noch viel deutlicher angesprochen haben.

Es ist Propaganda, bei dem Stichwort „Schlafmohn“ auf Kinder usw. zu verweisen. Wir brauchen eine Strategie gegen den Drogenanbau. Wir haben in Südamerika gesehen, dass das oft nicht einfach ist.

Ein wichtiger Punkt ist, dass wir noch größere Anstrengungen bei der Ausbildung der Armee und der Polizei unternehmen. Diesen Punkt habe ich hier schon mehrfach angesprochen. Frau Homburger hat gesagt, wie langsam das vorangeht, wie gering die Fortschritte sind und dass die Führung in diesem Bereich oft von einer Nation auf die andere übergeht. Wir müssen endlich in Zusammenarbeit mit den Partnern zu einer verstärkten Ausbildung kommen. Das ist notwendig. Wer über eine Exitstrategie redet, muss wissen, dass wir uns militärisch nur dann zurückziehen können, wenn die Afghanen diese Arbeit selber in die Hand nehmen und für Sicherheit sorgen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über Exitstrategie reden, dann hoffe ich nicht, dass manche meinen, dass wir unsere zivilen Anstrengungen beenden. Zivile Anstrengungen sind aber nur dann möglich, wenn sie in einem sicheren Umfeld erfolgen. Nur dann können zivile Projekte vermehrt durchgeführt werden.

Ein Schwerpunkt der Debatte betraf den Strategiewechsel und die Minimierung des Risikos für unsere Soldaten. Es geht, sehr verehrter Herr Verteidigungsminister, um eine bessere und vielleicht noch stärkere Aufklärung, insbesondere im Norden. Diese Komponente ist nur langsam verstärkt worden. Aber wer die Sprengfallen und Anschläge beklagt, der muss auch sehen, dass diese durch eine verstärkte Aufklärung möglicherweise verhindert werden können. Wir haben hier sehr viel getan. In diesem Bereich sind inzwischen 40, 50 Soldaten als Aufklärer tätig; aber das ist noch viel zu wenig.

Wir sollten uns nicht dem Druck des Terrors beugen oder uns durch Wahlen den klaren Blick trüben lassen und auf halbem Weg umkehren. Unser Fazit muss vielmehr sein, dass der Terror bekämpft werden muss. Von dort gingen alle Anschläge, die im Westen erfolgt sind, aus; dadurch sind die meisten Todesopfer zu beklagen. Ich bin der Meinung, es war noch nie so wichtig wie heute, diese Brutstätten des Terrors zu bekämpfen.

Afghanistan muss unsere ganze Solidarität spüren. Mit Schlagworten wie „Exitstrategie“ oder „Nichtbeteiligung“ ist niemandem geholfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/10473 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/10479 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 16/181, S. 19305-19321; http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16181.pdf


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