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"Die Bundesregierung verfolgt in ihren Anstrengungen einen ganzheitlichen Ansatz"

Der Antrag zur Verlängerung des ISAF- und Tornadoeinsatzes in Afghanistan im Wortlaut



Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode
Drucksache 16/6460
19. 09. 2007

Antrag

der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen


Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

1. Der Deutsche Bundestag stimmt der von der Bundesregierung am 19. September 2007 beschlossenen Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) für weitere zwölf Monate über den 13. Oktober 2007 hinaus zu.

2. Die Fortsetzung des Einsatzes erfolgt im Rahmen der Implementierung

a) der „Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen (Bonner Vereinbarung)“ vom 5. Dezember 2001,
b) der "Berliner Erklärung" der Internationalen Afghanistan-Konferenz vom 1. April 2004,
c) des auf der Afghanistan-Konferenz in London am 31. Januar 2006 verabschiedeten „Afghanistan Compact“,

sowie auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707(2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19 . September 2007.

3. Es gelten für die Fortsetzung des Einsatzes die Regelungen und Zusagen der Anträge der Bundesregierung vom 13. September 2006 und 8. Februar 2007, denen der Deutsche Bundestag am 28. September 2006 bzw. am 9. März 2007 zugestimmt hat (Drucksache 16/2573, Drucksache 16/4298), fort. Darüber hinaus gilt die folgende Ergänzung:

Für die Beteiligung an der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (einschließlich der Fähigkeiten zur Aufklärung und Überwachung aus der Luft) werden bis zu 3500 Soldaten und Soldatinnen mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt.

4. Das Mandat ist bis zum 13. Oktober 2008 befristet.

5. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ISAF werden für den Zeitraum von zwölf Monaten insgesamt rund 487 Mio. Euro betragen. Hiervon entfallen auf den TORNADO-Anteil rund 44 Mio. Euro. Hinsichtlich der Verlängerung der deutschen Beteiligung an ISAF ist - mit Ausnahme des Anteils TORNADO - für die einsatzbedingten Zusatzausgaben, die im Haushaltsjahr 2007 entstehen (rund 93 Mio. Euro), im Einzelplan 14 und für die, die im Haushaltsjahr 2008 entstehen (rund 350 Mio. Euro), im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2008 Vorsorge getroffen. Die Finanzierung der einsatzbedingten Zusatzausgaben des TORNADO-Anteils in 2007 (rund 6,0 Mio. Euro) wird im Haushaltsvollzug 2007 im Einzelplan 14 sichergestellt. Die erforderliche Finanzierung der einsatzbedingten Zusatzausgaben im Haushaltsjahr 2008 (rund 38 Mio. Euro) wird die Bundesregierung in das parlamentarische Verfahren zur Aufstellung des Einzelplans 14 des Bundeshaushalts 2008 einbringen.

Begründung:

Die Stabilisierung, der Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans bleiben vorrangige Ziele der Internationalen Gemeinschaft und damit der Bundesrepublik Deutschland. Es geht darum, den staatlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau in einem schwierigen regionalen Umfeld fortzusetzen und abzusichern, um eine Wiederkehr der 2001 beendeten Schreckensherrschaft der Taliban nachhaltig und dauerhaft auszuschließen. Afghanistan darf nicht erneut zum Rückzugs- und Regenerationsraum des internationalen Terrorismus werden. Die Bundesregierung verfolgt in ihren Anstrengungen einen ganzheitlichen Ansatz, der im September 2007 im „Afghanistan-Konzept“ der Bundesregierung erneut dargelegt worden ist.

Bei Wiederaufbau und Stabilisierung Afghanistans sind trotz Rückschlägen wichtige Fortschritte zu verzeichnen. Auf der Grundlage von freien Wahlen sind Verfassungsorgane entstanden, die schrittweise an Funktionsfähigkeit gewinnen. Die Internationale Gemeinschaft, die für den Zeitraum 2002 bis 2010 bislang mehr als 30 Mrd. USD für den zivilen Wiederaufbau bereitgestellt hat, konnte gemeinsam mit der afghanischen Regierung eine beachtliche Entwicklung in weiten Teilen Afghanistans anstoßen. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen, vor allem von Mädchen und Frauen, steigt kontinuierlich, Gesundheitswesen und Infrastruktur haben sich erheblich verbessert, die Wirtschaft wächst und die Handlungsfähigkeit der afghanischen Regierung erhöht sich zunehmend. Deutschland unterstützt als viertgrößter bilateraler Geber den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans seit 2002 mit jährlich über 80 Mio. Euro. Dieser Beitrag wurde 2007 auf 100 Mio. Euro erhöht und soll 2008 auf 125 Mio. Euro steigen.

Der internationalen Militärpräsenz und den afghanischen Sicherheitskräften ist es 2007 gelungen, die von den regierungsfeindlichen Kräften angekündigte Frühjahrsoffensive zu unterbinden. Die regierungsfeindlichen Kräfte waren zu flächendeckendem, koordiniertem Vorgehen nicht in der Lage. Dennoch gibt die Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin Anlass zur Sorge. Afghanistan ist angesichts der Bedrohung durch militante regierungsfeindliche Kräfte und die Organisierte Kriminalität, einschließlich Drogenkriminalität, weiterhin auf die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft angewiesen.

Der ISAF-Einsatz hat gemäß der Resolution 1776 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19. September 2007 unverändert zum Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Darüber hinaus gewähren ISAF-Kräfte Unterstützung bei der Reform des Sicherheitssektors, einschließlich der Entwaffnung illegaler Milizen und dem Aufbau einer funktionierenden afghanischen Armee, und tragen zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit bei. Der für den Wiederaufbau Afghanistans erforderliche, ganzheitliche Ansatz wurde auch von der NATO während ihres Gipfels in Riga am 28. und 29. November 2006 noch einmal bestätigt.

Nur wenn ISAF im gesamten Land erfolgreich die Sicherheitslage verbessern kann, wird eine landesweite Stabilisierung gelingen. Zur Bewältigung dieser Herausforderung ist die Allianz als Ganzes gefordert. Deutschland leistet seinen Beitrag für den Gesamterfolg von ISAF unter anderem durch die Führung des Regionalkommandos Nord in Mazar-e Sharif, die übernommene Verantwortung für die gesamte Nordregion, insbesondere durch die „Provincial Reconstruction Teams“ (PRTs) in Kundus und Faisabad, sowie durch den Einsatz von Aufklärungsflugzeugen vom Typ TORNADO RECCE zur Luftaufklärung in ganz Afghanistan.

Die von der afghanischen Regierung erbetene und mit der Resolution 1510 (2003) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 13. Oktober 2003 genehmigte Ausweitung des Mandates der ISAF auf ganz Afghanistan wurde am 5. Oktober 2006 mit der Übernahme der Verantwortung für die Ostregion abgeschlossen. Durch diesen letzten Erweiterungsschritt hat ISAF den Stabilisierungsauftrag für das gesamte Land übernommen. Eine enge Abstimmung zwischen ISAF und OEF (wie in VN-Sicherheitsratsresolution 1776 (2007) vom 19. September 2007 und bereits in den Resolutionen 1623(2005) vom 13. September 2005 sowie 1707(2006) vom 12. September 2006 gefordert) ist weiterhin erforderlich, nicht zuletzt zur Vermeidung ziviler Opfer. Die Bundesregierung hat sich in den Beratungen der zuständigen Gremien intensiv dafür eingesetzt, dass dieses in den Einsätzen vor Ort stärker berücksichtigt wird. Sie begrüßt die entsprechenden Einsatzregeln für ISAF und OEF, die die notwendige Anpassung erfahren haben. In diesem Zusammenhang ist auch die enge Abstimmung mit den afghanischen Regierungsstellen zentral.

Die Luftaufklärung durch die Tornados ist für den Erfolg der ISAF-Gesamtoperation erforderlich und dient dem Schutz der ISAF-Soldaten in ganz Afghanistan und damit auch direkt dem Schutz der deutschen Soldaten, aber auch der im Lande eingesetzten zivilen Helfer und der afghanischen Bevölkerung. Die Aufklärungsflugzeuge werden aufgrund ihres Auftrages und ihrer Ausstattung nur für Aufklärungszwecke eingesetzt. Sie werden nicht zur Luftnahunterstützung („Close Air Support“) herangezogen. Die Aufklärungsflugzeuge verfügen über Eigen- und Selbstschutzeinrichtungen. Der Einsatz der Tornados wird von ISAF als qualitativ hochwertiger Beitrag gewürdigt. Die Ergebnisse der Luftaufklärung dienen auch einem angemessenen und verhältnismäßigen Einsatz der militärischen Mittel.

Die bisher getrennten Bundestagsmandate für ISAF sowie den Tornado-Einsatz werden in einem Mandat zusammengeführt, das alle Beiträge beinhaltet, die Deutschland im Rahmen von ISAF leistet. Die Zusammenführung der Mandate trägt auch dazu bei, die deutschen ISAFKräfte im Rahmen der Obergrenze flexibler einsetzen zu können und so die Unterstützung beim Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte verstärken zu können.

Dem Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte kommt sowohl nach internationaler Beurteilung als auch im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung für die Stabilisierung des Landes ein besonderes Gewicht zu. Das mittelfristige Ziel ist es, die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähigen, Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleisten. Nur so wird sich der Einsatz der internationalen Truppen in Afghanistan auch befristen lassen. Bereits heute tragen die afghanischen Sicherheitskräfte zunehmend zur Herstellung der Sicherheit bei. Insbesondere im Süden und Osten erleiden sie dabei auch erhebliche Verluste. Zur Beschleunigung des Polizeiaufbaus hat die Bundesregierung während ihrer EU-Präsidentschaft die europäische Polizeimission EUPOL Afghanistan mitinitiiert. Diese hat im Juni dieses Jahres ihre Tätigkeit aufgenommen und wird die bisherige erfolgreiche deutsche Arbeit in diesem Bereich intensivieren und auf das ganze Land ausweiten. Ergänzend setzt die Bundesregierung auch ihre bilaterale Projektarbeit zum Polizeiaufbau fort. Auf militärischer Seite hat die afghanische Nationalarmee (ANA) mit ca. 38.000 Soldaten mittlerweile gut die Hälfte ihrer Sollstärke (70.000) erreicht. Ihre Ausbildung und Ausrüstung ist zu verbessern, um die Einsatzbereitschaft zu stärken und sie zur eigenständigen Aufgabenwahrnehmung zu befähigen. Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen verstärken und auch die Ausbildung im Rahmen des Konzepts der „Operational Mentor and Liaison Teams“ (OMLT) ausweiten.

Die Bundesregierung ist bereit, der Bitte der afghanischen Regierung und der Vereinten Nationen zu entsprechen und im Rahmen der Internationalen Gemeinschaft und der NATO ihren substanziellen Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans fortzusetzen, um so zu einer dauerhaften Stabilität in einer kritischen Region der Welt beizutragen und eine friedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung Afghanistans zu ermöglichen.

Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer regelmäßigen Unterrichtung über die Auslandseinsätze der Bundeswehr den Deutschen Bundestag auch weiterhin unverzüglich über Unterstützungsleistungen außerhalb des Schwerpunktgebietes in der Nordregion informieren.

Quelle: Bundestagsdrucksachen; http://dip.bundestag.de (pdf-Datei)


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