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Trittin: "Der Strategiewechsel muss endlich am Boden in Afghanistan ankommen" / Gehrcke: "Zwei Drittel der Befragten fordern einen Rückzug aus Afghanistan"

Der Bundestag diksutierte erneut über den Afganistan-Einsatz. Alle Reden im Wortlaut

In der Bundestagssitzung am 14. März 2008 stand ein Antrag von Bündnis90/Die GRÜNEN auf der Tagesordnung, in dem ein "Kurswechsel" der NATO in Afghanistan gefordert wird. Der Antrag (er trägt die BT-Drucksachen-Nr. 16/8501) kann hier als pdf-Datei herunter geladen werden: "Nato-Gipfel für Kurswechsel in Afghanistan nutzen".
Die Debatte darüber brachte nichts wirklich Neues. Bekannte Standpunkte wurden ausgetauscht. Die Regierungskoalition fährt fort, an ihre angeblichen Erfolge der zivil-militärischen Zusammenarbeit zu glauben, die GRÜNEN vertreten keine wirklich alternative Strategie, fordern auch keinesfalls den Abzug oder auch nur Teilabzug von Besatzungstruppen, sondern will lediglich bestimmte Elemente der NATO-Strategie stärker betonen (Ausbildung afghanischer Soldaten, Aufbau von afghanischen Polizeikräften, schonenderer Umgang mit der Zivilbevölkerung).
Für die ganze Diskussion waren gerade einmal 30 Minuten veranschlagt. Im Folgenden dokumentieren wir die sechs Reden des Nachmittags nach dem vorläufigen stenografischen Protokoll.
Es sprachen



Deutscher Bundestag, 152. Sitzung
Berlin, Freitag, den 14. März 2008

V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G
DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN NATO-Gipfel für Kurswechsel in Afghanistan nutzen
- Drucksache 16/8501 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Grünen fünf Minuten erhalten sollen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Jürgen Trittin vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem Bukarester Gipfel der NATO wird eine Reihe von wichtigen Fragen diskutiert. Es geht um die Frage einer neuen Raketenabwehr in Europa. Wir sind dezidiert der Auffassung, dass diese abrüstungspolitisch kontraproduktiv wäre;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn sie würde eine schwere Belastung unseres Verhältnisses zu Russland darstellen.

Das Drängen der Ukraine und Georgiens auf Aufnahme in die NATO, das sich auch in der Tagesordnung widerspiegelt, dürfen wir angesichts der ungeklärten Konflikte in diesem Bereich nicht durch unnötige Signale ermuntern.

Der Kern der Auseinandersetzung ist die Frage: Wie geht die NATO mit dem ISAF-Einsatz in Afghanistan um? Hier muss es - da kann es nicht nur bei Ankündigungen bleiben - tatsächlich einen Strategiewechsel geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die jüngst veröffentlichten Zahlen und Statistiken unterstreichen das mit einem ganz bitteren Nachdruck. 2007 gab es gewaltbedingt 8 000 Tote, darunter 1 500 Zivilisten. Das war das blutigste Jahr seit dem Sturz der Taliban. Die sogenannten Oppositionellen Militanten Kräfte haben im Jahr 2007 160 Selbstmordattentate verübt. Man muss in aller Deutlichkeit sagen: Die meisten getöteten Zivilisten sind Anschlägen von Aufständischen und nicht kriegerischen Aktionen der internationalen Gemeinschaft zum Opfer gefallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Es ist ein Irrtum - das muss man an dieser Stelle immer wieder sagen -, zu glauben, es würde weniger Krieg geben, wenn die internationale Gemeinschaft dort abziehen würde. Im Gegenteil: Afghanistan würde in jenen Bürgerkrieg zurückfallen, in dem es sich 30 Jahre lang befunden hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist auch jedes zivile Opfer, das durch Handeln von NATO-Soldaten dort verantwortet wurde, ein Opfer zu viel. Es delegitimiert die internationalen Bemühungen für einen Aufbau. Deswegen bedarf es dieses Strategiewechsels.

In Bukarest soll über einen umfassenden strategisch-politisch-militärischen Plan gesprochen werden. Ich sage in aller Deutlichkeit: Es darf nicht bei einem Plan bleiben. Der Strategiewechsel, über den in allen Gremien geredet wird, muss endlich am Boden in Afghanistan ankommen. Er muss für die Menschen in Afghanistan spürbar und erfahrbar sein. Er muss dort praktiziert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Dazu gehört eine gemeinsame Strategie mit der afghanischen Regierung für den Umgang mit den Oppositionellen Militanten Kräften. Dazu gehört eine verbesserte und verstärkte Aufbauleistung. Dazu gehört, dass die Defizite im Bereich des Polizei- und Justizaufbaus, der Drogenbekämpfung und der Demobilisierung endlich angegangen werden.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Wir müssen endlich klarstellen, wer hier in welchen Bereichen die Verantwortung und die Federführung hat.

Ich denke, dass dem neuen zivilen Koordinator, Herrn Eide, dabei nur eine glückliche Hand zu wünschen ist. Wir wünschen uns, dass er die Defizite, die gerade im zivilen Bereich aufgetreten sind, mit unser aller Unterstützung bewältigen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die vielfach zitierte vernetzte Sicherheit muss aber in der Tat am Boden verwirklicht werden. Dazu gibt es eine Grundvoraussetzung, auf der wir mit allem Nachdruck beharren, Herr Erler. Es kann nicht sein, dass neben der NATO-Operation, die dort auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen durchgeführt wird, eine weitere, davon unabhängige Militäroperation stattfindet. Das stellt alle Bemühungen zur Erreichung eines einheitlichen Konzeptes der vernetzten Sicherheit auf den Kopf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie in dieser Frage mit den USA verhandeln und reden wollen, die der Hauptansprechpartner sind, dann sage ich in dem Bewusstsein, dass die USA auch einer der größten zivilen Hilfeleister in Afghanistan sind: Sie müssen auch die Bereitschaft haben, in anderen Dingen Verantwortung zu übernehmen. Das ist nicht in erster Linie in Bereichen der Fall, die, wie die Bundeskanzlerin es gesagt hat, mit mehr Gefahren verbunden sind. Vielmehr glaube ich, dass die USA über einen solchen Strategiewechsel nur reden werden, wenn die NATO bereit ist, tatsächlich das zu übernehmen, was OEF bisher gemacht hat, nämlich die Ausbildung der afghanischen Armee. Deswegen sage ich Ihnen: Die Frage eines Strategiewechsels in Bukarest wird sich in der Antwort auf die Frage materialisieren, ob Sie es schaffen werden, in einem ersten Schritt das Nebenei-nander zu beenden, damit die Ausbildung der afghanischen Armee künftig von ISAF - von der NATO - durchgeführt wird und nicht mehr unter dem Dach von Enduring Freedom steht.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Holger Haibach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, der heute vom Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt wird, gibt die Gelegenheit, noch einmal die Situation in Afghanistan genau in Augenschein zu nehmen. Bei allen bedauerlicherweise festzustellenden tragischen Ereignissen und bei allem, was der Kollege Trittin richtigerweise gesagt hat, finde ich, dass wir das, was erreicht worden ist, nicht kleinreden sollten.

(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht er doch nicht!)

Es ist durchaus so, dass sich die Situation in Afghanistan in vielen Bereichen nicht unwesentlich verbessert hat. Es gibt inzwischen 4 Millionen Afghanen, die Zugang zu Trinkwasser haben. Es gibt viel mehr Menschen, die Zugang zu Infrastrukturleistungen wie Stromversorgung haben. Es ist wieder möglich, dass junge Mädchen in Schulen gehen. Vieles andere ist ebenfalls möglich. Insofern gehört das zur Komplettierung des Bildes dazu. Wir haben es mit einem sehr schwierigen und sehr komplexen Bild zu tun. Es gibt aber auch Erfolge, und die dürfen wir nicht kleinreden.

(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut keiner!)

In diesem Zusammenhang müssen wir, so glaube ich, auch die Frage stellen, wie unser eigenes Engagement aussieht. Hierüber ist sehr viel diskutiert worden. Der Druck, der von der NATO auf uns ausgeübt wird, ist sehr groß, wenn es um die Frage von zusätzlichen Truppenstellungen geht. Ich finde, auch hier muss man feststellen: Wir sind mit 3 500 Soldaten der drittgrößte Truppensteller in Afghanistan. Wir sind der viertgrößte Geber in Afghanistan, wenn es um die Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit geht. Das sind immerhin beinahe 900 Millionen Euro. Das ist keine Kleinigkeit. Ich finde, auch das gehört zu dieser Debatte.

Wenn man ein neues Konzept der vernetzten Sicherheit fordert, dann ist das sicherlich ganz im Sinne all derer, die sich hier im Hause mit dem Thema beschäftigen. Es ist aber auch im Sinne dieser Bundesregierung; denn sie ist ebenso wie die Vorgängerbundesregierung diejenige gewesen, die dieses Konzept der vernetzten Sicherheit in die Diskussion eingebracht und dafür gesorgt hat, dass es überhaupt zum Thema gemacht worden ist.

Wie sehr dies inzwischen zu einer allgemeinen Überzeugung geworden ist, kann man sehr deutlich an dem erkennen, was der NATO-Generalsekretär bei der Kommandeurstagung der Bundeswehr gesagt hat. Diese Rede war in vielerlei Hinsicht ausgesprochen bemerkenswert.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie unterschied sich auch von der der Bundeskanzlerin!)

Wir würden vieles nicht teilen. Aber er hat etwas gesagt, was ich für einen NATO-Generalsekretär sehr bemerkenswert finde. Ich möchte einmal zitieren, was er zu der Debatte über die Strategie in Afghanistan ausgeführt hat:

Für mich jedenfalls beweist diese Diskussion, dass wir unseren Anspruch, die Lehren aus den sicherheitspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre gezogen zu haben, noch nicht wirklich eingelöst haben.

Er identifiziert dann insgesamt vier Bereiche, deren Beachtung er für notwendig hält, um das Konzept der vernetzten Sicherheit herzustellen: Erstens. Das Überleben eines Staates kann heute von Entwicklungen abhängen, die sich gänzlich innerhalb der Grenzen eines anderen Staates abspielen. - Deswegen ist die Frage, einfach aus Afghanistan zu verschwinden, für uns natürlich keine Alternative. - Zweitens. Terrorismus des 21. Jahrhunderts hat keine Armee und kein Aufmarschgebiet. Drittens. Die überkommenen Vorstellungen von Abschreckung sind hinfällig geworden, weil Staaten ein anderes Interesse haben als staatenlose Terroristen oder Gruppen in zerfallenden Staaten. Viertens. Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen hat einen neuen, sehr bedauerlichen Grad erreicht.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deswegen braucht man ein Raketenabwehrsystem!)

Daraus zieht er die Konsequenz - ich zitiere -:

Wir müssen sicherstellen, dass die militärische Transformation unserem breiter gefassten Verständnis von Sicherheit entspricht ... von Peacekeeping bis zum Kampfeinsatz ...

Nun kann man darüber reden, wie schnell so etwas umgesetzt wird und inwieweit das alle Partner teilen. Nur, eines ist auch klar: Vor 15 oder 10 Jahren hätte ein NATO-Generalsekretär wahrscheinlich nicht in dieser Art und Weise gesprochen. Das ist sicherlich zum großen Teil auch ein Erfolg der Debatte und des Handelns in Deutschland.

Nichtsdestoweniger finde ich, dass der Antrag der Grünen wichtige und richtige Punkte benennt. Das ist sicherlich zum einen die Frage des Aufbaus ziviler und militärischer Strukturen in Afghanistan. Hier haben wir noch einiges zu tun, sowohl mit Blick auf die Armee als auch mit Blick auf die Polizei. Wenn man sich auf der einen Seite das - rein personell gesehen - Engagement der EU zum Beispiel im Kosovo und auf der anderen Seite das Engagement beim Aufbau der Polizei in Afghanistan anschaut und einmal die Größe dieser Länder und die Bevölkerungszahlen miteinander vergleicht, dann erkennt man, dass wir hier alle gemeinsam noch einiges zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Richtig in dem Antrag ist auch, dass wir die Nachbarländer mehr in den Blick nehmen müssen. Bei Pakistan ist das relativ klar, wobei Pakistan auch der schwierigste Fall ist. Seien wir einmal ehrlich: Eine wirklich vernünftige Lösung gibt es noch auf keiner Seite; denn Pakistan selber befindet sich in einer extrem schwierigen politischen Situation. Hinzu kommt, dass der Staat in den Tribal Areas an den Grenzen keine wirkliche Durchgriffsmacht hat, zumindest soweit wir das bis jetzt beobachten können.

Es gilt sicherlich für den Iran, aber auch für die zentralasiatischen Staaten, für Turkmenistan und Usbekistan, im Zusammenhang mit der Frage von Drogentransportwegen und des grenzüberschreitenden Kampfes gegen den Terrorismus. Es gilt auch für Indien. Wenn wir über Pakistan und Afghanistan reden, dann müssen wir auch darüber reden, wie wir Indien an diesem Prozess beteiligen können. Dass dafür in Deutschland durchaus Verständnis herrscht, zeigt die deutsche G-8-Initiative zum afghanisch-pakistanischen Dialog an dieser Stelle.

Insofern glaube ich, dass wir beides zu tun haben: Auf der einen Seite müssen wir die Konsequenz der Politik der vernetzten Sicherheit einfordern, die alle Partner anerkennen müssen, und auf der anderen Seite muss das, was erreicht worden ist, stabilisiert werden, und die Engpässe, die es eben gibt, müssen beseitigt werden. Das ist nicht allein eine Frage des Geldes. Vielmehr lautet die Frage: Wie können wir die Strukturen in Afghanistan so gestalten, dass das Land tatsächlich in der Lage ist, das, was wir ihm an Hilfsmitteln - sei es in Form von Geld oder in anderer Form - bieten können, vor Ort umzusetzen?

Eine letzte Bemerkung möchte ich zur Frage der Mandate machen. Alle diejenigen, die sich mit den beiden Mandaten beschäftigen, wissen, dass es nicht ganz einfach ist, OEF und ISAF miteinander zu verbinden. Denn an OEF hängt noch die Operation Active Endeavour. Außerdem ist das Mandatsgebiet von OEF wesentlich größer als "nur" die Fläche von Afghanistan. Allein das bereitet schon gewisse Schwierigkeiten.

Darüber hinaus bin ich auch nicht der Meinung, dass eine Zusammenlegung der Mandate eine unabdingbare Voraussetzung für bessere Verhältnisse und für eine Politik der vernetzten Sicherheit ist. Es hat schon Gebiete und Länder gegeben, in denen Truppen mit unterschiedlichen Mandaten wirkungsvoll zusammengearbeitet haben. Es ist durchaus möglich, auf diese Weise erfolgreich zu arbeiten.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden Sie aber nicht viele Beispiele finden!)

Ich denke, der uns heute vorliegende Antrag bietet viele bedenkenswerte Ansätze und Punkte, über die wir in den Beratungen reden müssen. Aber wir sollten immer im Blick haben, dass wir nicht alleine auf der Welt sind. Wir können Vorschläge machen, aber zum Schluss wird in der NATO kollegial entschieden. Bei allem, was in Afghanistan bedauerlicherweise nicht so funktioniert, wie wir es gerne hätten, dürfen wir nicht vergessen, dass wir auch einiges erreicht haben. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hellmut Königshaus von der FDP-Fraktion.

Hellmut Königshaus (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben recht: Wir brauchen einen Kurswechsel, genauer gesagt: Die Grünen brauchen einen Kurswechsel. Herr Trittin ist offenbar - das zeigt sein Beitrag - schon auf diesem Weg. Nur hat seine Auffassung leider relativ wenig mit dem Antrag zu tun. Wahrscheinlich hat Herr Trittin das Herumgeeiere und das Vorbringen von Scheinargumenten, wie zuletzt auf der Bundesdelegiertenversammlung seiner Partei geschehen, satt. Sein wohltuender Redebeitrag vorhin war fast schon staatstragend. Es wäre schön, wenn dies die gemeinsame Linie aller Grünen wäre. Aber der vorliegende Antrag setzt noch die alte, die unklare Linie fort: von allem etwas und immer ein bisschen das Gegenteil davon; einerseits ein bisschen Nachtwei, andererseits ein bisschen Zion und irgendwo dazwischen Herr Trittin.

(Beifall der Abg. Ina Lenke [FDP])

Beispiel: Die NATO und damit auch die Bundeswehr sollen die Ausbildung der afghanischen Armee übernehmen. So steht es im Antrag. Aber es ist kein Wort darüber enthalten, dass dies notwendigerweise mit einer Aufstockung sowohl beim Personal als auch beim Material verbunden ist. Was heißt dies überhaupt konkret? Soll die Bundeswehr auch im Süden, vielleicht auch noch im Osten und im Westen ausbilden? In dem Antrag findet sich dazu kein Wort. Oder sollen das wieder nur die anderen machen? Wir Deutschen machen immer Vorschläge, und die anderen sollen sie dann umsetzen. Das wird auf Dauer nicht auf Begeisterung stoßen und auch nicht umsetzbar sein.

(Beifall bei der FDP - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das habe ich nicht gesagt, Herr Königshaus!)

Es gibt hinreichend Grund, umzusteuern. Ich freue mich - wir haben das eben im Beitrag des Kollegen Haibach gehört; Detlef Dzembritzki wird es wahrscheinlich ebenfalls erwähnen -, dass es in der Koalition die Erkenntnis gibt, dass wir etwas verändern und den Tatsachen ins Auge sehen müssen. Es gibt eben eine sich unbestreitbar verschärfende Krise in Afghanistan, die ein "Weiter so" verbietet.

Die breite Masse der Menschen in Afghanistan - auch das wurde schon vorhin deutlich - spürt einfach keine Verbesserung ihrer Situation. Der Wiederaufbau kommt nicht voran; die Wirtschaft entwickelt sich nicht - und wenn, dann nur im Bereich der Drogenproduktion und des Drogenexports. Überall greift die Korruption um sich und zerstört jede nachhaltige Entwicklung. Der Zentralregierung gelingt es überhaupt nicht, ihren Einfluss auf die Provinzen und damit auf das ganze Land auszudehnen.

Deutschland und die internationale Gemeinschaft dürfen deshalb das afghanische Volk in dieser kritischen Phase nicht im Stich lassen. Die Entwicklungs- und Sicherheitsstrategie müssen so angepasst werden, dass die Menschen eine schnelle und spürbare Verbesserung ihrer Situation empfinden.

Der NATO-Gipfel bietet eine gute Gelegenheit, den NATO-Partnern und ihren Parlamenten und Regierungen, aber auch uns selbst ins Gedächtnis zu rufen, wie wichtig ein stärkeres Engagement in Afghanistan ist. Wir dürfen uns in Afghanistan kein Scheitern leisten. Das gilt sowohl für die militärische als auch für die zivile Seite, den zivilen Aufbau. Viel zu wenig ist geschehen, um die Friedensdividende spürbar zu machen. Auch wir Deutschen müssen uns vorwerfen, dass unsere Beiträge auf dem zivilen Sektor viel zu gering sind.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir die deutschen Beiträge mit den Leistungen der USA oder Kanadas vergleichen, dann müssen wir feststellen, dass sie viel zu gering sind. Aber wir hören ja auch immer wieder die Argumentation, dass wir militärisch nicht mehr tun müssten, weil wir ja schon diesen Beitrag zum zivilen Aufbau leisten.

Viel zu gering ist unser Beitrag auch im Vergleich zu dem, den wir in anderen Ländern leisten, in denen wir aktiv sind, die für uns aber keine so strategische Bedeutung haben und die nicht so fragil sind wie Afghanistan. Warum bekommt beispielsweise China immer noch so viel Hilfe? Nach der ODA-Quote bekommt China 187 Millionen Euro; für Afghanistan sind 125 Millionen Euro - wenn das denn so ist; im Haushaltsplan ist jedenfalls nichts davon zu finden - vorgesehen.

(Beifall bei der FDP)

Ausgewogenheit und Schwerpunktsetzung sind dabei nicht zu erkennen.

Der zivile Aufbau ist auch der Schlüssel zur Drogenbekämpfung. Wir haben eben gehört, welche wichtige Rolle dieses Thema spielt. Die Menschen brauchen alternative Einkommensmöglichkeiten, anders geht es nicht voran. Noch sind die Menschen, die in großer Masse auf dem Land leben, auf die Drogenproduktion angewiesen. Wir müssen ihnen helfen.

Bei den Aufgaben, die wir im Bereich der Polizeiausbildung und im Übrigen auch im Bereich der militärischen und sonstigen Sicherheit übernommen haben, haben wir versagt. Darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden, ich will das nicht weiter vertiefen.

Weshalb ist der NATO-Gipfel so wichtig? Die NATO ist ja nicht nur ein militärisches, sondern auch ein politisches Bündnis. Die NATO ist der richtige Ort, um diese Themen anzusprechen. Gott sei Dank werden sie ja auch angesprochen. Wir sollten dort insbesondere auch über eine bessere Verzahnung von OEF und ISAF sprechen.

Wir sollten aber nicht den Eindruck erwecken, als gebe es eine gute und eine schlechte Mission und als ob Sie, die Grünen, gegen die schlechte Mission kämpften und der ganze Rest der Welt auf dem Weg des Bösen sei. Nein, beides gehört zusammen: Ohne Bekämpfung des Terrors, ohne eine Sicherung durch OEF-Mission geht es nicht. Und wenn die OEF es nicht macht, dann müsste es die ISAF tun. Aber das wollen Sie ja auch nicht. Deshalb: Kommen Sie endlich zu einer klaren Aussage da-rüber, was Sie wirklich wollen. Dieser Antrag zeigt es uns nicht. Er soll nichts anderes bezwecken, als die nach wie vor bestehende Unklarheit bei der Ausrichtung innerhalb der grünen Partei zu verkleistern. Dafür ist dieses Thema weiß Gott zu ernst.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Detlef Dzembritzki von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Detlef Dzembritzki (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu Herrn Königshaus möchte ich mich zunächst einmal zumindest bei einem Teil der Opposition - nämlich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - bedanken. Denn in dem von Ihnen vorgelegten Antrag sprechen Sie durchaus Aspekte an, die in die richtige Richtung weisen. Mein Bemühen - lieber Kollege Königshaus, wir kennen uns schon lange; und Sie wissen, dass ich Sie schätze - ist eigentlich immer gewesen, hier im Haus eine möglichst große Schnittmenge von Gemeinsamkeiten herzustellen. Gerade in der Afghanistan-Debatte sollten wir den Versuch unternehmen, das beizubehalten. Aus unserer Sicht verfolgen Sie in Ihrem Antrag wichtige Punkte, die auch wir verfolgen. Es ist gut, wenn wir das gemeinsam feststellen und weiter an diesem Thema arbeiten. Das schließt natürlich nicht aus, dass in einigen Punkten Differenzen und Diskussionsbedarf bestehen.

Sie fordern von der Bundesregierung, sich auf dem NATO-Gipfel in Bukarest für einen Kurswechsel einzusetzen. Sie werden nicht überrascht sein, dass wir durchaus meinen, dass sich die Bundesregierung in diesem Bereich schon eingebracht hat. Beispielsweise ist das, was auf dem NATO-Gipfel in Riga passiert ist, auch auf den Einsatz der Bundesregierung zurückzuführen. Bei dem Werben für einen zivil-militärischen Ansatz, der auch in Bukarest eine Rolle spielen wird, sind wichtige Impulse von deutscher Seite ausgegangen. Ich will damit nicht sagen, dass das unsere Erfindung ist, aber wir waren wesentlich daran beteiligt.

Interessant und - wenn Sie so wollen - erfreulich ist auch: Wenn man zum Beispiel im NATO-Hauptquartier in Brüssel Diskussionen mit den Militärs und den zivilen Spitzen führt, dann hört man überall: Wir brauchen den gemeinsamen Ansatz, den Comprehensive Approach. - Das ist geradezu ein sehnlicher Wunsch, der von der Politik auch erfüllt werden muss. In diesem Bereich muss in Bukarest einiges passieren. Das will ich deutlich unterstreichen.

Herr Kollege Trittin, Sie sind anlässlich des Gipfels in Bukarest eingangs auf das Thema NATO-Erweiterung eingegangen. Mir ist dabei die Kommandeurstagung durch den Kopf gegangen, an der ich teilgenommen habe und auf dem sich die Bundeskanzlerin und der NATO-Generalsekretär zu dieser Frage und auch zu Afghanistan geäußert haben. Das Interessante war: Als ich am nächsten Tag die Zeitung las, habe ich mich gefragt, bei welcher Veranstaltung ich gewesen bin, weil ich die Auftritte des Generalsekretärs und der Kanzlerin als einvernehmlicher wahrgenommen hatte, als das nach außen transportiert wurde.

Deswegen sollten wir auf dieser Konferenz in Bukarest mit einem gewissen Selbstbewusstsein auftreten, um dort unseren Ansatz zu vertreten. Dabei müssen wir unseren Anteil, den wir in Afghanistan leisten, immer im Hinterkopf haben. Wir wissen, dass der militärische Teil notwendig ist, um, wenn man so will, Zeit zu erkaufen, um den zivilen Aufbau zu ermöglichen. Wir wissen aber auch, dass der zivile Aufbau den entscheidenden Anteil unserer Arbeit in Afghanistan haben muss.

Dabei darf man aber auch nicht übersehen - manchmal ist das offensichtlich der Fall -, dass das, was militärisch im Norden geleistet wird, nicht ohne Risiko ist und dass auch unsere Soldatinnen und Soldaten im Zweifel zu Handlungen herausgefordert sind, die man durchaus als Kampfhandlungen bezeichnen kann. Hier so zu tun, als ob sie dort technische Hilfe zu leisten hätten, wäre absurd und würde der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen, wenn es darum ginge, zu beschreiben, was in Afghanistan zu leisten wäre.

Interessant ist aber auch etwas anderes. Ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen. Herr Königshaus, Sie sagen pauschal, bei den Menschen in Afghanistan sei nichts angekommen. Das sollten wir ein Stückchen differenzierter sehen. In diesem Zusammenhang - das habe ich hier schon gesagt - gibt es drei interessante Untersuchungen in dieser Sache.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

- Dann ist es ja gut. Ich will hier aber von dieser Stelle trotzdem sagen, dass 70 Prozent der Menschen in Afghanistan den internationalen Einsatz im zivilen wie im militärischen Bereich für sich persönlich als wichtig und wertvoll ansehen und dass sie ihre Lebenssituation, verglichen mit 2001, als deutlich verbessert betrachten. Auch das muss einmal in die Köpfe transportiert werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Diese Diskussion über Afghanistan führen wir sehr häufig. Ich kann inzwischen schon nicht mehr zählen, wie oft ich hier schon über Afghanistan gesprochen habe.

(Walter Kolbow [SPD]: Das letzte Mal, Herr Kollege!)

Aber wenn die Kolleginnen und Kollegen zum fünften Mal das gleiche Beispiel vortragen, dann ist nicht fünfmal etwas Schlechtes oder Gutes geschehen, sondern wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass dort ein Prozess abläuft und wir an diesem Prozess im Guten - hoffentlich weniger im Bösen - beteiligt sind und dabei durchaus Erfolge zu verzeichnen haben.

Sie haben - das ist für mich nicht überraschend, da wir diese Frage häufig diskutieren - OEF und ISAF angesprochen. Man sollte sich davor hüten, OEF mit dem Etikett "böse" und ISAF mit dem Etikett "gut" zu versehen. Schauen Sie sich zum Beispiel an, dass OEF wesentlicher Träger der Ausbildung der afghanischen Armee ist. Diese Aufgabe wollen sie jetzt an ISAF und die NATO übertragen. Ich weiß gar nicht, ob dafür die Kapazitäten vorhanden sind. Hier ist mit Sicherheit Diskussionsbedarf und ein Abwägungsprozess notwendig, wie wir eigentlich die Herausforderungen, die nach wie vor im Süden bestehen, meistern wollen, welche Instrumente wir dafür zur Verfügung haben und wie andererseits der wichtige Bereich der Ausbildung unterstützt werden soll.

Das, was ich als absolut notwendig ansehe, ist, dass von der Konferenz in Bukarest vonseiten der NATO ein Signal in Richtung der Europäischen Union, aber noch mehr in Richtung der Vereinten Nationen dahin gehend ausgeht, wie die Zusammenarbeit verbessert und untereinander abgestimmt werden kann, um zum Beispiel die Ziele und Vorgaben des Afghanistan Compacts zu erreichen, der nach wie vor die wichtigste Roadmap, die wichtigste Vorgabe für die Entwicklung in Afghanistan ist. Wichtig ist auch, dass wir die Konferenzen in Bukarest und Paris über Afghanistan miteinander verbinden können, sodass die NATO in der Bilanzierung deutlich machen kann, welche Dinge sich in ihrer Verantwortung nicht entwickelt haben. Andererseits muss gezeigt werden, wie Europäische Union und Vereinte Nationen in ihrer zivilen Leitungsfunktion unterstützt werden können, um diese Aufgaben zu erfüllen.

Ich will an dieser Stelle ansprechen, dass die Bereitstellung von Polizei und das Funktionieren der Justiz wesentliche Voraussetzungen dafür sind, dass innere Sicherheit entstehen kann. Aus einem Bericht im Auswärtigen Ausschuss - wir alle haben ihn bekommen - geht zwar hervor, dass 55 000 Polizisten zur Verfügung stehen. Ich unterstelle einmal, dass diese Zahl zutreffend ist. Es fehlen dann aber immer noch 30 000. Man muss sich also darüber Gedanken machen, wie man die Ausbildung forciert.

Dazu sage ich: Wenn notwendig, müssen wir im Parlament bereit sein, die Entscheidung zu treffen, dass die Regierung mehr Geld zur Verfügung hat, um diese Aufgabe zu übernehmen. Das ist dann eine temporäre He-rausforderung, die man mit entsprechenden Haushaltsmitteln angehen muss. Wir können uns auf keinen Fall bei den Amerikanern darüber beklagen, dass sie etwas tun und wie sie etwas tun, wenn wir von unserer und europäischer Seite aus nicht in der Lage sind, uns mit dem gleichen materiellen und personellen Einsatz einzubringen.

So gesehen, können wir eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe in Bukarest wie in Paris nur dann erreichen, wenn wir uns den Verpflichtungen stellen und nicht kleinliche Diskussionen darüber führen, wie auf Parteitagen bestimmte Dinge abgelaufen sind. Wir Parlamentarier müssen vielmehr die Gesamtverantwortung übernehmen, indem wir einerseits unsere Regierung so ausstatten, dass sie handeln kann, und sie andererseits zu einem kritischen Dialog auffordern und ihr sagen: In Bukarest ist die NATO im Hinblick auf Afghanistan zu einem Erfolg verpflichtet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte Ihnen ja beim letzten Mal prophezeit, dass wir Sitzungswoche für Sitzungswoche über Afghanistan diskutieren werden. Ich habe gar nicht gedacht, dass sich das so schnell erfüllt.

(Walter Kolbow [SPD]: Warum nur in Sitzungswochen?)

Es wird so sein, dass uns dieses Thema noch lange sehr kontrovers beschäftigen wird.

Die NATO will auf ihrem Gipfel in Bukarest einen umfassenden, strategischen, politisch-militärischen Plan für Afghanistan beschließen. Nur, das Interessante daran ist: Sie will diesen Plan nicht veröffentlichen, weil er geheim ist. Man will also etwas beschließen, will es aber nicht öffentlich machen, weil es geheim ist. Wenn das ein neues strategisches Konzept ist, dann muss ich mich doch sehr wundern.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, in der Tat!)

Als Erstes sollte der Deutsche Bundestag souverän sagen: Wir wollen, dass dieser umfassende militärisch-strategische Plan auf den Tisch kommt und öffentlich wird, damit man darüber reden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Was ist denn das für eine Politik, etwas zu beschließen und es nicht öffentlich zu machen? Zumindest das können wir von der Regierung fordern.

Die NATO wird in Bukarest weiter Druck nach mehr Militär und neuem Kriegsgerät machen, weil sie die stärkste kriegführende Partei ist. Das liegt bereits auf dem Tisch; die Forderungen sind bekannt. Auf dem Gipfel in Bukarest wird es im Prinzip auch ein Ja zur Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien geben. Zudem wird es eine Öffnung zur Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO geben. Auch das ist mittlerweile bekannt. Man wird diesen Schritt noch nicht vollziehen, aber die Tür aufmachen.

Ich erwarte aber kein neues strategisches Konzept, das auch in der Frage Afghanistan einen tatsächlichen Wandel mit sich bringt. Ich will ganz deutlich sagen - hier haben wir Linken eine Grunddifferenz zu dem Vorschlag der Grünen -: Ein strategisches Konzept kann dann nicht neu sein, wenn es nicht die Bereitschaft zum Truppenabbau, zum Truppenabzug vorsieht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Dazu gibt es ja überhaupt keine Überlegungen. Wenn dies nicht geschieht, dann gibt es kein neues strategisches Konzept. Man kann zwar einzelne Punkte benennen; aber zu einem neuen Konzept kommt man nicht.

Man wäre blind, wenn man nicht erkennen würde, dass die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NATO zunehmen, dass auch die mit der Bundesregierung geführte Debatte intensiver wird. Ich finde es schon inte-ressant, dass sich die Kollegen dazu bislang nicht geäußert haben. Einmal klar gesagt: Ich fand den Auftritt des NATO-Generalsekretärs auf der Kommandeurstagung hier in Berlin und die Art und Weise, wie mit unserem Land umgegangen worden ist, dreist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Die Antwort des Verteidigungsministers Jung lautete - ich will ihn einmal wörtlich zitieren; damit das auch korrekt ist -, Auslandseinsätze würden voraussichtlich das Aufgabenspektrum der Bundeswehr in Zukunft in noch stärkerem Maße bestimmen. Was heißt denn das? Er hat die Tür für weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgemacht und nicht etwa zugemacht. Das ist die Botschaft. Ich habe ihn wörtlich zitiert.

Jetzt steht die Bundesregierung unter Druck. Das verstehe ich auch. Sie weiß ganz genau, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mit ihrer Afghanistanpolitik nicht einverstanden ist. Sie spürt den Druck der USA und taktiert in dieser Situation. Diesem Druck muss sie ja Rechnung tragen.

Ich will Ihnen einmal etwas vorhalten, was gestern im Handelsblatt zu lesen war: Und bei einer Umfrage in Deutschland forderten zwei Drittel der Befragten einen Rückzug aus Afghanistan noch in diesem Jahr. Die Nato hat den Rückhalt bei den Bürgern verloren.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Uta Zapf [SPD]: Was für ein Schwachsinn!)

Das schreibt das Handelsblatt; das sagen nicht wir. Das ist aber eine exakt richtige Einschätzung. Mit der Fortsetzung der jetzigen NATO-Politik werden Sie den Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht zurückerobern. Das ist auch nicht unser Ziel, sondern wir wollen einen tatsächlichen Wandel in der Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Uta Zapf [SPD]: Das ist aber neu!)

Da Ostern vor der Tür steht, nutze ich die Gelegenheit, alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu bitten, an den Ostermärschen der Friedensbewegung teilzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich selber werde das sehr ausgedehnt machen. Ich würde mich freuen, wenn ich Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses auf dem einen oder anderen Marsch treffen würde.

(Walter Kolbow [SPD]: Seit wann marschieren Sie?)

Dort können Sie sich mit der Meinung der Friedensbewegung, die einen Rückzug aus Afghanistan will, auseinandersetzen. Auch Abgeordnete können an Ostermärschen teilnehmen. Vielleicht trifft man ja auch mal wieder einen Grünen auf einem Ostermarsch; das wäre direkt ein Revival.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Gert Winkelmeier das Wort.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellvertretend auch für die heutige Mehrheit in diesem Hause hat am 5. Mai 2005 der damalige Bundeskanzler erklärt:

Die NATO ist ein Teil deutscher Staatsräson geworden - und sie wird dies auch bleiben.

Wenn das so sein sollte, muss dann nicht in einer zunehmend vernetzten Welt die Frage gestellt werden, wie Deutschland von Staaten gesehen und beurteilt wird, die diesem Bündnis, dem von niemandem ein Angriff droht, nicht angehören? Diese Staaten werden registrieren, dass Deutschland es hinnimmt, wenn die NATO-Führungsmacht die Foltermethode Waterboarding weiterhin bei Verhören anwendet, weil ihr Präsident selbst definiert, was Folter ist. Diese Staaten sehen, dass die ISAF in Afghanistan täglich zwischen 40 und 65 Einsätze von Jagdbombern zur Luftnahunterstützung fliegt, dabei stets unbeteiligte Personen ums Leben kommen und die Bundeswehr dafür die Luftbilder liefert. Sie werden sich fragen, ob auf diese Weise Nationbuilding befördert werden soll. Die Nicht-NATO-Staaten haben erlebt, wie 1999 Jugoslawien unter Zuhilfenahme gefälschter Beweise mit deutscher Beteiligung überfallen worden ist. Sie erleben heute, dass Deutschland den herausgebombten Teil unter Bruch der KSZE-Schlussakte, der Charta der Vereinten Nationen und seiner eigenen Verfassung als Staat anerkennt.

Mit zunehmender Besorgnis blickt die Welt auf eine NATO, die sich entgegen ihren vertraglichen Grundlagen als Bündnis von Demokratien unverhohlen an die Stelle der UNO setzen will und sich schon jetzt deren Aufgaben anmaßt. Die Welt fragt, was Deutschland zu tun gedenkt, um dem Einhalt zu gebieten. Sie fragt, was es mit einer vorgeblichen Wertegemeinschaft auf sich hat, die sich im Zweifelsfall über Recht und Gesetz hinwegsetzt, weil sie glaubt, sich dies militärisch leisten zu können. Was ist das für eine Wertegemeinschaft, die ehemalige, hochrangige Generale über nukleare Präventivkriege gegen Nichtatomwaffenstaaten nachdenken lässt? Was ist von dem einstigen Verteidigungsbündnis nach Wegfall des potenziellen Gegners geblieben? Die zwanghafte Suche nach Feindbildern und Bedrohungen, um einen Militärapparat zur Durchsetzung westlicher ökonomischer Interessen zu rechtfertigen.

Der Exportweltmeister Deutschland ist jedoch auf Vertrauen in der Welt angewiesen. Dies nicht zu verspielen, dazu ist die geografische und militärische Expansionsagenda des Gipfels in Bukarest wahrlich nicht geeignet. Anstatt über weitere Mitglieder, strategische Lufttransporte und die an jedem Ort der Welt einsetzbare schnelle Eingreiftruppe zu verhandeln, wäre die Bundesregierung gut beraten, sich auf die einstigen Stärken deutscher Außenpolitik zu besinnen. Für diese stehen Begriffe wie Abrüstung, Rüstungskontrolle, gegenseitige Sicherheit, strukturelle Nichtangriffsfähigkeit und gesamteuropäische Friedensordnung. Ich bezweifle aber, dass Sie den erforderlichen Mut aufbringen, gegen den Strom zu schwimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8501 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Quelle: www.bundestag.de


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