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Das Guantánamo von Afghanistan

Hunderte Menschen in US-Folterzentrum Bagram in der Nähe von Kabul ohne rechtliche Grundlage eingesperrt

Von William Fisher, IPS *

Wenn Barack Obama am 20. Januar als neuer US-Präsident vereidigt wird, steht nicht nur die Frage an, was aus dem berüchtigten US-Haft- und Folterzentrum Guantánamo werden soll. Auch die Zukunft der afghanischen Haftanstalt Bagram in der Nähe von Kabul, wo es sogar noch schlimmer zugehen soll, ist ein Erbe, das dringend einer Lösung bedarf. Das andere Gitmo, wie Bagram in Anspielung auf den US-Marinestützpunkt im Südosten Kubas genannt wird, entstand 2001 als Kontrollposten nach der Vertreibung der Taliban durch die USA. Derzeit sitzen dort mehr als dreimal so viele Menschen ein wie in Guantánamo.

Wie aus einem Report des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) hervorgeht, ist die Einrichtung hoffnungslos überfüllt, und die dort lebenden Menschen werden ohne rechtliche Grundlage und ohne Kontakt zur Außenwelt und ihren Anwälten festgehalten. Einige sitzen bereits seit Jahren hinter Gittern, ohne daß gegen sie Anklage erhoben wurde. Dutzende Gefangene würden über Wochen, wenn nicht gar Monate in Isolationshaft gehalten. »Bagram scheint mindestens genauso schlimm zu sein wie Guantánamo«, meint dazu Hina Shamsi von der US-Bürgerrechtsbewegung ACLU.

Viele politische Beobachter sind der Ansicht, daß nur die Justiz das Problem lösen kann. Im Juni hatte der Oberste Gerichtshof in den USA entschieden, daß die in Guantánamo einsitzenden ausländischen Terrorverdächtigen das Recht haben, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahmen durch US-amerikanische Gerichte prüfen zu lassen. Ein Bundesrichter ist derzeit mit der Frage befaßt, ob sich das Urteil auch auf die Gefangenen in Bagram ausweiten läßt.

Wie Guantánamo so wurde auch Bagram als Gefängnis für Terrorverdächtige geschaffen. Vorgesehen war, Gefangene dort unter der ausschließlichen Kontrolle des US-Militärs für die Dauer des Kriegs gegen den Terrorismus festzuhalten. Doch der Plan, die US-Justiz möglichst außen vor zu lassen, wurde vom Obersten Gerichtshof der USA zumindest im Fall der Guantánmo-Häftlinge bereits mehrfach durchkreuzt.

Jetzt geht es darum, eine gerichtliche Entscheidung im Fall Bagram zu treffen. Die Anwälte von vier Häftlingen, die dort seit 2003 einsitzen, argumentieren, daß der Oberste Gerichtshof die US-Gesetze zum Schutz der persönlichen Freiheit auf eine US-Militäreinrichtung in Bagdad ausgeweitet hat. Das US-amerikanische Justizministerium hatte argumentiert, daß Bagram Teil der laufenden Militäroperationen sei. »Feindlichen Kämpfern vor dem Hintergrund eines Krieges das Recht auf Zugang zu unseren Gerichten zu geben, ist sowohl rechtlich als auch praktisch undenkbar.«

Die Anwälte der Bagram-Häftlinge wenden hingegen ein, daß eine Haftdauer von sechs Jahren der ursprünglichen Intention zuwiderliefe, Bagram als temporäres Untersuchungsgefängnis für Soldaten aus dem feindlichen Lager zu nutzen. Der Krieg gegen den Terrorismus, wie er von der Regierung unter George W. Bush verstanden werde, sei global und zeitlich unbegrenzt. Somit sei Bagram anders als Guantánamo eine ständige Einrichtung, in die Tausende Menschen aus aller Welt überstellt würden.

* Aus: junge Welt, 20. Januar 2009


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