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"Truppenabzug statt Tornados"

Friedensbewegung plädiert gegen Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes

Am 19. Januar 2007 fand im Bundestag eine erste Debatte über den von der Bundesregierung zur Zeit geprüften Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen im Süden Afghanistans statt. Die Linksfraktion lehnte den Einsatz in Gänze ab, die GRÜNEN forderten - ähnlich auch die FDP - zumindest einen Parlamentsbeschluss. Dafür scheint es mittlerweile auch eine Mehrheit in den Regierungsfraktionen zu geben. Das Risiko einer Abstimmungsniederlage besteht nicht, nachdem die Fraktionsspitzen von CDU/CSU und SPD signaisiert hatten, einer Ausweitung des Einsatzes zuzustimmen.
Im Folgenden dokumentieren wir eine aktuelle Erklärung aus der Friedensbewegung zum Afghanistan-Einsatz im Wortlaut.



Friedensbewegung gegen Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes

Mitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Tornado-Einsatz bereits beschlossene Sache
  • Bundesregierung abermals wortbrüchig
  • Tornados nicht so "harmlos" wie dargestellt
  • Struck und Steinmeier müssen Konsequenzen ziehen
  • Militär abziehen - zivile Hilfe aufstocken
Kassel, 22. Januar 2007 - Der Bundesausschuss Friedensratschlag befasste sich bei seinem ersten Treffen im Neuen Jahr am Wochenende in Kassel u.a. mit dem von der Bundesregierung zur Zeit "geprüften" Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen im Süden Afghanistans. Zu den Ergebnissen der Beratungen erklärte der Sprecher des "Friedensratschlags", Peter Strutynski:

Entgegen der Behauptung der Bundesregierung, sie prüfe derzeit noch den Einsatz von Tornados im Süden Afghanistans, sind die Würfel offenbar schon längst gefallen: Verteidigungsminister Franz-Josef Jung hat ebenso grünes Licht gegeben wie der hinter ihm stehende Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Oberst Gertz; der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck will es genauso wie der Verteidigungsexperte der CDU/CSU-Fraktion Siebert. Die Bundestagsdebatte am vergangenen Freitag (19. Januar), die erst auf Verlangen der Opposition zustande kam, unterstrich die Absicht der großen Koalition, über die Ausweitung des Mandats bald offiziell eine Entscheidung herbeizuführen. Das am Wochenende nach Afghanistan entsandte "Erkundungsteam", das die Lage vor Ort untersuchen soll, ist reine Augenauswischerei.

Die Bundesregierung wird abermals wortbrüchig. Sowohl bei der Verlängerung des ISAF-Einsatzes am 28. September als auch bei der Verlängerung des Einsatzes im Rahmen von Enduring Freedom am 9. November letzten Jahres versprach die Regierung, den Bundeswehreinsatz nicht auf den Süden des Landes ausdehnen zu wollen. Mit diesem Versprechen wurde gewiss der eine oder die andere Abgeordnete geködert, den Einsätzen zuzustimmen. Die Argumente, die damals von der Bundesregierung gegen die Ausweitung des Mandats ins Feld geführt wurden, gelten heute erst recht: Die Sicherheitslage im Land, insbesondere in den südlichen Provinzen, hat sich weiter verschlechtert.

Der Tornadoeinsatz ist längst nicht so harmlos, wie er von amtlicher Seite dargestellt wird. Es handelt sich keineswegs nur darum, den alliierten Truppen zu einer besseren "Aufklärung" im Süden Afghanistans zu verhelfen. Vielmehr dient der Einsatz dazu, die Zielfindung der NATO bei ihren Bombenangriffen auf Dörfer und Städte zu verbessern. Der Krieg wird dadurch ausgeweitet, zivile Ziele werden in noch größerem Umfang ins Visier genommen, noch mehr Menschen werden in Afghanistan sterben, die Bundeswehr mit rund 250 zusätzlichen Soldaten wird in noch mehr Kämpfe verstrickt.

Der Tornado-Einsatz wird weiter zur Vermischung der beiden ursprünglich getrennten militärischen Missionen in Afghanistan beitragen: der UN-mandatierten ISAF und des von den USA 2001 begonnenen Kriegseinsatzes "Enduring Freedom". Seit mehr als fünf Jahren kämpfen - mit zeitweiligen Unterbrechungen - Einheiten der deutschen Spezialtruppe KSK (Kommando Spezialkräfte) in Afghanistan Seite an Seite mit US-amerikanischen und britischen Kampftruppen. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, über die Aktivitäten des KSK Auskunft zu geben. Das Parlament und erst recht die Öffentlichkeit wissen nicht, in welche Kriegshandlungen diese Sondereinheiten verwickelt sind. Für Spekulationen, wonach deutsche Soldaten auch an Kriegsverbrechen, das heißt an groben Verstößen gegen die Genfer Konventionen beteiligt seien, trägt also allein die Bundesregierung die Verantwortung. Der Fall Kurnaz ist da nur ein kleines Detail, das an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Der damalige Verteidigungsminister Struck trägt die politische Verantwortung für die Beteiligung von KSK-Soldaten an Misshandlungen des Gefangenen Kurnaz; der damalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Steinmeier muss für den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung gerade stehen.

Der Afghanistan-Einsatz verschlingt in diesem Jahr 460 Mio. Euro. Hinzu kämen die Kosten des Tornadoeinsatzes in unbekannter Höhe. Der Gesamtbetrag für die "Verteidigung" Deutschlands am Hindukusch hat die Zwei-Milliarden-Grenze bereits weit überschritten. Damit gibt Deutschland für einen zweifelhaften Militäreinsatz ein Vielfaches von dem aus, was in dringend notwendige zivile Hilfsprojekte geflossen ist oder noch fließen wird.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag fordert: Anstatt die Truppen mit Tornado-Aufklärern zu erhöhen, soll sich Deutschland so schnell wie möglich aus dem militärischen Teil des Afghanistan-Engagements zurückziehen. Ein erster Schritt wäre der sofortige Abzug der KSK-Truppe. Deutschland wäre gut beraten, in den Gebieten, wo dies möglich ist, humanitäre, wirtschaftliche und soziale Projekte zu fördern. Eine Aufstockung der Mittel wäre bei gleichzeitigem Herunterfahren des Militäreinsatzes kein Problem.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wird sich in die Beratungen im Bundestag über den Tornadoeinsatz mit Briefen an die Abgeordneten und Aufklärungsaktionen in der Öffentlichkeit einmischen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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