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Schwere Kämpfe in Afghanistan

NATO-Truppen töten Taliban, aber auch Zivilisten, und fordern mehr AWACS-Flugzeuge *

Im Osten Afghanistans wurden bei Luftangriffen multinationaler Truppen bis zu 70 Kämpfer der aufständischen Taliban getötet. Das Oberkommando forderte desweil weitere AWACS-Flugzeuge an. Forderungen des Bewerbers um die US-Präsidentschaftskandidatur stießen in Berlin auf Kritik.

Afghanische Sicherheitskräfte haben im Einsatzgebiet der Bundeswehr im Nordosten des Landes nach Regierungsangaben den wichtigsten regionalen Taliban-Anführer getötet. Das Innenministerium in Kabul teilte am Samstag (26. Juli) mit, Mullah Usman sei getötet worden, als Bewaffnete unter seinem Kommando einen Kontrollposten der Polizei in der Provinz Tachar attackiert hätten. Usman galt als der oberste Kommandeur der Taliban in der Nordost-Region.

In der südostafghanischen Provinz Chost wurden nach offiziellen Angaben unterdessen mehr als 50 Taliban-Kämpfer getötet. Nach Angaben des Provinz-Gouverneurs, Said Arsallah Jamal, griffen in der Nacht zum Sonntag (27. Juli) mehr als 100 Aufständische einen Posten der afghanischen Sicherheitskräfte an. Dabei seien zwei Polizisten ums Leben gekommen.

Den Angaben zufolge forderten die einheimischen Polizeikräfte nach Beginn des Angriffs Luftunterstützung der Internationalen Schutztruppe ISAF an. Bei dem Beschuss durch Kampfhubschrauber seien »zwischen 50 und 70« Taliban-Kämpfer getötet worden, sagte Jamal. Die übrigen Aufständischen wären geflohen. Die NATO-geführte ISAF machte keine Angaben zur Zahl der getöteten Aufständischen.

Bereits am Samstag (26. Juli) erschossen NATO-Soldaten in der Provinz Helmand im Süden des Landes vier Zivilisten. Der Wagen der Zivilisten sei auf eine Kontrollstelle zugefahren, wobei der Fahrer trotz Aufforderung und Warnschüssen nicht gestoppt habe.

Der NATO-Oberbefehlshaber für Europa und Afghanistan, US-General John Craddock, hat auf der Airbase in Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen) stationierte NATO-AWACS-Flugzeuge zum Einsatz über dem Hindukusch angefordert. Die fliegenden Aufklärungs- und Kommandosysteme, die zu einem Drittel mit deutschen Militärs bemannt sind, könnten Kampfjets bei ihren Bodenattacken leiten. Angesichts geltender Urteile und wegen der zu erwartenden Proteste will die deutsche Regierung erst im September entscheiden. »Statt die Entscheidung über einen Einsatz hinauszuzögern, ist ein klares Nein zu diesem Einsatz notwendig«, fordert Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

In Deutschland wird auch der Vorschlag des demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama kritisiert, durch mehr NATO-Truppen in Afghanistan Steuersenkungen in den USA zu finanzieren. »Mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan für Steuersenkungen in Amerika ist eine abwegige Idee», sagte der CSU-Vorsitzende Erwin Huber der »Bild am Sonntag« (27. Juli). Demnach hatte Obama im US-Fernsehsender CNN gesagt: »Wenn wir mehr NATO-Truppen in Afghanistan haben, bedeutet das langfristig weniger amerikanische Truppen dort. Das wiederum bedeutet, dass wir Milliarden Dollar sparen, mit denen wir Steuersenkungen für Mittelklassefamilien finanzieren können, die unter den gestiegenen Benzinpreisen leiden.« Kritik an dem Vorschlag Obamas kam auch vom verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2008

Wer A sagt ...

Von René Heilig *

Wer A wie Afghanistan und AWACS sagt, der muss sich dem ganzen Alphabet stellen. K wie Kollateralschäden kommt darin vor, M wie Mord und irgendwann dann das Z. Z wie Zusammenbruch einer verfehlten Politik. Den wird die NATO früher oder später erleiden, wenn der Westen weiter versucht, anderen Völkern und Nationen mit Waffengewalt zu verdeutlichen, wie sie Demokratie zu buchstabieren haben.

Außenminister Steinmeier hat völlig recht, wenn er sagt: Die Welt sucht nach einer neuen Ordnung. Diese neue Ordnung, in der die gesamte Menschheit durch elementare Interessen des Überlebens verbunden ist, kann man nur im Miteinander begründen.

Das klingt nach Kant, dem ewigen Frieden und dem Vorrang kritischer Vernunft. Doch alle philosophischen Überlegungen über die Zukunft der Menschheit beginnen mit einfachen Entscheidungen. Beispielsweise mit einem Nein zum AWACS-Einsatz, mit öffentlichen Überlegungen und Planungen, wie man sich schnellstmöglich aus Afghanistan zurückziehen kann, ohne dort noch mehr Chaos und Tod zu hinterlassen. Es macht wenig Sinn, solche Überlegungen und daraus notwendige Entscheidungen hinauszuschieben, bis die westliche Führungsmacht einen neuen ersten Mann hat. Gesetzt, Obama gewinnt, gesetzt, er ist wirklich einer nach der Art der Kennedy-Brüder, dann wird er es begrüßen, wenn die engsten Verbündeten der USA mehr können, als jeden Irrsinn mitzubuchstabieren.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2008 (Kommentar)



Superauge über Asien

Von Arnold Schölzel **

Im September wird der fünfte Satellit des deutschen »Synthetic Aperture Radar (SAR)-Lupe«-Aufklärungssystems seine volle Einsatzbereitschaft erreicht haben und damit das System insgesamt. Der letzte Satellit wurde am vergangenen Dienstag (22. Juli) mit einer russischen Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Plessezk in Nordrußland in eine Umlaufbahn in 500 Kilometer Höhe gebracht. Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst sind damit in der Lage, vom Herbst an aus dem Weltall auch in Afghanistan die Jagd auf Taliban-Kämpfer zu führen. Das berichtete am Wochenende ddp-Korrespondent Friedrich Kuhn aus dem »Kommando Strategische Aufklärung« in Gelsdorf bei Bonn. Dort werden die Informationen der je 700 Kilogramm schweren Satelliten ausgewertet und an militärische oder zivile Stellen weitergeleitet.

Gegenüber ddp erklärte Kommandeur Generalmajor Friedrich Wilhelm Kriesel, die Bundeswehr könne mit der Radaraufklärung zum ersten Mal in aller Welt bei Tag und Nacht sowie bei jedem Wetter Aufklärung betreiben. Offiziere hätten, so der Korrespondent, darauf hingewiesen, daß jetzt Planungen, Vorbereitungen und die Ausführung von Bundeswehreinsätzen im Ausland »auf noch besser gesicherten Erkenntnissen« vollzogen werden können. »SAR-Lupe« kann Gegenstände von unter einem Meter Größe identifizieren. Das System ergänzt demnach die unbemannten »Luna«-Drohnen und »Tornado«-Flugzeuge, die über Afghanistan Informationen sammeln. Mit ihm habe es Deutschland neben den USA und Rußland in die erste Reihe bei der strategischen Aufklärung geschafft. Oberst Reinhard Pfaff vom Gelsdorfer Kommando wurde mit »Quantensprung in der Beschaffung von Informationen« zitiert.

Während die Bundesrepublik so einen bedeutenden Schritt beim Rüstungswettlauf im All und zur Unabhängigkeit bei der globalen Spionage machte, diskutierte das politische Berlin am Wochenende über die ­NATO-Anforderung von AWACS-Aufklärungsflugzeugen mit deutschen Besatzungsmitgliedern für Afghanistan. Der Spiegel berichtet in seiner neuen Ausgabe, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hätten sich vergangene Woche telefonisch verständigt, »die Allianz erst einmal hinzuhalten«. Ein Streit in der Sommerpause solle vermieden werden, die politische Entscheidung erst im September fallen. Die Regierung will laut Spiegel das Mandat für die internationale UN-»Schutztruppe« ISAF von 3500 auf 4500 Soldaten aufstocken und es dabei so anpassen, daß es den AWACS-Einsatz auch für die US-geführte »Operation Enduring Freedom« (OEF) zuläßt. ISAF widmet sich längst vor allem dem Kampf gegen Aufständische, deren Führer gezielt bekämpft werden. Oppositionspolitiker aus FDP, Linke und Grünen kritisierten das Vorhaben scharf.

Für »Aufbau«bilder sorgte unterdessen weiterhin Steinmeier, der sich seit Freitag (25. Juli) in Afghanistan aufhält. Er legte am Sonntag (27. Juli) in Masar-i-Sharif den Grundstein für ein Polizei-Ausbildunszentrum und traf sich mit Bundeswehrsoldaten zum Grillen. Vor allem informierte er sich über die seit Anfang des Monats im Norden des Landes stationierte Schnelle Eingreiftruppe der Bundeswehr. Der Tag wurde komplettiert durch die jüngsten Erfolgsziffern im Kampf gegen angebliche Taliban. Bei Luftangriffen der Besatzungstruppen seien im Osten Afghanistans am Sonntag (27. Juli) bis zu 70 Aufständische getötet worden, meldeten Nachrichtenagenturen. Demnächst noch effizienter mit deutscher Satellitenunterstützung.

** Aus: junge Welt, 28. Juli 2008


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