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Afghanistan-Strategie: Statt Abzug verstärkte Aufrüstung

In der parlamentarischen Sommerpause legt das Verteidigungsministerium seine Bestelllisten vor

Von René Heilig *

Kanzlerin Merkel wandert durch die Alpen, ihr »Vize« Westerwelle macht auch Urlaub. Nur das Morden in Afghanistan macht keine Pause. Und so wird es – trotz Abzugsbeteuerungen – wohl weitergehen. Zumindest stellt sich die Bundeswehr mit ihren Rüstungsbestellungen auf einen längeren gefahrvollen Aufenthalt am Hindukusch ein.

»Wir wollen als Bundesregierung dafür sorgen, dass wir noch in dieser Legislaturperiode, wenn die Voraussetzungen stimmen, uns eine Abzugsperspektive erarbeiten können. Das heißt, dass wir eine schrittweise Rückführung unseres Bundeswehrkontingents einleiten.«

Klang irgendwie beruhigend, was der Bundesaußenminister und Vizekanzler da Anfang Juli in der Regierungserklärung erzählte. Bereits im nächsten Jahr werde die NATO drei bis vier Provinzen in die Verantwortung afghanischer Sicherheitskräfte übergeben. Eine davon werde im Norden des Landes liegen, in dem die Bundeswehr die kriegerische Verantwortung trägt. Wenn also US-Präsident Obama einen Teil seiner Soldaten heimholt, wird man auch das Bundeswehrkontingent verringern können.

Doch wer gewillt war, Westerwelles Worte so kurz vor den Parlamentsferien etwas genauer zu analysieren, dem stach die Unverbindlichkeit der Aussagen ins Auge. Ein Zieldatum für das Ende des deutschen Afghanistan-Einsatzes nannte er nicht. Im Gegensatz zu einigen Verbündeter. Kanada zieht seine ISAF-Truppen bis Ende 2011 ab, die Niederlande haben damit schon begonnen und auch der Truppensteller Polen wird nicht länger als bis Dezember 2013 am Hindukusch bleiben.

Wie sehr die Bundesregierung zu ihren eigenen, sehr vagen Abzugsbeteuerungen steht, lässt sich an den langfristigen Rüstungsplanungen für die Bundeswehr in Afghanistan ablesen. Die kosten Geld, das müssen die Parlamentarier bewilligen. Also ist es aus Sicht der Besteller wie der Produzenten von Kriegsgerät günstig, die Volksvertreter in den Sommerferien mit strategischen Überlegungen zu überraschen. Das tat der Verteidigungsstaatssekretär Walther Otremba vor einigen Tagen, um »eine sachgerechte und in Qualität und Quantität angemessene Ausrüstung« zu fordern.

Zunächst beschrieb er, wie die »Fähigkeitslücken« kontinuierlich geschlossen werden und wie man bereits in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt habe. »Dank intensiver, von Rüstungswirtschaft und Bundeswehr gemeinsam geschulterter Anstrengungen sind nunmehr Fahrzeugtypen und Schutzsysteme für den Einsatz verfügbar, die im schwierigen Spannungsfeld zwischen hohen Schutzanforderungen, der erforderlichen Mobilität und der notwendigen Funktionalität die derzeit wohl weltweit besten am Markt erhältlichen Produkte darstellen.«

Wer – wie die Bundesregierung behauptet – den Rückzug des Militärs plant, der macht sich allenfalls Sorgen um die Erhaltung des »besten am Markt« Erhältlichen. Doch Deutschland rüstet langfristig auf am Hindukusch:

Der Transportpanzer »Fuchs« wird verbessert: Geplanter Zulauf 134 Fahrzeuge. 65 Fahrzeuge werden derzeit umgerüstet und sollen 2011 bis Anfang 2012 ausgeliefert werden. Es sind neue Waffenstationen FLW 200 geordert. Neben den bereits nach Afghanistan geschickten drei Panzerhaubitzen 2000 werden sechs weitere »den klimatischen Bedingungen in AFG« angepasst. Das bedeutet vor allem, dass man eine Kampfraum- und Treibladungsraumkühlanlage nachrüstet. Der Einsatz dieser zusätzlichen Geschütze ist ab dem 1. Halbjahr 2011 möglich. Auf afghanische Bedingungen umgerüstet werden auch 35 zusätzliche Schützenpanzer »Marder«. Neben Klimaanlagen wird man auch Störsender gegen Sprengfallen nachrüsten. Es werden weitere geschützte Fahrzeuge vom Typ »Eagle« beschafft, verstärkt werden die land- und die luftgestützten Aufklärungssysteme. So sollen neben weiteren unbemannten, von Israel geleasten Systemen bis 2012 vier weitere Echtzeit-Aufklärungs-Pods für die deutschen Tornados beschafft werden. Auch dem wachsenden Kommunikationsbedarf will man mit Satellitenanlagen nachkommen.

Dass man sich – statt auf Abzug – auf weitere und schwere Kämpfe einstellt, zeigt die Bestellung zusätzlicher Patronen. 10,5 Millionen Schuss für 5,56 mm und 11 Millionen Schuss für 7,62 mm werden über den sogenannten Einsatzbedingten Sofortbedarf beschafft. »Die Munition«, so lautet die Begründung, »dient der Verbesserung der Schießausbildung in der Einsatzvorbereitenden Ausbildung und ist für die Verwendung im Einsatz vorgesehen.«

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2010


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