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"Operation Anakonda" erweist sich als Schlag in den Sand

Ein kritischer Bericht der Nachrichtenagentur AP

Am 15. März 2002 erhielten wir per e-mail einen AP-Bericht der Korrespondentin Kathy Gannon, in dem sie sich unter Berufung auf amerikanische Quellen äußerst kritisch mit der US-Großoffensive in Ostafghanistan "Operation Anaconda" auseinandersetzt. Wir dokumentieren diesen Bericht, zumal er in der hiesigen Presse kaum zur Kenntnis genommen wurde.

... Man hätte vielleicht doch einen anderen Namen für das Unternehmen wählen sollen, meinte der amerikanische Militärbeobachter sarkastisch angesichts der Ergebnisse der so genannten Operation Anakonda im ostafghanischen Gebirgsland Schah-i-Kot. Denn die südamerikanische Riesenschlange, nach der die Militäroperation benannt war, ist ein typischer Wasserbewohner und deshalb in der Trockenheit der zentralasiatischen Gebirgsregion nicht eben zu Hause.

Wie dem auch sei: Operation Anakonda begann wie so vieles im Afghanistankrieg viel versprechend und endete nach zwei Wochen in Konfusion. Nach nahezu ununterbrochenem Bombardement der Höhlen- und Nachschubsysteme in den Bergen blieb nicht der mindeste Beweis für die Behauptung der Amerikaner zurück, dass Hunderte von Taliban und Kämpfern des Terrornetzwerks El Kaida getötet wurden. Wie afghanische Verbündete der US-Truppen erklärten, wurden bei einem ersten Durchkämmen der bombardierten Gebirgsregionen nur etwa 25 Leichen geborgen. Auch Generalmajor Frank Hagenbeck sprach nur von einer Opferzahl im zweistelligen Bereich.

Es könne natürlich sein, dass eine größere Anzahl von Leichen in eingestürzten Höhlen liegen oder von Bomben zerrissen worden seien und man sie deshalb nicht finde. Aber sicher sei das nicht, sagt Hagenbeck. Doch nach Angaben des afghanischen Kommandeurs Sia Lodin, der einen der letzten Angriffe auf die Taliban- und El-Kaida-Kämpfer befehligte, befinden sich in der Gegend nicht mehr als fünf Höhlen.

Aber die Unstimmigkeiten beginnen schon bei der Schätzung der ursprünglichen Anzahl gegnerischer Kämpfer in dem Gebiet. Während Lodin und andere afghanische Militärführer von etwa 300 Bewaffneten ausgehen, schätzt Hagenbeck die Zahl der Kämpfer zu Beginn der Operation am 2. März auf 1.000. Wie viele davon bereits bei Beginn der Offensive aus den Bergen mit unbekanntem Ziel geflohen sind, ist ebenfalls nicht bekannt.

Von den rund 20 Kämpfern, die während der Operation Anakonda gefangen wurden, habe er gehört, dass einige El-Kaida-Führer aus der zweiten und dritten Reihe getötet worden seien, erklärt Hagenbeck weiter. Er habe angeordnet, dass von allen unidentifizierten menschlichen Überresten DNS-Tests gemacht würden, um herauszufinden, ob wichtige El-Kaida-Führer oder möglicherweise gar Osama bin Laden selbst unter den Opfern seien. Ein afghanischer Kommandeur will von Gefangenen erfahren haben, dass 14 arabische Kommandeure und 250 Tschetschenen vor der Offensive in der Schah-i-Kot waren. Viele von ihnen seien aber schon bei Beginn des Bombardements geflüchtet.

Vieles an der Operation Anakonda erinnert an die Offensive in Tora-Bora vom Dezember. Einen Monat lang bombardierten die Amerikaner die öde Gebirgsgegend, in der sich El-Kaida-Chef Bin Landen und andere Top-Terroristen aufhalten sollten. Am Ende blieb eine Handvoll Leichen und Gefangener. Der Rest war nach Pakistan geflohen.

Autorin: AP-Korrespondentin Kathy Gannon


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