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Der bessere Teil der Tapferkeit

Schwierige Übergabe der Verantwortung

Von René Heilig *

Die Bundeswehr übergibt Stützpunkte und Verantwortung fast im Wochenrhythmus. Man kann es mit dieser Art »Transparenz« auch übertreiben. Und dann wirkt alles wie eine Flucht – die ist ja bisweilen auch der bessere Teil der Tapferkeit, gerade wenn die Aussichten auf den Sieg in Afghanistan extrem düster sind.

Jüngst haben Bundestagslinke nach den Umständen gefragt, unter denen ein 32 Jahre alter Hauptfeldwebel der KSK-Elite ums Leben gekommen ist. Die Regierung redete um den heißen Brei herum, dabei ist die Erklärung ganz einfach.

Die Truppe war mit afghanischer Spezialpolizei, die vom KSK (Kommando Spezialkräfte) ausgebildet wird, südlich des Feldlagers Kundus unterwegs. Nahe der Ortschaft Zaman Khel geriet man unter Feuer. Die afghanischen Elitepolizisten sollen, so heißt es im Bundeswehr-Gefechtsbericht, sofort »unkoordinierte Rückzugsbewegungen mit Schussabgabe« begonnen haben. Erst nach rund 700 Metern seien sie zum Stehen gekommen. Die KSK-Soldaten dagegen gingen in Stellung, schossen zurück, forderten zwei deutsche Tiger-Kampfhubschrauber sowie zwei amerikanische A-10-Erdkampfflugzeuge an. Nach dem Bombardement wollte man sich dessen »Erfolg« betrachten. Ergebnis: Ein KSK-Soldat der geheimnisvollen Task-Force 47 starb, ein zweiter wurde schwer verwundet. Die afghanischen Polizisten sahen aus sicherer Entfernung zu.

Der Vorfall ist in verschiedener Hinsicht typisch. Erstens zeigt sich, dass die NATO sich nicht einmal auf die afghanischen Elitetruppen verlassen kann, die sie selbst ausgebildet hat. Zweitens sagt das Patrouille-Verhältnis (15 deutsche »Ausbilder« begleiteten 25 afghanische »Auszubildende«) einiges über die mangelhafte Kampfkraft und den geringen Kampfeswillen derjenigen aus, die vor einigen Tagen von der ISAF die Sicherheitsverantwortung für das ganze Land übertragen bekamen. Warum auch sollte man sich kurz vor Toresschluss und in Unkenntnis künftiger Machtstrukturen in den Kampf stürzen?

Entgegen offiziellen Berichten sieht die Sicherheitslage in Afghanistan düster aus. Im ersten Quartal 2013, so ist im Bericht des Afghanistan NGO Safety Office ANSO zu lesen, gab es landesweit eine Zunahme von Angriffen und Sprengstoffattacken um 47 Prozent. Real heißt das: Die Anzahl der Attacken stieg erheblich. Die werden nicht nur von Taliban verübt. Mehrere Gruppen versuchen, Claims abzustecken. Rings um den Bundeswehrstandort Kundus erwacht vor allem das Selbstbewusstsein des Haqqani-Netzwerkes.

Die Zahlen stammen aus Wintertagen, die traditionell nicht Hauptkampfzeit sind. ANSO schätzt, dass der Trend der Re-Eskalation anhält und dieses Jahr nach dem Jahr 2011 zum zweitgewalttätigsten Jahr seit 2002 werden könnte.

So grausam das einzelne Schicksal auch ist, es lässt sich dennoch in Statistiken verarbeiten. Danach richten sich die härtesten Schläge (73 Prozent) der bewaffneten Opposition gegen die afghanischen Sicherheitskräfte. Zehn Prozent gelten afghanischen Zivilisten, »nur« vier Prozent gelten den ausländischen Besatzern. Noch weniger Zielscheibe sind ausländische Entwicklungshelfer.

Das mag erstaunen, hat aber eine gewissen Logik, denn: Wer auch immer künftig in Afghanistan das Sagen hat, die Aufgaben beim Wiederaufbau des Landes nach Jahrzehnten des Krieges sind gewaltig. Da kann man jede Hilfe gebrauchen; auch die der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Obgleich die – so schreibt die Wochenzeitung »Freitag« in der aktuellen Ausgabe – sehr eng mit der Bundeswehr zusammenarbeitet. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung zeigt: Man baut mit Entwicklungshilfegeldern sogar Bundeswehrkasernen in Afghanistan.

Die GIZ tanzt nach der Pfeife des Entwicklungshilfe-Ministeriums. Dort wird die »Musik« bestellt. Das Ministerium wird vom FDP-Mann Dirk Niebel geleitet. Der Mann hat als ehemaliger Fallschirmjäger noch immer einen Hang zum Militärischen. Auch wenn er seine Militärkappe mal nicht trägt.

So kann es nicht verwundern, dass die nachgeordnete GIZ mit dem deutschen Militär eine Vereinbarung unterzeichnet hat, laut der sie Unterstützung beim »Management von Baumaßnahmen und Betrieb von Liegenschaften« leistet. Auch bei »Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen (…) zur Vorbereitung auf Auslandseinsätzen« und bei der »Erarbeitung von Analysen, Konzepten und Strategien« der zivil-militärischen Zusammenarbeit ist die GIZ hilfreich.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Juni 2013


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