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Scheinabzug

Bundeswehr übergibt Camp an afghanische Polizeieinheiten. Deutsche Soldaten bleiben längerfristig am Hindukusch präsent

Von Rainer Rupp *

Mit großem medialem Tamtam und einer feierlichen Zeremonie wurde am Dienstag im nordafghanischen Faisabad das erste Camp der Deutschen offiziell an vom Westen ausgebildete afghanische Polizeieinheiten übergeben, die ab sofort in der Region eigenständig für Sicherheit und Ordnung sorgen sollen. Die Bundesregierung möchte die Übergabe von Faisabad gerne als »ein entscheidendes Signal« gewertet sehen, »daß der Abzug aus Afghanistan trotz der anhaltend schlechten Sicherheitslage tatsächlich beginnt«, so Der Spiegel. Wie zur Bestätigung tönte Außenminister Guido Westerwelle, daß man »mit diesem Schritt dem Abzug der deutschen Kampftruppen bis Ende 2014 einen Schritt näher« gekommen sei. Von einem vollständigen militärischen Abzug der Bundeswehr kann jedoch keine Rede sein.

Als sich Anfang der Woche der Beginn des US-geführten NATO-Kriegs am Hindukusch zum elften Mal jährte, feierten die Taliban in einer Erklärung ihren Sieg über die westlichen Besatzungstruppen und freuten sich über die »beispielhafte historische Lektion der Niederlage«, die sie den Vereinigten Staaten erteilt hatten. Aber trotz dieser zur Schau gestellten Zuversicht der Taliban und düsterer Prognosen imperialistischer Denkfabriken für die Zukunft des westlichen Militärabenteuers am Hindukusch wollen die USA so schnell nicht aufgeben. Unlängst hat daher Washington seiner Marionettenregierung in Kabul ein Abkommen aufgedrückt, das den Verbleib von vielen Tausenden US-Soldaten im Land bis mindestens 2024 nach internationalem Recht absichert. Da darf natürlich die Bundeswehr nicht beiseitestehen, obwohl der Großteil der Deutschen sich ein möglichst schnelles Ende des Afghanistan-Einsatzes wünscht. Die Hauptmotivation für einen längeren Verbleib am Hindukusch dürfte sein, daß auf jeden Fall der Eindruck einer westlichen Niederlage vermieden werden muß.

Laut einer Analyse des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses (CRS) steht im Fall einer Niederlage in Afghanistan nicht nur Washingtons weltweites militärisches Prestige auf dem Spiel, sondern auch seine Führungsposition in der NATO und zugleich der Fortbestand des Bündnisses. Analog befürchten auch deutsche Strategen, daß Berlins globalen imperialistischen Ambitionen durch eine Niederlage in Afghanistan ein Riegel vorgeschoben werden könnte. So heißt es etwa in der Anfang 2012 erschienenen »Jahresschrift 2011« des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, daß eine westliche Niederlage am Hindukusch einem »weltpolitischen Totalschaden für die von den westlichen Industriestaaten konstituierte, internationale Ordnung« gleichkäme.

Das dürfte erklären, warum die NATO-Verteidigungsminister sich am Dienstag und Mittwoch in Brüssel trafen, um über die Grundzüge für eine neue Operation der Militärallianz am Hindukusch für die Zeit nach 2014 zu beraten. Am Rande des Treffens unterstrich der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière, daß man auch nach diesem Termin die Afghanen militärisch unterstützen werde. Die Ausbildung von Marionettensoldaten nach 2014 hatte Berlin bereits auf der letzten großen Afghanistan-Konferenz in Bonn bekräftigt. In diesem Zusammenhang verwies jetzt auch Der Spiegel auf eine ihm angeblich vorliegende geheime Analyse des Bundesnachrichtendienstes (BND), die davon ausgeht, daß in der Zeit nach 2014 rund 35000 internationale Soldaten in Afghanistan stationiert sein würden, davon 25000 aus den USA und 1500 aus Deutschland. Derzeit sind 5000 Bundeswehrangehörige dort im Einsatz.

Daran, daß der Westen nach 2014 mit weniger Waffen und weniger Soldaten doch noch einen Sieg erzwingen könnte, dürfe man weder in Washington noch Berlin glauben. Allerdings würde diese Taktik die Niederlage verzögern und ihre Gründe verwischen, indem die afghanische Regierung für alle Fehler und Probleme verantwortlich gemacht werden kann.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 11. Oktober 2012


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