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Sauberes Wasser für Arsi Negele

In Äthiopien betreibt die Welthungerhilfe ein Projekt zur besseren Versorgung mit dem lebensnotwendigen Nass

Von Philipp Hedemann, Arsi Negele *

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist vielen Menschen auf dem Planeten verwehrt. Darauf macht die UNO seit 1993 mit dem Weltwassertag am 22. März aufmerksam. In Äthiopien hat sich die Lage rund um die Kleinstadt Arsi Negele gebessert.

Romeo weint, als ihm seine Tante Wasibe das kalte, klare Wasser über den Kopf gießt. Seine schneeweißen Zähne blitzen in der Morgensonne. Wasibe lacht, als sie ihren einjährigen Neffen badet. Ihre Zähne sind dunkelbraun. Wasser macht den Unterschied.

Die hohe Fluorkonzentration im verunreinigten Wasser, mit dem Wasibe aufwuchs, verfärbte ihren Zahnschmelz, ließ ihre Gelenke steif werden, machte sie oft krank und schnell alt. Doch seit einem Jahr gibt es hier im Süden Äthiopiens sauberes Wasser. Romeo wird darin gebadet, er trinkt außer Muttermilch nichts anderes und war noch nie schwer krank. Romeos fühlt sich gequält, zu seinem Wohl

Für Romeo ist das klare Wasser zunächst eine Qual. Jeden Morgen muss er die kalten Güsse über sich ergehen lassen. Er weiß nicht, was daran gut sein soll. »Früher haben wir unsere Babys nur zwei Mal in der Woche gewaschen. Das Wasser war so schlecht, dass sich auf der Haut der Kinder ein stinkender weißer Film gebildet hat, sie haben sich oft blutig gekratzt. Jetzt riechen die Kinder nach dem Bad so gut, wie nur saubere Babys riechen können«, sagt Wasibe, als Romeo auf ihrem Schoß aufgehört hat zu weinen.

Und nicht nur äußerlich tut das Wasser den Kindern gut. »Als wir noch schmutziges Wasser aus Flüssen, Wasserlöchern und Brunnen getrunken haben, hatten unsere Kinder ständig schlimmen Durchfall. Wir mussten oft mit ihnen ins Krankenhaus. Aber Ärzte und Medikamente sind teuer und das nächste Krankenhaus weit«, erzählt der 60-jährige Abraham Tufa. »Früher sind in unserem Bezirk jedes Jahr 30 bis 40 Kinder an Krankheiten gestorben, die aus dem Wasser kamen«, sagt der Alte.

»Früher«, das war, bevor die Deutsche Welthungerhilfe mit einer äthiopischen Partnerorganisation rund um die Kleinstadt Arsi Negele ein Wasser-, Sanitär- und Hygieneprojekt in Angriff genommen hatte. »Wenn wir das Vorhaben Ende des Jahres abschließen, werden 137 000 Menschen sauberes Trinkwasser und 105 000 Menschen sanitäre Anlagen haben. Wir werden drei Rückhaltebecken angelegt, 51 Kilometer Leitungen verlegt und 53 Wasserkioske gebaut haben«, berichtet der äthiopische Projektleiter Dereje Beyene.

Nicht nur in Äthiopien ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser keine Selbstverständlichkeit. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen haben weltweit 884 Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser; 2,6 Milliarden Menschen haben keine vernünftigen sanitären Einrichtungen; jedes Jahr sterben rund 1,5 Millionen Kinder an verunreinigtem Wasser.

Durch Bevölkerungswachstum, zunehmenden Fleischkonsum, Klimawandel, Umweltverschmutzung Romeo und Wasserverschwendung könnte sich die Situation sogar noch verschlechtern. Das geht aus dem 4. Weltwasserbericht hervor, den die UNESCO, die Wissenschaftsorganisation der Vereinten Nationen, kürzlich auf der Welt-Wasser-Konferenz im französischen Marseille vorstellte.

Derzeit leben rund sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Im Schnitt trinken sie zwei bis vier Liter Wasser pro Tag. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung vermutlich auf neun Milliarden wachsen. Nach UNO-Schätzungen werden bereits im Jahr 2025 zwei Drittel der Weltbevölkerung von Wasserknappheit betroffen sein. In Marseille warnte die Umweltorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) zudem vor weiteren ernsten Konflikten. Laut WWF hat es seit der Jahrtausendwende bereits mehr als 50 gewalttätige Auseinandersetzungen um die Nutzung von Wasser gegeben.

Auch im Süden Äthiopiens gab es oft Streit, wenn am Ende der Trockenzeit das Wasser knapp wurde. Dort, wo die Welthungerhilfe Wasserkioske gebaut hat, gibt es jetzt das ganze Jahr über Wasser. Einer der Kioske befindet sich direkt hinter dem Haus, vor dem Romeo jeden Morgen unter großem Geschrei gewaschen wird. Bereits eine halbe Stunde vor Öffnung hat sich vor dem Laden eine Schlange gebildet. Ordentlich reihen die Mädchen ihre gelben und schwarzen 25-Liter-Kanister auf dem staubigen Vorplatz auf.

Frauensache seit jeher, mühsam und gefährlich

Wasser für die Familie zu holen, ist in Äthiopien und den meisten anderen afrikanischen Ländern traditionell Frauen- und Mädchensache - und das ist ein großes Problem. Vor allem in der Trockenzeit und während der immer häufiger auftretenden Dürren liegt das nächste Wasserloch oft mehrere Stunden entfernt. Mit dem Kanister auf dem Rücken marschieren Mädchen barfuß oder in billigen Plastiksandalen durch das ausgedörrte äthiopische Hochland. Oft alleine, vor Sonnenaufgang oder nach Einbruch der Dunkelheit.

»Mir ist noch nichts passiert, aber ich habe von Mädchen gehört, die beim Wasserholen vergewaltigt, überfallen oder verschleppt worden sind«, erzählt die 15-jährige Tibye, die auf dem ersten Kanister in der Schlange am Kiosk sitzt. Früher war sie jeden Tag sechs Stunden unterwegs, um Wasser für die neun Töchter und sechs Söhne zu holen, die ihr Vater mit zwei Frauen hat. In die Schule ging sie selten. Jetzt muss Tibye »nur« noch zwei Stunden am Tag marschieren, erstmals in ihrem Leben kann sie regelmäßig zur Schule gehen.

Worku Dalecha kommt mit sechs leeren Kanistern auf seinem Eselskarren am Wasserkiosk an. Der einzige Mann, der sich in die Schlange einreiht. »Meine Frau hat vor drei Tagen eine Tochter bekommen. Darum hole ich heute das Wasser«, sagt er beinahe entschuldigend. Obwohl diese Aufgabe eigentlich nicht in sein Selbstbild passt, ist Dalecha gut gelaunt. Nicht nur, weil er gerade zum achten Mal Vater geworden ist.

»Das Wasser vom Kiosk ist genau so gut wie Hochlandwasser«, sagt er. Hochlandwasser ist in Flaschen abgefülltes Mineralwasser. Der Bauer kann es sich nie leisten. Ein Liter kostet mindestens sechs Birr, umgerechnet rund 25 Cent. Für die 150 Liter, die er am Wasserkiosk in seine sechs Kanister füllt, zahlt er dagegen umgerechnet nicht mal vier Cent. Auch für arme Bauern ist das bezahlbar und der Preis ist wichtig, damit sauberes Wasser als etwas Wertvolles gewürdigt wird und die Infrastruktur instand gehalten werden kann.

»Zu mir kommen jeden Tag bis zu 300 Kunden. Im Schnitt gebe ich mehr als 5000 Liter pro Tag aus«, erzählt Demitu Aliyi, während sie ununterbrochen Münzen entgegennimmt und Wechselgeld herausgibt. Die 18-Jährige wurde vom Dorf zur Betreiberin des Wasserkiosks gewählt. Wie alle anderen Betreiberinnen - die Jobs wurden ausschließlich an Frauen vergeben - bekommt sie vom gewählten Wasserkomitee ein festes Gehalt von 150 Birr im Monat (rund 6,50 Euro). Dazu erhält sie zwölf Prozent des Umsatzes. So kommen monatlich noch mal rund 400 Birr ( 17 Euro) zusammen.

Bei Demitu Aliyi kann man nicht nur Wasser kaufen. Im Regal hinter ihr stehen Seife, Milchpulver, Zucker, Salz, Kekse und Kaffee. Die ehemalige Bäuerin ist zur Unternehmerin geworden. »Zum Glück hat mein Mann kein Problem damit, dass ich mehr verdiene als er«, sagt sie und lacht.

»Ich würde es auch unentgeltlich machen«

Damit das klare Wasser bei Aliyi aus dem Hahn sprudeln kann, muss es von den Quellen in den Dole-Bergen zum Wasserkiosk geleitet werden. Im kühlen Wald quillt das Wasser in 2100 Meter Höhe aus dem Fels. Einer, der dafür sorgt, dass es genau so sauber an den Kiosken ankommt, die bis zu 30 Kilometer entfernt liegen, ist Sultan Hirpho. Mit den jungen Männern seines Dorfes lädt der 24-Jährige Leitungsrohre aus einem Container, den ein Lastwagen über 900 Kilometer aus Dschibuti herangebracht hat. Drei weitere Kioske sollen an das Netz angeschlossen werden. »Wir bekommen für die Arbeit gutes Geld, aber ich würde es auch unentgeltlich machen. Schließlich kriegen wir endlich sauberes Wasser«, sagt Hirpho.

Wenn alle Leitungen verlegt sind, soll es keine Familie weiter als anderthalb Kilometer bis zum nächsten Wasserkiosk haben. Durchfall, steife Glieder, braune Zähne und gefährliche Märsche zu verunreinigten Wasserlöchern sollen der Vergangenheit angehören. Vor allem die Mädchen können es kaum erwarten.

* Aus: neues deutschland, 22. März 2012


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