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Governance-Aspekte

Deutsche Äthiopien-Politik im Zwielicht - Zunehmende deutsch-chinesische Konkurrenz in Afrika

ADDIS ABEBA/BERLIN (Eigener Bericht) - Trotz anhaltender Gewaltmaßnahmen der Regierung Äthiopiens gegen die Opposition setzt die Bundesregierung die Kooperation mit staatlichen Stellen des strategisch wichtigen Landes fort. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit werde in Zukunft "Governance-Aspekte" stärker berücksichtigen und die "Demokratisierung" Äthiopiens begleiten, heißt es im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gegenüber dieser Redaktion. In dem ostafrikanischen Staat wurden im vergangenen Jahr zahlreiche Oppositionelle bei Polizeieinsätzen getötet, bis heute kommt es immer wieder zu gesetzlosen Massenfestnahmen. Äthiopischen Quellen zufolge s! ind Tausende in Gefangenenlagern in Malariagebieten interniert. Berliner Regierungspläne sehen für die kommenden Jahre eine weitere Intensivierung der deutsch-äthiopischen Zusammenarbeit vor. Deutschland konkurriert dabei mit der Volksrepublik China, die über Wirtschaftskooperation in Addis Abeba Einfluss zu erlangen sucht.

Fachkräfte

Die jüngste Intensivierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien geht auf Regierungsverhandlungen vom Frühjahr 2005 zurück. Nach den Verhandlungen hieß es bei der bundeseigenen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), "Hunderte von deutschen Fachkräften" sollten binnen der kommenden drei Jahre "Schlüsselpositionen in Industrie und Verwaltung" des ostafrikanischen Landes übernehmen. Tatsächlich veröffentlichten deutsche Entwicklungsorganisationen in den folgenden Monaten außergewöhnlich viele Stellenangebote für hochqualifizierte Tätigkeiten in Äthiopien. Deutsche Staatsbürger konnten sich etwa für den Posten des "Berater(s) des (äthiopischen) Parlamentssprechers" bewerben. Aktuell sucht die GTZ den Projektleiter für ein "University Capacity Building Program", das in Zusammenhang mit dem Neubau von 13 Hochschulen in ganz Äthiopien steht, sowie einen "Berater" für "Geschäfts- und Investitionsklima", der zur "Stärkung des Privatsektors" beitragen soll.

Repressalien und Folter

Bereits Monate vor den Regierungsverhandlungen im vergangenen Frühjahr hatten Menschenrechtsorganisationen anlässlich eines Berlin-Aufenthaltes des äthiopischen Ministerpräsidenten Meles Zenawi scharfe Kritik an der Regierung des Landes geübt. "In Äthiopien werden Oppositionelle willkürlich verhaftet und gefoltert, es fehlt eine unabhängige Justiz", warnte amnesty international (ai) im November 2004; zudem müssten "kritische Journalisten (...) mit Repressalien rechnen". Anlass für die ai-Proteste war eine Zusammenkunft, bei der der damalige Bundeskanzler Schröder mit seinem äthiopischen Amtskollegen offenbar die Grundzüge der gegenwärtigen Kooperationsmaßnahmen besprach. Die bald nach den Regierungsverhandlungen in Äthiopien durchgeführten Wahlen wurden von massiven Fälschungsvorwürfen begleitet, denen sich internationale Beobachter anschlossen.

Malaria

In Äthiopien selbst kommt es seit den Wahlen immer wieder zu Protestkundgebungen der Opposition, die von der Regierung mit massiver Gewalt niedergeschlagen werden. Im vergangenen Jahr wurden dabei nach offiziellen Angaben fast 100 Menschen von äthiopischen Sicherheitskräften getötet, mehrere tausend Personen wurden festgenommen und befinden sich noch immer ohne Anklage in Haft. Wie ai berichtet, sind darunter mehrere hundert Schülerinnen und Schüler sowie die Leitung der Oppositionspartei "Coalition for Unity and Democracy" (CUD). Äthiopischen Quellen zufolge sind mehrere tausend, möglicherweise sogar mehrere zehntausend Menschen in Lagern interniert, die in Malariagebieten errichtet wurden. Erst im Januar kamen bei den Epiphanias-Feiern der äthiopisch-orthodoxen Kirche mehrere Menschen in Auseinandersetzungen mit der Polizei ums Leben, mehr als 40 wurden inhaftiert. Da sie ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten werden, fürchtet ai, sie seien "in Gefahr (...), gefoltert oder misshandelt zu werden".

Überarbeitung

Während Großbritannien Anfang Dezember angekündigt hat, seine Budgethilfe für Addis Abeba einzustellen, führt Berlin die Kooperation unvermindert fort. "Die Entwicklungsprojekte werden jetzt mehr auf Governance-Aspekte umgestellt", erklärt ein Mitarbeiter des BMZ im Gespräch mit dieser Redaktion. Eine kritische Studie, die das staatsfinanzierte Hamburger Institut für Afrika-Kunde kurzzeitig im Internet publiziert hatte, ist der Öffentlichkeit seit geraumer Zeit nicht mehr zugänglich. "Meles Zenawi wird bewusst gewesen sein", hatte das Hamburger Institut über den Berliner Kooperationspartner geurteilt, "dass bei tatsächlich freien und fairen Wahlen ein Wahlsieg für seine bisherige Parteienkoalition kaum möglich gewesen wäre." Die Studie wurde im Umfeld eines Deutschland-Aufenthaltes des äthiopischen Ministerpräsidenten aus dem Verkehr gezogen, derzeit wird sie nach Auskunft des Instituts "überarbeitet".

Bestürzung

Außerhalb des engeren Machtzirkels in Addis Abeba stößt die deutsche Äthiopien-Politik auf Unverständnis. Der ehemalige äthiopische Botschafter in Deutschland Imru Zeleke gab nach Meles' Deutschland-Aufenthalt im November 2005 unter Protest das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland zurück. "Mit großer Erschütterung und Bestürzung", schrieb er zur Erklärung, "sah ich Eure Exzellenz und Kanzler Schröder Meles Zenawi empfangen, dessen Hände mit frischem Blut äthiopischer Männer, Frauen und Kinder getränkt sind." Nur Tage vor der Zusammenkunft, bei der die damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt Kerstin Müller eine weitere Intensivierung der deutsch-äthiopischen Zusammenarbeit ankündigte, hatten die äthiopischen Sicherheitskräfte mehr als 50 Menschen umgebracht und mehrere tausend Oppositionelle inhaftiert.

Konkurrenz

Hintergrund der deutschen Äthiopien-Politik sind machtpolitische Interessen auf dem afrikanischen Kontinent. Das Land gilt als wichtiger, zudem christlich geprägter Stützpunkt südlich der islamischen Welt und wird wegen seiner aktiven Einflusspolitik in Ostafrika und wegen seiner Rolle in der Afrikanischen Union, die in Addis Abeba ihren Sitz hat, als nützlicher Kooperationspartner gehandelt. Bei seinen Anbindungsversuchen gerät Berlin in zunehmende Konkurrenz mit Beijing, das erst vor wenigen Tagen eine weitere Intensivierung der äthiopisch-chinesischen Wirtschaftszusammenarbeit eingeleitet hat. Ebenfalls in der vergangenen Woche hat eine chinesische Erdölgesellschaft mit der Erdöl-Exploration im äthiopischen Gambella-Becken begonnen, das an den rohstoffreichen Südsudan angrenzt. Die deutsch-chinesische Konkurrenz weitet sich damit vom Sudan auf einen weiteren Staat Ostafrikas aus.

07.03.2006

* Der vollständige Artikel mit den Fußnoten und Links befindet sich auf der Website von German-Foreign-Policy. Deren "Informationen zur Deutschen Außenpolitik" werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt.
Quelle: www.german-foreign-policy.com/de



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