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Durstiges Ägypten

Landwirtschaft am Nil verbraucht extrem viel Wasser. Die Versorgung aller Einwohner mit dem lebenswichtigen Naß ist längst nicht mehr gewährleistet

Von Cam McGrath, IPS *

In der sengenden Mittagshitze warten mehrere Frauen geduldig in einer Schlange, um nach und nach Eimer und Benzinkanister mit Wasser zu füllen. Durch die rostige Leitung in einem Außenbezirk der ägyptischen Hauptstadt Kairo fließt allerdings nur ungeklärtes Wasser, das zum Trinken eigentlich ungeeignet ist.

»Wir kochen es zu Hause ab«, sagt eine Frau, die einen blauen Kanister in der Hand hält. Anderes bleibt ihr auch kaum übrig. Millionen Ägypter sind Tag für Tag auf der Suche nach dem kostbaren Naß. In diesem Jahr ist Wasser in dem Land auf Grund der anhaltenden starken Hitze besonders rar. Noch dazu haben die Menschen unter häufigen Stromausfällen zu leiden.

Experten führen die Wasserknappheit unter anderem auf eine unzureichende Infrastruktur und fehlgeleitete Maßnahmen der Behörden zurück. Sollte das Land die Versorgungsengpässe nicht beheben, werde sich die Ressource in Zukunft noch mehr verknappen, warnte der Wissenschaftler Sherif Azer.

Ähnlich äußerte sich Wasserminister Mohamed Nasreddin Allam, der das rasche Bevölkerungswachstum und den Mangel an neuen Quellen als größte Risiken für die künftige Versorgung nannte.

Ägypten bezieht 80 Prozent seines Wassers aus dem Nil. Da kaum Aussichten auf die Erschließung neuer Quellen bestehen, kämpft die Regierung darum, den Pegel des längsten Stromes der Erde auf dem Stand zu halten, der 1959 in einem bilateralen Nutzungsabkommen mit dem Sudan fixiert worden war. Damals habe das Wasser für die 24 Millionen Einwohner Ägyptens gereicht, erklärte Allam. Inzwischen sei die Bevölkerung jedoch auf mehr als das Doppelte angewachsen. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch ist allerdings deutlich gesunken – von 1900 Kubikmetern im Jahr 1959 auf derzeit 700 Kubikmeter, also 700000 Liter. Der Grenzwert für Knappheit liegt bei 1000 Kubikmetern. Dennoch kam es immer wieder zu Engpässen. (Die Zahl ist deshalb so extrem hoch, weil 70 bis 80 Prozent des Wasserverbrauches auf Kosten der Landwirtschaft im Niltal gehen. Auf diesem, das Mündungsdelta ausgenommen, schmalen Streifen, der nur etwa vier Prozent des Territoriums Ägyptens ausmacht, muß die Lebensmittelversorgung der fast 80 Millionen Menschen sichergestellt werden – d. Red. [jW])

Das lebensspendende Naß ist für das Land eine derart knappe Ressource, daß selbst kriegerische Auseinandersetzungen darum nicht auszuschließen sind. Als Äthiopien im vergangenen Jahr erwog, dem Strom am Oberlauf mehr Wasser zu entnehmen, gab es zahlreiche Stimmen in Ägyptens Öffentlichkeit, die den Einsatz des Militärs gegen diese Pläne forderten. Dabei stellt der in Äthiopien entspringende Blaue Nil in der Regenzeit 80 Prozent des gesamten Flußwassers. Auch ähnlich gelagerte Pläne des Sudan und anderer Nil-Anrainer werden in Ägypten mit großem Argwohn verfolgt.

Im eigenen Land gilt das Gleichheitsgebot indes nicht. Menschenrechtsgruppen werfen der Regierung in Kairo vor, vor allem die Versorgung wirtschaftlich einflußreicher Persönlichkeiten garantieren zu wollen. Kleinbauern und arme Gemeinden erhielten dagegen nur wenig Wasser oder seien überhaupt nicht an das Versorgungsnetz angeschlossen.

»Die Regierung entscheidet, wer Wasser bekommt und wer nicht«, kritisiert Reham Karam von der nichtstaatlichen Organisation Better Life Association for Comprehensive Development. Die NGO setzt sich für bessere Lebensbedingungen in ländlichen Regionen ein. Schon im vergangenen Dezember hatte ein Bericht der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation (EOHR) festgestellt, daß die wertvolle Ressource im Land höchst ungleich verteilt ist. Etwa 56 Prozent aller Dörfer erhielten zu wenig Wasser, hieß es. Sechs Prozent verfügten über gar kein Trinkwasser.

»Besonders problematisch sind die Sommer, wenn die Nachfrage nach Wasser steigt«, sagt der EOHR-Vorsitzende Hafez Abu Seada. Im vergangenen Jahr sei in den Ferienmonaten Wasser in die Küstenorte im Norden Ägyptens umgeleitet worden, damit reiche Leute ihren Urlaub genießen konnten, kritisiert er. Die Dörfer im Hinterland seien in der Zeit von der Zufuhr abgeschnitten gewesen.

Die Klärung von Abwässern ist in Ägypten ebenfalls ein großes Problem. Im Nil landen jedes Jahr rund 20 Millionen Tonnen organische und industrielle Abfälle. Laut dem EOHR-Bericht ist das Trinkwasser für die Hälfte aller Ägypter nicht sauber genug. Den Bauern in vielen wasserarmen Gebieten bleibt oft nichts anderes übrig, als ihre Felder mit Abwasser zu bewässern. Manchmal reichten selbst dieses nicht aus, so der Experte Mohamed Abdel Moneim.

Im Juli hatten sich aufgebrachte Farmer nach Kairo aufgemacht, um vor verschiedenen Regierungsbüros gegen den Wassermangel zu protestieren. Kleinbauern aus dem Ort Fayoum, etwa 130 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, beschwerten sich darüber, daß sie ihre Felder nur noch bewässern könnten, wenn sie Schmiergelder zahlten oder politische Kontakte ins Spiel bringen könnten. In anderen Landesteilen kam es zu ähnlichen Demonstrationen. »Wohlhabende Grundbesitzer zapfen unerlaubt das Grundwasser an und nutzen ihre Beziehungen zu den lokalen Behörden, um unangemessen große Mengen an Wasser für ihre Felder zu erhalten«, erbost sich Abdel Moneim.

Diese Ungleichbehandlung schürt die Unzufriedenheit der Bewohner von Armenvierteln. Wenn in einer Wohnsiedlung von Reichen ein Rohr breche, werde es noch am gleichen Tag repariert, sagt der Händler Mohamed Farrag aus Kairo. »Wir dagegen müssen in solch einer Situation eine Woche ohne Wasser auskommen.«

* Aus: junge Welt, 9. September 2010


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