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Außenpolitische Kurskorrektur in Kairo

Ägypten vermittelte Waffenstillstand zwischen Israel und militanten Palästinensern

Von Oliver Eberhardt *

Der »Arabische Frühling« hat auch Ägyptens Außenpolitik verändert: Neue Allianzen werden geschmiedet, das Verhältnis zu Israel und den Vereinigten Staaten ist distanzierter geworden. In den vergangenen Tagen wurde deutlich, dass dies ein Vorteil für alle Beteiligten ist.

So sah der erste Auftritt eines veränderten Landes in der internationalen Arena aus: Schnell und - das ist im Nahen Osten eine echte Rarität - vor allem diskret handelten Ägyptens Außenministerium und der Geheimdienst am Montagabend (12. März) einen Waffenstillstand zwischen Israel und den militanten palästinensischen Gruppen im Gaza-Streifen aus. Nur sehr wenig ist darüber bekannt, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Als relativ sicher gilt allerdings, dass vor allem die Ägypter redeten. Sie drohten mit der Einstellung der gerade erst vor einigen Wochen begonnenen Öl- und Gaslieferungen. Aber vor allem lockten sie mit der Öffnung eines wahren Tors zur Welt.

Ägypten hat in diesen Tagen in der Region immer mehr zu sagen: Seit dem »Arabischen Frühling«, jener Revolution im vergangenen Jahr, die Präsident Husni Mubarak stürzte und dem Land zum ersten Mal seit sehr langer Zeit freie Wahlen brachte, hat sich die ägyptische Außenpolitik stark verändert. »Seit ich denken kann, war unsere Arbeit auf die Vereinigten Staaten und Israel fixiert«, sagt ein Beamter des Außenministeriums: »Nun können wir darauf hinarbeiten, unserem Land die Stellung in der Welt zu verschaffen, die es verdient.«

Er zählt auf: Ägypten ist der bevölkerungsreichste unter den 22 arabischsprachigen Staaten, es ist die Heimat der Al Azhar-Universität, der wohl einflussreichsten islamischen Lehrstätte. Aber Ägypten war lange Zeit auch der am stärksten isolierte unter den arabischen Staaten: Der Friedensschluss mit Israel Ende der 70er Jahre hatte zwar eine Tür in Richtung Westen geöffnet, aber er hatte auch zur Folge, dass ein Großteil der arabischen Welt den Kontakt mit Kairo abbrach. Und selbst als diese Länder langsam wieder damit begannen, Botschafter an den Nil zu schicken, als Ägypten wieder in die Arabische Liga zurückkehren durfte, war das Misstrauen groß. Präsident Mubarak, der das Land seit der Ermordung seines Vorgängers Anwar al-Sadat 1981 mit harter Hand regierte, wurde als Marionette der Vereinigten Staaten und Israels gesehen - nicht nur von den arabischen Nachbarn, sondern auch von einem Großteil der eigenen Bevölkerung.

Die Revolution hat das geändert: Mubarak war kaum aus dem Amt gejagt, als der erste Botschafter Irans seit der Islamischen Revolution 1979 in Kairo eintraf. Unterhändler der Regierung nahmen Kontakt zu Organisationen wie der Hisbollah, aber auch zur Hamas auf - ein Schritt, bei dem es zunächst darum geht, in der Region an Einfluss zu gewinnen, aber auch ein Schritt, der aus der Not heraus geboren ist.

Denn Ägypten ist auch die Heimat der Muslimbruderschaft, einer islamischen Organisation, die die Gründung von Hamas, Islamischem Dschihad, Hisbollah und anderen Organisationen inspirierte - und die heute großen Einfluss auf die innenpolitischen Verhältnisse in Ägypten hat. »Was im Gaza-Streifen, in Südlibanon, aber auch in Iran passiert, hat aufgrund der soziopolitischen Verhältnisse in Ägypten direkten Einfluss auf die Stabilität des Landes nach der Revolution«, fasste das US-amerikanische Magazin »Foreign Affairs« nach dem Sieg der islamischen Parteien bei den Parlamentswahlen im November zusammen. Trotz der jahrzehntelang prowestlichen Politik Mubaraks sei ein Großteil der Bevölkerung gegen Israel und die Vereinigten Staaten eingestellt. Das müsse der Militärrat, die Übergangsregierung in Ägypten, in Rechnung stellen, statt einfach auf dem alten Kurs zu beharren.

Wie stark die Ereignisse jenseits der Grenze die Gemüter erregen können, zeigte sich erst Anfang der Woche wieder: Angesichts der Eskalation in Gaza forderte das Parlament einstimmig die Ausweisung des israelischen Botschafters. Die Eile bei den Verhandlungen war also auch von Eigennutz motiviert. »Fortgesetzte Kampfhandlungen hätten uns in eine innenpolitisch schwierige Lage gebracht«, bekannte der Mitarbeiter des Außenministeriums.

Vor allem in Israel sorgte die außenpolitische Neuausrichtung Kairos für heftige Kritik: Außenminister Avigdor Lieberman von der rechtspopulistischen Partei Jisrael Beitenu wetterte wiederholt, Ägypten werde nun zum Terrorstaat. Rechte Kommentatoren pflichteten ihm bei. Doch nachdem Ägypten in den vergangenen Tagen gesprochen hat, sind sie verstummt.

* Aus: neues deutschland, 15. März 2012


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