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Bundesausschuss Friedensratschlag:
Schluss mit Krieg und Besatzung - Abrüstung statt Sozialabbau

Aktionsschwerpunkte für die Friedensbewegung Frühjahr 2004

"Die Vereinigten Staaten werden nie um Erlaubnis bitten, die Sicherheit ihres Volkes zu verteidigen."
(US-Präsident Bush über das "Recht" überall in der Welt Krieg zu führen, Rede zur Lage der Nation am 20. Januar 2004)

"Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden."
(Arundhati Roy auf dem Weltsozialforum in Mumbai/Indien am 16. Januar 2004)

Der Bundesausschuss Friedensratschlag, der sich am 25. Januar in Kassel traf, schlägt folgende Aktionsschwerpunkte für das Frühjahr 2004 vor:

1 Irak: Die Besatzung beenden - Keine Bundeswehr in den Irak

Fast neun Monate nach dem offiziell verkündeten Ende des Kriegs muss die Besatzung des Irak durch Truppen der Kriegskoalition als gescheitert betrachtet werden. Weder gelang es den US-amerikanischen Streitkräften und ihren Verbündeten, ein wirkliches Ende der Kampfhandlungen herbeizuführen, noch konnten sie eine effektive zivile Verwaltung aufbauen und die öffentliche Infrastruktur wiederherstellen. Auch die Festnahme Saddam Husseins am 13. Dezember letzten Jahres hat nicht den gewünschten Effekt gehabt: Die Angriffe auf US- und andere ausländische Soldaten und Militäreinrichtungen konnten ebenso wenig eingeschränkt werden wie die sich häufenden willkürlichen Gewaltakte und Terroranschläge, denen zunehmend auch Zivilpersonen zum Opfer fallen.

Es zeigt sich: Angriffskriege zerstören die Stabilität und Sicherheit. Immer Mehr Menschen wenden sich gegen die Besatzung und dem Widerstand zu.

Die desaströse Lage im Irak ist zuallererst Resultat eines völkerrechtswidrigen und politisch verheerenden Krieges, der zu Recht von der großen Mehrheit in diesem Land, der weltweiten Friedensbewegung und von den meisten Regierungen seiner Zeit abgelehnt wurde. Der Krieg beruhte von Anfang an auf Lügen und fabrizierten "Beweisen" für die Bedrohung durch angebliche irakische Massenvernichtungswaffen. Hinweise auf ihre Existenz konnten nicht einmal die 1.100 US-eigenen Waffeninspekteure finden. In dieser Situation ist es geradezu abenteuerlich, wenn Frankreich und Deutschland erwägen, sich im Irak auch mit Soldaten zu beteiligen - zur Grenzsicherung etwa oder mit einem Bundeswehrlazarett. Jede Hilfe, die den Besatzungsmächten im Irak dient, und sei sie noch so "humanitär" begründet, ist eine nachträgliche Legitimierung des unrechtmäßigen Krieges und wird zudem Angriffe und Anschläge provozieren.

Aus Sorge um die Entwicklung im Irak hält der Bundesausschuss Friedensratschlag folgende Alternativen für notwendig:
  • Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak.
  • Die UNO sollte die Aufsicht über die zu organisierenden Wahlen übernehmen.
  • Der von den USA eingesetzte "Regierenden Rat" beendet mit der Abhaltung demokratischer Wahlen und der daraus hervorgehenden rechtmäßigen Regierung seine Tätigkeit.
  • Die Kriegsallianz, insbesondere die USA und Großbritannien, wird verpflichtet, für die Kosten der Schadensbeseitigung aufzukommen.
  • Die Kontrolle über die irakischen Ölquellen und andere Ressourcen wird den Besatzungsmächten entzogen und der rechtmäßig gewählten irakischen Regierung übertragen - gemäß der Resolution des UN-Sicherheitsrats 1483 (2003) und Art. 1 Abs. 2 des "Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte", in dem es heißt: "Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen..."
Was wir tun:
Einem Appell des Europäischen Sozialforums in Paris vom November 2003 und des Weltsozialforums in Mumbai (Bombay) vom Januar 2004 folgend - ruft die Friedensbewegung am 20. März, dem ersten Jahrestag des Beginns des Irakkriegs, im ganzen Land zu vielfältigen Aktionen des Protests gegen Besatzung und Krieg auf. Wir wollen, dass an diesem Tag im ganzen Land um 12 Uhr ein Zeichen des Widerstands gegen die Kriegspolitik gesetzt wird: Wir "wider-setzen" uns, indem wir uns niedersetzen - überall!
Die Friedensbewegung wird ihre Veranstaltungen und Hearings im Rahmen der Vorbereitung eines Kriegs-Tribunals fortsetzen. Die Verantwortlichen für den Irakkrieg müssen auf die Anklagebank.
Wir rufen auf, den 15. Februar 2004 (an diesem Tag demonstrierten vor einem Jahr Millionen Menschen in der ganzen Welt gegen den drohenden Irakkrieg) zu einem Informationstag über friedenspolitische Alternativen zu Krieg und Besatzung im Irak zu machen.

2 Naher Osten: Gegen Besatzung, Mauer, Krieg und Attentate

Besatzung und Krieg herrschen weiterhin auch im Nahen Osten. Der israelisch-palästinensische Konflikt, dem in den letzten drei Jahren über 2.600 Tote und 41.000 Verletzte auf palästinensischer und 915 Tote und 4.166 Verletzte auf israelischer Seite zum Opfer gefallen sind ( Stand: Oktober 2003), wird solange nicht beendet werden können, solange die wesentlichen Grundlage für einen gerechten Frieden nicht geschaffen werden. Dazu gehören:
  • die Beendigung der israelischen Besatzung,
  • die Räumung aller Siedlungen auf palästinensischem Territorium,
  • eine einvernehmliche Lösung der Flüchtlingsfrage,
  • die Gründung und Anerkennung eines souveränen palästinensischen Staates mit Ostjerusalem als Hauptstadt,
  • die endgültige Anerkennung der israelischen Grenzen durch die arabischen Staaten.
Die von israelischen und palästinensischen Politikern und Friedensbewegungen im Dezember 2003 gestartete inoffizielle "Genfer Initiative" kann neue Impulse für eine Verhandlungslösung geben. Alles erscheint besser als die Fortsetzung des Kriegszustands, der Besatzung, des Mauerbaus, des Landraubs und der Attentate.

Was wir tun:
Die Proteste der Friedensbewegung am 20. März richten sich auch gegen die Hardliner im Nahen Osten. Wir unterstützen die Kampagne gegen die Mauer im besetzten Westjordanland.

3 Gegen Präventivkriege. Atomwaffen abschaffen - nicht "verkleinern"!

Die besorgniserregenden Signale aus den USA betreffen nicht nur das völkerrechtswidrige Präventivkriegskonzept und den Ausbau der US-Militärstützpunkte in aller Welt. Präsident Bush will das Arsenal einsatzfähiger Massenvernichtungswaffen erweitern. Es sollen "kleine Atombomben" entwickelt werden, die mit hoch präzisen Trägersystemen punktgenau zum Einsatz kommen sollen. Das sind Massenvernichtungswaffen zum Einsatz in zukünftigen Präventivkriegen. Nicht die sogenannten Schurkenstaaten bedrohen die Existenz der Menschheit; es sind wieder einmal die USA, die unter Missachtung geltender Verträge und im Widerspruch zum Völkerrecht kriegsführungsfähige Atomwaffen entwickeln und einsetzen wollen.

Der Präsident der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed el Baradei, hält die Gefahr eines Atomkriegs für "noch nie so groß wie heute". "Ein Atomkrieg rückt näher, wenn wir uns nicht auf ein neues internationales Kontrollsystem besinnen", sagte Baradei dem "Spiegel" (Ausgabe vom 26. Januar 2004). El Baradei warnte zudem davor, dass die von den USA derzeit entwickelten "Mini-Nukes" die Hemmschwelle für einen Angriff mit Atomwaffen senken könne.

Atomwaffen sind auch integraler Bestandteil der NATO-Bewaffnung und - seit dem NATO-Gipfel 1999 - Teil der neuen NATO-Strategie, die den Ersteinsatz solcher Waffen vorsieht - auch gegen Gegner, die selbst nicht über atomare Waffen verfügen. Diese Politik wird auch von der deutschen Bundesregierung unterstützt, die weiterhin die Stationierung von mehr als 60 Nuklearwaffen auf deutschem Boden duldet.

Was wir tun:
Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen! Der Nuklearpolitik der USA werden wir uns mit allen Kräften widersetzen - auch an den Stationierungsorten Ramstein und Büchel.
Wir unterstützen den friedlichen Protest gegen die NATO-"Sicherheitskonferenz" am 6./7. Februar 2004 in München und fordern die Friedensbewegung auf daran teilzunehmen. Die Münchner "Sicherheitskonferenz" ist längst kein unverbindlicher Meinungsaustausch von Verteidigungsministern und Außenpolitikern aus NATO- und Nicht-NATO-Staaten. Auf und am Rande der Konferenz werden auch Verabredungen getroffen und Weichen gestellt für die militärische Neuordnung der Welt im Interesse transnationaler Konzerne und der großen Rüstungsindustrie.

4 Ja zu einem sozialen Europa - Nein zur Militarisierung der EU

Die Annahme der vom Außenbeauftragten der EU, Javier Solana, ausgearbeiteten Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) durch die Staats- und Regierungschefs der EU am 13. Dezember 2003 markiert eine fundamentale historische Wende in der Geschichte der Europäischen Union von einer "Zivilmacht" zur globalen Interventionsmacht. Analog zum Entwurf einer "Verfassung für Europa", der in Art. 40 Ziff. 3 eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur schrittweisen Erhöhung ihrer militärischen Fähigkeiten festschreibt, verlangt die Militärdoktrin "mehr Mittel für die Verteidigung", um den Aufbau flexibler mobiler Truppen zu finanzieren.

Auch wenn die volle Einsatzfähigkeit der Schnellen EU-Eingreiftruppe von 80.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte noch einige Zeit auf sich warten lässt, so sollen Militärdoktrin und EU-Verfassung die EU-Staaten auf eine ambitionierte Militarisierung der EU festlegen. Diese Politik stellt eine Bedrohung für die Welt dar!

Erfahrungsgemäß lassen sich Selbstmordterroristen weder durch Waffen abschrecken noch mit Krieg bekämpfen. Im Gegenteil: Krieg fördert den Terror noch. Die Drohung mit Krieg provoziert in gefährlicher Weise den Aufbau von Massenvernichtungspotenzialen in den sich bedroht fühlenden Staaten, weil ihnen eine effektive Verteidigung mit konventionellen Mitteln gegen die vernichtende Überlegenheit der Angreifer, zu denen künftig auch die EU zählen könnte, unmöglich erscheint. Die Militarisierung der EU-Außenpolitik verstärkt die Unsicherheit auf der Erde! Sie ist in hohem Maße kontraproduktiv und teuer.

Was wir tun:
Nicht Aufrüstung ist das Gebot der Stunde, sondern Abrüstung! Der Bundesausschuss Friedensratschlag lehnt aus all diesen Gründen die Europäische Sicherheitsstrategie und den vorliegenden Verfassungsentwurf ab. Wir sagen Ja zu Europa, aber Nein zur Militärverfassung. Wir treten für ein Europa ein, das sich dem Krieg verweigertund sich dem Sozialabbau widersetzt. Wir werden uns nicht am Bau einer "Festung Europa" beteiligen.
Wir unterstützen den europaweiten Aktionstag für ein anderes Europa am 9. Mai 2004, an dem die feierliche Verabschiedung der Europäischen Verfassung unter Ausschluss der Völker vorgesehen ist.
Auch die Wahlen zum Europäischen Parlament müssen zum Signal gegen die beabsichtigte Militarisierung Europas werden.
Im Frühsommer werden auf Initiative des Friedensratschlags zahlreiche Vertreter/innen von Friedensorganisationen aus EU-Ländern zu einer Tagung zusammenkommen, um weitere gemeinsame Aktivitäten zu vereinbaren.

5 Abrüstung statt Sozialabbau!

Nach dem Willen von Verteidigungsminister Struck ist das künftige Einsatzgebiet der Bundeswehr "die ganze Welt"! Mit 35.000 Soldaten als Einsatzkräfte, weiteren 70.000 als Stabilisierungskräfte und schließlich 137.500 Soldaten als Unterstützungskräfte sollen die neuen Aufgaben bewältigt werden. Dazu bedarf es nach Auffassung der Bundesregierung auch einer umfassenden Modernisierung von Waffen und Gerät.

Insofern erweist sich die vollmundige Ankündigung des Ministers, bei Ausrüstung und Bewaffnung in den nächsten Jahren bis zu 26 Mrd. EUR einsparen zu wollen, bei näherem Hinsehen als Täuschungsmanöver. Tatsächlich werden alle wesentlichen Beschaffungsprogramme einschließlich des sündhaft teuren Eurofighters "vorrangig" weiterverfolgt. Selbst Waffen, die gegen den Geist des humanitären Kriegsvölkerrechts (Genfer Konventionen) verstoßen, bleiben im Bestand der Bundeswehr. Von der Abschaffung von Streubomben bei Heer und Luftwaffe beispielsweise ist keine Rede, auch lasergelenkte Bomben bleiben im Arsenal. Auch der angekündigte Abbau von 35.000 Stellen im militärischen und 10.000 Stellen im zivilen Bereich sowie der Abbau von rund 100 Bundeswehrstandorten wird nicht zu Einsparungen führen. Vielmehr werden die dadurch frei werdenden Mittel zur Deckung des steigenden Bedarfs im investiven Bereich des Verteidigungshaushalts Verwendung finden.

Wir treten für demgegenüber für echte Abrüstungsmaßnahmen ein. Wir sind darüber hinaus für die Rücknahme der Agenda 2010 und wollen, dass der Sozial-, Bildungs- und Lohnabbau gestoppt wird.

Was wir tun:
Der Bundesausschuss Friedensratschlag stellt fest, dass sich diese Außen- und Sicherheitspolitik offensichtlich von dem Grundsatz leiten lässt: Je mehr deutsche Soldaten und deutsches Kriegsgerät bei Militärinterventionen eingesetzt werden, desto größer ist der deutsche Einfluss in der Welt. Dieser Entwicklung müssen wir uns mit aller Kraft widersetzen: auch mit Aktionen an Stationierungsorten oder - wie im Fall des "Bombodroms" - an Truppenübungsplätzen!
Wir schlagen, vom 20. März bis zum 3. April 2004 Aktionstage für Frieden und soziale Gerechtigkeit mit vielfältigen Aktionen und Veranstaltungen im ganzen Land durchzuführen. Die Ostermärsche sollen die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit der weltweit aktiven Friedensbewegung demonstrieren. Der Appell "Abrüstung statt Sozialabbau" soll bis dahin hundertausendfach unterschrieben werden.
Die Friedensbewegung unterstützt vordringlich auch die Aktionen und Massendemonstrationen von Gewerkschaften, sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen am 2. und 3. April.

6 Wir sind Teil des globalen Widerstands

Wir kämpfen für die Perspektiven einer friedlichen Welt, für globale Gerechtigkeit statt neoimperialer Vorherrschaft, für zivile Prävention statt Präventivkriege, für ein demokratisches Europa des Friedens statt einer EU-Armee, für Abrüstung statt Sozialabbau.

Diese Ziele einen uns mit allen anderen fortschrittlichen sozialen Bewegungen. Gemeinsam wollen wir über globale ökonomische, soziale, kulturelle und ökologische Zusammenhänge aufklären, um praktische Alternativen zum verschwenderischen und zerstörerischen Kapitalismus zu entwickeln und durchzusetzen.

"Ohne Entwicklung und Hoffnung wird es keinen Frieden geben. (...) 2004 muss anders werden. Es muss ein Jahr werden, in dem sich die Zeiten beginnen zu wenden."
(UN-Generalsekretär Kofi Annan in seiner Neujahrsansprache zum Jahreswechsel 2003/04)

Kassel, 25. Januar 2004


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