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"Bundeswehr hat ideologische Elemente wie im Kaiserreich"

Der "Friedensratschlag" berät über Antikriegspolitik und erinnert auch an den Ersten Weltkrieg. Ein Gespräch mit Detlef Bald *


Der Militärhistoriker Detlef Bald hat früher am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr gearbeitet. Er hat sich in zahlreichen Veröffentlichungen mit ihren Traditionslinien beschäftigt.


Am kommenden Wochenende berät der Friedensratschlag in Kassel über die ganze Vielfalt antimilitaristischer Themen. Mit Blick auf den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs halten Sie einen Vortrag zum Thema: »Alter Wein in neuen Schläuchen? Deutscher Militarismus vom Kaiserreich bis heute.« Was war das Besondere am kaiserlichen Militarismus?

Dieser Militarismus bestand nicht nur einfach in dem Vorrang des Militärs über die Politik. Deutschland war damals beherrscht von einer fast einzigartigen Überhöhung des Nationalismus, und zwar eines rassistischen Nationalismus. Etwa so: Wir Deutsche sind viel besser als andere Staaten, wir haben das Recht. Der Kaiser sagte sogar, wir hätten die Pflicht, gegen andere Staaten und Völker vorzugehen – das war eine gesellschaftliche Grundstimmung und das geradezu Wahnsinnige der damaligen Zeit.

Welche Nachwirkungen über 1918 hinaus sehen Sie dabei?

Die sogenannten »Ideen von 1914« treffen wir in Deutschland noch 1945 an. Hitler und die Naziherrschaft sind ja nicht einfach nur wegen einer Wirtschaftskrise hochgekommen. Was die Nazis kennzeichnet, ist weitgehend schon im Kaiserreich verwurzelt. Die amtlichen Kriegsziele 1914 haben das Territorium ganz Europas als potentielles Einmarschgebiet gesehen. Deutschland betrachtete die Industriegebiete Frankreichs und Belgiens wie auch die Agrargebiete der Ukraine als eigene Interessenssphäre, die es militärisch sichern wollte. Und diese Kriegsziele wurden von vielen gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Allen voran von den Kirchen, die den Krieg als göttlichen Auftrag verkündeten.

Das Kaiserreich war bereit, jahrelang einen Ausblutungskrieg zu führen, der nicht nur die Soldaten der anderen Staaten, sondern auch die eigenen in ungeheurem Ausmaß dezimierte. Diese unbedingte Dominanz des staatlichen Machtanspruchs sehen wir auch in den Vernichtungskriegen der Nazis.

Nationalismus und Rassismus sowie die Überhöhung der eigenen Gesellschaftsordnung sind ja auch heute noch gängige Rechtfertigungen für Kriege. Inwiefern kann die Friedensbewegung sonst noch Erkenntnisse aus dem Ersten Weltkrieg ziehen? Der Militarismus heute ist ja keine einfache Kopie von damals.

Nein, es fehlt ja heute an einer Kriegs­euphorie, wie es sie damals gegeben hat, und heute werden auch die Leiden der Kriegsopfer ernst genommen. Aber es lohnt sich zu erinnern: Noch bis kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges hatte es eine starke Antikriegsbewegung gegeben, vor allem in der Arbeiterschaft. Trotzdem gab es das sogenannte Augusterlebnis, viele unterlagen dieser Faszination der Militärtechnik, dem Versprechen, innerhalb von sechs Wochen Frankreich zu besiegen und danach Rußland. Sie unterlagen der Propaganda, die Deutschen hätten die bessere Kultur. Es hat auch mit diesem Glauben zu tun, daß die Sozialdemokratie den Kriegskrediten zugestimmt hat. Dort, wo es Gruppierungen gegeben hat, die gegen den Krieg zumindest gemurrt haben, sind diese einfach von der öffentlichen Meinung weggespült worden.

Sehen Sie da heute noch wirksame Traditionslinien?

Es gibt viele kleine Schritte, die zurückführen. Nach 1945 war Deutschland zunächst entmilitarisiert, die Bundeswehr war später unter strikter Kontrolle der Alliierten. Sie durfte keinen Generalstab haben, keine Alleingänge machen, keine Angriffskriege führen. Es entstand damals die »Kultur der Zurückhaltung« in der Außenpolitik. Es hat sich alles zum Schlechteren geändert.

Hinzu kommt, daß in der Bundeswehr immer wieder nach Traditionslinien zur Wehrmacht gesucht wird, und dabei werden häufig ähnliche ideologische Elemente wie schon im Kaiserreich deutlich: Die eigene Überhöhung und zugleich die Betrachtung anderer als minderwertig. Und nichts, was das Militär macht, bringt uns einer Lösung der sozialen und politischen Probleme näher.

Interview: Frank Brendle

* Aus: junge welt, Freitag, 6. Dezember 2013


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