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"Dieser Zulauf hat uns sehr überrascht"

In Kassel fand am Wochenende der 19. Friedensratschlag statt – mit fast 400 Teilnehmern. Gespräch mit Peter Strutynski


Peter Strutynski ist Leiter der AG Friedensforschung (Kassel) und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.


Am Wochenende fand in Kassel der 19. Friedensratschlag statt – zwei Tage voller Diskussionen, vor allem über aktuelle Konflikte. Die deutsche Friedensbewegung kämpft seit Jahren tapfer gegen Kriegs- und Rüstungsexportpolitik an, findet sie allmählich mehr Resonanz?

An Resonanz in der Bevölkerung fehlt es nicht – eine stabile Mehrheit ist z.B. sowohl gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistan-Krieg als auch generell gegen Auslandseinsätze deutscher Truppen. Es hapert aber immer wieder daran, daß es nicht gelingt, die Menschen dagegen auf die Straße zu bringen. In den Medien hingegen finden wir so gut wie kein Echo: Von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten über die großen Meinungsblätter bis hin zu den Regional- und Lokalzeitungen berichten alle im Sinne der herrschenden Politik.

Ich glaube auch, daß das in den vergangenen Jahren sogar noch schlimmer geworden ist. Es wird immer schwieriger, mit unseren Themen – auch mit denen der kritischen Friedensforschung! – in die Medien zu kommen. 2003 noch war das anders, damals gingen viele Menschen gegen den Irakkrieg auf die Straße. Das konnten die Redaktionen nicht ignorieren. Sobald der Druck der Öffentlichkeit fehlt, verbreiten sie wieder Regierungspropaganda.

Sehr optimistisch klingt das nicht. Ist es da nicht ein Widerspruch, daß Ihre Wochenendtagung fast überlaufen war?

Das hat uns in der Tat sehr überrascht, wir hatten zwischen 350 und 400 Teilnehmer, viel mehr als im vergangenen und immer noch mehr als im vorvergangenen Jahr. Erfreulich war auch, daß sich darunter viele fanden, die zum ersten Mal dabei waren – es gelingt uns also offensichtlich, immer wieder neue Gruppen und Organisationen für Friedenspolitik zu interessieren. Es wäre schön, wenn dieser rege Zulauf Indikator für eine Trendwende wäre, aber dafür brauchen wir vermutlich mehr als nur einen Kongreß.

Der Friedensratschlag hat immer versucht, möglichst viele Gruppen einzubinden. Hat es in diesem Jahr nennenswerte Verstärkung gegeben?

Auf jeden Fall, vor allem was die Friedensinitiativen an der Basis angeht. Es ist schließlich unsere Stärke, solche Gruppen in die Diskussion einzubeziehen; von ihnen hängt es ab, ob die Bevölkerung für den Frieden und gegen Kriegseinsätze mobilisiert wird.

Was waren die Schwerpunkte?

Ich will nur die wichtigsten nennen: Die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld gab uns einen Überblick über die Lage in Syrien und die mittlerweile in gefährliches Fahrwasser geratene arabische Rebellion; Conrad Schuhler sprach über Europa und den globalen Imperialismus – ein Thema, das intensive Diskussionen auslöste; Norman ­Paech referierte über den Angriff auf das Völkerrecht durch die Legitimierung von Intervention und Krieg durch die herrschende Politik und ihre Berater. Der Höhepunkt des zweiten Tages war ein Vortrag des Theologen und Psychologen Eugen Drewermann – er sprach 75 Minuten lang frei und erhielt tosenden Applaus. An gedanklicher Schärfe und Komplexität war das kaum zu überbieten.

Zu Gast waren auch der Botschafter von Venezuela sowie ein Abgeordneter der türkischen Nationalversammlung, der uns über die zunehmende Verfolgung von Kurden in seinem Heimatland berichtete.

Die seit Jahren üblichen Ostermärsche der Friedensbewegung sind eher flau besucht. Wurden Verabredungen für größere Aktionen im kommenden Jahr getroffen?

Der Friedensratschlag selbst organisiert keine Ostermärsche – das wird lokal geregelt. Träger dieses Kongresses an der Uni Kassel ist die Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung – es geht hier um die Organisierung des Austauschs zwischen Wissenschaft, Politik und Friedensbewegung. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, daß Themen, die in Kassel diskutiert werden, in die inhaltliche Vorbereitung von Ostermärschen und anderen Friedensaktivitäten einfließen – das reicht von den Patriotraketen über Drohnen und Waffenexporte bis hin zu Möglichkeiten der Rüstungskonversion.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. Dezember 2012


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