Krieg als Totalangriff auf das Völkerrecht
Kurzfassung des Referats von Norman Paech auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag
Was Beobachter weltweit eint, ist
die Überzeugung von der Kriegsträchtigkeit
dessen, was allgemein als Globalisierung
bezeichnet wird. Dieser
Begriff steht allmählich nicht nur für die
Verheißungen der ökonomischen und
sozialen Entwicklung weltweit, sondern
auch für die Erwartung, ja Unvermeidlichkeit
kommender Kriege. Diese Erwartung
wird nicht nur durch die tägliche
Kriegsberichterstattung untermauert,
sondern auch durch die ausdrückliche
Programmatik der Militärstrategien
von NATO und USA bestätigt. Selbst
die Europäische Union hat sich einen
mächtigen militärischen Arm zugelegt,
der laut „Europäischer Sicherheitsstrategie“
von 2003 in Zukunft weltweite
militärische „Verteidigungs“aufgaben
übernehmen soll:
„Unser herkömmliches Konzept der
Selbstverteidigung, das bis zum Ende
des Kalten Krieges galt, ging von der
Gefahr einer Invasion aus. Bei den
neuen Bedrohungen wird die erste
Verteidigungslinie oftmals im Ausland
liegen. Die neuen Bedrohungen sind
dynamischer Art. .... Daher müssen wir
bereit sein, vor Ausbruch einer Krise
zu handeln. Konflikten und Bedrohungen
kann nicht früh genug vorgebeugt
werden.“
Es geht um die Erweiterung des
Legitimationsrahmens für den Krieg
als Mittel der Politik. Dies geschieht
zunächst dadurch, dass der Blick auf
die neuen Formen der Gewalt und des
Kriegsgeschehens gerichtet wird: „internationaler
Terrorismus“, „Staatszerfallkriege“,
„asymmetrische Kriege“
„Bandenkriege/warlords“, „low intensity
warfare“, „ethnische Säuberungen“.
Sie werden heute allgemein unter dem
Begriff der „neuen Kriege“ gefasst und
vor allem als neue Herausforderung
des Westens gesehen, die seine militärische
Antwort notwendig machen.
Das lenkt zunächst davon ab, dass
fast alle Formen aus den klassischen
Staatenkriegen weitgehend bekannt
sind: Partisanenkrieg, Geiselerschießungen,
Guerilla-Befreiungskampf,
ethnische Säuberungen, Genozid und
Söldnereinsatz. Nur die Unmittelbarkeit
und mediale Präsens eines Terroraktes
wie die Zerstörung des World
Trade Centers durch zivile Flugzeuge
lässt uns die Ungeheuerlichkeit und
Barbarei von Terrorakten wie die Abwürfe
der ersten Atombomben auf Hiroshima
und Nagasaki vergessen, und
die Massaker an der Zivilbevölkerung
in Zentralafrika überlagern die Barbarei
der Massaker in Zentraleuropa im
zweiten Weltkrieg wie die von Oradour,
Lidice und Distomo.
Es spricht vieles dafür, dass auch
in Zukunft kaum ein lokaler Krieg ohne
direkte oder indirekte Beteiligung der
großen NATO-Mächte stattfinden wird.
Darüber hinaus geben die modernen
Strategiepapiere der USA, NATO und
der EU deutliche Hinweise auf militärische
Interventionen in jenen Regionen,
in denen die Staaten ihre zentralen
ökonomischen und politischen Interessen
gefährdet sehen. In den Worten
ihrer akademischen Apologeten
handelt es sich dabei um die „Herstellung
von imperialer Ordnung zwecks
Absicherung von Wohlstandszonen an
den Rändern.“ Entsprechend der militärische
Prägung jeder imperialen Ordnung
wird der Krieg als unvermeidbares
Mittel der Absicherung eingeplant.
Sicherheitsstrategien zur Kriegs-Legitimierung
Eine zentrale Rolle bei der Legitimierung
des Krieges spielen die für die
Öffentlichkeit bestimmten Erklärungen
zur Militär- und Sicherheitsstrategie,
aus denen sich die jeweiligen „Doktrinen“
ableiten. Sie sind das Ergebnis
langjähriger zwischen Politik und Militär
abgestimmter Planungen, die
schließlich der Öffentlichkeit zu ihrer
Einstimmung und Orientierung übergeben
werden. So hatte die feierliche Unterzeichnung
der neuen NATO-Strategie
im April 1999 in Washington durch
die Staats- und Regierungschefs aller
aktuellen und zukünftigen Mitgliedstaaten
lediglich den Zweck, die längst beschlossene
militärische Neuorientierung
abzusegnen. Eine derartige strategische
Neuausrichtung der NATO
von einer ursprünglichen Verteidigungsgemeinschaft
in ein offensives
weltweit operierendes Krisenregulierungsinstrument
hätte allerdings eine
ausdrückliche Veränderung des NATOVertrages
erfordert mit einer Ratifizierung
in jedem Mitgliedsstaat. Da sich
die politischen Führungen auf die Verbindlichkeit
der neuen Strategie für alle
unterzeichnenden Regierungen verlassen
konnten, verzichteten sie auf die
unsichere demokratische Legitimierung
durch Parlament und Volk. Diese
Legitimierung wurde der NATO am 11.
September 2001 in New York nachgeliefert
und durch die National Security
Strategy der USA ein Jahr später noch
einmal bestätigt. Der Schock des Terroranschlages
erlaubte es der USRegierung,
nicht nur die eigene Bevölkerung
sondern den ganzen Globus in
den Zustand eines permanenten Ausnahmezustandes
unter der weltweiten
Gefahr des internationalen Terrorismus
zu versetzen.
Gewaltverbot der UNO-Charta
Alle politischen und moralischen
Begründungsversuche leiden jedoch
unter dem Mangel einer universellen
Anerkennung und dem zumeist nicht
unbegründeten Verdacht, hinter ihrer
Fassade andere strategische und ökonomische
Interessen zu verfolgen.
Deshalb bedarf es einer Referenz, die
außerhalb der nationalen Interessen
und mit dem Ausweis der Universalität
die Ansprüche an eine allgemein anerkannte
Legitimation erfüllt. Dieses trifft
nach dem Verlust allgemeiner moralischer
Standards allein noch das internationale
Recht, das Völkerrecht, welches
in der UN-Charta die Forderung
nach universeller Anerkennung einlösen
kann. Deshalb fehlt in keiner Militärstrategie
und keiner politischen wie wissenschaftlichen Abhandlung der Bezug
auf das Völkerrecht und die UNCharta.
Selbst in den Fällen geplanter
und offener Verletzung des Völkerrechts,
wie in den beiden Kriegen gegen
Jugoslawien und den Irak, spielte
der „Kampf um das Völkerrecht“ sowohl
in der Vorbereitung des Angriffs wie in
der Folgediskussion um die Rechtfertigung
eine zentrale Rolle.
UNO-Charta Art. 2
(4) Alle Mitglieder unterlassen in ihren
internationalen Beziehungen jede gegen
die territoriale Unversehrtheit oder die
politische Unabhängigkeit eines Staates
gerichtete oder sonst mit den Zielen der
Vereinten Nationen unvereinbare Androhung
oder Anwendung von Gewalt.
UNO-Charta Art 42:
Ist der Sicherheitsrat der Auffassung,
daß die in Artikel 41 vorgesehenen
Maßnahmen unzulänglich sein würden
oder sich als unzulänglich erwiesen haben,
so kann er mit Luft-, See- oder
Landstreitkräften die zur Wahrung oder
Wiederherstellung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit erforderlichen
Maßnahmen durchführen. […]
UNO-Charta Art. 51:
Diese Charta beeinträchtigt im Falle
eines bewaffneten Angriffs gegen ein
Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs
das naturgegebene Recht zur individuellen
oder kollektiven Selbstverteidigung,
bis der Sicherheitsrat die zur
Wahrung des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit erforderlichen
Maßnahmen getroffen hat. […]
Quelle: Charta der Vereinten Nationen
Überlegungen zur politischen bzw.
moralischen Rechtfertigung eindeutiger
Rechtsverstöße spielen in der völkerrechtlichen
Literatur seit langem eine
Rolle. Der Überfall auf Jugoslawien im
Frühjahr 1999 war unter klarem Verstoß
gegen das Gewaltverbot des Art.
2. Z. 4 UNO-Charta erfolgt und konnte
keine der anerkannten Rechtfertigungen
der Selbstverteidigung gem. Art. 51
oder des Mandats durch den Sicherheitsrat
gem. Art. 39/42 UNO-Charta
aufweisen. Dieser Befund war nicht zu
leugnen, führte aber zu der Frage: Wie
kann ein Verstoß gegen das Gewaltverbot
dennoch gerechtfertigt werden,
wenn die Gewaltanwendung schwerste
Verbrechen beenden soll, ihre Notwendigkeit
offenkundig und ihre humanitäre
Absicht klar ist?
Völkerrechts-Jongleure: „Krieg illegal aber legitim“
Lassen wir einmal beiseite, dass die
faktische Basis des “humanitären Impulses”
gerade beim Kosovo-Konflikt
nach wie vor mehr als umstritten ist.
Die Konkurrenz zwischen Recht und
Moral, Legalität und Legitimität endet
immer wieder in der Sackgasse, wenn
die Autoren Moral und Legitimität über
das Recht stellen. Zwei US-amerikanische
Autoren erklären das Recht lediglich
als Unterfutter der Legitimität und
schreiben:
„Letztendlich ist Legitimität freilich in
einer allgemeinen Vorstellung von
Rechtmäßigkeit verwurzelt. Daher kann
staatliches Handeln, auch wenn es in
dem einen oder anderen Sinne gegen
Gesetze verstößt, von der öffentlichen
Meinung dennoch als legitim angesehen
werden.“
Diejenigen, die den subversiven
Strategien der Rechts-Jongleure misstrauen,
aber dennoch einen juristischen
Weg zur Legalisierung der unilateralen
Kriege suchen, knüpfen an die Dynamik
des Völkerrechts, an die gewohnheitsrechtliche
Fortentwicklung durch
die Praxis der Staaten. Diese Form der
Rechtsentwicklung vollzieht sich ohne
vertragliche Änderung der großen Konventionen,
wie z.B. der UNO-Charta, allein
durch das Handeln der Staaten im
Bewusstsein eigener Rechtsverpflichtung.
Sie bedarf allerdings der Unterstützung
der überzeugenden Mehrheit
der Staaten.
In der Zeit nach 1945 hat sich die
Kodifizierung durch vertragliche Übereinkunft
immer mehr als Mittel der
Rechtsentwicklung durchgesetzt. Insbesondere
die Durchbrechung und Veränderung
zwingenden Rechts wie das
Gewaltverbot des Art. 2 Z. 4 UNOCharta
ist nur durch Entwicklung einer
dritten Ausnahme neben Art. 51 und 42
UNO-Charta als neues zwingendes
Recht möglich. So hat es auch bisher
nur vereinzelte Stimmen gegeben, die
bereits im Frühjahr 1999 zu Beginn der
Bombardierung Jugoslawiens die humanitäre
Intervention als gewohnheitsrechtliche
Ausnahme vom Gewaltverbot
ausgegeben hätten. Doch der Druck
auf eine „solide“ völkerrechtliche
Grundlage für humanitäre und größere
Katastrophen vorbeugende Interventionen
wächst. Als Reaktion auf das
Scheitern des UN-Sicherheitsrats angesichts
der Kosovo-Krise und des Ruanda-
Völkermords forderte UN-Generalsekretär
Kofin Annan die Völkergemeinschaft
mehrfach auf, die Probleme
der völkerrechtlichen Instrumente angesichts
derartiger Katastrophen zu überprüfen
und neue Prinzipien zu entwickeln.
Zauberformel: „Responsibility to protect“
Die kanadische Regierung nahm
die Anregung auf und bildete die „International
Commission on Intervention
and State Sovereignty“ (ICISS). Sie
schlug in ihrem Bericht vom Dezember
2001 eine neue Doktrin „The responsibility
to protect“ vor, die von der Verpflichtung
der UN-Mitgliedstaaten ausgeht,
das Leben, die Freiheit und die
fundamentalen Menschenrechte ihrer
Bürger zu schützen. Sollten sie dieser
Verpflichtung nicht nachkommen können
oder wollen, so habe die internationale
Völkergemeinschaft die Verpflichtung
einzugreifen.
Die unverblümte Ankündigung kommender
Kriege bedarf starker Antikriegskräfte,
um ihnen zu begegnen. Die landläufige Theorie allerdings, dass
demokratische Staaten zumindest nicht
gegeneinander Krieg führen werden,
geht von zweifelhaften Prämissen aus
und verbreitet eine trügerische Sicherheit.
Bis auf wenige Ausnahmen liefert
die herrschende politische und juristische
Theorie keine Grundlagen, die
den Widerstand gegen die Rehabilitierung
des Krieges stärken könnten. Sie
steuert den Angriff auf das Völkerrecht
selbst. Mögen die Regeln des Völkerrechts
und der UNO-Charta noch so
klar und eindeutig den Krieg verurteilen
und den Frieden propagieren, ihre Interpreten,
die Völkerrechtler folgen lieber
den Trommeln und Töpfen ihrer Regierungen,
sie sind die wahren Spin-
Doktoren des Krieges. Die akademische
Welt lässt die Friedensbewegung
allein – das wäre nicht das erste Mal.
Sorgen wir dafür, dass die Friedensbewegung
die akademische Welt nicht
den Regierungen überlässt.
Der volle Wortlaut des Beitrages kann abgerufen werden unter: www.norman-paech.de
Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 1, Januar/Februar 2013
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