Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ein globaler Wettlauf um Energieressourcen"

Friedenspolitischer Ratschlag debattierte über Afghanistan, Irak, Iran, über die Großmächte und ihre Versuche zur "Neuvermessung der Welt"

Im Folgenden dokumentieren wir drei Artikel, die zum oder nach dem Friedenspolitischen Ratschlag in der regionalen und überregionalen Presse erschienen.


Russland stellt keine Gefährdung dar"

Wir sprachen mit Mitorganisator Peter Strutynski vom Kasseler Friedensforum über die Macht Russlands und den Einsatz in Afghanistan.

Herr Strutynski am Sonntag sind Wahlen sind Russland. Ist Russland unter Putin Stabilisierungsfaktor oder Gefahr in der Weltpolitik?

Peter Strutynski: Putin versucht, sich wieder als Weltmacht ins Spiel zu bringen und an der Weltmachtrolle anzuknüpfen, die einst die Sowjetunion gespielt hat. Diese Rolle war eher eine stabilisierende, zumal wir damals von einem Gleichgewicht der beiden Supermächte ausgehen konnten. Ich sehe auch im Moment nicht, dass Russland aggressive Absichten hätte, also eine Gefährdung für uns darstellen könnte.

Warum nicht?

Strutynski: Russland agiert eher aus der Defensive heraus, denn es sieht sich sehr stark konfrontativer Politik, vor allem der USA, gegenüber. Denken Sie nur an die Raketenabwehrpläne, die in Polen oder in Tschechien geplant sind.

Man hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf mehr Frieden in der Welt gehofft, es gibt jedoch überall mehr Kriege. Wo liegen die Gründe?

Strutynski: Ein Grund ist sicher der, dass die alte Ost-West-Konfrontation und das Gleichgewicht des Schreckens, also des atomaren Patts zwischen den beiden Supermächten, immerhin dazubeigetragen hat, dass ein Krieg größeren Stils nicht möglich war. Kriege vom Schlage eines Irakkrieges hätte es in dieser Zeit nicht gegeben. Mit der Auflösung des Warschauer Paktes sind aber alle Dämme gebrochen und die Widersprüche in der Welt neu zum Ausbruch gekommen.

Das Thema des Friedenspolitischen Ratschlags lautet die Neuvermessung der Welt. Was bedeutet das?

Strutynski: Das hat mit der historischen Wende nach dem Zerfall des Sowjetunion zu tun. Die großen Mächte versuchen, die ökonomische, politische und militärische Macht der USA zu begrenzen, indem sie sich selbst als Global Players ins Gedächtnis bringen. Denken Sie an China, an Russland, aber auch an Indien oder an Lateinamerika, in dem sich erstaunliche Ablösungsprozesse von den USA abspielen. Neuvermessung bedeutet, dass große Mächte versuchen, ihre Interessen und geostrategischen Positionen in der Welt zu verbessern, weil sie in Zukunft eher als ökonomische und politische Konkurrenten dastehen.

Hat das auch mit den knapper werden fossilen Energieressourcen zu tun?

Strutynski: Ja. Um die hat ein globaler Wettlauf begonnen. Daraus ergeben sich natürlich auch jede Menge Spannungen und Konflikte. Und es hängt mit der gegenwärtigen Kriegspolitik vor allem der Vereinigten Staaten zusammen. Der so genannte Anti-Terror-Krieg hält im Grunde genommen dafür her, geostrategische und Rohstoff-Interessen überall in der Welt zu vertreten. Das ist ein ganz großes Problem.

Beispiel Afghanistan: Sie fordern einen Rückzug der Truppen, wie sollen Ihrer Meinung nach die Aufbauprojekte im Land ohne militärische Unterstützung weiter aufrecht erhalten werden?

Strutynski: Die meisten humanitären Organsiationen, die dort arbeiten, sagen immer wieder, dass sich das Militär fern halten soll, weil sie sonst ihre Arbeit nicht machen können. Deswegen kann es für Afghanistan nur eine Chance geben, wenn die fremde Besatzung abzieht, die von 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung kritisiert wird, dass muss man ja auch mal sehen.

Ist das nicht etwas naiv gedacht?

Strutynski: Nicht von heute auf morgen, das wäre wirklich blauäugig. Aber wer so weitermacht wie bisher, der sieht ja, dass es sechs Jahre nach Beginn des Krieges nichts gebracht hat. Im Gegenteil.

Aus: Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, 1. Dezember 2007


Warlords sitzen heute in der Regierung

Friedensratschlag suchte Analysen zu Afghanistan abseits der Vorgaben des Mainstreams

Von Birgit Gärtner

Afghanistan – Hort des Terrorismus oder Meilenstein bei der kapitalistischen Neuvermessung der Welt? Am vergangenen Wochenende tagte der diesjährige friedenspolitische Ratschlag in Kassel.

»Die Neuvermessung der Welt. Rohstoffkriege – Gewalt – Alternativen« war das Motto in vier Foren und 25 Arbeitsgruppen. Mehr als 400 Teilnehmer aus verschiedenen Bereichen der Friedensbewegung und der Wissenschaft diskutierten dabei eine breite Themenpalette. Im Focus stand jedoch der Krieg gegen Afghanistan. »Wenn es den 11. September nicht gegeben hätte, dann hätten sie ihn erfinden müssen«, konstatierte der Marburger Politologe Matin Baraki. Systematisch sei über Jahrzehnte versucht worden, eine fortschrittliche Entwicklung Afghanistans zu unterbinden, »um einen Domino-Effekt auf andere Staaten in der Region zu verhindern«, so Baraki.

Nachdem die Sowjetunion in die »Afghanistan-Falle« gelockt worden sei, wären die islamischen Kräfte aufgebaut worden. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen fundamentalistischen Gruppen hätten das Land schließlich komplett zerstört. Dieselben Warlords, die für diese Zerstörung verantwortlich seien, säßen inzwischen in der Regierung, und die Familie des afghanischen Staatspräsidenten Karsai sei tief in den Drogenhandel verstrickt, so Baraki. Der Völkerrechtler Norman Paech, Mitglied der Linksfraktion im Bundestag, sprach von einem Anteil Afghanistans von 93 Prozent an der Weltproduktion von Schlafmohn und Opium. Ansonsten sei die Wirtschaft völlig ruiniert, so Paech, 80 Prozent der Waren im Land müssten importiert werden. Die Selbstmordrate von Frauen sei so hoch wie nie, 65 Prozent der 50 000 Witwen sähen den Freitod als einzige Perspektive.

Paech und Baraki forderten als ersten Schritt zur Stabilisierung in Afghanistan den Abzug der Truppen. Thomas Gebauer von Medico sieht indes keine andere Chance als eine militärische Entwaffnung der an den Kämpfen beteiligten Gruppierungen. Allerdings sei dazu ein völlig anderes Mandat notwendig, als das der ISAF. »Mindestvoraussetzung wäre ein UN-Mandat«, so Gebauer gegenüber ND. Der UNO-Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC könne diese Aufgabe übernehmen, meinte Gebauer, weil in diesem Gremium Nicht-regierungsorganisationen einen konsultativen Status haben – »das heißt, die Zivilgesellschaft würde in die Umsetzung eines Friedensplanes einbezogen«. Solange die ISAF nur die Machtinteressen der westlichen Mächte zu schützen habe, sei es allerdings das Beste, die Truppen umgehend abzuziehen.

Neben Afghanistan wurden Themen diskutiert wie Irak, Klimakatastrophe oder der sogenannte Anti- Terrorkampf, den der Berliner Anwalt Eberhard Schultz als »Rückkehr der mittelalterlichen Vogelfreiheit« bezeichnete.

Lühr Henken vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung versuchte, die Hintergründe für den Sudan-Konflikt darzustellen. Ein schwieriges Unterfangen, wie Henken einräumte – nicht nur wegen der ungesicherten Datenlage. So seien weltweit kursierende Zahlen über Opfer nicht durch Fakten belegt, sondern lediglich eine Schätzung einer UN-Mitarbeiterin. Ferner sei überhaupt nicht klar, ob diese Menschen durch die militärischen Auseinandersetzungen, Hunger oder Epidemien zu Tode gekommen seien.

Zum Auftakt der Konferenz präsentierten am Freitagabend der Schauspieler Michael Chaim Langer und sein Partner Joachim Günther ihr Programm »Weiber, Wahnsinn und Dämonen«. Eine trotz einiger Längen gelungene kabarettistische Einführung in den jiddischen Humor mit Stücken von Georg Kreisler und Isaac Basheevis Singer, einem jüdischen Literaten, der 1978 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2007


"Ich war ganz geplättet von dem Andrang"

Überraschend viele Besucher beim 14. Friedensratschlag am Wochenende in Kassel. Ein Gespräch mit Peter Strutynski

Die Neuvermessung der Welt – Rohstoffkriege, Gewalt, Alternativen« hieß das Motto des 14. Friedenspolitischen Ratschlags, der am Wochenende in Kassel stattfand. Welche Alternativen haben Sie gefunden?

Wir haben zunächst die Kriegsschauplätze analysiert. Fest steht, daß die weltpolitischen Akteure, einschließlich der Bundesrepublik, ihre geostragegischen Interessen nicht nur neu formulieren, sondern auch militärisch durchzusetzen versuchen. Wenn man das analysiert, hat man den Schlüssel dafür, wo man ansetzen muß, um solche Gewaltkonflikte zu beenden.

Wo muß man denn ansetzen?

Erst einmal im eigenen Land. Beispiel Afghanistan: In den dortigen Krieg ist Deutschland mit der Begründung verwickelt, es sei ein Antiterrorkrieg. Alle Experten sind sich einig, daß die Besetzung dieses Landes die Hauptursache dafür ist, daß der Konflikt weiter eskaliert. Um den Krieg dort zu beenden, muß als erstes das fremde Militär abgezogen werden – natürlich auch das deutsche.

Das ist im Irak nicht viel anders. Dort ist Deutschland zwar nur indirekt am Krieg beteiligt – aber auch dort kann sich die Lage nur dann beruhigen, wenn die Besatzungsmächte abziehen. Jeder zusätzliche Militäreinsatz verstärkt nicht nur den Widerstand, sondern auch die terorristischen Anschläge, was sich nach der Truppenverstärkung der USA im letzten Frühjahr wieder bewiesen hat.

Die Mehrheit der Deutschen ist gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan. Warum gelingt es der Friedensbewegung nicht, dieses Potential wirkungsvoll zu mobilisieren?

Diese Ablehnungsfront ist leider stumm – sie speist sich meiner Einschätzung nach aus diffusen Quellen und Motiven. Viele trösten sich damit, daß uns Afghanistan eigentlich nichts angeht, weil wir in Deutschland selbst genug Probleme haben. Wer so denkt, geht nicht auf die Straße.

Wurden in Kassel Strategien entwickelt, wie man das ändern kann?

Da nützt nur das altmodische Rezept der Aufklärung, deswegen organisieren wir Kongresse und Veranstaltungen. Das Hauptproblem bei der Mobilisierung von Massenprotesten ist, daß die Menschen nicht direkt betroffen sind – sie müssen aber ein ganz persönliches Anliegen haben, bevor sie auf die Straße gehen. Der Afghanistan-Krieg ist weit weg.

Kann es nicht auch daran liegen, daß sich die Friedensbewegung zu akademisch mit dem Komplex befaßt?

Der Friedensratschlag sollte ja auch zunächst einmal eine akademische Veranstaltung sein – Organisator war schließlich die AG Friedensforschung der Uni Kassel. Auf solchen Kongressen werden Analysen und Argumente erarbeitet, die dann von den Friedensgruppen bei Mahnwachen, Demonstrationen, auf Infoständen usw. in die Bevölkerung hineingetragen werden.

Sind Sie mit der Resonanz zufrieden?

Wir hatten rund 400 Besucher – so viel wie 2003 zum Beginn des Irak-Krieges, ich war ganz geplättet von dem Andrang. Das Bedürfnis nach Information ist so stark, daß man sich vor Interessenten kaum retten kann. Kongresse werden abgehalten, um Informationen und Analysen zu erarbeiten – erst dann kann man konkrete Aktionen vorbereiten.

Was ist im kommenden Jahr von der Friedensbewegung zu erwarten?

Der Bundesausschuß Friedensratschlag hat am Freitag Schwerpunkte verabschiedet. U. a. geht es darum, die 2007 etwas schwerfällig angelaufene Kampagne gegen die Auslandseinsätze fortzusetzen. So orientieren wir zur Jahresmitte auf einen Afghanistan-Kongreß. Zweitens wollen wir uns gegen die Ausplünderungskriege und für die Verwirklichung des Völkerrechts einsetzen. Wir müssen deutlich machen, daß alle Militärinterventionen genau das Gegenteil von dem bewirkt haben, was zu ihrer Begründung vorgebracht wurde. Dritter Punkt: Wir sind für atomare Abrüstung. Das ist ein altes Thema der Friedensbewegung, das im Moment zwar niemanden vom Hocker reißt – dennoch bleibt es wichtig. Außerdem wollen wir uns für den Rüstungsabbau und gegen die Aufrüstung von EU und Bundeswehr einsetzen. Und schließlich wollen wir gegen die Militärisierung im Inneren angehen. Selbstverständlich klinken wir uns als Friedensbewegung auch in die Kampagne für ein NPD-Verbot ein.

Interview: Peter Wolter

* Dr. Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag

Aus: junge Welt, 3. Dezember 2007



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