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Europa am Scheideweg - die Welt am Abgrund

Einführungsbeitrag zum Friedenspolitischen Ratschlag am 4./5. Dezember 2004 in Kassel

Von Peter Strutynski

Wie immer möchte ich den Friedenspolitischen Ratschlag mit einer vorläufigen Bilanz des abgelaufenen Jahres beginnen. Und wie immer fällt diese Bilanz durchwachsen aus und es bleibt jedem selbst überlassen, ob er oder sie sich mehr von den positiven Nachrichten blenden oder von den negativen Nachrichten deprimieren lässt. Als Politikwissenschaftler neige ich zu einer nüchternen Betrachtung der Weltläufte (auch wenn sich manches davon kaum noch in nüchternem Zustand verkraften lässt), als friedensbewegter Mensch lasse ich mich manchmal zu alarmistischen Reaktionen hinreißen. Als Optimist schließlich vermag ich auch noch in den tiefsten Abgründen und bedrohlichsten Entwicklungen der internationalen Beziehungen Ansatzpunkte zu gesellschaftspolitischen Alternativen und Anzeichen für widerständiges Handeln erblicken.

In diesem Sinne beginne ich mit einer guten Nachricht: Im zu Ende gehenden Jahr 2004 ist kein neuer großer Krieg in Gang gesetzt worden. Gewiss: Es sind alte Konflikte neu ausgebrochen, wie etwa in der Elfenbeinküste, im Kongo, im Sudan, in Haiti oder im russischen Tschetschenien. Auf der anderen Seite gab es aber auch - wenn auch noch so schwache - Hinweise auf eine Deeskalation von Konflikten, etwa im indisch-pakistanischen Dauerstreit um Kaschmir oder im Kampf zwischen den tamilischen Befreiungstigern und der Zentralregierung auf Sri Lanka. Was aber von vielen befürchtet worden war, dass nämlich die US-Administration in ihrem imperialen Drang zur Neuordnung der Welt nach dem Irak weitere Ziele mit Krieg überzieht, ist bislang ausgeblieben. Das hat mindestens zwei Gründe: Einmal lässt der Widerstand im Irak einen Abzug von US-Streitkräften gar nicht zu. Vorgestern hat das Pentagon sogar eine Aufstockung der Besatzungstruppen angekündigt, damit, wie es heißt, die Wahl Ende Januar durchgeführt werden kann. Solange der Krieg im Irak also andauert, können selbst die übermächtigen USA keinen neuen Kriegsschauplatz dieser Größenordnung eröffnen. Mit dieser Einsicht haben sich übrigens nicht wenige Kommentatoren hier zu Lande ihren Frust über die Wiederwahl Bushs versüßt. Der zweite Grund für den ins Stocken geratenen globalen Kriegszug der USA liegt in der anhaltenden Kritik an dieser Politik - sowohl innerhalb des Landes (gerade im Wahlkampf wollte Bush kein neues Risiko eingehen), als auch in der übrigen Welt, die den aggressiven Kurs der USA überwiegend ablehnt.

Nun zur schlechten Nachricht: Der Irakkrieg ist auch in seinem zweiten Jahr nicht beendet worden. Im Gegenteil: Er hat an Heftigkeit und Grausamkeit noch zugenommen. Zu den 100.000 toten Irakern, die meisten von ihnen Zivilisten, Frauen und Kinder - eine Zahl, die von einer unabhängigen Forschergruppe vor kurzem in einem medizinischen Fachblatt veröffentlicht wurde -, zu diesen 100.000 Toten kommen noch viele Tausende, die infolge der gnadenlosen Luftangriffe auf Falludscha, auf Mossul, auf Ramadi, auf Samarra und andere irakische Städte sterben mussten. Daher muss dieser Krieg beendet werden und müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. US-amerikanische Menschenrechts-Anwälte versuchen soeben, ein juristisches Schlupfloch auszunutzen, das es ermöglicht, einen Teil der militärischen Führung der USA hier in Deutschland anzuklagen. In der Klageschrift geht es zwar nur um "Kriegsverbrechen und Folter zum Nachteil irakischer Internierter im Gefängnis Abu Ghraib" und nicht um den völkerrechtswidrigen Krieg selbst - deswegen fehlt der Hauptverantwortliche, George W. Bush auf der Liste der beschuldigten Personen -, aber auch in einem solchen eingeschränkten Verfahren würde der Krieg insgesamt verhandelt werden. Mein Optimismus ist aber nicht so grenzenlos, dass ich der deutschen Justiz zutrauen würde, ein so delikates Verfahren überhaupt zuzulassen. Wir haben einschlägige Erfahrungen sammeln können, wie die Generalstaatsanwaltschaft mit gut begründeten Klagen gegen die Teilnahme der Bundesregierung am völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien umgegangen ist.

Jugoslawien ist das Stichwort, das mich veranlasst, den Blick über das abgelaufene Jahr hinaus zurück zu werfen. Die Herrschenden und Machthaber dieser Welt versuchen uns seit Jahren einzureden, dass Frieden und Gewaltlosigkeit solange eine Illusion bleiben müssen, als sie nicht durch Militär, Waffen und Krieg buchstäblich herbeigebombt werden. Die dabei entstehenden Kollateralschäden seien zwar bedauerlich, aber im Hinblick auf die Durchsetzung des hohen Ziels kaum zu vermeiden. Und außerdem: Warum müssen sich Terroristen und andere "Schurken" denn auch in von Zivilisten bewohnten Städten und Siedlungen aufhalten?!

Kriegsetappen

Die Regierungspropaganda hat 1999 beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien noch leidlich funktioniert. Eine Mehrheit der Bevölkerung glaubte offenbar den "guten" Absichten der Schröders, Fischers und Scharpings, den verfolgten und bedrängten "Kosovaren" mittels einer "humanitären Intervention" beizustehen. Dass der Krieg die - im wesentlichen sozialen - Probleme im Kriegsgebiet bis zum heutigen Tag nicht lösen konnte, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Dass der Krieg stattdessen neue Verfolgungen und Vertreibungen mit sich brachte, die auch unter dem "Schirm" von KFOR nicht verhindert werden konnten, gehört zu den besonders beschämenden Resultaten einer militärgestützten "Menschenrechtspolitik".

Der im Gefolge des 11. September 2001 begonnene "Krieg gegen den Terror" machte zunächst in Afghanistan Station. Ein zweifelhaftes UN-Mandat (die Resolutionen 1368 und 1373) wurde benutzt, um einen massiven Bombenkrieg zu rechtfertigen, in dessen Verlauf Tausende von Zivilpersonen - darunter so manche Hochzeitsgesellschaft - ausgelöscht wurden. Mit Hilfe der Vereinten Nationen und unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung wurde bis heute erreicht, dass Afghanistan einen gewählten Präsidenten und ansonsten viele unabhängige Kriegsherrschaften und die höchste Opiumproduktion der Welt hat. Blühende Mohnlandschaften ersetzen einstweilen die Verheißungen auf ein Leben in Freiheit, Demokratie und sozialem Wohlstand.

Die nächste Etappe des US-geführten Antiterrorkriegs galt einem ebenso diktatorischen wie - aus westlicher Sicht - unbotmäßigen Regime im Nahen Osten: Der Irak wurde von einem Krieg heimgesucht, dessen offizielle Rechtfertigungsgründe so gründlich zerstoben wie die Aussicht auf ein baldiges Ende der Gewalt. Massenvernichtungswaffen? Fehlanzeige! Menschenrechte? Abu Ghraib lässt grüßen! Demokratie? Unter Besatzungsvorbehalt! Und ganz nebenbei wurde die Rhetorik von der "humanitären Intervention" beiseite geschoben und durch das ungenierte Konzept des Präventivkriegs ersetzt.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten vom September 2002 wurde dieses Konzept erstmals ausformuliert, in Europa und bei den Vereinten Nationen wurde es heiß diskutiert - und in der EU-Verfassung sowie in der Europäischen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003 findet es plötzlich Nachahmung. Auch die EU soll danach im Kampf gegen den Terrorismus weltweit Militär in Bewegung setzen können - wobei, wie es im Verfassungstext so schön heißt - "die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet" stattfindet (Art. III-309,1). Der Aufbau einer Europäischen Armee, spezielle "Battle Groups" und die Errichtung einer Rüstungsagentur (offiziell: "Verteidigungsagentur") sollen die weltweite Verwendungsfähigkeit der EU-Militärkräfte herstellen.

Neoliberalismus und Globalisierung

Die gegenwärtige Welt- und Kriegspolitik lässt sich also beim besten Willen nicht auf die Formel bringen: hier die bösen USA resp. ihre Regierung, dort das zivilmächtige Europa. Vielmehr ziehen die Regierenden hüben und drüben an einem imperialistischen Strick, an dem zuallererst die Dritte Welt und in zweiter Linie die arbeitende und - vor allem - die nicht (mehr) arbeitende Bevölkerung der Ersten Welt baumeln. Wem dieses Bild zu weit geht oder zu abgeschmackt erscheint, nehme doch bitte die Armutsberichte von Weltbank und UNDP (United Nations Development Program) zur Hand oder sehe sich die sozialpolitischen Ergebnisse der neoliberalen Offensive in den Kernländern des Kapitalismus an. Auch die Armut in der immer noch sehr reichen Bundesrepublik Deutschland ist größer geworden. Der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung, der vor kurzem auf über 13 Prozent gestiegen ist, lag noch nie so hoch wie heute. Und die Bundesregierung lässt nicht erkennen, hier gegensteuern zu wollen. Im Gegenteil: Hartz IV ist nur die nach innen gerichtete Verlängerung einer auf globalen Ressourcenraub abzielenden Hegemonialpolitik. Dass sich längerfristig die daran beteiligten Hauptmächte untereinander auch noch in die Haare kriegen werden, ist deswegen kein Trost, weil uns dann erst recht die Brocken um die Ohren fliegen.

Der Geruch des Neoliberalismus und die Spur des Krieges ziehen sich um den ganzen Globus. Vielleicht ist das der eigentliche Kern der Globalisierung, die uns seit Jahren als Wundermittel zur Genesung der Welt angepriesen wird. Es ist die Art Globalisierung, die zwei deutsche Philosophen und Revolutionäre vor 156 Jahren vorausgedacht haben, als sie schrieben:
"Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. ... Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander." (MEW Bd. 4, S. 466)

So einzigartig die Prophetie dieser beiden Männer, es waren natürlich Karl Marx und Friedrich Engels, so einzigartig auch die sozialen und ökologischen Folgen dieser rasanten Entwicklung des globalisierten Kapitalismus und so einzigartig schließlich auch die politischen Anläufe zu dessen Überwindung, die bisher allesamt gescheitert sind.

Die Vereinten Nationen und das Völkerrecht

Gescheitert sind auch viele Versuche der Antikriegs- und Friedensbewegung, drohende Kriege, darunter zwei verheerende Weltkriege, zu verhindern und die Staaten der Welt zu einer Politik der Abrüstung, des Gewaltverzichts und der gegenseitigen Achtung zu zwingen. Gewiss: Es gab Fortschritte auf diesem Weg. Nicht zuletzt die Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen und der Aufbau der UN-Organisationen haben zu den größten Hoffnungen Anlass gegeben. Wir begehen im nächsten Jahr nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung Europas vom Faschismus (darauf komme ich später noch zurück), sondern auch die Gründung der Vereinten Nationen. Dieser Bund souveräner und gleicher Staaten hatte die Lehren aus zwei Weltkriegen gezogen, den Krieg als Mittel der Politik geächtet und die Mitgliedstaaten darauf verpflichtet, ihre "internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel" beizulegen. Nicht nur die Anwendung von Gewalt, auch schon deren "Androhung" ist mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar, heißt es in Artikel 2.

Gewalt androhen kann nur, wer über die entsprechenden Gewaltmittel, d.h. über Militär verfügt. Wenn Politiker also sagen, der Einsatz diplomatischer und anderer politischer Instrumente in den internationalen Beziehungen sei nur wirksam oder glaubwürdig, wenn hinter ihm eine militärische Drohkulisse stünde, dann versündigt er sich an dem Gewaltverbot der UN-Charta. Nähme man dieses umfassende Verbot wirklich ernst, dann müssten alle Staaten daran gehen, ihre Militärpotentiale abzubauen, die Rüstungsfabriken zu konvertieren und die Soldaten zu zivilisieren. Letzteres ist wahrscheinlich am schwersten. Angesichts der sukzessiven Nachrichten aus den Übungs-"Folterkellern" der Bundeswehr dürften doch gewaltige Anstrengungen vor allem auf dem Gebiet der Resozialisierung vonnöten sein.

Nun steht die UNO selbst vor einer Reform. Dafür gibt es gute Gründe, die in der veränderten Weltlage zu suchen sind. Die Konstruktion der UNO-Institutionen und ihrer Entscheidungsstrukturen reflektierte - damals vollkommen zu Recht - die politische Situation am Ende des Zweiten Weltkriegs. Bis zum heutigen Tag hat sich die Anzahl der UN-Mitgliedstaaten fast vervierfacht (von 51 auf 195 Staaten) und haben sich die Weltprobleme vervielfacht. Der vor zwei Tagen vorgelegte Reformvorschlag einer hochrangigen Kommission reflektiert denn auch die neuen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Die Berichterstattung darüber ist sehr selektiv: Herausgestrichen werden Formulierungen, die auf eine Aufweichung des strikten Gewaltverbots der UN-Charta hindeuten, und die Vorschläge zur Erweiterung des Sicherheitsrats. Dazu nur zwei Bemerkungen.
Erstens: Das Gewaltverbot bleibt unangetastet. Es gibt weiterhin nur zwei legitime Gründe zum Krieg, der erste ist die Selbstverteidigung gegen einen Angriff (Art. 51), der zweite ist die nach Kapitel VII der UN-Charta mögliche Intervention, wenn der Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedroht sind. Das Reformpapier nennt fünf Bedingungen, unter denen der Sicherheitsrat überhaupt militärische Interventionen anordnen dürfte, die zusammengenommen so restriktiv sind, dass es eigentlich nie zu einer Kriegsermächtigung kommen dürfte.
Zweitens: Bei der Frage nach der Ausweitung und Besetzung des Sicherheitsrats ist viel Symbolik im Spiel. Vorgeschlagen wird eine Erweiterung des Sicherheitsrats von jetzt 15 auf 24 Mitglieder. Dazu gibt es zwei Optionen: Im ersten Modell kommen sechs neue ständige Mitglieder ohne Vetorecht hinzu. Das andere Modell sieht zusätzliche Sitze für jeweils vier Jahre vor, wobei eine Wiederwahl möglich ist. Beide Modelle werden aber an dem bisherigen Machtzentrum der fünf ständigen Mitglieder mit Vetorecht nicht rütteln. Die deutsche Diplomatie hat viel Energie darauf verschwendet, sich der UNO als neues ständiges Mitglied anzudienen. Als hinge das Wohlergehen der Vereinten Nationen von einer zusätzlichen westeuropäischen Stimme in deren höchstem Gremium ab! Was wäre denn für die Welt gewonnen, wenn sich zu den fünf Atommächten und fünf führenden Rüstungsexportnationen noch eine sechste Macht hinzugesellen würde, deren starke Position auf dem internationalen Waffenmarkt in grotesker Weise mit ihrem schlechten Abschneiden bei internationalen Bildungsvergleichen korrespondiert?! Die deutsche Außenpolitik hätte wahrlich andere Betätigungsfelder, als sich in diplomatischen Großmachtallüren zu gefallen.

Der UN-Reformbericht enthält in seinem Kern zahlreiche Vorschläge zur Konfliktprävention und anderen globalen Bedrohungen. Die Förderung der Entwicklung steht dabei an erster Stelle. Entwicklung, so der Bericht, "hat zahlreiche Funktionen. Sie hilft bei der Bekämpfung von Armut, Krankheiten und Umweltzerstörung, die Millionen von Menschen töten und die menschliche Sicherheit gefährden. Es ist entscheidend, Staaten davor zu bewahren, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können. Entwicklung ist auch Teil einer langfristigen Strategie, um Bürgerkriege zu verhindern sowie dem Terrorismus und organisierter Kriminalität den Nährboden zu entziehen."

Das und nicht der kleinliche Streit um Sitze und Stimmen ist das Feld, auf dem sich eine zivile Außenpolitik, die zugleich Entwicklungspolitik ist, bewähren kann.

EU-Verfassung: Dokument der Militarisierung

Davon ist die Bundesrepublik, davon ist auch die Europäische Union himmelweit entfernt. Das Jahr 2004 hat mit der Ost- und Süderweiterung der EU sowie mit der Unterzeichnung des EU-Verfassungsvertrags vorentscheidende Weichen gestellt. Zusammen mit der bereits Ende 2003 verabschiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie, ein kaum besser geratener Spross der Nationalen Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten, verschärft die Verfassung drei Gefahren:
  1. Krieg als Mittel der Politik wird weiter enttabuisiert, ja als ggf. unausweichliches Mittel zur Interessenwahrung des neu-formierten EU-Staatengefüges legitimiert.
  2. Weitere Aufrüstung bzw. Rüstungsmodernisierung erhalten mit dieser EU-Verfassung für alle EU- Mitgliedstaaten Verfassungsrang.
  3. Die Versuchung, regionale oder lokale Krisen eigenmächtig militärinterventionistisch zu lösen, wird zunehmen und damit weltweit neue Rüstungsdynamiken provozieren.
Die Europäische Union steht also tatsächlich an einer Wegscheide: Auf der einen Seite, so wie wir es in unserem Motto formuliert haben, ein "soziales Europa, von dem nur Frieden ausgeht", auf der anderen Seite ein militarisiertes Europa, dem der Frieden aus geht.

Die Friedensbewegung ist relativ spät in die europäischen Gänge gekommen. Soweit ich es sehe, kritisiert sie heute aber geschlossen die Militarisierung der EU. Wenn aus dieser Geschlossenheit auch politische Entschlossenheit würde, bestünde durchaus eine Chance, auf den Gang der Entwicklung Einfluss zu nehmen. Der notwendige Ratifizierungsprozess in den Einzelstaaten bietet hierfür eine gute - allerdings auch die letzte - Gelegenheit.

Die EU-Verfassung ist ja ein völkerrechtlicher Vertrag und muss von den Parlamenten aller 25 EU-Staaten ratifiziert werden. Wie die einzelnen Staaten dabei verfahren, bleibt ihnen bzw. ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften überlassen. Vorgesehen ist nach Art. IV-447 Abs. 2, dass der Verfassungsvertrag am 1. November 2006 in Kraft tritt, "sofern alle Ratifikationsurkunden hinterlegt worden sind ..."

Nach Lage der Dinge wird der Ratifizierungsprozess also länger als bis 2006 dauern. Denn in den Mitgliedstaaten haben sich zuletzt doch zu viele Politiker unterschiedlicher Couleur dafür stark gemacht, dass die Ratifizierung durch Volksabstimmungen festgestellt werden sollte. Abgestimmt wird in Dänemark, Irland, Großbritannien, Frankreich, Luxemburg, Spanien, Portugal, Belgien, Niederlande, möglicherweise auch in Estland und Tschechien. In Österreich und Deutschland gibt es Initiativen, die sich für ein Referendum einsetzen. Im Spätsommer hat sogar die SPD das Referendum ins Kalkül gezogen und schlägt eine Verfassungsänderung vor, wonach Volksbefragungen im Grundgesetz verankert werden sollen. Wenn dem von unten und von außerhalb des Parlaments nicht kräftig nachgeholfen wird, wird es dazu nicht kommen.

Die Bevölkerung jedes EU-Staates hat ein Recht, über die faktische Neugründung der EU qua Verfassung mitbestimmen zu können. Demokratische Verfassungen wurden noch nie durch Oktroi erlassen (das Bonner Grundgesetz 1949 war die Ausnahme), sondern in der Regel vom Volk gegen die Machtansprüche der Obrigkeiten durchgesetzt. Die Weigerung von Regierungen in der EU, über die EU-Verfassung per Referendum abstimmen zu lassen, zeugt nicht nur von einem grundlegenden Misstrauen gegen die eigene Bevölkerung. Sie wird darüber hinaus zu einer viel größeren Europamüdigkeit führen, als sie heute schon zu konstatieren ist.

Es wäre also ein Beitrag zur europäischen Integration, wenn eine breite gesellschaftliche Diskussion um die EU-Verfassung entstünde. Die Ablehnungsgründe der Verfassung sind von Bewegung zu Bewegung sehr unterschiedlich. Die einen betonen die in der Verfassung verankerte neoliberale Wirtschaftspolitik, andere kritisieren das Fehlen demokratischer Beteiligungsrechte, die Friedensbewegung bekämpft vor allem die Militarisierungsaspekte. Alle Kritikpunkte in einem gemeinsamen Appell zu bündeln, ist deswegen ein problematisches Unterfangen, weil es im Ergebnis eher ausgrenzt als eint. Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat daher eine multipolitische Kampagne vorgeschlagen, in der jede Bewegung mit dem ihr eigenen Schwerpunkt Nein zu dieser EU-Verfassung sagt. Was sie miteinander verbindet, wäre das gemeinsame Anliegen, diese Verfassung zu Fall zu bringen und gleichzeitig - in scharfer Abgrenzung von nationalistischen Strömungen - ein Bekenntnis zum Ziel einer zivilen und sozialen EU abzulegen. Die geeignete Losung dafür lautet:
Wir sagen Ja zu Europa; aber Nein zu dieser Verfassung!

60. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus

Vor fast 60 Jahren, am 8. Mai 1945 endeten Naziherrschaft und Zweiter Weltkrieg, ein demokratischer und friedlicher Neubeginn wurde möglich. Alle demokratischen Kräfte in Deutschland stimmten in der Einsicht überein "Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg".

60 Jahre danach scheint die geschichtliche Mahnung vergessen. Vieles von dem, was nach 1945 überwunden schien, hat sich zurückgemeldet. Drohungen mit militärischer Gewalt und völkerrechtswidrige Angriffskriege sind zu "legitimen" Mitteln der herrschenden Politik geworden. Deutsche Soldaten stehen wieder in fremden Ländern. Entgegen dem Grundgesetz bejaht die geltende Militärdoktrin Kampfeinsätze in aller Welt.

Neonazistische Organisationen haben in Deutschland wieder Zulauf. Die Bundesregierung sieht sich entgegen geltendem Recht zu Verboten neonazistischer Parteien und Organisationen außer Stande. Regierung und CDU/CSU überbieten sich geradezu in Generalverdächtigungen gegenüber der muslimischen Minderheit in unserem Land. Fremdenfeindliches, rassistisches, antisemitisches und faschistisches Gedankengut breitet sich in vielen Ländern Europas vor dem Hintergrund der ungelösten sozialen Probleme aus.

Mit der weiteren sozialen Ausgrenzung von Minderheiten - Türken und andere Ausländer, Russlanddeutsche, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger -, die sich mit ihren Mitteln gegen die Zustände zu wehren beginnen, entsteht der Boden für rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments. Die um ihren sozialen Status fürchtenden Mittelschichten einschließlich der Angehörigen der besser situierten Arbeiterklasse lassen sich in Krisenzeiten leicht gegen die ganz Armen dieser Gesellschaft mobilisieren. Und wir befinden uns mitten drin! Eine vor zwei Tagen vorgestellte Studie aus der Universität Bielefeld hat zu Tage gefördert, dass Fremdenfeindlichkeit und Überfremdungsängste insbesondere in Bezug auf den Islam drastisch zugenommen haben. So sind 70 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die moslemische Kultur nicht in unsere westliche Welt passe. Islamophobie und Antisemitismus, das geht ja Hand in Hand, rückten immer stärker vom politischen rechten Rand in die gesellschaftliche Mitte, sind also nach Meinung der Wissenschaftler "salonfähig" geworden.

Die Hauptverantwortung dafür tragen aber die Politiker mit ihrem neoliberalen Umbau des Staates in einen Selbstbedienungsladen der Reichen und Superreichen und mit ihren auf soziale Spaltungen zielenden Populismen. Erinnern wir uns: Der hessische CDU-Ministerpräsident hat seine erste Wahl vor sechs Jahren mit einer ausländerfeindlichen und antiintegrationistischen Kampagne gewonnen. Und wenn ich es recht sehe, leisten Schröder mit seiner "Parallelgesellschaft" und Stoiber mit der Reanimierung der "Leitkultur" einer wachsenden Islamophobie Vorschub.

Dagegen muss sich die Mitte der Gesellschaft zur Wehr setzen. So wie das vor wenigen Tagen der Jüdische Kulturverein Berlin e.V. in einer öffentlichen Erklärung "Wider die Islamophobie" getan hat: "Wir erinnern daran, wann und wie aus religiöser oder ökonomischer Judenfeindschaft mörderischer Antisemitismus geworden ist. Das macht uns misstrauisch gegen jede selbstgefällige Polemik, die den Islam und mit ihm die gesamte muslimische Gemeinschaft zur verdeckt sprudelnden Quelle jenes brutalen extremistischen Terrors erklärt, der gerade auch gegen unser Volk gerichtet ist. Gegen diesen haben wir uns auch mit Muslimen verbündet."

Krieg und Besatzung im Irak

Auf der Agenda der Friedensbewegung bleiben auch die Vorgänge im Nahen Osten und im Irak. Die unverhohlene Freude der politischen Klasse über den Tod Arafats wird nicht lange anhalten. Die Probleme im israelisch-palästinensischen Konflikt bleiben bestehen und ich fürchte, sie werden sich noch verschärfen, weil mit Arafat - man mag zu ihm stehen, wie man will - eine der ganz großen Integrationsfiguren der palästinensischen Gesellschaft verschwunden ist.

Auch die Entwicklung im Irak lässt wenig Hoffnung auf ein Ende der Gewalt. Ich habe kein Rezept für einen Friedensprozess im Irak, ich kann aber ziemlich genau sagen, wie es nicht geht. Vielleicht lassen sich aus der Kritik der herrschenden Besatzungspolitik weiter gehenden positive Gestaltungsansätze entwickeln. Meine Kritik an der Besatzungspolitik resultiert zuallererst aus der grundsätzlichen Ablehnung des Krieges selbst, gegen den noch vor 20 Monaten Millionen und Abermillionen Menschen in der ganzen Welt auf die Straße gegangen sind. Der Krieg war völkerrechtswidrig und ganz und gar auf Lügen aufgebaut, die ich hier nicht wiederholen muss. Die Besatzungssoldaten einer Interventionsarmee können im besetzten Land wohl nur als Fremdherrschaft eingestuft werden und dürfen sich nicht wunder, wenn ihnen statt Sympathie nur Hass und Ablehnung entgegenschlägt.

Hinzu kommt, dass die US-Administration mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit alles falsch gemacht hat, was man nur falsch machen konnte. Ich möchte nur ein paar Beispiele nennen:
  • die Ethnisierung bzw. Konfessionalisierung der irakischen Gesellschaft (Sunniten/Schiiten);
  • der offenbar von oben gebilligte, wenn nicht sogar angeordnete Einsatz von Foltermethoden in US-Gefangenenlagern;
  • die systematische Demütigung und Entwürdigung irakischer Gefangener;
  • der Einsatz unverhältnismäßiger Kampfmittel in der sog. Nachkriegszeit (z.B. Luftangriffe auf Falludscha, Nadschaf, Mosul, Ramadi und andere Städte);
  • die weitere Inanspruchnahme der obersten militärischen Gewalt, auch nachdem die Macht an eine - allerdings wieder handverlesene - irakische Übergangsregierung übertragen wurde.
Das seit Monaten herrschende Chaos und Blutvergießen kann - wenn überhaupt - nur durch eine völlig neue Haltung gegenüber dem Irak beendet werden. Dazu gehören neben dem raschen Abzug aller Besatzungstruppen die vollständige Rückgabe der Souveränität an den Irak, die baldige Durchführung freier, allgemeiner und gleicher Wahlen (unter Aufsicht der UN) und der Beginn von Reparationszahlungen der Kriegsallianz (in erster Linie der USA und Großbritanniens) an den Irak. Ich weiß: Das alles ist noch keine Garantie für einen baldigen Frieden. Es könnte aber ein Schritt dahin sein. Alles weitere hängt natürlich von den politischen, religiösen und sozialen Kräften im Irak selbst ab, deren wahre Absichten aber nur sehr schwer zu beurteilen sind. Eines aber weiß ich: Terroristische Attentate, die sich wahllos gegen Zivilisten richten, die den Tod von Frauen und Kindern zynisch einkalkulieren, die mit Entführungen und Folter Lösegelder erpressen wollen, sind kriminelle Akte, die nichts mit Widerstand gegen die Besatzung zu tun haben. Im Gegenteil: Sie sorgen eher dafür, dass die Besatzung noch länger im Land bleibt und noch härter und wahlloser gegen die Bevölkerung vorgeht.

Wissenschaft und Politik

Im Sommer dieses Jahres geriet - nicht zum ersten Mal - ein wichtiger Teil unserer Arbeit ins Visier der Politik. Eine regierungsnahe Landtagsabgeordnete monierte die unverwechselbare Nähe der Website der AG Friedensforschung zur Friedensbewegung, insbesondere zum "Bundesausschuss Friedensratschlag", der - so der Unterton des hellen Entsetzens - im Verfassungsschutzbericht als "linksextremistisch" aufgeführt wird. Und es bedurfte meinerseits ein paar Klarstellungen, den Unterschied zwischen universitärer friedenspolitischer Arbeit und außeruniversitärer friedenspolitischer Aktivität zu kennzeichnen.

Dabei fiel mir wieder ein, wie viele Widerstände es in den 50er und 60er Jahren dagegen gegeben hatte, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der Politikwissenschaft an den deutschen Universitäten auch dezidiert politisch äußern und betätigen. Die wirkungsmächtige Ideologie der Wertfreiheit von Wissenschaft konnte indessen nicht verhindern, dass in den 70er und 80er Jahren zahlreiche gesellschafts- und systemkritische Sozialwissenschaftler/innen Hochschullehrerstellen besetzen und insgesamt das Klima des Fachs verändern konnten. Dies gilt insbesondere für die Friedensforschung, die zwei regelrechte "Schübe" erhalten hat:
  • Einmal Anfang der 70er Jahre, als sie von einer relativ großzügigen staatlichen Förderung vor dem Hintergrund der beginnenden Entspannungspolitik und der Ost-West-Kooperation profitierte; die kritische Friedensforschung konnte, ohne zu großen politischen Kompromissen gezwungen zu sein, die neue Ostpolitik wissenschaftlich legitimieren.
  • Zum anderen war es Anfang der 80er Jahre, nachdem die zunehmende konservative Kritik und die Rechtsverschiebung der sozialliberalen Koalition die institutionelle Friedensforschung wieder stark zurückgedrängt hatten, zu einer in dieser Form neuartigen wechselseitigen Stützung von Friedensforschung und Friedensbewegung gekommen. "Mit der Friedensbewegung", so hat es eine Kollegin einmal auf den Punkt gebracht, "gewann die Friedensforschung eine Adressatin und genoss damit eine Zeitlang öffentliche Aufmerksamkeit. Die Friedensforschung dagegen lieferte der Friedensbewegung die wissenschaftliche Fundierung." (Wasmuht 1997, S. 62)
Ein wesentliches Charakteristikum dieser Phase der Friedensforschung war ihr offenes Bekenntnis zu einer politischen Option und ihre Parteinahme für eine gesellschaftspolitische Bewegung. Die Friedenswissenschaft jedenfalls hat sich explizit politisch verstanden, als politischer Faktor, der auf staatliche Akteure mittels wissenschaftlicher Expertise und gesellschaftlicher Bewegung Druck auszuüben versuchte. Im Grunde genommen hat die Friedensforschung damit, um mich einmal pathetisch auszudrücken, jenes Erbe angetreten, das die Begründung der Disziplin der Internationalen Beziehungen als einem Zweig der Politischen Wissenschaft in Großbritannien und den USA nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gelegt worden war. Nach den entsetzlichen Erfahrungen des Kriegs war es das zentrale Anliegen dieser Teildisziplin gewesen, einen Beitrag zur Abschaffung jeglichen Krieges zu leisten. Damit ging die Disziplin sogar über das damals bestehende Völkerrecht hinaus, und zwar im positiven Sinn - eine völkerrechtliche Ächtung des Krieges hat es bekanntermaßen ja erst mit dem Kellogg-Pakt 1928 gegeben.

Pierre Bourdieu hat in seinem letzten öffentlichen Vortrag vor seinem Tod die seiner Meinung nach "verhängnisvolle" Dichotomie von scholorship und commitment kritisiert, "die Unterscheidung zwischen denen, die sich der wissenschaftlichen Arbeit widmen, indem sie mit wissenschaftlichen Methoden für die Wissenschaft und für andere Wissenschaftler forschen, und denen, die sich engagieren und ihr Wissen nach außen tragen." Dieser Gegensatz sei zwar "künstlich", könne aber das Gewissen des Forschers beruhigen, "da die Gelehrtenrepublik ihm applaudiert. Es ist, als fühlten sich die Wissenschaftler eben darum doppelt wissenschaftlich, weil sie aus ihrer Wissenschaft nichts machen." Wenn die Forscher aus ihrer Wissenschaft nichts machen, heißt das aber noch lange nicht, dass die Wissenschaft folgenlos bliebe. Sie kann ja von anderen genutzt werden. In diesem Fall gibt der unpolitische oder nicht engagierte Wissenschaftler sein Produkt ganz aus der Hand und verzichtet auf jeglichen Einfluss hinsichtlich seiner Verwendung. Mit anderen Worten: Auch die Wissenschaft eines unpolitischen Wissenschaftlers ist politisch. - Leider stimmt die Umkehrung des Satzes: "Jede Wissenschaft ist politisch" nicht. Denn wer wollte behaupten, dass jede Politik wissenschaftlich sei?

Das Auf und Ab der Friedensbewegung

Mit der Friedensbewegung ist es wie mit der Konjunktur: Sie durchläuft Boomphasen - das sind leider immer weit fortgeschrittene Vorkriegssituationen und beginnende Kriege - und Abschwünge. Dies war so vor und nach der Raketenstationierung in den 80er Jahren, dies war so vor und während des zweiten Golfkriegs 1991 und dies erleben wir vor und während des Irakkriegs 2003 (und 2004, denn der Krieg ist noch nicht beendet). Ein weiteres Phänomen ist, dass der Protest um so stärker sich entfalten konnte, wenn der Hauptadressat die Militärmacht Nr. 1 in dieser Welt, die USA, ist. Das hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun, sondern mit der nicht ganz von der Hand zu weisenden Überlegung, dass von den USA seit Jahren die gefährlichsten Aggressionen und Völkerrechtsverletzungen ausgingen.

Der Bundesregierung muss man bescheinigen, dass sie ihre Militarisierungspolitik seit den 90er Jahren mit großem Geschick vor der Öffentlichkeit geheim hält oder als zivilisatorisches Projekt zu bemänteln versucht. Und wenn sie doch in die Offensive geht und den Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee begründet, tut sie so, als gäbe es hierzu keine Alternative. Dabei kommt ihr der Umstand zugute, dass es in der Außen- und Sicherheitspolitik zwischen den Parteien des Bundestags (die beiden tapferen PDS-Frauen ausgenommen) keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten gibt. Wenn wir uns die 99-prozentige Akklamation jeder militaristischen Sauerei im Bundestag vergegenwärtigen, dann bin ich mit der immer noch überwiegenden Ablehnung militärischer Abenteuer durch die Bevölkerung hoch zufrieden. So viel "Pazifismus" wie heute hat es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben.

Eine ganz andere Frage ist, warum diese Mehrheit der Bevölkerung nicht zum Protest auf die Straße geht. Mir fallen hier nur zwei vorläufige Antworten ein: Erstens ist der "Leidensdruck" der Menschen infolge der Militarisierung nicht groß genug, will sagen: Nur wenige Menschen fühlen sich durch die Umrüstung der Bundeswehr unmittelbar betroffen oder bedroht. Zweitens sehen die meisten Menschen heute keine Möglichkeit, die außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung auch nur im entferntesten durch außerparlamentarische Aktionen zu beeinflussen. Die Friedensbewegung muss diesen Mobilisierungshemmnissen Rechnung tragen, indem sie wieder mehr auf Aufklärung und gute Argumente setzt. Möge ihr der Friedenspolitische Ratschlag, den ich hiermit eröffne, nützlich sein.


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