Friedensbewegung und Menschenrechtsorganisation beteiligen sich an Großkundgebungen
Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag - Aufruf des Komitees für Grundrechte und Demokratie
Im Folgenden dokumentieren wir-
eine Presseerklärung des Bundesausschusses Friedesnratschlag zu den Großkundgebungen gegen Sozialabbau am 3. April und
-
einen Aufruf des Komitees für Grundrechte und Demokratie zum selben Anlass.
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
-
Friedensbewegung beteiligt sich an Großkundgebungen
- Brief an die Gewerkschaftsvorsitzenden
- Appell "Abrüstung statt Sozialabbau"
Kassel/Stuttgart, 30. März - Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft
die Friedensbewegung dazu auf, die Großdemonstrationen der
Gewerkschhaften und der sozialen Bewegungen am kommenden Samstag (3.
April) tatkräftig zu unterstützen.
Dies erklärten Anne Rieger (Sprecherin des "Gewerkschaftlichen Netzwerks
gegen den Krieg") und Peter Strutynski (Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag) am Dienstag (30. März) im Anschluss an ein Treffen in
Kassel.
Die beiden Friedensaktivisten weisen darauf hin, dass der Kampf gegen
Sozialabbau untrennbar auch mit dem Eintreten für Frieden und Abrüstung
verbunden ist. So habe die Friedensbewegung schon vor Monaten einen
bundesweiten Appell "Abrüstung statt Sozialabbau" gestartet, in dem von
der Bundesregierung "eine drastische Reduzierung der Rüstung und die
Streichung aller Rüstungsvorhaben, die für Auslandseinsätze der
Bundeswehr vorgesehen sind", gefordert wird. "Die dadurch frei werdenden
Mittel", so heißt es in dem Appell weiter, "müssen für soziale
Sicherung, zivile Arbeitsplätze, Bildung und Ausbildung sowie für den
Erhalt einer lebenswerten Umwelt verwendet werden."
Die Friedensbewegung möchte bis zum Mai Hunderttausend Unterschriften
unter diesen Appell sammeln.
Anne Rieger und Peter Strutynski haben in einem Brief an die
Gewerkschaftsvorsitzenden Michael Sommer (DGB), Jürgen Peters (IG
Metall) und Frank Bsirske (ver.di) appelliert, dass der Zusammenhang
zwischen Rüstung und Sozialabbau auf den drei Großkundgebungen
thematisiert wird. (Text des Briefes unten im Anhang.) Die
Friedensbewegung werde sich zahlreich mit ihren Transparenten und
Friedensfahnen bemerkbar machen.
Für das Gewerkschaftliche Netzwerk gegen den Krieg:
Anne Rieger, Stuttgart
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski, Kassel
Hier geht es zu dem Brief an die Gewerkschaftsvorsitzenden:
"Ein wichtiges politisches Signal ...".
***
Aufruf
Mit der "Agenda 2010" und den anderen Reformgesetzen
werden für viele Menschen Armut und Existenzunsicherheit zunehmen,
werden Menschenrechte gespalten, Demokratie wird weiter untergraben.
Der derzeitige Ab- und Umbau sozialer Sicherungssysteme zerstört die
menschenrechtlichen und demokratischen Grundlagen dieser Gesellschaft. Zu
nennen sind insbesondere die Rentenreformen, mit denen Altersarmut wieder
zur voraussehbaren Perspektive vieler wird, die Hartz-Gesetze, welche die
Gesellschaft in ein Arbeitshaus verwandeln sollen, und die
Gesundheitsreform, die, an Rendite und Effizienz orientiert, zulasten der
Armen die Gesundheitsversorgung rationiert und eine Zwei- und
Mehrklassenmedizin, je nach Geldbeutel und Aktiendepot, hervorbringt. Zu
dieser Abrisspolitik sozialer Sicherheit gesellt sich der Ausverkauf
öffentlicher Güter, die Unterwerfung der Bildung unter die Marktlogik und
der drohenden Kollaps der Kommunen. Mit all diesen staatlichen Maßnahmen
werden Menschen- und BürgerInnenrechte mehr noch, als dies ohnehin in einer
vorrangig dem Privateigentum verpflichteten Gesellschaftsordnung der Fall
ist, zu einem Exklusivgut kleiner, wohlhabender Schichten und damit für
einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung unerreichbar. Die soziale
Frage des 21. Jahrhunderts lautet darum: ein Gesundheitssystem, eine
angemessene Alterssicherung, Bildung, selbstbestimmte, befriedigende Arbeit,
eine kommunale soziale Infrastruktur für alle Bürgerinnen und Bürger - oder
nur noch für diejenigen, die diese privatisierten Dienstleistungen
finanzieren können? Und sei es unter Aufzehrung der letzten Spargroschen!
Doch der Kern der Bürger(innen)- und Menschenrechte besteht darin, dass alle
eigenständig, insbesondere Frauen - und nicht vermittelt über die
Ehemänner - an den gesellschaftlich erbrachten Gütern und Dienstleistungen,
am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben und an demokratisch
institutionalisierten Verteilungsmechanismen teilnehmen sollen.
Selbstverständlich hätte das ebenso für die hier lebenden Migrantinnen und
Migranten zu gelten. In dem Maße jedoch, in dem Bürger(innen)- und
Menschenrechte zu einem unverhüllt privilegiensichernden Sonderrecht einiger
weniger mutieren, erodieren nicht nur die demokratischen Grundlagen der
Gesellschaft. Mit der "Agenda 2010" wird unverhohlen der Übergang zum
repressiv-autoritären Arbeitsstaat vollzogen.
Deshalb sind alle Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, sich in die sozialen
Auseinandersetzungen um eine zukunftsfähige, menschenrechtsgemäße Politik
einzumischen und die Richtung dieser Auseinandersetzungen aktiv
mitzubestimmen.
Als Bürgerrechtsorganisation, die seit ihrem Bestehen den untrennbaren
Zusammenhang bürgerlicher und politischer als auch wirtschaftlicher und
sozialer Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit, in ihrem bürger- und
menschenrechtlichen Engagement zur Sprache bringt, erinnern wir an
demokratisch menschenrechtliche Maßstäbe verantwortlicher Politik, auch wenn
diese in der öffentlichen Diskussion um Standortpolitik und um den
"aktivierenden Sozialstaat" (das bedeutet ein "Sozialstaat", der
hilfebedürftige, durch die Wechselfälle des Lebens in Not geratene Menschen
in erster Linie repressiv drückt und drängt, ihre Arbeitskraft zu jedem
Preis zu verkaufen), als längst überholt abgetan werden. Selbst in den
Medien wird inzwischen, weltanschaulich unverblümt, die Lebenslage von
Millionen Erwerbslosen so dargestellt, als müssten diese nur zu einem Job
gezwungen werden, um ihr unerträgliches Los wenden zu können, als müssten
diese nur mehr Eigenverantwortung übernehmen, um die privatisierten Risiken
gesellschaftlichen Lebens meistern zu können. Jedoch ohne ein Recht auf
existenzielle Sicherheit und sozialer Mitgestaltungsmöglichkeit bleibt das
alles menschenrechtlich leeres Gerede. Wie sollte ein Mensch
eigenverantwortlich und selbstbestimmt leben unter den Bedingungen
fortwährend existenzieller Sorgen und Nöte? Und geht es noch demokratisch
und menschenrechtlich zu, wo allein Arbeitgeber und staatliche
Arbeitsverwaltung die Konditionen und Löhne diktieren, zu denen Erwerbslose
Arbeit aufzunehmen gezwungen sind? Mitbestimmung?
Sicher, der Sozialstaat, so wie er bis in die 80er Jahre bestand, war
ebenfalls bürokratisch bevormundend, repressiv kontrollierend und hat
soziale Menschen- und Bürgerrechte keineswegs umfassend und für alle
verwirklicht. Das gehörte nie zur bundesdeutschen Menschenrechtskonzeption.
Er war mit materiellem Druck und bürokratischer Aufsicht ebenso verbunden
wie er all denjenigen eine angemessene und eigenständige Versorgung
verweigerte, die nicht zur Gruppe der mehrheitsdeutschen, männlichen
Vollzeiterwerbstätigen gehörten. Das Neue an der gegenwärtigen Entwicklung
ist der politische Wille, die Verarmung immer größerer Teile der
Gesellschaft hinzunehmen und von den sozialpolitischen Versprechen der
Nachkriegsgesellschaft (Art. 20 I GG "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein
demokratischer und sozialer Bundesstaat.") auszunehmen.
Mit Entschlossenheit und in parteiübergreifender Einmütigkeit wird das
bislang uneingelöste emphatische Versprechen der Menschen- und
Bürger(innen)rechte, ihre soziale Verallgemeinerung, wie sie hin und wieder
auch als Bekenntnis der Bundesregierungsvertreter über die Lippen kommt, nun
mit aller Deregulierungs- und Privatisierungsgewalt geradezu in sein
Gegenteil verkehrt. Die Menschenrechte samt ihrer unabdingbaren materiellen
Voraussetzungen werden sozialpolitisch gespalten. "Sozialpolitische
Förderung" sollen nur noch diejenigen "genießen", die sich dem
Zwangsarbeits- und Gebührenregime des Dienstleistungskapitalismus
bedingungslos unterwerfen. An den Menschenrechten orientierte soziale
Gerechtigkeit und Demokratie werden zu leeren, zu allem Missbrauch fähigen
Worthülsen eines sich mächtig nach innen und außen aufrüstenden repressiven
Sicherheits- und Arbeitsstaates.
Daher gilt es, gegen diesen schon seit Ende der 80er Jahre eingeleiteten
(sozial-)staatlichen Systemwechsel, der die demokratische Substanz der
Gesellschaft zersetzt und mit der Spaltung der Menschen- und
Bürger(innen)rechte einhergeht, mit aller sozialen Phantasie und allen in
dieser Sache Engagierten zu opponieren und politische Alternativen zu
entwickeln. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie und andere politische
Initiativen haben dazu erste Vorschläge unterbreitet (z.B. Peter Grottian,
Wolf-Dieter Narr, Roland Roth, Es gibt Alternativen zur Repressanda 2010!
Statt repressiven Abbaus des Sozialstaates steht ein
menschenrechtlich-demokratischer Umbau für Grundsicherung und Arbeit auf der
Tagesordnung von uns allen mit zu verantwortender Politik, unter:
www.sozialforum-berlin.de oder Heinz Steinert, Joachim Hirsch u.a., Gibt es
eine Alternative zum neoliberalen Sozialstaatsumbau? Umrisse eines Konzepts
von Sozialpolitik als Infrastruktur, unter: www.links-netz.de).
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie unterstützt die europaweite
Mobilisierung durch die Versammlung der europäischen Bewegungen und
Gewerkschaften gegen die soziale Demontage und ruft dazu auf, sich an den
Demonstrationen und Protestaktionen am 2./3. April 2004 zu beteiligen und
sich für soziale Gerechtigkeit und die Unteilbarkeit der Menschen- und
Bürger(innen)rechte um unserer aller Menschenrechte willen einzusetzen.
Köln, den 30. März 2004
Corinna Genschel / Theo Christiansen / Dirk Vogelskamp
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