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350 israelische Intellektuelle fordern eine internationale Schutztruppe

Presseerklärung des Friedensblocks "Gush Shalom" vom 6. Mai 2001

Nachfolgend eine Presseerklärung der israelischen Friedensbewegung "Gush Shalom" (Friedensblock), der auch Uri Avnery angehört, in der Übersetzung von Hermann Kopp (Redakteur der Marxistischen Blätter). Vielen Dank dafür!

Seit einiger Zeit schon fordert Gush Shalom eine internationale Schutztruppe. Der heutige Überfall auf Beit Jalla war eine weitere Eskalationsstufe dieses Zermürbungskriegs. Mittlerweile hat eine Gruppe von Professoren Unterschriften von 350 Israelis - prominente Persönlichkeiten, aber auch einfach besorgte Menschen - unter den folgenden, hier mitgeteilten Text gesammelt.

Aufruf israelischer Bürgerinnen und Bürger zu einem internationalen Eingreifen in den israelisch-palästinensischen Konflikt

Wir, Bürgerinnen und Bürger Israels, sind äußerst besorgt wegen der rapiden Verschlechterung der Lage der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland und dem Gaza-Streifen. Wir betrachten die jüdischen Siedlungen in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten als einen fortwährenden Akt der Aggression gegen das palästinensische Volk. Die massenhafte Errichtung neuer jüdischer Siedlungen und die Erweiterung bereits bestehender wurden sogar nach der Unterzeichnung der Oslo-Abkommen vor über sieben Jahren unbarmherzig fortgesetzt. Und dies ist nur ein wesentlicher Bestandteil der Belastung durch die israelische Besatzung, die für die im Westjordanland und im Gaza-Streifen lebenden Palästinenser unerträglich geworden ist. Wir verurteilen zwar uneingeschränkt Terrorakte gegen Zivilisten, das palästinensische Aufbegehren gegen die koloniale Besitzergreifung aber halten wir für berechtigt. Obgleich viele unschuldige Israelis Opfer dieser Revolte wurden, haben wir Verständnis dafür, dass es zwischen Besatzern und Besetzten keine moralische und militärische Symmetrie geben kann. Die Besetzung selbst schon ist moralisch und politisch falsch; die exzessive Gewalt, die Israel anwendet, um seine Herrschaft gegen wachsenden palästinensischen Widerstand aufzuzwingen, ist völlig unannehmbar.

Die israelische Armee hat tödliche Waffen gegen unbewaffnete Demonstranten eingesetzt und damit seit Oktober 2000 über 400 Palästinenser getötet, darunter rund 70 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, und hat Tausende von weiteren verwundet. Palästinensische Angriffe hat Israel mit der Bombardierung und dem Artilleriebeschuss von Zielen in palästinensischen Städten beantwortet. Die Kontrolle aller wichtigen Straßen im Westjordanland und seiner Umgebung durch Israel hat das palästinensische Gebiet zerstückelt und in eine Reihe isolierter Gettos verwandelt. Die palästinensische Wirtschaftstätigkeit wird dadurch weitgehend lahmgelegt, und immer größere Teile der palästinensischen Bevölkerung werden so unter die Armutsgrenze gedrückt; in einigen Zonen gibt es bereits Anzeichen für Hungersnot. Die medizinischen Notdienste der Palästinenser, ihr Transport- und Erziehungswesen werden durch israelische Operationen zerschlagen. Palästinensische Zivilisten werden nicht nur von israelischem Militärpersonal beleidigt und misshandelt, sie sind überdies täglicher Demütigung und Aggression seitens jüdischer Siedler ausgesetzt. Was Jahre der Terrorisierung, der Angst, der Verluste, der Erniedrigung und der Trauer an seelischem Leid und Schaden anrichten, lässt sich gar nicht ausdrücken. Israel handelt als ein Souverän, der sich von jeglicher rechtlichen und moralischen Verantwortung für den Schutz der seiner Jurisdiktion unterstehenden palästinensischen Bevölkerung losgesagt hat. Wir sind uns der Verwickeltheit einer Lage bewusst, in der es oft schwierig ist, zwischen legitimen palästinensischen Widerstandshandlungen und unannehmbaren palästinensischen Terrorakten zu unterscheiden, zwischen einer legitimen israelischen Verteidigungspolitik und Akten des Staatsterrors. Aber die Komplexität dieser Lage enthebt uns weder unserer Verantwortung, noch darf sie uns stumm machen. Es ist unsere moralische Pflicht als Bürgerinnen und Bürger Israels, unsere Solidarität mit dem palästinensischen Freiheitskampf zum Ausdruck zu bringen und alles nur Mögliche zu tun, um die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu schützen. Wir richten an unsere Mitbürger, unsere Freunde und Kollegen in aller Welt die dringende Bitte, mit uns zusammen ihre Stimme zu erheben gegen die fortgesetzte Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser. Insbesondere verlangen wir ein sofortiges internationales Eingreifen, um dem Töten und Verwunden von Menschen ein Ende zu machen, die ihr elementares Recht wahrnehmen, politische Freiheit zu fordern. Wir rufen Sie auf, Ihre Regierungen zu drängen, es nicht bei einer zögerlichen Kritik der Politik Israels bewenden zu lassen, sondern eine internationale Friedenstruppe ins Leben zu rufen, die mithilft, die Palästinenser vor der Aggression der israelischen Regierung zu schützen und zur Wiederaufnahme ernsthafter Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien beitragen soll.

Liebe Freunde und besorgte Bürger,
die beigefügte Petition, unterzeichnet von nahezu 350 israelischen Intellektuellen, Wissenschaftlern und besorgten Bürgern, fordert die sofortige Stationierung einer internationalen Friedensstreitmacht in den besetzten Gebieten, um dadurch die elementare Sicherheit und die Lebensbedingungen der misshandelten palästinensischen Bevölkerung der Region wiederherzustellen.

Wir glauben, dass unter den derzeitigen Verhältnissen einen zeitweilige internationale Intervention wohl das einzige jetzt mögliche praktische Mittel ist, um das tägliche Töten, Verwunden und Leiden von Zivilisten, darunter Kindern und alten Menschen, zu beenden und die Wiederaufnahme von Gesprächen voranzubringen.

Wir bitten Sie, sich durch eigene Petitionen mit uns zusammen um die Unterstützung der Weltmeinung und von Regierungen für die sofortige Stationierung einer solchen internationalen Truppe zu bemühen, oder auf andere Ihnen mögliche Weise mitzuhelfen, der weiteren Verschlimmerung der Lage entgegenzutreten und das Blutvergießen zu beenden.

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