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"Ich spreche über drei Themen: Ukraine, Bundeswehr und Drohnen"

Lühr Henken auf dem Ostermarsch in Kiel *

Liebe Ostermarschiererinnen, liebe Ostermarschierer,
Ich spreche über drei Themen: Ukraine, Bundeswehr und Drohnen.


Der Konflikt um die Ukraine ist Geopolitik. Der Westen, also die USA, die NATO und die EU, beabsichtigt, die Ukraine aus dem Einflussgebiet Russlands herauszulösen. Bereits 2008 wurde der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft versprochen, der konkrete Weg hinein jedoch noch nicht beschritten. Der Assoziierungsvertrag der EU mit Kiew soll den Weg in die EU öffnen. Russland lehnt die Mitgliedschaften der Ukraine in NATO und EU ab, denn es hat vor allem mit der NATO schlechte Erfahrungen gemacht. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges entfesselten USA und NATO einen Rüstungswettlauf gegen die UdSSR. Wider besseres Wissen unterstellten sie der Sowjetunion gleich 1945 schon Angriffsabsichten auf den Westen. Sie erfanden Begründungen für ihre Pläne, die Sowjetunion mit Atombomben anzugreifen. Bereits in den 40er und 50er Jahren verfolgten ein Dutzend Atomangriffspläne das Ziel, mittels Langstreckenbombern und dann Interkontinentalraketen die Sowjetunion durch einen Atomangriff zu besiegen. Alle Begründungen - seien es nun eigene Lücken bei Bombern, Raketen, Rüstungsausgaben oder der Abschreckungsfähigkeit - waren Erfindungen von US-Think-Tanks, die eng mit der US-Rüstungsindustrie verflochten waren und sind. Auch die Stationierung der strategischen Mittelstreckenraketen Cruise Missiles und Pershing 2 verkauften sie als eine Abwehrmaßnahme gegen SS-20. Doch in Wirklichkeit standen sie unter dem Motto: „Der Sieg ist möglich“ und dienten dem atomaren Erstschlag aus kurzer Distanz.

Der Vorrat an Vertrauen in die NATO dürfte in Russland erschöpft sein. Früh wandte sich Moskau gegen die Osterweiterung von NATO und EU. Übrigens die NATO-Beitritte erfolgten immer zuerst. Erst danach traten die Kandidaten der EU bei. Russland lehnt das Raketenabwehrsystem der NATO ab. Russland will einen neuen KSE-Vertrag, der Rüstungsbegrenzungen neu festlegt. Es sieht die Ukraine als Pufferstaat und lässt nicht zu, dass in der Ukraine - nur 300 km von Wolgograd und 500 km von Moskau entfernt - NATO-Raketen und Kampfflugzeuge stationiert werden. Da die NATO Kandidaten mit Territorialkonflikten nicht aufnimmt, ist Russland so lange an einer destabilisierten Ukraine interessiert, wie Kiew nicht von seinem Westkurs ablässt.

Kiew und der Westen wollen die Ukraine ganz. Militärisch ist das nicht zu machen. Trotzdem wird die Ukraine aufgerüstet und Kiew provoziert an der Waffenstillstandslinie. Die USA finden immer schnell den Schuldigen an den Gefechten: immer sind‘ s die Russen. Damit verschaffen sie sich, ohne freilich Beweise vorzulegen, die Begründung für immer neue Sanktionen gegen Russland. Sie treiben die Rüstungsausgaben der europäischen NATO-Staaten in die Höhe und entfachen somit ein neues Wettrüsten in Europa gegen Russland. Die Forderung, eine EU-Armee aufzubauen, fügt sich hier nahtlos ein. Russland reagiert darauf militärisch und orientiert sich nach China.

Wohin soll das führen? Etwa in einen Konflikt ohne Ende, der das Potenzial hat, sich noch auszuweiten?

Liebe Freundinnen und Freunde, der Konflikt darf sich nicht ausweiten, sondern muss gelöst werden! Wir brauchen Kooperation statt Konfrontation. Es ist Zeit für eine neue Entspannungspolitik! Und wie?

Erstens: Die OSZE-Beobachter müssen ihre Arbeit effektiv machen können. Sie müssen kontrollieren können, wo die schweren Waffen sind. Bei Brüchen des Waffenstillstands müssen sie unverzüglich die dafür verantwortliche Seite bestimmen können.

Zweitens: Die ukrainische Regierung muss mit den Aufständischen direkt Verhandlungen über die Zukunft der Ostukraine aufnehmen. Drittens: Die ukrainische Regierung muss dazu gebracht werden, wie Österreich im Kalten Krieg, sich für neutral zu erklären.

Viertens: Russland und die NATO müssen über konventionelle und atomare Abrüstung in Europa auf einem möglichst niedrigen Niveau verhandeln. Keine Raketenabwehr in Europa! Wir brauchen Deeskalation und Abrüstung! Wir wollen keinen Kalten Krieg! Er könnte schnell zu einem heißen Krieg werden.

Bundeswehr

Die Bundesregierung will die Bundeswehr häufiger einsetzen. Sie nennt das Übernahme von Verantwortung. Verschwiegen wird immer, dass die Auslandseinsätze im wirtschaftlichen Interesse stattfinden. Ich möchte noch einmal an die Debatte um den Rücktritt von Bundespräsident Köhler 2010 erinnern. Er versuchte seine Popularität dafür zu nutzen, der Bevölkerung deutsche Kriegseinsätze für „sichere Handelswege“ und gegen „ganze regionale Instabilitäten“ schmackhaft zu machen. Diese Äußerungen, Krieg aus wirtschaftlichen Gründen zu führen, fegten ihn aus dem Amt. Aber Köhler sagte eigentlich genau das, was erstmals 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien auftauchte und, was in der derzeit gültigen Fassung von 2011 so steht: „Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“ Klartext: Bundeswehreinsätze sollen Handelswege sichern und Zugänge zu Rohstoffen ermöglichen.

Der heutige Bundespräsident Gauck hat dazugelernt. Er formuliert vorsichtiger, aber deutlich. Aussagen, die einen Zusammenhang von Bundeswehr, Krieg und Wirtschaft herstellen, meidet er. Zwar ist genau das gemeint, aber es wird mit dem schönen tugendhaften Wort Verantwortung bemäntelt. Sekundiert von Außenminister und Verteidigungsministerin tut er das vor dem Hintergrund, dass für diesen Militärinterventionismus seit zwei Jahrzehnten nicht nur geplant, sondern konkret die materielle Basis geschaffen wird. Seit Beginn vor 20 Jahren sind in ein ausgeklügeltes Material-und Ausrüstungskonzept über 100 Milliarden Euro geflossen. Ihr Herzstück ist die strategische Verlegefähigkeit per Luft. Neue A400 M-Kampfzonentransporter werden passgenau angefertigt: Für nagelneue Kampf- und Transporthelikopter, für Schützenpanzer und Mannschaftstransportfahrzeuge – und Hightech-Infanteristen, die aus der Ladeluke abspringen können. Das Heer wird für die Aufstandsbekämpfung insbesondere in der Stadt optimiert. Die Marine wird mit Korvetten und Fregatten ausgerüstet, mit denen weit in fremdes Land geschossen werden kann. Sämtliche Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine werden über Drohnendaten digital vernetzt, um den Zeitaufwand bei Entscheidungsfindungen so sehr zu reduzieren, dass der Sieg im Krieg möglich wird. Dieses Kriegsgerät wird nach kostspieligen Verzögerungen noch in dieser Legislaturperiode zur Verfügung stehen.

Der gescheiterte Kriegseinsatz von NATO und Bundeswehr in Afghanistan führt nicht etwa zur grundsätzlichen Umkehr im Denken, also zu einer Infragestellung des Militärinterventionismus, sondern im Gegenteil, zum Versuch, diesen über ein Mehr an Technik zu perfektionieren. Ich befürchte, dass die Rufe nach mehr kriegerischen Bundeswehreinsätzen noch zunehmen werden, sobald die in der Herstellung befindlichen Waffen und Ausrüstungen einsatzbereit sind. Das wird spürbar ab 2016 der Fall sein. Das heißt, wir werden unsere Anstrengungen gegen die Militarisierung, gegen Kriege, für Frieden und Abrüstung auf vielfältige Weise noch verstärken müssen. Der deutsche Rüstungshaushalt steigt schon jetzt. Wenn er die von der NATO vorgegebenen zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt in zehn Jahren erreichen würde, würde uns die Bundeswehr statt 35 Mrd. 55 Mrd. Euro kosten. Jeder Euro, der in die Rüstung fließt, fehlt im sozialen Bereich, in Bildung und Pflege. Wir wollen Abrüstung und Konversion von Kriegsmaterial in zivile Produkte!

Kampfdrohnen

Die Regierung will die Kriegführung vervollkommnen durch die Einführung neuer Technologien für die Luftwaffe. Sie steht vor drei radikalen Entscheidungen zur Einführung von Drohnentechnologie: Erstens, für elektronische Spionage: statt Eurohawk will von der Leyen Großdrohnen Triton anschaffen, die dann in Schleswig-Jagel stationiert werden könnten, zweitens, zur Zielerfassung will sie sich an Großdrohnen der NATO-AGS beteiligen und drittens, zur aktiven Kriegführung Kampfdrohnen. Man will 16 Kampfdrohnen, kann sich jedoch noch nicht entscheiden zwischen den erprobten US-amerikanischen REAPER oder den noch größeren israelischen HERON TP. Allerdings: 323 Millionen Euro für drei Kampfdrohnen plus zwei Bodenstationen sind bereits im geheimen Teil des Bundeshaushalts eingestellt. In diesem Jahr soll die Entscheidung fallen, welche der Drohnen es sein sollen. Bomben und Raketen sollen gleich mit gekauft werden. In diesem Jahr soll auch der Startschuss für die Entwicklung einer in Europa produzierten Kampfdrohne fallen, die dann in etwa 10 Jahren die Nachfolge von HERON TP oder REAPER antreten soll.

Die Praxis der Drohnenangriffe der USA ist durch Geheimhaltungsversuche und so genanntes „gezieltes“ Töten gekennzeichnet. „Gezieltes“ Töten, also Menschenjagd per Fernbedienung, gilt gemeinhin als präzise. Angeblich werden unnötige Opfer vermieden. Nun hat im November ein Report der internationalen Menschenrechtsorganisation REPRIVE das Gegenteil bewiesen. Ihre umfangreiche Analyse von US-Drohnenangriffen in Pakistan und Jemen ergab, dass bei der Jagd auf genau 41 namentlich bekannte Kommandeure nicht weniger als 1.147 Unbekannte ermordet wurden, darunter mehr als Hundert Kinder. Was ist das für eine Präzision? Um nur eine Person zu töten, durchschnittlich 28 Menschen umzubringen, kann nur als unverhältnismäßig bezeichnet werden. Das ist eine Sache für den Staatsanwalt. Er muss Ermittlungen einleiten und untersuchen: War es Mord, Totschlag oder fahrlässige Tötung? Aber nichts geschieht.

Sämtliche dieser US-Kampfdrohnenangriffe werden über die US-Relaisstation im rheinland-pfälzischen Ramstein geleitet. Die Juristen des Bundestages sagen: Die Bundesregierung darf „völkerrechtswidrige Militäroperationen“, die „von ausländischen Staaten von deutschem Territorium“ aus durchgeführt werden, nicht dulden. Das Europäische Parlament fordert sogar die Bundesregierung auf, die Praxis des „gezielten“ Tötens zu bestrafen und nicht zu „begünstigen“. Jedoch, die Regierung unternimmt nichts.

Ich fordere, dass die Bundesregierung auf die Nutzung von Kampf-, Spionage- und Zielerfassungsdrohnen verzichtet und sich aktiv für die internationale Ächtung von Kampfdrohnen einsetzt. Ich fordere die Schließung der US-Relaisstation in Ramstein und von AFRICOM in Stuttgart. Ich appelliere an euch Anwesende: Unterstützt die bundesweite (Anti-)Drohnenkampagne, indem ihr Unterschriften unter den Appell „Keine Kampfdrohnen!“ sammelt. Danke.

* Ostermarsch Kiel 2015, 4. April 2015


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