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"Grenze zwischen Zivilem und Militärischem verschwimmt"

Militärkonferenz stellt ab Montag Konzepte der Rüstungsfirmen zum Häuserkampf in der Stadt vor. Gespräch mit Simone Weber *


Simone Weber ist aktiv bei »NoWar Berlin«.


Sie rufen am Montag zu Protesten gegen die zweite »International Urban Operations Conference« auf. Worum handelt es sich bei dieser Veranstaltung?

Es ist eine Konferenz, bei der neue Methoden der Kriegsführung vorgestellt werden. Dort findet ein Austausch zwischen Rüstungsunternehmen, Forschungsinstituten, der Bundeswehr und internationalen Militärs über Kriegsstrategien in urbanen Gebieten statt. Die Unternehmen präsentieren ihre spezialisierte Kriegstechnologie und nutzen die Konferenz, um Aufträge zu bekommen.

Wer finanziert dieses Treffen, und wird es auch ein Stelldichein mit politischen Entscheidungsträgern geben?

In erster Linie sind dort Vertreter von Wirtschaft, Forschung und Militär versammelt. Es werden bis zu 600 Personen aus 40 verschiedenen Staaten erwartet, vor allem Angehörige von Polizei und Militär, die sich auf der Konferenz mit den neuesten Techniken der Aufstandsbekämpfung vertraut machen können. Politiker sind kaum vertreten, es gibt einen Vortrag vom CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter. Organisiert wird die Konferenz von einer der wichtigsten Lobbyorganisationen der deutschen Rüstungsindustrie, der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Mitfinanziert wird die Veranstaltung von Sponsoren wie zum Beispiel den Rüstungsunternehmen Heckler & Koch und Dynamit Nobel Defence.

Die Vorbereitung von Kriegseinsätzen in der Stadt nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. Welche Auswirkungen davon betreffen uns konkret?

Momentan wird ganz in der Nähe von Berlin in der Colbitzer-Letzlinger Heide bei Magdeburg eine Kulissenstadt namens Schnöggersburg gebaut, die als Trainingsgelände für die urbane Kriegsführung genutzt werden soll. Dort werden Strukturen einer Großstadt nachgebildet. Die Kampfstadt wird auf dem Gefechtsübungszentrum, GÜZ, errichtet, dem modernsten Truppenübungsplatz Europas. Weltweite Kriegseinsätze werden tagtäglich vor unserer Haustür geplant und trainiert. Das GÜZ ist ein solcher Ort, genauso ist aber auch die Konferenz in Berlin ein Schauplatz der Militarisierung und Kriegsvorbereitung. Wir denken, dass wir unseren Protest an die Orte tragen müssen, an denen für Kriegseinsätze produziert, geforscht und Propaganda betrieben wird.

An welchen Konsequenzen spürt man die Militarisierung der Lebensbereiche?

Vor allem daran, dass die Grenze zwischen dem Zivilen und dem Militärischen immer mehr verschwimmt. Es findet in vielen Bereichen der Gesellschaft eine zivil-militärische Zusammenarbeit statt. Im Rahmen des Umbaus und der Neuausrichtung der Bundeswehr spielt auch der Einsatz der Streitkräfte im Innern eine Rolle. So wurden in den letzten Jahren die »Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte« aufgestellt, die als »zivil-militärische Mittler und Multiplikatoren« gegenüber zivilen Stellen und Akteuren wie zum Beispiel dem Roten Kreuz oder der Feuerwehr eingesetzt werden sollen.

Auch die Forschung wird verstärkt für militärische Zwecke eingespannt. Exemplarisch steht dafür die Fraunhofer-Gesellschaft, die sich an der »Urban Operations Conference« mit Vorträgen beteiligt. Sie hat mehrere Institute, die direkt Wehrforschung betreiben, und leitende Personen von Fraunhofer-Instituten sind gleichzeitig im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik.

Welche Protestaktionen planen Sie?

Wir organisieren eine antimilitaristische Fahrraddemo und Kundgebung gegen die Kriegskonferenz. Mit dem Fahrrad können wir eine größere Strecke zurücklegen und somit an verschiedene Plätze im Berliner Bezirk Mitte gelangen, von denen Krieg ausgeht. Diesen Orten der Kriegsvorbereitung wollen wir einen Besuch abstatten und sie markieren. Mit unserer Aktion wollen wir deutlich machen, dass die neuen Kriegsstrategien der NATO in urbanen Gebieten eine Antwort der Herrschenden auf die soziale Ungleichheit sind, die durch den Kapitalismus verursacht wird. Wir wollen nicht zulassen, dass mitten in Berlin ungestört Kriegsstrategien vorgestellt werden und Kriegsgerät präsentiert wird und rufen deshalb zum Protest gegen die Konferenz auf.

Protest am Montag, 20. Oktober, in Berlin: Fahrraddemo, 17.30 Uhr, Potsdamer Platz; Kundgebung, 19.30 Uhr, Hotel Maritim, Friedrichstraße 151

Interview: Claudia Wrobel

* Aus: junge Welt, Samstag, 18. Oktober 2014


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