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"Sogar Athen rüstet weiter auf"

Friedensaktivist Reiner Braun im Gespräch über neue Waffensysteme, die Friedensbewegung und Militärforschung *


Reiner Braun ist Geschäftsführer der deutschen Sektion der IALANA (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms), der »Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen«. Außerdem ist er Kopräsident des International Peace Bureau (IPB). Mit ihm sprach Stephan Fischer über die fortgesetzte Militarisierung Europas und die Friedensbewegung.


Wie viele Gruppen und Initiativen beteiligen sich am diesjährigen Global Day of Action on Military Spending?

Es sind mehr als 200 Gruppierungen aus über 40 Ländern. Dabei sind zunehmend kirchliche Gruppen, aber auch gewerkschaftliche Gruppen beteiligen sich an den Aktionen. Wir begrüßen es sehr, dass bei verschiedenen Äußerungen von führenden DGB-Vertretern in den letzten Wochen die Themen »Abrüstung für Entwicklung« oder »Abrüstung für soziale Lösungen« eine größere Rolle gespielt haben als in der Vergangenheit. Das ist wichtig, denn ich glaube, dass wir vor einer neuen Welle der Umrüstung stehen.

Was meinen Sie mit Umrüstung?

Die Bundeswehr – und das gilt für fast alle NATO-Armeen – wird in den letzten Jahren umgerüstet zur Interventionsarmee. Die Konsequenzen der verheerenden Kriege in Irak und Afghanistan und anderswo sind bekannt. Aber wir stehen jetzt vor einer Aufrüstungswelle, innerhalb der NATO geistern Diskussionen, die uns wieder auf einen Landkrieg einstellen sollen. Dafür sollen die entsprechenden Waffensysteme beschafft werden: Panzer, Luftwaffe, Hubschrauber, aggressive Marinetruppen und schnell bewegliche Landeinsatzkräfte. Für alle diese Bereiche wird es neue Rüstungsprogramme geben. Das heißt Aufrüstung, und das ist meiner Ansicht die falscheste Antwort, die es auf die jetzige Krisensituation geben kann.

Auch durch europäische Drohnen-Programme?

Drohnen sind ein Ausdruck der neuen Technisierung der Kriegführung samt Automatisierung und Roboterisierung der Kriegführung. Der Mensch wird in der Entscheidungskette für Kriege zunehmend überflüssig. Da sehe ich eine ganz neue Gefahrendimension.

2013 sind die weltweiten Rüstungsausgaben vom Höchststand von 1,75 Billionen Dollar nicht weiter gewachsen. Ein Hoffnungssignal?

Kaum zu verstehen sind die Steigerungen in Afrika. Die nackten Zahlen sagen aber ja nur die halbe Wahrheit. Wir können nicht erkennen, dass die Investitions- und Modernisierungsprogramme innerhalb der Rüstungshaushalte gekürzt werden, die werden eher ausgebaut. Wenn gespart wird, passiert das im Wesentlichen beim Personal oder in den Rentenfonds der Armeen. Selbst Griechenland spart immer noch nicht im investiven Teil des Rüstungshaushalts.

Das heißt, dass trotz nominal gesunkener Militärbudgets die Investitionen in diesem Bereich steigen?

Die Investitionen sind mindestens gleich geblieben, in vielen Ländern sind sie sogar gestiegen. Das Gleiche gilt für die Rüstungsforschungsausgaben, die ja die Signale für die nächsten zehn oder zwanzig Jahre setzen. Die sind in vielen Ländern – dazu gehören auch China und Russland – drastisch gestiegen, in den USA minimal eingefroren. Also auch dort deutet einiges darauf hin, dass es nicht um eine Kehrtwende geht, sondern höchstens um ein durch eine ökonomische Krise bedingtes, geringeres und etwas vorsichtigeres Ausgeben des Geldes.

Wie sieht es da in Europa aus?

In Europa sind die Rüstungsforschungsausgaben weitestgehend gleich hoch geblieben. Wobei da auch immer infrage steht, wie es sich mit der sogenannten Dual-Use-Forschung verhält, also dem Bereich, dessen Ergebnisse sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Dazu gehört der gesamte Bereich der sogenannten Sicherheitsforschung. Sicherheitsforschung ist nach wie vor ein Bereich, der deutlich ausgebaut wird. Auch in Europa sind die Militarisierungstendenzen nicht gebrochen.

Es findet also eine zunehmende Vermischung zwischen ziviler und militärischer Forschung statt?

Trennscharf waren die Bereiche nie. Schon die Atombombe ist eine Fortsetzung der zivilen Nutzung der Kernenergie gewesen. Aber wenn man heute Krieg und Rüstung legitimieren will, braucht man eigentlich pazifistische Argumente dafür: 1914 konnte man mit Hurra-Patriotismus in den Krieg ziehen. Das funktioniert heute nicht mehr. Also braucht man heute die angebliche Verteidigung der Menschenrechte zur Begründung. Man schämt sich natürlich auch, für die Rüstung zu forschen. Und wenn man dann immer noch so ein ziviles Hintertürchen wie die Dual-Use-Nutzung hat, benutzt man das ganz gerne.

Wie kann die Friedensbewegung da ansetzen?

Zunächst müssen wir uns wieder ernsthaft mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Konfrontationspolitik nicht aus Europa verbannt worden ist. Positiv ist aber, dass die Menschen in Europa der Kriege überdrüssig sind. Die Stimmung gegen Krieg ist überwältigend in allen Ländern. Entscheidend ist, ob wir als Friedensbewegung in diesen Fragen kampagnen- und handlungsfähig werden. Ein Ziel sollte die stärkere Zusammenarbeit zwischen Friedensbewegung und dem neuen Europaparlament sein. Es freut mich auch zunehmend, zu sehen, dass die Gewerkschaften sich mit diesen Fragen wieder beschäftigen, um das Tabu des Rüstungshaushaltes in diesem Lande mal wieder aufzuknacken.

Ein Tabu, weil es um Arbeitsplätze geht?

Dieses Argument ist für Deutschland eine Lachnummer. Wir haben 80 000 Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie, davon 40 000 Ingenieursarbeitsplätze. Ingenieure werden in diesem Land gesucht. Diese 40 000 umzuschulen ist nicht mal eine Frage von Zeit, das geht ganz schnell. Und 40 000 Arbeitsplätze angesichts von 46 Millionen Arbeitsplätzen in diesem Land – also worüber reden wir eigentlich? Mir soll kein deutscher Politiker erzählen, dass Rüstungskonversion nicht ein in schnellstem Maße lösbares Problem ist.

Wie kann eine solche Konversion aussehen?

Mit der »Disarmament for Development«-Kampagne, also »Abrüstung für Entwicklung« ergänzen wir die Ablehnung von Krieg und Aufrüstung mit einer positiven Vision. Beispielsweise mit unserer Zehn-Prozent-Idee: Mit zehn Prozent der europäischen Militärausgaben – das wären ungefähr 80 Milliarden Dollar – könnte man die gesamte Malaria ausrotten. Mit den zehn Prozent weltweit könnte man die Millenniumsziele der UN erreichen. In Griechenland könnten mit zehn Prozent des Militäretats 150 000 neue Arbeitsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene geschaffen werden, stattdessen zahlt der Staat für deutsche U-Boote. Das ist absurd. In Kenia könnten sie davon zehn Millionen Bäume pflanzen. Das wäre die Anzahl, die in den letzten 25 Jahren dort vernichtet worden ist.

Könnte Abrüstung selbst nicht zum Millenniumsnachfolgeziel der UN werden?

Ich bin sehr skeptisch. Die UN ist ein Staatenbündnis und damit ein Aufrüstungsbündnis. Selbst Staaten, die uns in bestimmten Fragen zum Beispiel bei den Atomwaffen sehr positiv gegenüberstehen, rüsten noch nicht ab. Wir kommen erst deutlich weiter, wenn wir die soziale Bewegung für »Disarmament for Development« deutlich ausweiten können.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. April 2014


Versprechen nicht eingelöst

Im Jahr 2013 erreichte die Entwicklungshilfe der Industrienationen 134,8 Milliarden Dollar (97,7 Milliarden Euro). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erfasste dabei die 19 Staaten, deren Ausgaben im Vergleich zu 2012 um 6,1 Prozent stiegen.

Das selbst gesetzte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Entwicklungshilfe auszugeben, erreichten allerdings nur fünf Staaten: Dänemark, Norwegen, Luxemburg, Schweden und erstmals Großbritannien. Die Niederlande verfehlten das Ziel dagegen erstmals.

Deutschland stellte etwa 14 Milliarden Dollar (10,3 Milliarden Euro) bereit und war damit weltweit hinter den USA und Großbritannien der drittgrößte Geldgeber. Das 0,7-Prozent-Ziel verpasste Deutschland trotz der um 522 Millionen Euro gestiegenen Ausgaben erneut deutlich: Der Anteil der Hilfe lag im vergangenen Jahr bei 0,38 Prozent. Die Stiftung Weltbevölkerung kritisierte, dass Deutschland damit nicht einmal die Quote des Jahres 2012 von 0,39 Prozent erreicht habe (2012: 0,38 Prozent). Auch das Ziel, die 0,7-Prozent-Quote bis zum Jahr 2015 zu erreichen, wird höchstwahrscheinlich verfehlt. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung heißt es für diese Legislaturperiode: »Wir wollen Deutschland weiter auf einen Finanzierungspfad zum 0,7-Prozent-Ziel führen.«

Pläne zur Anhebung der Entwicklungshilfe bestehen seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. 1972 versprach die BRD erstmals vor der UN-Vollversammlung eine Erhöhung der Gelder auf das 0,7-Prozent-Ziel bis 1975. Eingelöst wurde dieses Versprechen bis heute nicht, im Schnitt wurden von 1970 bis 2012 im Schnitt 0,36 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe in der BRD ausgegeben.

Die OECD erfasst die Daten seit mehr als 40 Jahren, die Angaben werden kritisiert, da sie auch die Ausgaben für ausländische Studenten und Flüchtlinge im jeweiligen Staat zur Entwicklungshilfe rechnen. stf




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