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Aufruf zu Blockaden rechtens

Friedensaktivist klagt erfolgreich gegen Verbot einer Flugblattverteilaktion. Verwaltungsgericht Koblenz stärkt Grundrecht auf Versammlungsfreiheit *

Das Verwaltungsgericht Koblenz hat der Klage eines Heidelberger Atomwaffengegners gegen das Verbot der Verteilung von Flugblättern stattgegeben. Darüber informierte am Freitag die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner. Gegenstand des Verfahrens war eine Aktion von Friedensaktivist Hermann Theisen im vergangenen Frühjahr in Koblenz. Er hatte zu den im Sommer 2013 geplanten Sitzblockaden vor dem Atomwaffenlager Büchel mobilisiert. Die dortige Staatsanwaltschaft hatte die Flyer beschlagnahmen lassen und einen Strafbefehl erwirkt. Die Stadtverwaltung Koblenz hatte sich deren Auffassung angeschlossen, daß Theisen zu rechtswidrigem Handeln aufgerufen habe, und seine Aktion untersagt (siehe jW vom 17.8.2013). Gegen dieses Verbot hatte Theisen vor dem Verwaltungsgericht Koblenz geklagt.

In seiner am Freitag veröffentlichten Urteilsbegründung erklärt das Gericht, die Untersagung der Verteilung auf einer angemeldeten Kundgebung sei »als ein tiefgreifender Grundrechtseingriff einzustufen«. Gewaltfreie Aktionen gegen die Stationierung von Atomwaffen unterlägen, »auch wenn die Blockade einer öffentlichen Einrichtung geplant war«, grundsätzlich »dem Schutzbereich« von Artikel 8 des Grundgesetzes zur Versammlungsfreiheit. Die Kammer teile nicht die Einschätzung der Koblenzer Stadtverwaltung, es habe sich bei Theisens Aktion um eine strafbare »öffentliche Aufforderung zu einer Nötigung« gehandelt. Theisens Anwalt Martin Heiming nannte die Entscheidung einen »klaren Sieg für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit«, das auch »Vollblockaden« einschließe. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 1995 entschieden, daß gewaltfreie Sitzblockaden bzw. Aufrufe dazu nicht strafbar sind – wenn es sich um Kundgebungen gegen Atomwaffen handelt.

Am 30. April findet im Fall Theisen eine weitere Verhandlung vor dem Amtsgericht Koblenz statt. Es hatte gegen den Aktivisten einen Strafbefehl von 30 Tagessätzen à 20 Euro erlassen, gegen den Theisen Einspruch eingelegt hat. Durch das Urteil vom Freitag sieht er sich in seinem Engagement für eine Verschrottung der in Büchel gelagerten US-amerikanischen Atombomben bestärkt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 15. März 2014


Das Urteil im Wortlaut:

1 K 628/13.KO

VERWALTUNGSGERICHT KOBLENZ

URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verwaltungsrechtsstreit


des Herrn Hermann Theisen, Moltkestraße 35, 69120 Heidelberg,

- Kläger -

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Heiming, Handschuhsheimer Landstraße 41, 69121 Heidelberg,

gegen

die Stadt Koblenz, vertreten durch den Oberbürgermeister, Willi-Hörter-Platz 1, 56068 Koblenz,

- Beklagte -

wegen Auflagen für eine Versammlung

hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2014, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Meier
Richter am Verwaltungsgericht Gietzen
Richter am Verwaltungsgericht Pluhm
ehrenamtlicher Richter Rentner Hörnig
ehrenamtliche Richterin Tontechnikerin Koll

für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass Ziffer II.2 der Verfügung vom 18. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2013 rechtswidrig war.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger mit einer Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine Auflage in einem Verwaltungsakt, der die Durchführung einer Versammlung zum Gegenstand hat, rechtswidrig war.

Mit Schreiben vom 15. März 2013 meldete der Kläger die Durchführung einer öffentlichen Kundgebung von drei bis fünf Personen für Sonntag, den 5. Mai 2013 am Bahnhofsvorplatz in Koblenz an und wies darauf hin, dass hierbei ein Aufruf zur Teilnahme an den gewaltfreien Aktionstagen in der Eifel vom 6. bis 12. August 2013 als Flugschrift verteilt werden soll. Hierin ist ausgeführt, es werde zur Sitzblockade an den Toren des Atomwaffenlagers in Büchel aufgerufen. In Büchel in der Eifel lägen geschätzt 20 US-Atombomben. Der Bundestag habe die Absicht der Bundesregierung bekräftigt, den Abzug dieser Atombomben aktiv zu verfolgen. Stattdessen werde nun die Betriebsdauer der Bomben sogar verlängert. Diese sollten nämlich laut einem Beschluss der Nato modernisiert werden. Nur mit massivem Druck werde es gelingen, dem Wunsch zur Abkehr von allen Atomwaffen zur Wirklichkeit zu verhelfen.

In dem Aufruf heißt es weiter:

„Beteiligt Euch an den gewaltfreien Aktionstagen der Friedensbewegung in der Eifel!

5. - 9. August 2013 Fastenaktion am Atomwaffenlager Büchel 9. - 11. August 2013 Aktionsvorbereitung (Bezugsgruppenfindung,

Training in gewaltfreier Aktion)

11. - 12. August 2013 Vollblockade des Stationierungsgeländes

(24 Stunden - alle Tore des Atomwaffenlagers Büchel)“


Ferner wird ausgeführt, man wolle eine gewaltfreie Haltung der Teilnehmer der Aktionstage gewährleisten. Dies heiße Dialogbereitschaft, Offenheit und Freundlichkeit, auch gegenüber denen, die am Funktionieren der Militärmaschine beteiligt seien. Die gewaltfreien Aktionstage sollten den Protest gegen die unverändert fortgesetzten atomaren Aufrüstungsarbeiten ausdrücken.

Unter der Überschrift „Rechtshilfebelehrung“ enthält das Flugblatt noch folgenden Hinweis:

„Die Teilnahme an der Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager Büchel kann zu einer Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 StGB) oder einer Ordnungswidrigkeit (§ 1 Abs. 2 StVO) führen. Sollte dies der Fall sein, so werden Sie rechtliche Unterstützung erhalten.“

Mit Mail vom 17. April 2013 teilte der Kläger der Beklagten mit, die Verteilung solle am Donnerstag, dem 23. Mai 2013 erfolgen.

In einem Vermerk der Beklagten vom 17. April 2013 ist festgehalten, man habe Herrn Theisen telefonisch über die Einschätzung der Staatsanwaltschaft Koblenz unterrichtet, das vorgelegte Flugblatt stelle eine Aufforderung zur Nötigung (§§ 111, 240 Strafgesetzbuch – StGB –) dar.

Mit Verfügung vom 18. April 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die geplante Kundgebung am 23. Mai 2013 durchgeführt werden könne. Unter Ziffer II.2 der Auflagen/beschränkenden Verfügungen ist geregelt:

„Die Verteilung des Flugblattes, in der mit Schreiben vom 15.03.2013 übersandten Fassung, wird untersagt. Weiterhin wird jeder sonstig gestaltete Aufruf zu einer Vollblockade aller Zufahrten des Fliegerhorstes Büchel aus Anlass der Kundgebung untersagt“.

Außerdem ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung dieser Regelung an. Am 23. April 2013 legte der Kläger hiergegen zunächst Widerspruch ein und in der Folgezeit eine geänderte Fassung des Aufrufs vor, in der die Formulierung „24 Stunden“ nicht mehr enthalten ist. Er führte aus, wenn der neugestaltete Aufruf verteilt werden dürfe, nehme er das Rechtsmittel zurück.

Ausweislich einer Mail des Polizeipräsidiums Koblenz an die Beklagte kam die Staatsanwaltschaft Koblenz zu dem Ergebnis, dass auch das Flugblatt in der geänderten Fassung strafrechtlich relevant sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2013 wies der Stadtrechtsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Hierin ist ausgeführt, bei Durchführung der Kundgebung mit der Verteilung von Flugblättern auch in der Fassung vom 24. April 2013 würde es wahrscheinlich zu Verstößen gegen §§ 111, 240 StGB kommen. Aufgrund der Dauer der geplanten Sitzblockade (2 Tage bzw. 24 Stunden lang) und der Art und Weise der Durchführung (Blockade aller Tore) sei zu erwarten, dass aufgrund der Blockade mehrere Fahrzeuge hintereinander zum Anhalten gezwungen würden. Dies erfülle den Tatbestand einer Nötigung. Zwar werde die Sitzblockade vorher bekanntgegeben und es bestehe auch ein Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Auf der anderen Seite seien bei der Verwerflichkeitsprüfung auch die erhebliche Dauer und Intensität der geplanten Aktion zu berücksichtigen sowie die Tatsache, dass keine Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten von den Versammlungsteilnehmern offen gelassen werden sollen. Die Tat sei daher als rechtswidrig anzusehen.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2013 teilte der Kläger mit, die Anmeldung der für den kommenden Dienstag geplanten Kundgebung werde zurückgenommen. Er behalte sich die Anfechtung des Widerspruchsbescheids vor.

Am 13. Juni 2013 hat der Kläger eine Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Er macht geltend, er habe aus dem Gesichtspunkt der bestehenden Wiederholungsgefahr sowie angesichts der Bedeutung des Grundrechts der Meinungs- und Versammlungsfreiheit hierfür das notwendige Feststellungsinteresse. Das von ihm entworfene Flugblatt, das den Aufruf zum Gegenstand habe, erfülle bei Würdigung aller Umstände nicht den Straftatbestand einer strafbaren Aufforderung zu einer Nötigung. Die geplante Vollblockade solle nämlich, um auf ein politisch bedeutsames Anliegen aufmerksam zu machen, stattfinden. Mit einer unverhältnismäßigen Störung des Dienstbetriebs auf dem Fliegerhorst sei nicht zu rechnen gewesen, da ein Tag, für den die Blockadeaktion geplant gewesen sei, ein Sonntag gewesen sei und außerdem die betroffenen Soldaten und Zivilangestellten der Bundeswehr sich auf die Aktion hätten einstellen können. Zudem komme in dem Aufruf zum Ausdruck, dass während der Aktionstage Dialogbereitschaft, Offenheit und Freundlichkeit, auch gegenüber denen, die am Funktionieren der „Militärmaschine“ beteiligt seien, gewährleistet seien und Polizeibeamte, Soldaten und Gegner der Aktion geachtet werden sollten. Mithin sei es nicht ihr Ziel gewesen, irgendjemanden durch die Blockade verwerflich zu nötigen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Ziffer II.2 der Auflagen in der Verfügung vom 18. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2013 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, das Flugblatt sei als Aufforderung zu einer strafbaren Nötigung einzustufen. Der Aufruf habe eine Blockade aller Tore des Flugplatzgeländes Büchel über zwei Tage hinweg zum Gegenstand. Von daher habe der Kläger unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in mittelbarer Täterschaft die Errichtung eines unüberwindbaren physischen Hindernisses und damit einer Gewaltausübung im Sinne des § 240 StGB beabsichtigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Danach kann das Gericht durch Urteil aussprechen, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich dieser vorher erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung seiner Rechtswidrigkeit hat. Eine solche Konstellation lag bereits vor Klageerhebung vor, weil sich Ziffer II.2. der Auflagen/beschränkenden Verfügungen des Bescheids vom 18. April 2013 jedenfalls durch Zeitablauf erledigt hat. Hierin wurde dem Kläger untersagt, auf der für den 23. Mai 2013 angemeldeten Kundgebung zum einen das der Beklagten mit Schreiben vom 15. März 2013 vorgelegte Flugblatt und zum anderen jeden sonstig gestalteten Aufruf zu einer Vollblockade der Zufahrten des Fliegerhorstes Büchel zu verteilen. Mithin haben sich diese beiden selbstständigen Regelungen spätestens mit dem Ablauf des Kundgebungstages, dem 23. Mai 2013, erledigt.

Der Kläger verfügt über das für die Klage notwendige besondere Feststellungsinteresse. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann nämlich ein Bedürfnis an einer gerichtlichen Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Ein solcher Sachverhalt liegt beim Bestehen einer Wiederholungsgefahr vor (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.10.1989 – 7 B 108.89 –, juris), die in der Regel dann anzunehmen ist, wenn zu besorgen ist, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber erneut einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt des erledigten Verwaltungsaktes erlassen wird. So verhält es sich hier. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht glaubhaft vorgebracht, er werde auch in Zukunft vergleichbare Aktionen wie die Aktionstage vom 5. bis 12. August 2013 durchführen und beabsichtige, Aufrufe mit vergleichbarem Inhalt bei Kundgebungen zu verteilen. Angesichts dessen besteht die Gefahr, dass die Beklagte dem Kläger abermals die Verteilung eines Aufrufs zur Blockade des Fliegerhorstes Büchel verbietet.

Der Kläger hat aber auch deswegen ein berechtigtes Feststellungsinteresse, weil die Untersagung des Verteilens der Flugblätter auf der angemeldeten Kundgebung als ein tiefgreifender Grundrechtseingriff einzustufen ist. Aus diesem Grund ist, um effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zu gewährleisten, ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs anzuerkennen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum hat erlangen können. Ob die Beeinträchtigung tatsächlich fortwirkt, ist nicht bedeutsam (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.03.1999 – 1 C 12.97 –, juris). Eine solche Konstellation liegt hier vor. Durch Ziffer II.2 der Auflage im Bescheid vom 18. April 2013 wurde dem Kläger untersagt, auf einer Kundgebung das mit Schreiben vom 15. März 2013 vorgelegte Flugblatt, mit dem in einer bestimmten Weise für die Teilnahme an Aktionstagen geworben werden sollte, sowie sonstige Aufrufe zur Vollblockade des Fliegerhorstes Büchel, zu verteilen. Die Veranstaltung der Aktionstage unterliegt, auch wenn die Blockade einer öffentlichen Einrichtung geplant war, grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, da sie als eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinsamen, öffentlichen Meinungskundgabe in plakativer oder aufsehenerregender Weise einzustufen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 –, juris). Die Untersagung der Verteilung eines Flugblattes, das einen Aufruf zur Teilnahme an einer Versammlung zum Gegenstand hat, auf einer hierzu angemeldeten Kundgebung beschneidet die Möglichkeit zur Verbreitung einer politischen Meinung und stellt einen gewichtigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar, dessen gerichtliche Überprüfung der Betroffene berechtigterweise verlangen kann.

Diese Bewertung wird auch nicht durch die Mail des Klägers vom 17. Mai 2013 in Frage gestellt. Hierin wurde zwar der Beklagten nach Kenntnis über die Widerspruchsentscheidung mitgeteilt, die Anmeldung der für den 23. Mai 2013 geplanten Kundgebung werde vorläufig zurückgenommen. Allerdings hat der Kläger hierin ebenfalls erklärt, er behalte sich die Anfechtung des Widerspruchsbescheids vor, und hat dadurch zu erkennen gegeben, dass er mit der Entscheidung nicht einverstanden ist. Zudem liegen zwischen der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids und der für den 23. Mai 2013 geplanten Versammlung lediglich sechs Tage. Angesichts dessen und des Umstands, dass der Kläger der Beklagten nach Erlass des Bescheids vom 18. April 2013 eine alternative Fassung der Flugschrift zur Prüfung vorgelegt hatte, konnte er nicht davon ausgehen, bis zur Kundgebung eine abschließende gerichtliche Klärung über die rechtliche Zulässigkeit der umstrittenen Auflage zu erreichen. Berücksichtigt man noch, dass die Einschätzung, ob die Durchführung der geplanten Kundgebung ohne eine Verteilung des Aufrufs Sinn mache, allein Sache des Klägers als Veranstalter der geplanten Kundgebung war, besteht auch angesichts der Mail vom 17. Mai 2013 das rechtliche geschützte Interesse des Klägers an der Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Auflagen.

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die beiden Regelungen in Ziffer II.2 der Auflagen/beschränkenden Verfügungen im Bescheid vom 18. April 2013 waren in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2013 rechtswidrig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz von Rechtsgütern. Hierzu gehört auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.06.2008 – 6 C 21.07 –, juris). Dabei kann in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen werden, wenn ein Verstoß gegen Strafvorschriften droht. Allerdings besteht nur dann eine Gefahr, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit die Beschädigung der Rechtsordnung konkret droht. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 –, juris).

Hiervon ausgehend war die Beklagte nicht berechtigt, dem Kläger die Verteilung des Flugblattes, das er mit Schreiben vom 15. März 2013 der Beklagten vorgelegt hat, auf der Kundgebung zu untersagen. Die Kammer teilt nicht die Einschätzung der Beklagten, die Verteilung dieses Flugblatts hätte zu einer strafbaren öffentlichen Aufforderung zu einer Nötigung im Sinne der §§ 111, 240 StGB geführt.

Nach § 111 Abs. 1 StGB wird wie ein Anstifter bestraft, wer öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Dabei muss sich die Aufforderung auf die Begehung einer bestimmten Tat richten. Nach § 240 Abs. 1 StGB macht sich derjenige strafbar, der mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Rechtswidrig ist diese Tat nach Abs. 2 dieser Vorschrift nur dann, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Für die Beantwortung der Frage der Verwerflichkeit sind alle Einzelfallumstände in den Blick zu nehmen. Da sich hier die Aufforderung des Klägers zu der Blockade auf eine gemeinsame Aktion von Personen bezieht, steht sie grundsätzlich unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 7. März 2011 (1 BvR 388/05, juris) unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung ausgeführt, dass der Schutz der Versammlungsfreiheit nicht auf Veranstaltungen beschränkt sei, auf denen argumentiert und gestritten werde, sondern vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden umfasse. Bei einer Versammlung gehe es darum, dass die Teilnehmer nach Außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nähmen und ihren Standpunkt bezeugten. Eine Versammlung verliere den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich sei danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit, wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten, stattfänden. Behinderungen Dritter, selbst wenn diese auch gewollt seien, rechtfertigten nicht die Einschätzung, die Versammlung sei nicht mehr friedlich.

Ob eine Blockade als unfriedliche Versammlung und damit als verwerflich im Sinne des Nötigungstatbestandes zu qualifizieren ist, ist durch eine Abwägung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu ermitteln. Hierbei sind regelmäßig zu berücksichtigen: Der zum Blockadetermin zu erwartende Dienstbetrieb, die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten und der Sachbezug der betroffenen Personen zum Protestgegenstand. Darüber hinaus kann es unter Umständen auf die Zahl der Demonstranten oder die Dringlichkeit der blockierten Transporte und sonstigen Dienstfahrten ankommen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 – und Beschluss vom 23.03.1992 – 1 BvR 687/88 –, jeweils zit. nach juris).

Diese Maßstäbe gelten entsprechend, wenn es um die strafrechtliche Beurteilung einer Aufforderung zu einer Blockade geht. Auch bei einem solchen Sachverhalt kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23.03.1992 a.a.O.) die Verwerflichkeit der Gewaltanwendung zu dem angestrebten Zweck nur im Rahmen einer umfassenden Abwägung aller Tatumstände festgestellt werden, wobei letztere aus den Vorstellungen und Absichten des Auffordernden erschlossen werden müssen, soweit diese im Wortlaut der Aufforderung Ausdruck gefunden haben. Dies bedeutet aber auch, dass sich der öffentliche Aufruf zu einer Blockade einer öffentlichen Einrichtung, um als verwerflich und damit strafbar eingestuft werden zu können, auf ein konkret bestimmbares Tatgeschehen beziehen muss, das ein solches Verwerflichkeitsurteil ermöglicht. Ist es aufgrund der konkreten Gestaltung eines schriftlichen Aufrufes nicht einschätzbar, ob der Verlauf einer Versammlung zu einer strafbaren Nötigung führen wird, stellt es einen unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit des Veranstalters einer Versammlung dar, die Verteilung des schriftlichen Aufrufs mit der Erwägung zu untersagen, durch den Aufruf würden Strafvorschriften verletzt.

So verhält es sich hier. Durch das Flugblatt, das der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 15. März 2013 vorgelegt hat und das ausschließlich Regelungsgegenstand von Ziffer II.2 Satz 1 des Bescheides vom 18. April 2013 ist, wurde zu einer Teilnahme an einer insgesamt sieben Tage andauernden Versammlung (5. bis 12. August 2013) aufgerufen. Diese Veranstaltung sollte nach der Vorstellung des Klägers aus drei verschiedenen Teilen bestehen, nämlich aus einer Fastenaktion, der Aktionsvorbereitung sowie der Vollblockade des Stationierungsgeländes (24 Stunden – alle Tore des Atomwaffenlagers Büchel). Ein konkreter Ablauf der geplanten „Vollblockade“ des Fliegerhorstes Büchel ist dem Flugblatt nicht zu entnehmen. Vielmehr spricht der Hinweis auf die „Aktionsvorbereitung (Bezugsgruppenfindung, Training in gewaltfreier Aktion)“, die vom 9. bis 11. August 2013 stattfinden sollte, dafür, dass der konkrete Ablauf der Blockadeaktion nach der Vorstellung des Klägers als Verfasser des Flugblattes erst gemeinsam mit den Teilnehmern festgelegt werden sollte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger in diesem Flugblatt auch klargestellt hat, man wolle eine gewaltfreie Haltung der Teilnehmer der Aktionstage gewährleisten. Dies heiße Dialogbereitschaft, Offenheit und Freundlichkeit, auch gegenüber denen, die am Funktionieren der „Militärmaschine“ beteiligt seien. Auch dieser Umstand verdeutlicht, dass die Einzelheiten der Blockadeaktion erst auf der Veranstaltung selbst festgelegt werden sollten.

Auch aus der Zeitangabe auf dem am 15. März 2013 vorgelegten Flugblatt lässt sich kein ausreichend konkreter Ablauf der geplanten Blockade entnehmen. Hierzu heißt es in dem Aufruf lediglich: „11./12. August 2013 Vollblockade des Stationierungsgeländes (24 Stunden – alle Tore des Atomwaffenlagers Büchel)“. Diese stichwortartige Formulierung lässt bei einer am objektiven Empfängerhorizont orientierten Betrachtungsweise verschiedene Auslegungen zu. Zum einen kann damit gemeint sein, wovon die Beklagte wohl auszugehen scheint, dass der Kläger mittels des Flugblattes zu einer 24 Stunden andauernden Vollblocklade des Geländes des Fliegerhorstes Büchel habe auffordern wollen. Sie kann aber auch dahingehend verstanden werden, dass an diesen beiden Tagen eine friedliche Veranstaltung stattfinden soll, die dadurch gekennzeichnet ist, dass über einen Zeitraum von 48 Stunden (11./12. August 2013) insgesamt 24 Stunden lang die Zufahrten zu allen Toren des „Atomwaffenlagers“ versperrt bleiben. Ebenso ist ein Verständnis möglich, dass die Aktion „Vollblockade der Tore“ selbst 24 Stunden andauern, aber gewaltfrei verlaufen soll. Wann eine Vollblockade gewaltfrei ist, lässt ebenfalls wiederum Spielraum für unterschiedlichste Interpretationen (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – sowie Beschluss vom 10.01.1995 – 1 BvR 718/89 –, juris). Darüber hinaus verhält sich der Aufruf in keiner Weise zu der Frage, ob auf dem Fliegerhorst beschäftigte Soldaten oder sonstige Mitarbeiter oder Besucher dauerhaft (24 Stunden lang) oder nur vorübergehend oder nur symbolisch am Zugang oder der Zufahrt auf das Gelände gehindert werden sollen. Berücksichtigt man zudem, dass die Blockadeaktion für den 11. und 12. August 2013, einem Sonn- und Montag, vorgesehen war und sonntags im Regelfall keine eklatanten Störungen des Dienstbetriebs der Bundeswehr zu erwarten waren, ist das Flugblatt bei Würdigung aller Umstände zu unbestimmt abgefasst, um letztlich darüber befinden zu können, ob hiermit zu einer Nötigung aufgerufen werden sollte, welcher der Makel der Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anhaftet.

Beinhaltet das Flugblatt somit keine Aufforderung zu einer konkreten rechtswidrigen Straftat, durfte die Beklagte auch nicht dem Kläger die Verteilung dieses Flugblattes auf der für den 23. Mai 2013 geplanten Kundgebung mit der Erwägung verbieten, es handele sich bei der geplanten Verteilung um eine Straftat nach §§ 111, 240 StGB. Mithin war die Regelung in Ziffer II.2 Satz 1 der Auflagen/beschränkende Verfügungen des Bescheids vom 18. April 2013 rechtswidrig.

Das gleiche gilt hinsichtlich Ziffer II.2 Satz 2 dieser Auflagen. Mit dieser Regelung wurde dem Kläger untersagt, jeden sonstig gestalteten Aufruf zu einer Vollblockade aller Zufahrten des Fliegerhorstes Büchel auf der für den 23. Mai 2013 geplanten Kundgebung zu verteilen. Auch diese Auflage bezieht sich nicht auf eine Tat, deren konkreter Geschehensablauf absehbar ist. Von daher fehlt es auch insoweit an einer bestimmten Straftat, zu der der Kläger im Sinne von §§ 111, 240 StGB aufgefordert hat.

Überdies stellt eine solch weitgehende Regelung auch deswegen eine unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts der Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar, weil sie die Verteilung jeder Flugschrift erfasst, mit der zu jeder Art von Vollblockaden der Zufahrten zum Fliegerhorst Büchel – also auch zu zeitlich kurzen oder nur symbolischen Blockaden – aufgerufen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur Beschluss vom 07.03.2011, a.a.O.) können aber derartige Blockaden, selbst wenn sie auf die Behinderung anderer Personen abzielen, je nach den Umständen des Einzelfalls vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt sein. Von daher stellte Ziffer II.2. Satz 2 der Auflagen des Bescheids auch eine zu weitgehende und damit unangemessene Beschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit des Klägers dar und war deshalb rechtswidrig.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).




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