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Antikriegsprotest vorm Reichstag

Weltfriedenstag 2014: Aktionen am 1. September in über 100 Städten *

Provokative Punktlandung im politischen Berlin: Am 1. September, dem Antikriegs- bzw. Weltfriedenstag, will die Bundesregierung vom Bundestag ihre Entscheidung absegnen lassen, Waffen an kurdische Milizen im Nordirak zu liefern. Friedensaktivisten und Gewerkschafter erinnern derweil an den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren. In über 100 Orten finden aus diesem Anlaß Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen und andere Friedensaktionen statt – in diesem Jahr aus gegebenem Anlaß auch vor dem Reichstag. So rufen die Berliner Friedenskoordination und die Naturfreunde für 13Uhr zu einer Kundgebung auf. Just zu der Stunde treffen sich die Parlamentarier zu einer Sondersitzung, um im Rahmen einer Regierungserklärung zum Thema »Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS« über deutsche Waffenlieferungen zu debattieren. Die »Friko« erinnert in dem Zusammenhang: »Das fundamentalistische Regime in Afghanistan in den 90er Jahren und die Entstehung von Al-Qaida genauso wie die Entstehung der Terrorgruppe ›Islamischer Staat‹ sind unmittelbares Ergebnis der Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten. Der IS konnte nur deshalb seine heutige Stärke entwickeln, weil Staaten wie die Türkei, Katar und Saudi-Arabien diese Gruppe finanziell gefördert und die Ausbildung und Lieferung von Waffen an ihre Kämpfer zumindest geduldet haben.«

Der Bundesausschuß Friedensratschlag kritisiert in seiner Erklärung zum Antikriegstag die Merkel-Regierung. Deutschland habe sich zur drittgrößten Waffenexportnation der Welt gemausert. Deutsches Kriegsgerät sei heute auf fast allen Schlachtfeldern im Einsatz. »Gewehre von Heckler & Koch konkurrieren mit der legendären Kalaschnikow und gelten als die Massenvernichtungswaffe in den zahllosen Bürgerkriegen; ›Leopard 2‹-Kampfpanzer von Krauss-Maffei Wegmann werden nach Indonesien, in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Katar und demnächst wohl auch nach Saudi-Arabien geliefert.«

Der »Friedensratschlag« räumt ein, daß der Widerstand gegen diese Politik insgesamt noch zu gering ist. Zwar habe die Friedensbewegung in fast allen Umfragen über Auslandseinsätze, Beschaffung von Kampfdrohnen oder Waffenexporte klare Mehrheiten der Bevölkerung auf ihrer Seite, aber dies spiegele sich noch nicht in Massen­aktionen wider. (jW)

* Aus: junge Welt, Donnerstag 30. August 2014


»Krieg und Militär lösen keine Probleme«

Friedensdemo in Frankfurt am Main: Protest gegen NATO-Einmischung in der Ukraine, in Syrien und im Irak. Ein Gespräch mit Willi van Ooyen **

Willi van Ooyen ist Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im hessischen Landtag und Vorsitzender der Friedens- und Zukunftswerkstatt.

Für diesen Samstag ruft die Friedens- und Zukunftswerkstatt in Frankfurt am Main auf, gegen Krieg zu demonstrieren – warum erst jetzt zum Antikriegstags am 1. Septemer? Hat es nicht in den vergangenen Monaten schon genügend Anlässe gegeben?

Wir haben durchaus den Versuch gemacht, die Friedensbewegung gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße zu bringen. Zum 30. Mai hatten wir zu einer Demonstration aufgerufen, es kamen leider nur 200 Leute. Es galt wohl noch, um inhaltliche Positionen zu ringen.

Bei den aktuellen Konflikten zeigt sich, wie die Bereitschaft zu militärischer Intervention wächst: von Mali über den Sudan und Zentralafrika, das Horn von Afrika, Libyen den nahen Osten, Syrien, den Irak, die Ukraine bis hin zu Afghanistan. Seit Jahren rüstet sich die Bundeswehr hoch, um international Kriege zu führen. Dabei haben Kriegseinsätze nie zu mehr Frieden, Demokratie oder Stabilität geführt, sondern lediglich soziale Verwüstungen angerichtet. Dagegen protestieren wir. Es gilt, wieder zu grundsätzlichen antimilitärischen Positionen zurückzukehren.

Deutsche Medien beschuldigen Rußland immer wieder, militärisch in der Ukraine einzugreifen – derartige Meldungen haben sich aber regelmäßig als »Ente« herausgestellt. Was steckt dahinter – Kriegspropaganda?

Es wird doch zunehmend deutlicher: Die CDU-SPD-Bundesregierung mischt sich mit militärischer Macht ein, sie macht Herrschaftsansprüche geltend. Das akzeptieren wir nicht und mobilisieren deswegen zu dieser Demonstration. Die NATO macht an mehreren Schauplätzen mobil: in der Ukraine, im Irak und in Syrien.

Die Bundesregierung ermöglicht Waffenlieferungen an die Türkei, nach Saudi-Arabien und Katar. Durch die Präsenz der Bundeswehr in der Türkei und ihre Verbrüderung mit der dortigen Regierung hat sie die Konflikte angeheizt und das Abschlachten der Kurden im Nordirak legitimiert. Möglicherweise sogar vorangetrieben.

Beim NATO-Gipfel in Wales wollen Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister in der kommenden Woche vereinbaren, die Rüstungsetats der Mitgliedsstaaten auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts der Länder hochzufahren ...

Krieg und Militär lösen keine Probleme. Offenbar hat die deutsche Bundesregierung aus den Kriegen der vergangenen hundert Jahre nichts gelernt; sie glaubt immer noch, daß mit mehr Gewalt Frieden herzustellen ist.

In den vergangenen Wochen gab es zum Nahostkrieg auch in Frankfurt am Main Demonstrationen – sowohl pro Israel als auch pro Gaza. Die Stadtzeitung Journal Frankfurt titelte, in der Stadt lebe der Antisemitismus auf. Ist es so?

Der Antisemitismus wird instrumentalisiert, um Menschen einzuschüchtern, die in diesem Konflikt keine weiteren Waffenlieferungen akzeptieren. Wir wissen, daß die Bundesregierung U-Boote, die mit Atomraketen bestückt werden können, an Israel geliefert hat. Sie hat also eskalierend zu diesem Konflikt beigetragen. Die Grünen sind übrigens Vorreiter dieser Politik.

Klarzustellen ist: Wir sind keine Antisemiten; wir müssen uns diesen Vorwurf nicht gefallen lassen. Wir arbeiten mit Anhängern der Friedensbewegung sowohl in Israel als auch in Gaza zusammen – und protestieren gegen Kriegspolitik und Militarisierung.

Die Bundesregierung plant Waffenlieferungen an kurdische Kämpfer in den Nordirak; sie will den Beschluß am Montag in einer Bundestagssondersitzung herbeiführen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann begründete dies »als vordringlich, um die IS-Milizen aufzuhalten«.

Diese Waffen werden töten. Durch das der Zivilbevölkerung zugemutete Leid wird die Situation noch unberechenbarer, als sie ohnehin schon ist.

Welches Spektrum beteiligt sich an Ihrer Friedensdemonstration?

Aktivisten von ATTAC, linke Sozialdemokraten, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Mitglieder der DKP und viele Initiativen. Vermutlich werden sich Ukrainer, Palästinenser und auch Menschen aus dem Irak beteiligen.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, Donnerstag 30. August 2014


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