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Für Frieden in der Ukraine

Tausende Demonstranten in vielen Städten der BRD warfen der Bundesregierung Eskalation vor und kritisierten die Berichterstattung der öffentlichen Medien

Von Fabian Rennig, Markus Bernhardt *

Mehrere tausend Friedensaktivisten gingen am Wochenende deutschlandweit unter dem Motto »Die Waffen nieder in der Ukraine« auf die Straße. Der Bundesausschuß Friedensratschlag spricht von Kundgebungen in etwa 30 Städten, viele davon mit dem symbolischen Beginn um »5 vor 12«. Denn die Lage, so der Aufruf des Ausschusses, sei zum Zerreißen gespannt. »Die Ukraine ist heute ein gespaltenes Land. Ein Land im Bürgerkrieg«, sagte Andreas Grünwald in seiner Eröffnungsrede in Hamburg. Eine friedliche Lösung des Konflikts könne es nur unter Einbezug aller Beteiligter, also auch Rußlands und der neu gegründeten »Volksrepubliken« im Osten der Ukraine, geben.

In Berlin fanden sich etwa 800 Demonstranten zusammen. Direkt vor dem Hauptstadtstudio der ARD nahm der Journalist Eckart Spoo auf einer Zwischenkundgebung die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in die Kritik. Ihre Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine sei »unwahr, parteiisch oder halbwahr, was noch gefährlicher ist«. Als Beispiel nannte er die Sprachregelung über das Massaker von Odessa am 2. Mai. In der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung sei das Gebäude »in Brand geraten«, der faschistische Hintergrund wurde verschleiert. Dies alles diene seiner Meinung nach, ebenso wie das Hochjubeln von zuerst Julia Timoschenko und zuletzt Witali Klitschko, nur der Regierungspropaganda und damit in der Konsequenz einer Kriegspropaganda.

Auch in Leipzig beteiligten sich bereits am Freitag über 1000 Menschen an einer Kundgebung unter der Losung »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« »Schluß mit dem Säbelrasseln im Westen«, forderte Torsten Schleip, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK). »Bundesregierung, EU und NATO schüren mit ihrer einseitigen und kritiklosen Unterstützung einer nicht legitimierten Übergangsregierung unter Einbeziehung nationalistischer und faschistischer Kräfte den Konflikt«. Der sächsische Linke-Abgeordnete Volker Külow geißelte in seinem Redebeitrag die »derzeitige aggressive antirussische Stimmungsmache in der bundesdeutschen Politik und den wie gleichgeschaltet wirkenden Medien«, die mit einer »extremen Geschichtsvergessenheit« einhergehe.

Abgerundet wurde die Friedensmanifestation mit einem Auftritt des Liedermachers Konstantin Wecker. In der Leipziger Volkszeitung vom Wochenende sagte er: »Ein großes Problem sehe ich unter anderem darin, daß westliche Medien zu wenig und zu nebulös darüber berichtet haben, wenn Faschisten der Swoboda-Partei auffordern, Russen und Juden zu erschießen, Linke foltern, im Parlament verprügeln, in Odessa bei lebendigem Leib mit Benzin übergießen und anstecken, wenn Frau Timoschenko auffordert, aus Rußland verbrannte Erde zu machen.«

Aus: junge Welt, Montag, 2. Juni 2014


Sankt-Georgs-Band und Friedenstaube

Bundesweit fanden Demonstrationen und Mahnwachen für ein Ende der Kämpfe in der Ukraine statt

Von Ines Wallrodt **


In 30 Städten fanden am Wochenende Demonstrationen für Frieden in der Ukraine statt. Die Friedensbewegung verlangt vom Westen eine Deeskalation. Über Russlands Beitrag ist sie uneins.

Eigentlich sollte die Demo an dem Ort beginnen, wo Karl Liebknecht 1916 eine Rede gegen den Ersten Weltkrieg gehalten hat. Doch dort findet ein Kunstmarkt statt und so versammeln sich einige Hundert Kriegsgegner am Sonnabend auf der anderen Seite des Potsdamer Platzes, eingeklemmt zwischen einem gigantischen S-Bahnausgang und der Ebertstraße, an einem aber doch irgendwie passenden Ort: Zehn Meter Berliner Mauer stehen hier als Symbol für den Kalten Krieg, vor dessen Wiederauflage ein Großteil der Deutschen angesichts des Säbelrasselns zwischen dem Westen und Russland derzeit Angst hat.

Wie in Berlin demonstrierten am Freitag und Sonnabend in 30 deutschen Städten insgesamt mehrere Tausend Kriegsgegner für einen Waffenstillstand in der Ukraine und eine Politik der Deeskalation. Auch nach den Präsidentschaftswahlen sehen sie keine Entspannung im Land.

Bei der Hauptstadtdemo ist der 1919 ermordete Sozialistenführer trotzdem präsent. Die nach Angaben der Veranstalter etwa 1000 Demonstranten skandieren »Karl Liebknecht hat es wohl erkannt, der Hauptfeind steht im eigenen Land«, und in diesem Sinne sind Europäische Union und Bundesregierung auch in den Redebeiträgen und auf den Schildern der Demonstranten Hauptziel der Kritik. Sie verurteilen »Kriegshetze« deutscher Politiker und Medien, die Osterweiterung von NATO und EU, die das Land destabilisiert hätten, und die Rüstungslieferungen deutscher Konzerne an die Ukraine. DKP und SDAJ haben gut mobilisiert, LINKE-Fahnen sind auch zu sehen. Anhänger von Verschwörungstheorien sind bis auf ein kleines Grüppchen nicht zu erkennen, sie scheinen doch lieber Montags statt Samstags zu demonstrieren. Eine trotzkistische Jugendgruppe macht mit lautstarken Sprechchören gegen Kapitalismus, deutschen Imperialismus und Faschismus mächtig Welle.

Stephan Lindner von Attac schlägt in seiner Rede einen etwas anderen Ton an. Er analysiert die Krise als Kampf zwischen Oligarchen, die wahlweise von den USA, der EU oder Russland unterstützt werden und von denen aus seiner Sicht keiner besser als der andere ist. Der mäßige Applaus, den er bekommt, mag an Mängeln im Vortrag liegen, dürfte aber auch dieser ausgewogenen Position geschuldet sein. Die wird von vielen auf der Demo nämlich nicht gern gehört. Verbreiteter als die Friedenstaube ist das schwarz-orange gestreifte Sankt-Georgs-Band, Zeichen der pro-russischen Demonstranten der Ostukraine. Das bekommt auch der LINKE- und Friedensaktivist Tobias Pflüger zu spüren. Auf der Bühne kritisiert er die Annexion der Krim vorsichtig als »völkerrechtlich zumindest fragwürdig« und wird dafür von einigen Demonstranten lautstark mit »aber notwendig« korrigiert.

Die Meinungen über Russland gehen auseinander, breit geteilt wird hingegen die Abscheu vor den ukrainischen Faschisten, die noch immer an der Regierung beteiligt sind. Die Bundesregierung müsse die Zusammenarbeit mit Kiew sofort stoppen, fordern die Demonstranten. Viele erinnern an die 40 prorussischen Gewerkschafter und Linken, die in Odessa von einem rechtsradikalen Mob ermordet wurden. Deutschen Medien war das Pogrom zunächst kaum eine Zeile wert oder sie schrieben nebulös, das Haus sei »in Brand geraten«. Die Demonstranten sehen darin einen Beleg für die einseitige und parteiische Berichterstattung in Deutschland. Eckart Spoo nennt dieses Versagen bei der Zwischenkundgebung am ARD-Hauptstadtstudio »publizistische Beihilfe zum Massaker«.

Ein Mann vom deutsch-russischen Verein »Kontakte« fühlt sich an die Situation in Jugoslawien erinnert. »Nationalismus – die europäische Seuche« hat er auf sein Schild gedruckt. Er sieht die Lösung nicht in Separation, sondern in einer föderalen Struktur mit größerer Eigenständigkeit der Regionen. Von Partnern in der Ukraine weiß er, dass der Hass dort inzwischen ganze Familien auseinandertreibt. »Auf der Krim sind die Menschen traumatisiert.« Die Friedensdemonstrationen wurden vielerorts symbolisch auf 5 vor 12 gelegt. Für die Menschen in der Ukraine könnte es längst 5 nach 12 sein

** Aus: neues deutschland, Montag, 2. Juni 2014


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