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Gegen die Militarisierung der Gesellschaft / Kampf gegen Rassismus und Neonazismus

Reden von Kristina Esch und Gudrun Meyer beim Hamburger Ostermarsch


Im Folgenden dokumentieren wir zwei Beiträge, die beim Hamburger Ostermarsch am 9. April 2012 gehalten wurden.

Kristina Esch für das Bündnis „Bildung ohne Bundeswehr“ – BoB

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir, das Hamburger Bündnis „Bildung ohne Bundeswehr“, freuen uns sehr, dass wir eingeladen wurden, an dieser Stelle eine kurze Rede zu halten.

Der Ostermarsch findet seit mehreren Jahrzehnten in jedem Jahr als Protestaktion der Antikriegs- und Friedensbewegung statt. Ich hoffe, der Ostermarsch wird auch weiterhin jedes Jahr stattfinden – so lange bis wir es geschafft haben, eine Friedensbewegung herzustellen, die eine andere Gesellschaft einrichten will und die groß genug ist, um die Welt zu verändern – in eine Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung, Leid und Elend, eine Gesellschaft ohne Kriege.

Die Kriege, die heute geführt werden, sind nicht mehr dieselben, wie die, die die Anfänge der Ostermarschbewegung markiert haben – auch die Friedensbewegung muss sich aus unserer Sicht mit der neuen kapitalistischen Weltordnung, den neuen imperialistischen Kriegen und ihren Folgen außer- und auch innerhalb der Bundesrepublik beschäftigen. Zu diesen Folgen gehört auch die zunehmende und teilweise neu ausgerichtete Militarisierung der hiesigen Gesellschaft, z.B. die neuen Formen der Werbung, die die Bundeswehr in Deutschland für ihre Kriege macht, oder die vermehrte Rekrutierung von jungen Menschen an Schulen und anderen Bildungsorten. Auch in Hamburg sind die Jugendoffiziere und Wehrdienstberater- Innen regelmäßig an den Schulen und an außerschulischen Lernorten. Die von Unternehmen und Politik verursachte Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen wird von der Bundeswehr für ihre Rekrutierung schamlos ausgenutzt.

Wir haben uns als Bündnis zusammengeschlossen, um über die Rekrutierung und die öffentlichen Auftritte der Bundeswehr zu informieren. Wir wollen aber auch Protest und Widerstand dagegen organisieren. Aber warum lehnen wir die Auftritte der Bundeswehr eigentlich ab? Nicht nur, weil wir die Bundeswehr generell als militärische Institution ablehnen. Die militärische Renaissance des deutschen Imperialismus zeigt sich nicht zuletzt an den elf Einsätzen, in denen die Bundeswehr derzeit tätig ist. Für die herrschende Elite im Land ist Krieg wieder zu einem akzeptablen Mittel der Außenpolitik geworden.

Es geht der Bundesregierung nicht etwa darum, weltweit für Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen. Es geht ihr darum, geostrategische, wirtschaftliche und machtpolitische Interessen bundesdeutscher Konzerne und PolitikerInnen zu verteidigen. Gemeinsam mit westlichen Alliierten wird heute außerdem weltweit die Vorherrschaft des westlichen Kapitalismus mit Waffen verteidigt.

Die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 und die Bundeswehrreform bringen den Kurs der Bundesregierung klar zum Ausdruck: Kriege mit deutscher Beteiligung werden vom Ausnahme- zum Normalzustand. Im Zuge der so genannten Sicherheitspolitik wird eine Struktur der Bundeswehr geschaffen, die diese Anforderungen und Waffengänge auf Höhe der Zeit zulässt. Alle Reformen der Bundeswehr spiegeln diesen Zweck wieder:
  • die Umstrukturierung zu einer Berufs- und Freiwilligenarmee,
  • die Straffung der Hierarchien und Kommandoebenen,
  • die Reduktion der Stäbe und der Aufbau von Kriegstruppen für mehrere parallele Kriegseinsätze,
  • der Ausbau der kriegsfähigsten Teile der Bundeswehr usw.,
  • der Ausbau der zivil-militärischen Zusammenarbeit zum Zweck effektiverer Einsätze.
Genau für diese Zwecke MUSS die Bundeswehr nicht nur ihre interne Personalpolitik verändern, sondern auch ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärken. Sie muss Kriege für die Bevölkerung zur Normalität werden lassen und neue SoldatInnen rekrutieren, die an den neuen Fronten morden und ermordet werden. Eine Armee ohne Nachwuchs kann im Ausland keine Kriege führen. Eine Armee ohne Akzeptanz an der so genannten Heimatfront kann ebenfalls keine Kriege gewinnen.

Deshalb MÜSSEN WIR an diesen Punkten anknüpfen und der Bundeswehr einen Strich durch die Rechnung machen. Wir rufen dazu auf, sich am Bündnis „Bildung ohne Bundeswehr“ zu beteiligen: Werdet aktiv im Kampf gegen Rekrutierung, Schönfärberei von Kriegspolitik und Militärwerbung!


Gudrun Meyer für das Hamburger Bündnis gegen Rechts

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde!

Ich möchte über ein Thema sprechen, das dem Hamburger Forum, aber auch dem Hamburger Bündnis gegen Rechts und allen Antifaschistinnen und Antifaschisten am Herzen liegt.

Am 2. Juni 2012 planen norddeutsche Neonazis einen Aufmarsch durch die Hamburger Innenstadt unter dem volksverhetzenden Motto: „Tag der deutschen Zukunft – Unser Signal gegen Überfremdung“. In diesem Aufmarsch wollen sie ihre menschenverachtende, rassistische, diskriminierende und auf Ausgrenzung beruhende Weltanschauung propagieren.[1] Spätestens die sogenannten NSUMorde haben jedoch erneut gezeigt, dass die Verhinderung jeglicher Neonazi-Aktivitäten ein vordringliches Ziel sein muss. Es ist auch die Aufgabe aller Friedensbewegten, gegen Rassismus und weitere Naziumtriebe zu protestieren.

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass mit der Machtübernahme der Nazis 1933 die systematische Verfolgung von erklärten NS-Gegnern wie Gewerkschaftlern, Kommunisten, Sozialdemokraten und christlichen Gruppierungen sowie die Verfolgung von sozialen Minderheiten begann. Ebenso begannen bereits 1933 die rassistischen Verfolgungen, die mit dem Völkermord an den Sinti und Roma und den Verbrechen des Holocaust endeten. Mit dem Machtantritt der Nazis begannen aber auch die Kriegsvorbereitungen, zunächst, indem die Rüstungsindustrie angekurbelt wurde, um neuartige Waffen und Bomber herzustellen. Die NS-Wehrmacht und die Luftwaffe benutzten diese Waffen bereits im Spanischen Bürgerkrieg, um den faschistischen Putschisten unter General Franco an die Macht zu verhelfen. Bis heute ist das Flächenbombardement der baskischen Stadt Gernika durch die Legion Condor in Erinnerung geblieben. Dieses Kriegsverbrechen jährt sich am 26. April zum 75. Mal.

Anschließend begingen die Nazis unzählige Verbrechen gegen die Menschlichkeit, beginnend mit dem Einmarsch in Österreich im März 1938, wo es zu Ausschreitungen gegen die jüdischen Mitbürger und zahlreichen Verhaftungen politischer Gegner kam. Es folgte:
  • die Reichspogromnacht im November 1938,
  • die gewaltsame Annexion Tschechiens im März 1939 und
  • der Überfall auf Polen am 1. September 1939, der den Zweiten Weltkrieg auslöste.
In dieser Zeit war ein Großteil Europas dem nationalsozialistischen Terrorregime ausgesetzt, und Millionen an Menschen verloren ihr Leben, darunter nach Schätzung von Historikern mehr als 13 Millionen, die den nationalsozialistischen Massenmorden zum Opfer fielen.[2] Dieses verbrecherische Regime hielt sich bis zur Befreiung am 8. Mai 1945. Auch danach gab es immer wieder Naziumtriebe, die Gründung neuer Naziparteien, Unterwanderungsversuche und rassistische Morde. Fast 200 Menschen, wenn nicht mehr, wurden allein in der Zeit von 1990 bis jetzt Opfer rechtsextremer Gewalt.[3]

Es muss unser aller Ziel sein, nie wieder faschistische Umtriebe zu dulden, jegliche Neonaziaktivitäten zu verhindern und den Nazis nicht die Straße zu überlassen. Das Hamburger Bündnis gegen Rechts ruft daher zu einem breiten Widerstand gegen den Naziaufmarsch am 2. Juni und jegliche rassistische Stimmungsmache auf.[4] Bereits im Vorweg werden im April und Mai zahlreiche Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und der Neonazis sowie zum Thema Rassismus stattfinden.

Unter dem Motto: „Den Naziaufmarsch stoppen! – Internationale Solidarität statt völkischer Wahn“ ist am Tag des Naziaufmarsches eine Gegendemonstration angemeldet. An zentralen Punkten in der Innenstadt werden weitere Aktionen stattfinden. Bitte beteiligt euch an den Protesten.

Nur gemeinsam können wir den Neonazis und Rassisten zeigen, dass wir ihre Umtriebe nicht länger dulden. Ich zitiere aus dem Schwur von Buchenwald 1945:

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.

Nicht zuletzt angesichts unserer historischen Verantwortung daher der Aufruf an alle Friedensbewegten:
Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg!

Anmerkungen
  1. Teilzitate aus dem Aufruf des Hamburger Bündnisses gegen Rechts, http://keine-stimme-den-nazis.org/index.php?option=com_content&task =view&id=4636&Itemid= Den Naziaufmarsch stoppen! Internationale Solidarität statt völkischer Wahn!
  2. Zahlenangaben laut Wikipedia-Artikel: Kriegstote des Zweiten Weltkriegs; Opfer deutscher Massenverbrechen im Kriegsverlauf
  3. Zahlenangaben lt. Wikipedia-Artikel Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland
  4. Zitat aus dem Aufruf des Hamburger Bündnisses gegen Rechts, siehe Anmerkung [1].


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