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Ostermarsch-Aufruf Hamburg

Aufruf zum Hamburger Ostermarsch am 24. April 2000

Gegen die Militärlogik: Bundeswehr abrüsten! -
Keine deutschen Waffen an die Türkei!

Im NATO-Krieg gegen Jugoslawien dominierte das Faustrecht des Stärkeren. Nicht im Namen der Völkergemeinschaft, sondern einzig im Namen der NATO wurde das souveräne Jugoslawien bom-bardiert. Für Deutschland war dieser völkerrechts- und grundgesetzwidrige Krieg der erste seit 1945. Dieser Angriffskrieg war ein Umwelt- und Wirtschaftskrieg mit schweren - auch langwieri-gen - Folgen für die zivile Bevölkerung Jugoslawiens. Die NATO-Bombardierungen haben über 2.000 zivilen Menschen das Leben gekostet und rund 10.000 die Gesundheit. 300.000 Kinder gelten als traumatisiert. Die NATO-Bomben verdoppelten die Arbeitslosigkeit auf rund 60 Prozent. Trotz dieser schlimmen Folgen für die jugoslawische Bevölkerung halten die NATO-Staaten ihr inhuma-nes Wirtschaftsembargo gegen Jugoslawien aufrecht. Die Bevölkerung wird in Geiselhaft genom-men, solange sie nicht in Opposition zur Regierung steht.

Mit dem wirtschaftlichen Niedergang Jugoslawiens in den 80er Jahren nahmen die nationalisti-schen Tendenzen in den Teilrepubliken des Vielvölkerstaats zu. Dabei war die deutsche Unterstüt-zung des kroatischen Nationalismus der Brandsatz und die damit einhergehende einseitige, dämoni-sierende Schuldzuweisung an Milosevic der Brandbeschleuniger für die Eskalation Anfang der 90er Jahre. Seit Frühjahr 98 heizten die militärischen Drohungen der NATO - vor allem der USA und Deutschlands - gegen die serbische Seite den Kosovo-Konflikt an, weil sich dadurch die vom We-sten unterstützte militant-nationalistische UCK in ihrer militärischen Eskalationsstrategie zur Durchsetzung ihrer Sezessionsbestrebungen ermutigt fühlen musste. Dieser Droh- und Machtpolitik der NATO folgte entsprechend der Militärlogik schließlich der heiße Krieg, da die bedrohte Seite nicht nachgab. Leidtragende ist in jedem Fall - wie immer - die Zivilbevölkerung.

Modell Jugoslawien-Krieg

Die NATO, die seit Beginn der 90er Jahre durch den Wegfall ihres Gegners, des Warschauer Pak-tes, in existenziellen Legitimationsproblemen steckt, schürte die Konflikte in Jugoslawien als will-kommenen Anlass, sich ein neues strategisches Konzept zu schmieden, um künftig außerhalb des Bündnisgebiets ("out of area") einzugreifen. Sie drohte erstmalig 1998 mit Krieg gegen die Belgra-der Regierung auch ohne das Mandat des UN-Sicherheitsrats ("Selbstmandatierung"). Insbesondere überlegene Technologie ermöglicht der NATO Kriege eines neuen Typs, die die eigenen Verluste völlig vermeiden und beim Gegner möglichst hohen Schaden anrichten. Sie rüstet auf, um sich künftig vor allem auf solch einen Kriegstyp zu spezialisieren. Den NATO-Strategen dauerte es je-doch bis zum Sieg über Jugoslawien noch zu lange. An Abhilfe wird gedacht: Künftig sollen Groß-angriffe aus der Luft "schockartig" begonnen, der Bodentruppeneinsatz nicht ausgeschlossen und mehr Präzisions- und Abstandswaffen eingesetzt werden. Die europäischen NATO-Staaten sollen sich stärker engagieren.

Militarisierung der EU

Unter deutscher Führung wurde die Militarisierung der EU im vergangenen Jahr erheblich voran-getrieben. In drei Jahren sollen 60.000 EU-Soldaten befähigt sein, Krieg in allen Eskalationsstufen über ein Jahr lang führen zu können, was eine EU-Eingreiftruppe von zunächst rund 150.000 Sol-daten voraussetzt. Mit einem von Deutschland geführten europäischen Militärsatellitenprojekt soll die Voraussetzung für eine autonom führbare europäische Armee geschaffen werden.

Gigantische Aufrüstung Deutschlands

Die Rüstungsvorhaben auf Grundlage der Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992, wonach die Bundeswehr zur Verteidigung des "ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen" einge-setzt werden soll, werden weiterhin umgesetzt. Für mehr als 200 Waffenprojekte vor allem zur Aus-rüstung der zunächst 66.000 Mann starken "Krisenreaktionskräfte" der Bundeswehr sollen uns Bür-gerinnen und Bürgern insgesamt mindestens rd. 225 Mrd. DM und für den Betrieb zusätzlich rd. 320 Mrd. DM aus den Taschen gezogen werden.

Die teuersten Rüstungsvorhaben der Bundeswehr:
  • 180 Eurofighter: 41,4 Mrd. DM
  • 212 Kampfhubschrauber TIGER: 15,4 Mrd. DM
  • 272 Transporthubschrauber NH-90: 12 Mrd. DM
  • 8 Fregatten F 125: 12 Mrd. DM
  • 38065 LKW: 10,5 Mrd. DM
  • 15 Korvetten: 8,4 Mrd. DM
  • 3.000 Gepanzerte Transportfahrzeuge (GTK): 8 Mrd. DM
  • 594 Panzerhaubitzen 2000: 7,4 Mrd DM
  • Europ. Spionagesatellitensystem (dt. Anteil): 7,3 Mrd. DM
  • Taktisches Luftverteidigungssystem: 6,2 Mrd. DM
  • 8 U-Boote U-212: 6 Mrd. DM
  • Fernmeldesystem Heer: 5,6 Mrd. DM
  • 75 strategische Transportflugzeuge (FTA): 4,7 Mrd. DM
  • Führungsinformationssystem: 4,4 Mrd. DM
  • 685 Marschflugkörper TAURUS: 4,3 Mrd. DM
  • 3 Fregatten F 124: 3,9 Mrd. DM
  • Satellitenkommunikationssystem: 3,5 Mrd. DM
  • Feldlager: 3,3 Mrd. DM


Neue Runde globalen Wettrüstens

So bereitet sich die Bundesregierung militärisch auf Kämpfe um die strategischen Ressourcen und Regionen vor. Dabei geben die 19 NATO-Staaten zusammen heute schon 57 Prozent der weltwei-ten Rüstungsausgaben aus. Das ist beispielsweise fünf Mal soviel, wie China und Russland zusam-men ausgeben. Die Clinton-Regierung geht beim weiteren Drehen an der Rüstungsschraube voran: Bereits vor einem Jahr hat sie einen schrittweisen Anstieg der US-Rüstungsausgaben von 263 auf 319 Mrd. Dollar im Jahr 2005 beschlossen. Dies dient dem militärisch-industriellen Komplex in Europa als willkommenes Argument für ihre Aufrüstungsprogramme. Die USA arbeiten an einem landesweiten Raketenabwehrsystem, das den ABM-Vertrag bricht, um sich unangreifbar zu ma-chen. Die USA weigern sich, den umfassenden Atomteststoppvertrag zu ratifizieren. In Asien und Russland löst dieses Vorgehen Alarmstimmung aus. Wozu wird erst eine unverwundbare USA fä-hig sein, wenn sie schon jetzt in der Lage ist, einen Krieg am UN-Sicherheitsrat vorbei zu führen? China, Indien und Pakistan beschleunigen ihre atomaren Aufrüstungsprogramme. Russland steigert den Militärhaushalt um 50 Prozent und setzt angesichts konventioneller Unterlegenheit mehr auf Atomwaffen. Die NATO hat eine neue Epoche des Wettrüstens entfesselt.

Deutsche Konzerne wollen die Türkei aufrüsten

Die deutschen Rüstungskonzerne versuchen von jedweden Konflikten zu profitieren und intensivie-ren ihren Waffenexport. Nach Angaben des Forschungsinstituts des US-Kongresses lag Deutsch-land im Jahre 1998 weltweit auf Platz 2 beim Abschluss neuer Waffenexportverträge - bei einem Weltmarktanteil von 25 Prozent! Für den Sommer 2000 wünschen sich Mannesmann, Rheinmetall und Thyssen-Krupp neue Verträge über 1000 Leopard-Kampfpanzer - Auftragswert 14 Mrd. DM - für die Türkei. Panzertürme und -wannen werden bei der Thyssen-Tochter Blohm+Voss gefertigt.

Aus der aktuellen Wunschliste der türkischen Armee nach deutschen Waffen:
800-1.000 Transportpanzer Fuchs (Rheinmetall), 1.000 Kampfpanzer Leopard II A5 (Mannesmann/Thyssen-Krupp), 500.000 Gewehre (Heckler & Koch = British Aerospace), 1.500 Granatwerfer (Heckler & Koch), 145 Kampf-hubschrauber TIGER (DaimlerChrysler/Aerospatiale), 150 Kampfpanzer Leopard I (aus Bundeswehrbeständen), 200 Panzerhaubitzen 2000 (Mannesmann/Thyssen-Krupp), 25 strategische Transportflugzeuge, FTA ( evtl. Daimler-Chrysler), 8 Fregatten (Blohm+Voss = Thyssen-Krupp, HDW = Babcock), 12 Patrouillenboote, 4 U-Boote (HDW/ TNSW=Thyssen-Krupp), 42 hochmoderne Schwergewichtstorpedos (Rheinmetall)

Machtprojektion der NATO im Kaukasus

Das türkische Aufrüstungsprogramm mit Waffen im Wert von 300 Mrd. DM als südöstlichen NATO-Vorposten soll die westlichen Interessen im rohstoffreichen kaspischen und kaukasischen Raum und dem Nahen Osten sichern und ausbauen. Die USA hat Kaukasien zu ihrem "nationalen Interessengebiet" erklärt. Über den Pipelineverbund zwischen Aserbaidschan, Georgien und der Türkei und ihre "Partnerschaft für den Frieden" verstärkt die NATO ihren Einfluss in ex-sowjetischem Gebiet. In der durch den Zerfall der Sowjetunion destabilen Region verschärft die massive Aufrüstung der Türkei weiter die Spannungen.

Schluss mit dem Krieg in Tschetschenien

Russland verfolgt das legitime Ziel, seine staatliche Einhalt zu erhalten, mit Mitteln, die völker-rechtliche Konventionen missachten. Wie in den Jugoslawien-Kriegen erhielten auch hier die mili-tärischen Denkweisen auf allen Seiten - statt des Ringens um politische Kompromisse - schnell die Oberhand und bieten militärische "Konfliktlösungen" an. Die tschetschenische Bevölkerung gerät zwischen die Mühlsteine unterschiedlicher reaktionärer Führungen, gleich, ob sie nun in Moskau oder Grosny sitzen.

NATO rüstet auf zur Aufrechterhaltung der ungerechten Weltwirtschaftsordnung

Die USA und die anderen NATO-Staaten setzen auf neue Kriegswaffen und ihren Einsatz, um die ungerechte Weltwirtschaftsordnung auch im Zeitalter der Globalisierung aufrechtzuerhalten und auszuweiten. Mit dem "neuen Strategischen Konzept" ist an die Stelle der "Verteidigung des Bünd-nisses" die militärische "Verteidigung gemeinsamer Interessen" außerhalb des Bündnisgebiets ge-treten. Unterdessen wächst die enorme Kluft zwischen Arm und Reich weiter: Die Einkommens-lücke zwischen dem Fünftel der Weltbevölkerung, das in den reichsten Ländern lebt, und dem Fünftel in den ärmsten Ländern lag 1997 bei 74:1, während sie 1990 nur 60:1 und 1950 gar nur 35:1 betragen hatte. In über 80 Ländern sind heute die Pro-Kopf-Einkommen niedriger als vor 10 und mehr Jahren. Dagegen hat sich das Nettovermögen der 200 reichsten Personen in den vier Jahren vor 1998 auf 1 Bio. Dollar mehr als verdoppelt. Das Gesamtvermögen der drei reichsten Milliardäre übersteigt das Bruttosozialprodukt der 600 Millionen ärmsten Menschen. Täglich sterben ca. 19.000 Kinder aufgrund mangelnder Ernährung, etwa 840 Mio. Menschen sind unterernährt und fast 1,3 Mrd. Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Für sie besteht die Deklaration der Menschenrechte nur auf dem Papier. Ihnen wird das Recht auf Leben (Art. 3) und auf Soziale Si-cherheit (Art. 22) vorenthalten. Sie leben meist in rohstoffproduzierenden Staaten. Die Preise für Rohstoffe haben das niedrigste Niveau seit 150 Jahren erreicht. (Quelle: UNDP 1999). Insbesondere die Preise für Nicht-Öl-Rohstoffe rutschten seit Mitte 1997 um 30 Prozent nach unten.

Die Zukunft der Menschheit kann nicht in einem Mehr an Waffen liegen - jährlich werden 1.400 Mrd. DM für Kriegswaffen ausgegeben - sondern nur in radikaler Abrüstung und ihrer vertraglichen Kontrolle.

Mit der Abrüstung ernst machen

Dabei kann die NATO ihrerseits voran gehen. Während Russland nur noch ein Sechstel dessen für Rüstung ausgibt, was die Sowjetunion 1985 ausgab, sind es bei den NATO-Staaten Europas ledig-lich ein Sechstel weniger als zum Höhepunkt des Kalten Krieges. Die NATO leistet sich heute in Europa dreieinhalb Mal soviel Personal, und bei konventionellen Waffensystemen eine Überlegen-heit zwischen 47 und 227 Prozent gegenüber ihrem einstigen Gegner. Beim Blick auf die konven-tionellen Kriegsmarinen wird die globale Ausrichtung der NATO besonders augenfällig. Allein die europäischen NATO-Staaten liegen bei Hauptkriegsschiffen 214 zu 25 und bei U-Booten mit 104 zu 38 gegenüber Russland vorn. Dabei träumt der deutsche Marineinspekteur, Lüssow, davon, dass sich Europa "zwangsläufig" zu einer "Seemacht" entwickelt. Die Bundeswehr ist so sehr überdi-mensioniert, dass eine einseitige Abrüstung NATO-Europas auf das russische Niveau allein in Deutschland einen Einspareffekt von mindestens 200 Mrd. DM bis 2010 ergeben würde.

Wir lehnen weltweite militärische Interventionen und Auslandseinsätze der Bundeswehr entschie-den ab und treten auf dem Weg zur Auflösung der Bundeswehr ein
  • für eine quantitative und qualitative Abrüstung und die Verwendung frei werdender Gelder für gesellschaftliche Aufgaben vor allem in den Bereichen Arbeit und Soziales, ökologischer Umbau sowie Bildung, Ausbildung und Kultur,
  • gegen eine neue Aufrüstungsrunde der Bundeswehr und die Verstärkung des Personalbestands durch Frauen als Soldatinnen,
  • für die Auflösung der "Krisenreaktionskräfte" und des "Kommandos Spezialkräfte",
  • für die Annullierung der "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992, in denen die Um-wandlung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee "begründet" wurde,
  • für die Zurückweisung des auf weltweite Interventionen orientierenden neuen "Strategischen Konzepts" der NATO durch den Bundestag,
  • gegen die Herausbildung einer Militärmacht Europa,
  • gegen Waffenexporte in die Türkei und anderswo.


Wir fordern
  • die Wiedergutmachung der im NATO-Krieg gegen Jugoslawien angerichteten Schäden und die strafrechtliche Verfolgung der Kriegsverbrechen aller Konfliktparteien
  • das sofortige Ende des Wirtschaftsembargos gegen Jugoslawien sowie eine Demilitarisierung Südosteuropas
  • die sofortige Einstellung der Kriegshandlungen in Tschetschenien als Voraussetzung für eine dauerhafte politische Lösung
  • die Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl. Solange Menschen vor Krieg, Folter, Hunger oder anderen Verletzungen ihrer Menschenrechte flüchten müssen, müssen sie bei uns Aufnah-me finden.


Vom 24. April bis 19. Mai 2000 wird die nächste Überprüfungskonferenz für den Atomwaffen-sperrvertrag stattfinden. Ziel muss es sein, alle Atomwaffen zu ächten und abzuschaffen. Wir for-dern
  • eine Initiative des Bundestages zur Aufhebung der atomaren Ersteinsatzdoktrin der NATO,
  • die Bundesregierung auf, auf den Abzug sämtlicher US-Atomwaffen von deutschem Boden zu drängen und auf die "nukleare Teilhabe" zu verzichten, um nicht fortgesetzt gegen die Vorga-ben des internationalen Gerichtshofes zur Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen zu versto-ßen.

Wir fordern eine auf zivile Konfliktlösungsmechanismen orientierte Politik. Sie muss
  • die zivilen Friedensdienste sowie die Friedens- und Konfliktforschung ideell und materiell stär-ken, damit sie ihren symbolischen und Alibicharakter verlieren;
  • die OSZE-Strukturen stärken und langfristig und präventiv angelegt sein.

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