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Streitfrage: Welchen Nutzen kann die LINKE für linke Bewegungen haben?

Es debattieren: Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken und die Gruppe "Soziale Kämpfe"


Die LINKE hat auf dem Göttinger Parteitag eine neue Führung gewählt. Sie soll die unterschiedlichen Flügel zusammenführen und die Konflikte der jüngsten Vergangenheit beenden. Doch welche Bedeutung hat das Spitzenduo aus Katja Kipping und Bernd Riexinger für die sozialen Bewegungen? Ändert sich mit Kipping und Riexinger auch das Verhältnis zu denen, die sich auf der Straße für ihre Anliegen engagieren? Dafür spricht, dass beide sich auch in außerparlamentarische Kämpfe eingebracht haben. Oder begegnen sich Partei und Bewegung weiter mit Skepsis und kochen - weitgehend getrennt von einander - ihr eigenes Süppchen?


Pluralität ist anzuerkennen

Von Christoph Kleine *

Karl Marx definierte den Kommunismus als die »wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt«. Seitdem sind Linke auf der Suche nach dieser »wirklichen Bewegung«, während sie sich in der Realität oft mit dem scheinbaren Gegenteil, nämlich der Organisierung und Parteibildung, beschäftigen. Und ebenso lange gibt es die Debatte, ob die Organisierten der Bewegung eher dienend und von ihr lernend begegnen oder sie stattdessen führen, formen oder gar hervorrufen sollten.

Noch komplizierter wird es dadurch, dass in der Linken sowohl Bewegungen als auch Parteien nach den Erfahrungen des Stalinismus und seit dem Aufbruch von 1968 nur noch im Plural gedacht werden können. An die Stelle der einen Arbeiterbewegung ist eine Vielzahl von sozialen Bewegungen getreten, die an unterschiedlichen Punkten ansetzen, an denen Menschen mit den kapitalistischen Verhältnissen in Reibung geraten. Ebenso ist das Konzept der einen Partei, die alle diese Widersprüche kollektiv organisieren und auf das gemeinsame Ziel zuspitzen könnte, anachronistisch geworden. Anzuerkennen ist demnach die Pluralität nicht nur der Bewegungen und nicht nur in einer Partei, sondern ebenso eine Pluralität der linken Parteien und Organisationen.

Bewegungen und Parteien/Organisationen sind unterschiedliche, aber gleichermaßen notwendige Bestandteile gesellschaftlicher Gegenmacht. Bewegungen zeichnen Dynamik und Spontaneität aus. Sie bleiben aber den Zyklen der Bewegungskonjunktur unterworfen und können kollektive Erfahrungen kaum festhalten. Organisationen können hingegen längerfristige Strategien zur gesellschaftlichen Transformation entwickeln und verfolgen, sind aber ohne Kontakt zu den Bewegungen in ständiger Gefahr zu verknöchern und sich zu isolieren.

Organisierte Linke sollen sich also in einer Bewegung dann einbringen, wenn sie zwei Voraussetzungen beachten: Erstens müssen sie die Logik von Bewegungen verstehen und ihre Unabhängigkeit respektieren, das heißt sich aller Versuche der Dominierung enthalten. Und zweitens dürfen sie die Bewegungen nicht zum Schauplatz von Konkurrenzkämpfen mit anderen organisierten Linken machen, sondern sollten die Bewegungen auch als Orte akzeptieren, an denen verschiedene linke Organisationen und Parteien kooperieren.

Nach meinem Eindruck hat die LINKE den ersten Punkt in den vergangenen Jahren zunehmend gut umgesetzt. Sie hat an wichtigen Bewegungsmobilisierungen von Heiligendamm über Dresden bis zu »Castor Schottern« und Blockupy aktiv teilgenommen und ihre parlamentarischen und medialen Ressourcen eingesetzt, um die Legitimität von Aktionen des massenhaften Ungehorsams zu unterstützen. Die neue Parteispitze steht auch für diesen Kurs und ist ein positives Signal für die Weiterentwicklung dieser Bewegungsorientierung. Die Linkspartei wird darüber die Sicherung ihres inneren Zusammenhalts und ihrer parlamentarischen Existenz nicht vergessen dürfen, weshalb den Bewegungen mit einer alleinigen Orientierung der Partei auf außerparlamentarische Aktionen und einer möglichst radikalen Rhetorik nicht gedient wäre.

Was das Verhältnis linker Organisationen zueinander betrifft, scheint bei manchen, die jetzt eine Welle der Parteibeitritte aus der Bewegungslinken lostreten wollen, ein Missverständnis vorzuliegen. Die LINKE kann nicht das Projekt verfolgen, eine parlamentarisch verankerte Mitgliederpartei zu sein und gleichzeitig den organisatorischen Rahmen für radikale Linke bilden. Letzteres verlangt mehr inhaltliche und strategische Vereinheitlichung und ein höheres Maß an Aktivismus. Es führt also entweder zu einer Anpassung der Neumitglieder an die Logik der Partei oder zu neuen, unproduktiven Strömungskämpfen.

So gut es daher ist, wenn sich Linke organisieren: Sie sollten das in den Strömungen jeweils für sich tun, um dann auf der Ebene der Bewegungen wieder kooperieren zu können. Konkret: Wer jetzt Mitglied der LINKEN wird, sollte dies nicht nur auf dem Papier sein. Sie oder er muss akzeptieren, dass die Beteiligung an Aktionen und Kampagnen Wahlerfolge jedenfalls nicht dauerhaft gefährden darf.

Wer dagegen hauptsächlich auf außerparlamentarische Aktionen orientiert ist, wer das staatliche Gewaltmonopol offensiv in Frage stellen möchte und wer auf den revolutionären Bruch setzt, sollte sich besser einer linksradikalen Organisierung, wie zum Beispiel der Interventionistischen Linken, anschließen. Das tut der Kooperation mit der LINKEN keinen Abbruch, sondern ist im Gegenteil die Voraussetzung dafür, dass diese solidarisch stattfinden kann.

* Christoph Kleine, ist aktiv in der Interventionistischen Linken.


"Weiter so" in der Krise?

Von der Gruppe Soziale Kämpfe **

Was haben die Bewegungen von der Partei? Oft wird die Frage mit Verweis auf eine gewisse Arbeitsteilung beantwortet: Verankerung von linken Positionen (manchmal auch nur die letzte Verteidigung bürgerlicher Freiheiten) im Parlament (Sozialpolitik, Antimilitarismus, Antifaschismus, Drogenpolitik, Gesundheitsversorgung und öffentliche Infrastruktur etc.); die Partei ist ein Mobilisierungsfaktor, Abgeordnete sind wichtig für Demonstrationsanmeldungen und die parlamentarische Absicherung von Bündnissen (»Dresden Nazifrei«, »Castor Schottern«, Blockupy Frankfurt). Sie schafft Öffentlichkeiten, die radiale Linke und soziale Bewegungen allein nicht erreichen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung schließlich eröffnet Räume für Diskussion, Konzeptentwicklung, Vernetzung, schafft Bildungsmaterialien, finanziert Projekte.

Kaum jemand wird bestreiten, dass Kooperationen der unterschiedlichen linken Akteure sinnvoll, ja notwendig sind und dass es eine Vielzahl von Formen geben muss, in denen linke Politiken stattfinden. Viele sprechen vom Mosaik, auch bei den Bewegungen und in der radikalen Linken. Häufig bleibt aber ungeklärt, wie die unterschiedlichen Steinchen zusammenfinden, wer für Vermittlung sorgt. Eine Gegenüberstellung von »innen« und »außen« wird in den Diskussionen stark gemacht, gar zur Identitätsfrage.

Eine andere Perspektive könnte sein, dass wir selbst stärker diese Vermittlung mitorganisieren müssen. Eine mögliche Schlussfolgerung ist, in die Partei einzutreten und damit aus der Sicht von »innen« und »außen« auszusteigen, sich in beiden Welten zu bewegen und Vermittlung, vor allem die Erarbeitung gemeinsamer Projekte voranzubringen. Die Probleme der Parteiform, dass Parlamentarismus auf Integration und Machbarkeit orientiert, dass der transformatorische Horizont leicht verschwimmt, sind bekannt. Wir teilen das. Andere Probleme, die mit der Partei verbunden werden, kennen wir auch: Autoritäre Umgangsformen, Pragmatismus - sicher sind wir in den Bewegungen gewohnt, damit anders, diverser, vielleicht besser umzugehen, aber die Probleme sind uns doch nicht unbekannt.

Uns scheint wichtig im Blick zu behalten: Die LINKE ist nicht homogen, sondern ein umkämpftes Feld verschiedener Akteure. Mit der neuen - dieser - Parteiführung können wir aus der Krise der Partei eine Neuorientierung versuchen und das Verhältnis Partei/Bewegungen wieder zum Gegenstand kritisch-solidarischer Auseinandersetzung machen. Nicht, weil alles von der Führung bestimmt ist, sondern weil sie die Chancen für eine derartige Diskussion verbessert. Nicht, weil es das einzig sinnvolle Feld von Aktivitäten ist, sondern weil die Angriffe auf Demokratie und die Reste des Sozialstaates, Fiskalpakt und Zunahme rassistischer Spaltungen die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Linken insgesamt bedrohen. Dass die LINKE aus der Krise kommt, ist daher auch für uns entscheidend.

Es geht nicht darum, die außerparlamentarischen Aktivitäten in die Partei zu absorbieren, warum auch? In kritisch-solidarischer Bezugnahme, mit Blick auf die unterschiedlichen Logiken von Partei und Bewegungen sollten wir herausfinden, wo Überschneidungen, Möglichkeiten und sinnvolle Arbeitsschwerpunkte liegen können, die auf die Schaffung einer breiten gesellschaftlichen Linken, die Schaffung einer Gegenhegemonie orientieren und entsprechende Projekte zur Transformation entwickeln. Strategische Bündnisse sind für dieses Vorhaben wichtig, aber zu kurz gedacht. Lasst uns gemeinsam die Frage diskutieren: Welche Projekte können die kritischen linken Teile von Gewerkschaften, Partei und Bewegungen zusammenbringen? Wie kann eine gesellschaftliche Linke handlungsfähig werden und ein gemeinsames Projekt gesellschaftlicher Veränderung jenseits des (neoliberalen) Kapitalismus entwickeln?

** Die Gruppe Soziale Kämpfe (GSK) versucht sich in der Entwic Die Gruppe Soziale Kämpfe (GSK) versucht sich in der Entwicklung »revolutionärer Realpolitik« und ist seit 2007 in Berlin aktiv. Ihre Schwerpunkte: Krisenproteste und antirassistische Politik.

Beide Beiträger erschienen in: neues deutschland, Samstag, 30. Juni 2012 (Debatte)



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