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Querflöte, Violine und Feldjäger

Gruppe "Lebenslaute" spielt gegen Gefechtsübungszentrum auf

Von Michael Schulze von Glaßer *

Eine Nachtwanderung über einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr, die Flucht vor einem Helikopter, ein klassisches Konzert vor Feldjägern und Polizei sowie ein beschlagnahmtes Auto – ein persönlicher Bericht vom Aktionstag gegen das Gefechtsübungszentrum »Altmark« der Bundeswehr.

»Militärischer Sicherheitsbereich« ist auf dem Schild neben einer Schranke im Norden des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) »Altmark« der Bundeswehr zu lesen. Unbefugten ist das Betreten des Geländes unter Strafe verboten. Hier wird Europas modernstes Trainingszentrum für Soldaten entstehen. Dann soll das Militär noch besser für Interventionen ausgebildet werden können. Es ist etwa 2 Uhr nachts als ich am vergangenen Samstag mit einer Gruppe Friedensaktivisten neben dem Schild am GÜZ stehe. Der Mond scheint hell durch die Bäume, es ist warm. Die Gruppe, mit der ich unterwegs bin, besteht aus elf Personen im Alter zwischen 20 und 75 Jahren. Sie wollen in dieser Nacht die ehemalige Ortschaft Salchau auf dem Gelände des GÜZ erreichen, um gegen die Einrichtung zu protestieren.

Die Gruppe ist mit mehreren Autos Freitagnacht um 23 Uhr aus dem »War starts here«-Protest-Camp nördlich von Magdeburg gestartet. Ich begleite sie als Journalist. Schon am Camp-Ausgang leuchteten herumstehende Polizisten die Nummernschilder an. Kurze Zeit später wurde der Tross von Polizei-Bullis und mutmaßlich zivilen Polizeifahrzeugen verfolgt. An einer roten Ampel konnte die Polizei abgehängt werden. Eilig ging es in ein Dorf und dort in einen Feldweg: »Schnell, Lichter aus«, flüsterte jemand. Die Polizei, die durch die Ortschaft streifte, fand die Gruppe nicht.

Um ein Uhr setzten wir die Fahrt fort. Es rumpelte im Auto, als ich beim Ort Vollenschier hinter den Aktivisten her mehrere Kilometer in einen Wald fuhr, große Stöcke barsten unter den Rädern des Autos. Direkt neben dem GÜZ stellten wir eine Stunde später die Fahrzeuge ab.

Von nun an geht es voll bepackt zu Fuß weiter. Rund eine Stunde gehen wir mit Ruck- und Schlafsäcken durch den Wald, dann hören wir zum ersten Mal ein leises Rotorengeräusch, das langsam lauter wird. »Schnell in den Wald!«, ruft jemand aus der Gruppe. Ich sehe die Silhouette des unbeleuchteten Hubschraubers: »Hat er uns gesehen?«, fragt jemand. »Der hat sicher eine Wärmebildkamera«, antwortet ein anderer. Ein, zwei, drei, unzählige Kreise zieht der Hubschrauber über unseren Köpfen. Wenn er weiter weg ist, eilt die Gruppe immer einige hundert Meter voran und versteckt sich wieder. So geht es eine ganze Weile – bis der Hubschrauber seine Signallichter einschaltet und abzieht. Erleichterung. Es geht weiter. Durch Wälder, über Wege, durch die Heidelandschaft auch mal querfeldein. Die Sonne geht langsam auf, es sind nun fast zwanzig Kilometer, die ich mit der Gruppe gelaufen bin.

»Dahinten bewegt sich was!«, ruft jemand. In der Ferne sind Soldaten zu sehen. Wir legen uns in das hohe, feuchte Gras am Wegesrand rund 300 Meter vor Salchau. Der Lärm anrückender Fahrzeuge ist zu hören. Stimmen. Werden sie uns entdecken? »Das schaffen wir nicht mehr, lasst uns hier die Aktion machen, die finden uns sowieso«, schlägt einer flüsternd vor – und alle stehen auf.

Da ist es schon zu spät. »Liegen bleiben! Nicht aufstehen!«, schreit ein aufgeregter Feldjäger energisch, doch er wird ignoriert. Drei Musiker der Gruppe »Lebenslaute« holen Akustikgitarre, Querflöte und Violine heraus und beginnen zu musizieren. Andere aus der Aktionsgruppe breiten ein Transparent aus. Eine seltsame Situation ist das: auf der einen Seite der warme Sonnenaufgang und sanfte klassische Musik. Direkt daneben bewaffnete Feldjäger mit Hunden und ein vollbesetzter Panzer im Hintergrund.

Die Lage bleibt ruhig, die Feldjäger haben die Polizei informiert, die nach einigen Minuten mit einem halben Dutzend Fahrzeugen anrückt. Es ist etwa 7 Uhr, als die Polizei die Personalien aufnimmt. Die Stimmung ist entspannt. Für die Aktivisten gibt es Platzverweise, und auch ich werde von den Beamten vom GÜZ-Gelände gebracht. Um die Mittagszeit treffen wir erschöpft im Camp ein – erst einmal ausruhen und das Erlebte verarbeiten.

Doch zu früh gefreut. Am späten Nachmittag dieses Samstags wird das »War starts here«-Camp von einem Polizeiaufgebot umstellt. Ziel der Ermittlung ist ein Auto – mein Auto! Es habe in der Nacht einen Brandanschlag gegen Bundeswehrfahrzeuge im etwa 70 Kilometer vom Camp entfernten Havelberg gegeben, erklärt mir jemand. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt hat den Verdacht, dass mein Auto etwas mit dem Anschlag zu tun hat. Obwohl ich mich vor der Polizei als Pressevertreter zu erkennen gebe, wollen die Beamten das Auto nach Spuren durchsuchen. Auch mein Handy und einen Laptop darf ich nicht mehr aus dem Auto nehmen. Ich bin unschuldig und kann doch nichts dagegen machen. Mit einem Abschleppfahrzeug wird das Auto abtransportiert – und ich bleibe ohne Fahrzeug und ohne Telefon zurück. Am Sonntag soll mein Wagen, der immer noch in Polizeigewahrsam ist, vom LKA untersucht worden sein – ohne Ergebnisse. Die BILD-Zeitung titelte dennoch: »Polizei beschlagnahmt verdächtiges Auto«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 31. Juli 2013


Auto beschlagnahmt

Dem Autor des obigen Beitrags ist Unschönes widerfahren: Die Polizei beschlagnahmte sein Auto nebst Inhalt (Laptop usw.). Wie es dazu kam, geht aus dem nachfolgenden Interview hervor, das die "junge Welt" mit ihm führte.

"Keine Ahnung, wann ich mein Auto wieder abholen kann"

Bei Protesten gegen das GÜZ Altmark: Polizei beschlagnahmte Wagen eines freien Journalisten. Ein Gespräch mit Michael Schulze von Glaßer **


Michael Schulze von Glaßer ist freier Journalist.


Sie haben am Freitag als Journalist Aktivisten begleitet, die gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark in Sachsen-Anhalt protestiert haben, in dem deutsche Soldaten mit modernsten Mitteln für den Häuserkampf ausgebildet werden. Jetzt ist Ihr Auto weg – wie kam es dazu?

Die Gruppe war am Abend aus dem antimilitaristischen Camp in Pozehne gestartet, sie wollte in das GÜZ eindringen, um an Ort und Stelle zu protestieren – und zwar mit einer Konzertaktion unter Beteiligung der Musikgruppe »Lebenslaute«. Schon als wir abfuhren, wurden unsere drei Autos verfolgt, sie wurden beleuchtet, wahrscheinlich wurden die Nummernschilder dabei fotografiert. Irgendwann in der Nacht gelang es uns, die Polizei abzuhängen.

Nach etwa 20 Kilometern Fußmarsch durch das GÜZ erreichten wir schließlich die im Gelände liegende Ortschaft, wo uns Polizei und Feldjäger festhielten. Uns wurde verboten, uns weiter auf Bundeswehrgebiet aufzuhalten. Am Nachmittag schließlich – wir waren gerade zurück im Camp – erschien erneut Polizei und beschlagnahmte mein Auto. Wie wir zu diesem Zeitpunkt erfuhren, hatte es im 70 Kilometer entfernten Havelberg einen Anschlag auf Bundeswehrfahrzeuge gegeben – man hatte irgendwie mein Fahrzeug damit in Verbindung gebracht.

Das verstehe ich nicht – stand Ihr Auto nicht seit Beginn dieser Protestaktion unter polizeilicher Beobachtung?

Nicht die ganze Zeit lang – wir hatten die Beschatter gegen Mitternacht abgehängt, weil sie an einer roten Ampel warten mußten. Der Anschlag soll, wie ich von der Polizei erfuhr, gegen 2.00 Uhr stattgefunden haben – deswegen hatte sie wohl vermutet, unsere drei Autos hätten damit etwas zu tun haben können. Hatten sie aber nicht – es gibt jede Menge Zeugen dafür.

Nicht nur Ihr Auto ist weg, auch Ihr Mobiltelefon und Ihr Laptop …

Auch die Ladegeräte für meine Kameras – sie haben alles mitgenommen, was im Auto war. Was ich außerhalb des Autos hatte, interessierte nicht. Mir blieb nur der Rucksack mit meinen Kameras, deren Akkus ich jetzt leider nicht mehr laden kann.

Das sind aber doch normale Arbeitsmittel eines Journalisten …

Das hat die Beamten nicht interessiert, auch mein Journalistenausweis hat sie nicht weiter beeindruckt. Das einzige, was ich zurückbekam, war meine Geldbörse, die ich im Auto liegen hatte. Glücklicherweise waren im Camp mehrere Rechtsanwälte, die sofort bei der Polizei Beschwerde eingelegt haben. Wir wollten die Lage nicht eskalieren, immerhin hatte eine Hundertschaft unser Camp schon umstellt.

Wie geht es weiter? Auto weg, Mobiltelefon weg, Laptop weg – wie wollen Sie als freier Journalist arbeiten?

Zumindest ist es erschwert. Der Laptop gehört einer Bekannten, mit einem eigenen kann ich also noch arbeiten. Aber mir fehlt vor allem das Mobiltelefon, in dem ich jede Menge Kontaktnummern eingespeichert habe. Interessanterweise erstreckt sich die Beschlagnahmeverfügung nur auf das Auto, nicht auf das, was sonst noch drin war: Handy und Laptop müßten also für die Polizei tabu sein, sie dürfen nicht durchsucht werden.

Woran sich die Polizei auch mit Sicherheit halten wird …

(Lacht.) Sie hätten Telefon und Laptop gar nicht erst mitnehmen dürfen. Als sie das Auto beschlagnahmten, wurde mir gesagt, ich könne es wahrscheinlich schon am Sonntag wieder zurückbekommen. Das war vor vier Tagen, ich habe keine Ahnung, wann ich es abholen kann.

Wieso »abholen«? Wäre es denn nicht selbstverständlich, daß die Polizei Ihnen den Wagen nach Hause bringt? Sie hat ihn doch auch »entwendet«.

Das machen die nicht. Ich bin durch die Beschlagnahme nicht nur beruflich behindert, ich mußte auch zusehen, wie ich vom Camp aus wieder nach Hause kam. Und um das Auto abzuholen, muß ich wahrscheinlich mehrere Stunden mit der Bahn fahren. Ich erwarte zumindest eine Entschuldigung der Polizei.

Unangenehm ist für mich allerdings, daß das Auto nicht auf meinen Namen, sondern auf den meines Vaters angemeldet ist. Meine Eltern waren natürlich mächtig schockiert, als wegen des Wagens plötzlich Beamte des Landes­kriminalamtes an der Tür klingelten.

Interview: Peter Wolter

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 1. August 2013


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