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Willkommener Verdacht

Brandanschlag auf Bundeswehr in Havelberg/Altmark: Polizei nimmt Teilnehmer des antimilitaristischen Camps "War starts here" ins Visier. Die sehen sich kriminalisiert

Von Susan Bonath *

Der Brandanschlag auf eine Bundeswehrkaserne in Havelberg am frühen Samstag morgen bestimmt derzeit die Schlagzeilen in Sachsen-Anhalt. Just zu der Zeit, als Antimilitaristen mit einem Camp und einem Aktionstag in der Colbitz-Letzlinger Heide gegen Kriegsvorbereitungen im nahen Gefechtsübungszentrum (GÜZ) protestierten, gingen rund 90 Kilometer weiter nördlich 16 Militärfahrzeuge in Flammen auf. Nur wenige Stunden später meldete die Polizei einen »möglichen Zusammenhang« mit dem Camp; die Medien berichteten. Am Montag wiederholte Polizeisprecher Stefan Brodtrück: »Wir verfolgen eine konkrete Spur.« Die Kriegsgegner fühlen sich pauschal kriminalisiert. In einer öffentlichen Erklärung weisen sie jetzt die Verdächtigungen zurück.

»Über 100 Polizisten sperren das Camp ab, ein Hubschrauber kreist über uns, niemand kommt raus, keiner rein, nicht einmal die Anwälte«, meldete ein Sprecher der Antimilitaristen am Samstag abend vom Zeltplatz im Altmarkdorf Potzehne. Mit diesem spektakulären Großeinsatz und einem richterlichen Beschluß in der Tasche beschlagnahmten die Beamten einen auf dem Gelände geparkten PKW. Der Halter stehe unter Verdacht, an dem Brandanschlag in Havelberg beteiligt gewesen zu sein, hieß es. Derzeit untersucht das Landeskriminalamt das Fahrzeug auf mögliche Spuren, Ergebnisse liegen noch nicht vor. Ferner ist die Bundeswehr damit beschäftigt, den genauen Schaden des zerstörten Fuhrparks zu berechnen. Bislang schätzt sie ihn auf etwa zehn Millionen Euro. Wie die Täter auf das Gelände, »das selbstverständlich bewacht wurde«, gelangten, sei unklar, konstatierte ein Sprecher des Landeskommandos Sachsen-Anhalt am Montag auf jW-Nachfrage. Und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) griff die Gelegenheit beim Schopf, um einmal mehr die »zivil-militärische Zusammenarbeit« mit Hilfe dieser nun abgebrannten Fahrzeuge beim Hochwassereinsatz im Juni zu loben.

Tatsächlich, melden sich nun die unter Verdacht Geratenen zu Wort, habe der beschlagnahmte PKW zusammen mit zwei anderen Fahrzeugen am Freitag abend gegen 23 Uhr das Camp verlassen. »Wir – zwölf Personen – hatten uns entschlossen, eine Mahnwache in Salchau abzuhalten.« Der ehemalige Ort Salchau liegt mitten auf dem Truppenübungsplatz, seine Reste nutzt das Militär, um den Häuserkampf zu üben. Dann sei die Gruppe, zeitweise mit Polizeibegleitung, in Richtung Norden gefahren. In einem Dorf südlich von Stendal – rund 35 Kilometer von Havelberg entfernt – haben sie die Autos geparkt. »Wir betraten das GÜZ zu Fuß und sind dann etwa 20 Kilometer in Richtung Süden gelaufen«, erklären die Aktivisten. Gegen 6 Uhr morgens sei die Gruppe schließlich kurz vor Salchau von Feldjägern der Bundeswehr gestoppt worden. »Die Musiker der Gruppe Lebenslaute, die uns begleiteten, begannen sofort zu musizieren.« Im Anschluß habe die Polizei die Aktivisten vom Gelände gefahren und ihnen Platzverweise erteilt. Erst am Samstag mittag habe die Gruppe im Camp von dem Anschlag erfahren. »Wir wehren uns dagegen, daß unsere gewaltfreie Konzert-Protestaktion kriminalisiert wird.«

Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft überraschen »die voreiligen Verdächtigungen« nicht. »Die Kriminalisierung hat schon lange vor dem Camp begonnen«, resümierte er am Montag gegenüber dem MDR. So hätten Polizei und Behörden per Allgemeinverfügung versucht, das Grundrecht zu demonstrieren, auszuhebeln. Zur Begründung habe es geheißen, daß Gewalt vom Camp ausgehe. »Das war eindeutig nicht der Fall, und das Oberverwaltungsgericht hat das zum Glück erkannt«, so Schädel. Verständnis für solche Aktionen wie den Brandanschlag hat er dennoch, »auch wenn das nicht meine Position ist«. Die Bundeswehr sei weltweit im Einsatz, zerstöre Lebensgrundlagen und töte Menschen. Für diese Gewaltanwendung übe sie in diesem Land.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Juli 2013


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