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"Demonstriere, daß Du Dich mitverantwortlich fühlst"

Rede von Ossietzky-Preisträger Helmut Donat zum Hiroshima-Tag in Bremen

Rede von Helmut Donat, Ossietzky-Preisträger der Universität Oldenburg, am 6. August 2001 auf dem Bremer Marktplatz anläßlich des 56. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

Als am 6. August 1945 um 8.15 Ortszeit in Hiroshima die erste Atombombe explodierte, verwandelte sie die bis dahin von Krieg und Zerstörung verschonte Stadt in ein Flammenmeer. Die einst blühende Stadt brannte, schwarzer, radioaktiver Regen folgte dem Feuersturm und der Hitzewelle. Auf einer Fläche von 10 Quadratkilometern war alles wie ausradiert. Über 150 000 Menschen waren sofort tot, Zehntausende wurden verletzt und erlitten Strahlenschäden. Bis heute, 56 Jahre danach, leiden Menschen an den Folgen der nuklearen Verseuchung. Die Atombomben, die am 6. und 9. August 1945 Hiroshima und Nagasaki zerstörten, waren die Antwort auf Japans Terror und Aggression. Sie leitete ein neues Zeitalter der Bedrohung und Rüstung ein. Die Vereinigten Staaten hatten im Wettlauf mit den Nazis und der Entwicklung eines deutschen Atomprogramms einen bedeutenden Sieg errungen. Unvorstellbar, wie die Welt heute aussehen würde, wenn Hitler die Bombe zur Verfügung gestanden hätte.

1949 besaßen die USA 50 Atombomben, die Sowjetunion nur eine. Heute gibt es etwa 30 000 Atomsprengköpfe auf der Welt. In Deutschland lagern in Büchel in der Eifel und in Ramstein bei Kaiserslautern immer noch etwa 60 Atombomben. Deutsche Piloten mit Bundeswehrtornados üben - ungeachtet dieser illegalen Teilhabe Deutschlands an Atomwaffen - den Einsatz mit Atombomben. Wir sagen NEIN dazu und fordern die Bundesregierung auf, alles dafür zu tun, daß die Atomwaffen von deutschem Boden verschwinden und die Lager in Büchel und Ramstein aufgelöst werden. Denn solange es Atombomben gibt, können sie auch eingesetzt werden. Und noch immer hat der Mensch das, was technisch möglich ist, auch getan.

Das Vermächtnis der Toten und Opfer von Hiroshima und Nagasaki kann nur darin bestehen, die Atomwaffen weltweit abzuschaffen und zugleich ein Klima herbeizuführen, in dem derjenige, welcher auch nur mit dem Gedanken spielt, mit dieser schrecklichen Waffe seine Interessen durchzusetzen oder andere sich gefügig zu machen, weltweit als Verbrecher und Menschenverächter angesehen und bestraft wird. Das Recht eines jeden Menschen auf Schutz vor Lebensgefahr darf nicht nur in den Gesetzen der Staaten verankert sein, es muß auch wirklich geachtet und realisiert werden. Mit der Warnung prominenter Frauen und Männer wie Albert Einstein und Bertrand Russell fordern wir, der sinnlosen Produktion von Atomwaffen, wie es z.B. die Regierung Frankreichs erst kürzlich beschlossen hat, und dem endlosen Rüstungswettlauf Einhalt zu gebieten. Wir brauchen nicht nur einen Verzicht der Atomwaffenstaaten auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen, wir halten Rüstungsprojekte wie das geplante neue Raketenabwehrsystem der USA für überflüssig und schädlich sowie für eine neuerliche Kapitulation vor Bedrohungsängsten.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Staat, in dem die Vertreter des Machtgedankens, den sie natürlich verschleiern und mit einem humanen Anstrich versehen, rein personell gesehen das Übergewicht haben, sei es in der Verwaltung, in der Polizei, in der Justiz und natürlich vor allem in der mächtigen Militärmaschine. Insofern ist Mißtrauen, besser gesagt, großes Mißtrauen gegenüber der deutschen Politik nicht unberechtigt. Statt aber die Lehren aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege zu ziehen und jedweder Politik zu entsagen, die sich auf das Schwert stützt, haben einflußreiche Kreise in Deutschland wieder begonnen, Verantwortung auf der Welt zu übernehmen, Stärke zu zeigen und Waffen einzusetzen. Dabei bewegen sich diejenigen, welche von einer "aktiven Außenpolitik" sprechen, ganz in den Bahnen jener deutscher Kriegsideologen, die mit ihrer einseitigen und theoretischen Fixierung auf den machtpolitischen Gedanken ("Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne!") zum Schrecken und Ärgernis für ganz Europa geworden sind. Und natürlich tun sie auch heute so, als könne man mit Waffen Probleme lösen und die Welt befrieden. Das Gegenteil ist noch immer der Fall gewesen.

General Berthold von Deimling, der im Ersten Weltkrieg vor Verdun zum Pazifisten wurde, stellt in seinen Lebenserinnerungen (Berlin 1931) fest, daß der Krieg kein Gebot kennt. Und er fährt fort (ich zitiere): "Das wird immer so bleiben, so lange es Kriege gibt. Wer sich gegen diese Erkenntnis auflehnt, der helfe mit, den Krieg als Mittel der Politik zu bekämpfen und auszurotten."

Der Kampf gegen den Krieg beginnt und endet vor seiner Entfesselung, aber auch hier bedeutet es eine Irreführung, wenn nicht die Wurzeln bloßgelegt werden, aus denen letzten Endes alles Kriegführen emporschießt: Kapitalismus, Imperialismus, Nationaldünkel, Militarismus usw. - alles das trägt dazu bei, ist aber nur Wurzelgeäst. Die Hauptwurzel ist und bleibt das "Ich", der Mensch selber mit seiner Auffassung, daß es, statt den Weg der Verständigung zu gehen, durchaus rechtens sei, dem sogenannten "Feind" eins auf den Kopf zu geben und ihn gar auszulöschen, daß Macht vor Recht gehe, wenn es denn den eigenen Interessen nützt. Wohin er es auf diesem Weg gebracht haben, zeigen uns der Erste und der Zweite Weltkrieg zur Genüge. Ohne den Allmachtsanspruch und die Allmachtsphantasien vieler einflußreicher Deutscher in Politik, Wirtschaft, Justiz, Verwaltung und Militär wäre es niemals zu einer solchen Hochrüstung im 20. Jahrhundert gekommen, wie wir es erlebt haben.

Milliarden über Milliarden Dollar werden jährlich für Rüstung in allen Völkern ausgegeben. Zugleich herrscht in der Welt großer Mangel und Hunger. Die Menschen wollen lieber Brot - aber keine Bomben. Sage keiner, daß er nicht helfen oder nichts ändern kann. Auf jeden einzelnen kommt es an. Sprich mit Deinen Mitmenschen, führe ihnen die Bedrohung unseres Erdballs vor Augen, trage zum Abbau des Verfolgungsdenkens bei, benutze Deinen ganzen Einfluß auf Abgeordnete, Parteien, verantwortliche Regierungsstellen hier und in aller Welt, nehme Deine demokratische Pflicht wahr und demonstriere, daß Du Dich mitverantwortlich fühlst in der Gefahr für die Gesamtheit. Hiroshima, Nagasaki und die eigenen schmerzlichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges mahnen, uns an diesem Tag erneut zu jenen zu bekennen, die in aller Welt im Gedenken an die Opfer die Ächtung und Abschaffung der Atomwaffen, die Einstellung aller Kernwaffenversuche und die allgemeine Abrüstung fordern.

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