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Regenschirme als Rechtsbeistand

Eine Woche nach dem Kessel: Blockupy lässt sich Demonstrationsrecht nicht nehmen

Von Hans-Gerd Öfinger *

Eine Woche nach den Polizeiübergriffen gegen die Blockupy-Demonstration in Frankfurt am Main formierten Demonstranten am Sonnabend in der Bankmetropole überraschend deutlichen Protest.

Ursprünglich als regionale Protestveranstaltung gegen die stundenlange Einkesselung von 1000 Demonstranten am letzten Wochenende geplant, kam es am Sonnabend in Frankfurt am Main zur erneuten Großdemonstration. Der vierstündige Zug schwoll zeitweilig auf weit über 12 000 Teilnehmer an, andere Schätzungen gingen sogar von 20 000 Menschen aus. Viele trugen Schirme, Sonnenbrillen in Übergröße oder Guy- Fawkes-Masken der Occupy-Bewegung und spielten damit auf die angebliche »Vermummung« und »passive Bewaffnung« an, die eine Woche zuvor zur Rechtfertigung der Polizeigewalt gedient hatte. Auffällig war die geringe Präsenz von rund 150 Polizeibeamten, die den Verkehr regelten.

Die meisten Demonstranten waren am 1. Juni nicht dabei, wollten nun aber, aufgerüttelt durch Medien- und Augenzeugenberichte, »Flagge zeigen«, »gegen die unsäglichen Zustände auf die Straße gehen« oder »die Grundrechte verteidigen«, wie sich Teilnehmer gegenüber »nd« äußerten. Unübersehbar war auch die Solidarität mit der Protestbewegung in der Türkei. So kamen auch Vertreter linker türkischer Organisationen in der Bundesrepublik zu Wort. »ResIstanbul« hatte einer von ihnen auf sein Schild gemalt.

Am Schauplatz des stundenlangen Kessels vor einer Woche verteilte eine junge Frau, die hier mit eingesperrt war, ihren Augenzeugenbericht auf kopierten Blättern. Sie beschreibt darin »Bilder, die mir nicht mehr so schnell aus dem Kopf gehen«. Unvergessen dürften für sie auch die Worte eines Polizeibeamten bleiben: »Ich schlage dir die Birne zu Matsch.« Für die Frankfurter Stadtverordnete Jutta Ditfurth steht fest: »Es sollte keine Botschaft der Solidarität aus einem Zentrum des Kapitalismus, aus dem Herzen der Bestie, nach Madrid, Rom, Athen oder auf den Taksim-Platz ausstrahlen.«

Der Kabarettist Urban Priol hatte das Publikum auf seiner Seite, als er gegen Banken und Politiker austeilte. Wer das Wort Bundeskanzlerin in der Buchstabensuppe lange genug drehe und wende, bekomme ein »Bankzinsenluder.« Leider trauten sich noch zu wenige Menschen, die Kapitalismuskrise beim Namen zu nennen. »Macht weiter so«, rief er den Demonstranten zu. Sichtbar vertreten waren auch Gewerkschaften, LINKE, Grüne, SPD und Piratenpartei. Das Hessische Sozialforum unterbrach seine Tagung und solidarisierte sich mit der Demonstration.

Zum Auftakt hatte Michael Erhardt von der IG Metall Frankfurt an die Polizeibeamten appelliert, sich nicht für das Niederknüppeln von Krisenprotesten von Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) missbrauchen zu lassen. »Wir haben heute das Demonstrationsrecht und den liberalen Ruf Frankfurts verteidigt und werden auch auf das Streikrecht nicht verzichten, wenn es härter kommt«, erklärte der DGB-Regionsvorsitzende Harald Fiedler bei der Abschlusskundgebung.

»Blockupy ging gestärkt aus dem Kessel hervor«, bilanzierte das Bündnis den Tag. Nächster Meilenstein der Proteste könnte die für 2014 geplante Einweihung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Osten sein. Unterdessen haben namhafte Protestforscher und Polizeiexperten in einem Offenen Brief an die hessische CDU-FDP-Landesregierung das Vorgehen der Polizei am 1. Juni als »nicht hinnehmbare Eskalation« kritisiert. Die Unterzeichner verlangen eine Aufarbeitung der Übergriffe.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. Juni 2013


Tausende gegen Gewalt

Demo gegen Polizeiübergriffe bei »Blockupy«-Protesten in Frankfurt am Main. Rücktritt des hessischen Innenministers gefordert

Von Gitta Düperthal **


Tausende Menschen haben am Samstag in Frankfurt am Main ohne weitere Zwischenfälle gegen die Brutalität von Polizeieinsätzen gegen Kapitalismus-Kritiker demonstriert. Anlaß waren die Blockupy-Proteste gegen die europäische Finanzpolitik, bei der genau eine Woche zuvor Hunderte Demonstranten eingekesselt, mit Tränengas eingedeckt und zusammengeprügelt worden waren.

»Wir wollen hier weiter demonstrieren. Auf derselben Route, auf der uns die Polizei in der vergangenen Woche brutal gestoppt, in einem Kessel über Stunden unserer Freiheit beraubt und mehr als 300 Demonstranten mit Schmerzgriffen, Pfefferspray und Knüppeln mißhandelt hat«, rief ein Aktivist bei einer der vier Kundgebungen am Samstag vom Lautsprecherwagen. Demo-Anmelder Jan Umsonst (Occupy) schilderte, was ihm widerfahren war, nachdem er sich bei der Blockupy-Demo schützend vor Frauen und Kinder gestellt hatte: »Erst schlagen sie dich nieder, dann zeigen sie dich an.« Ihm werde Körperverletzung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Nach Veranstalterangaben nahmen rund 20000 Menschen an der Demonstration teil, 6500 waren es laut Polizei.

Aufgerufen zu der Protestdemo hatten auch der DGB, Region Frankfurt-Rhein-Main, die Frankfurter SPD sowie die Grünen. Ärger gab es, als grüne Stadtverordnete sich an die Spitze des Zugs setzen wollten. Aktivisten kritisierten scharf, daß sie an ihrer Koalition mit der CDU in der Stadt festhielten, obgleich die CDU den Polizeieinsatz verteidigt hatte. Hans Christoph Stoodt, Sprecher der Anti-Nazi-Koordination, konstatierte gegenüber junge Welt, eine »unerträgliche Doppelstrategie der Frankfurter Grünen und der SPD«: »Sie lassen alles passieren, um nun dagegen zu demonstrieren«. Die Stärke der Bewegung zeige sich daran, daß »sie sich nicht mehr erlauben können, sich herauszuhalten«.

Der grüne Stadtverordnete Wolfgang Siefert erklärte gegenüber jW, Frankfurts Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) habe keinen Einfluß auf den Einsatz gehabt; das Land Hessen habe die Entscheidung an sich gezogen. Genau das hatte aber Landes­innenminister Boris Rhein (CDU) im Innenausschuß des hessischen Landtags am Donnerstag bestritten.

»Rhein in den Main« oder »Vermummt, bewaffnet, gewaltbereit: die Polizei« stand auf Plakaten. Immer wieder wurde der Ruf nach Rücktritt des Innenministers, des Ordnungsdezernenten sowie des Polizeipräsidenten Achim Thiel laut. Polizisten traten bei dieser Demo am Samstag kaum in Erscheinung, obgleich fast alle Demonstranten wie in der vergangenen Woche von der Polizei als sogenannte »passive Bewaffnung« stigmatisierte Gegenstände dabei hatten: Regenschirme und Sonnenbrillen. Ein breites Bündnis linker Organisationen aus der Türkei beteiligte sich: »Wir wollen den Protest gegen die Härte der Polizei des reaktionären Erdogan-Regimes mit dem gegen das undemokratische Vorgehen gegen die Blockupy-Aktivisten in Frankfurt am Main verbinden«, sagte Baran Kiraz, Sprecher der DIDF Frankfurt.

Der Landesvorsitzende der Partei Die Linke, Ulrich Wilken, sagte, SPD und Grüne im hessischen Landtag seien bei der Aufklärung gefordert, damit der Innenminister sich nicht »herausreden und einzelne Polizisten verantwortlich machen« könne. »Wir brauchen eine Polizistenkennzeichnung«, forderte er, um erkennen zu können, wer die Gewalttaten begeht.

** Aus: junge Welt, Montag, 10. Juni 2013


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